ebook img

Hannah Arendt zur Einführung PDF

103 Pages·2015·21.4 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Hannah Arendt zur Einführung

Grit Straßenberger Hannah Arendt zur Einführung JUNI US Zur Einführung ... \Xfisscnschaftlichcr Beirat Michael I-Iagncr, Zürich Ina l\.crncr, Berlin l)ictcr 'l'ho1nä, St. (;allen ... hat diese 'I~1schcnbuchrcihc seit ihrer (;rtindung 1977 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches \'Xfissen allgc1ncin zugänglich rnachcn und so den :tvlarsch durch die ]nstitutioncn theoretisch ausrüsten sollte, \Vurden die Biindc in den achtziger Jahren zu cinc111 vcrLisslichcn Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Jvlit der ](0111bi nation von Wisscnsvcnnittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bändc stilbildcnd gc'ivirkt. Seit den neunziger Jahren rcfonnierten sich 'feile der Geistes Junius Verlag Cmhl 1 \vissenschaften als K„ultur\vissenschaften und brachten neue Fä Strese111anns1raß(' J7$ 22761 Hamburg cher und Sch,vcrpunkte \vie Medien\vissenschaften, \Xfissenschafts www. j uni us-ve r 1a g.dc geschichtc oder Bikhvissenschaftcn hervor. Auch in1 Verhältnis zu den Natur\vissenschaftcn sahen sich die traditionellen l\._ernfächer (i) 2015 by Junius VL,rlag (1rnhH der GeistCS\visscnschaften neuen ]-lerausforderungen ausgesetzt. Alle Rl·rhlc' vorbehalten l)iesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-H.ei Umsrhbggesta!tung: Florian Zietz Titelbild: {l pirturc alliancc / Frcd Skin hc lZcchnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vis Satz:Juni11s Verlag GmbH n1ann und Z\vci der lJntcrzeichnenden (J\1.fl. und l).'f.) verant l'rinted in thc EU 201S ISBN 978·3·88506-089·5 \VOrtet \vurde. Ein Jahrzehnt später er\veiscn sich die I<..ultur\vissenschaften eher als not\vendige Er\veiterung denn als Neubegründung der c;eistes\vissenschaftcn. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt po litik- und soziahvissenschaftlicbe Fragen gerückt, die sich pro Bibliografische Information der Dcut~chcn Nationalbibliothek duktiv 111it den geistcs- und kultur\vissenschaftlichen Proble1n Die Dcutsrlw Na\ionalbibliotlwk V(.'rzcichnc\' di(•sc Publikation in dc1 stellungen vcnncngt haben. So scheint eine erneute Inventur der Dc11t~rl11:11 Nationalbibliografie; dcrnil!it'rte bibliogr~fisrhc Daten ß„cihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kc)l11- sind im lnternet iiber http://dnb.d·nb.de abrufüar. petcnt und anschaulich zu vcnnittcln, \Vas kritisches l)cnkcn und Inhalt Forschen _jenseits natur\visscnschaftlichcr Zugänge heute zu leis ten vern1ag. Zur E'inf/4.hn1-ng ist fi_ir Leute geschrieben, denen daran gele gen ist, sici1 über bekannte und 1nancl11na! \Venigcr bekannte Au tor(inn)en und 'I'he1nen zu orientieren. Sie \vollen klassische Fra gen in neuen1 Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Fonn dargestellt sehen. Zur Einji'ihrung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt l~inleitung .......... , ................................. 9 1narkieren. Vcnnittlung heißt nicht Ver\vässcrung, 1\_cpriiscntati vität nicht Vollst:iindigkcit.. l)ic Autorinnen und Autoren der H.ei 1. Das Phänon1en der totalen fferrschaft und die hc haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand) und ihre Krise der Moderne ................................. 15 1-landschrift: ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar. Verstehen und Zerstören in lilernente und Ursprünge Zur Einführung ist in der 1-linsicht traditionell, dass e~. den totrder Herrschafi .................................... 19 Stärken des gedruckten Buchs - die l)arstellung baut auf Ubcr l)ic Krisenstruktur der Moderne ..................... 26 sichtlichkcit, Sorgfalt und reflexive l)istanz, das Mcdiun1 auf Wesen und Prinzip der totalen 1--Ierrschaft ............. 30 l-Iandhabbarkcit und I·-!altbarkeit - auch in Zeiten liquider Netz Berichten und Urteilen in E1:chrnann in .ferusaletn ....... 34 publikationen vertraut. Politische Verantwortung und individuelle Schuld ...... 42 Zur 13infiihrung bleibt seine1n ursprünglichen Konzept treu, Bürokratische NicmandSherrschaft: I1annah Arendt indcn1 es die Zirkulation von Ideen, El'i"cnntnisscn tuid Wissen und Max Weber ................................... 47 befördert. 2. Was ist Politik? Grundelcn1entc einer politischen Michael 1-lagner Handlungstheorie ................................. 54 lna I\crner Freiheit: Pluralität versus Souveränität ................ 55 I)ictcr Tho1nä I-Iandeln: l)ic kon1111unikativc und die initiative Di1nension ........................................ 60 Macht: Die Aporien des Handelns ................... 66 Versprechen: l)ie Autorität der Verfassung ............ 72 Verantwortung: Führen und Folgen .................. 77 I)ie K..reativität politischen Handelns ................. 86 ~- 3. Die republikanische Dc111okratie: l{onturcn der Einleitung guten politischen Ordnung ......................... 89 f)ic dran1aturgische l\.onzcption des bffentlich- politischen H.aurns ................................. 92 l)ie politische Freiheit des Gründungsakts ............ 102 Integration über Konflikt: Zivil politischer Protest und die Idee der Räterepublik , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , 110 Agonale oder agonistischc I)ernokratic? .............. 120 f-lannah Arendt studierte in J\1arburg, J--Ieidclberg und Freiburg in1 Hauptfach Philosophie und daneben T'heologie und (]rie 4. Das Risiko der Urteilskraft: Unterscheidungen chisch. Auf die Frage von c;ünter c;aus, \Vie es zu dieser Studicn in der I\ritik ..................................... 126 aus,vahl gckon11nen sei, ant\vortete sie: ))Ja, wissen Sie, das habe Privat, gesellschaftlich, politisch: Liule ltock .......... 129 ich n1ir auch oft liberlcgt. Ich kann dazu nur sagen: Philosophie l)er Ausschluss der sozialen Frage aus dc111 stand fest. Seit 111cinen1 vierzehnten Lebensjahr.<< (GC;, 53) Sich politischen ]\au1n: Üher die Jtevolution ............... 134 ihrer intellektuellen Begabung sehr \vohl be\vusst, fügt Arendt Politische Meinung und historisches Urteil: hinzu, sie habe n1it vierzehn erst l(ant gelesen, dann Jaspers' ]Jsy V/ahrheh und Lüge in der ]Jolitik ....................... 14 2 chologie der Weltanschauungen und daraufhin I\.ierkcgaard. Und I)ic pnixis-poiesis··lJnterscheidung und ihre so habe sich das dann 1nit der 'fhcologic gekoppelt. Mit Grie perforn1ativc Aufl()sung ............................ 148 chisch sei es et\vas anders gc\vesen: >)Ich habe in1n1er sehr grie chische Poesie geliebt. Und J)ichtung hat in 1ncinc1n Leben eine 5. J(ontrovcrsc Rezeptionen .......................... 155 große 1\olle gespielt. So nah111 ich Griechisch dazu, weil das a1n \Xlie n1odern ist Arendts Aristotelis1nus? ............. 157 bequen1sten \Var. Das las ich SO\vicso.<< (GG, 54) Demokratie oder Republik , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , 162 I)ie Liebe zur griechischen Antike hat Arendt nie verloren) Identität und Pcrfonnativität ....................... 166 ebenso wenig \vic die zu l)ichtung und Literatur. Ihre leiden schaftliche Liebe zur Philosophie kühlte sich indes et\vas ab. l)ie Anhang Studentin von Martin Heideggcr und K_arl Jaspers, die lieber )>ins Dank, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , 173 \Xlasser{( gegangen \värc, als auf das Studiu1n der Philosophie zu An1ncrkungen .................................... 174 verzichten (C;G, 53), lehnte später vchcn1cnt die Bezeichnung Siglen , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , 195 )>Philosophin« ab und gab als ihr Fachgebiet ))politische 'fhcoric{( Aus,vahlliteratur .................................. 198 an (C;c;, 44). Ihre Abwendung von der Philosophie und die Hin~ Personen- und Sachregister ......................... 201 wendung zur politischen Wissenschaft und 11.istoriographic er Zeittafel , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , 205 klärt Arendt 1nit der Spannung zv.rischcn Philosophie und Po ()ber die Autorin .................................. 208 litik, die sich bei den 1neisten Philosophen zu einer »Art Feind- 9 seligkeit gegen alle Politik« gesteigert habe. An dieser Feindse lch ging aus J)eutschland, beherrscht von der Vorstellung - na ligkeit \volle sie nicht teilhaben, sondern stattdessen »Politik tlirlich in1n1er ct\vas übertreibend -: Nie \vieder! Ich rühre nie sehen rnit, ge\vissennaßcn) von der Philosophie ungetrübten Au \Vieder irgendeine intellektuelle c;eschichte an. Ich 'ivill tnit die gen« (C;c;, 45). ser Gesellschaft nichts zu tun haben.« (GG, 56) Ihre Abkehr von der Philosophie datiert Arendt selbst auf Nun hat Arendt trotz der Erfahrung, dass enge Freunde wie das Jahr 1933. l)ie 1906 in I-lannover geborene und in K.önigs Bcnno von Wiese oder der von ihr als >>hein1licher Kbnig« in1 berg aufgc\vachsene deutsche Jüdin 'ivar viele Jahre vollkon1n1en ll.eich des l)cnkens verehrte und geliebte Lehrer Martin Heideg unpolitisch, interessierte sich nur fiir Philosophie und verkehrte ger (Ml-1, 175) die nationalsozialistische J\1achtl'rgreifung begrüß vornehn1lich in akaden1ischen l(reisen. A1n Ende der Wein1arer ten, sehr \vohl \Vieder »intellektuelle (;cschichten« angefasst. llepublik und dann 1nit der Machtiibcrnah1ne der Nationalsozia Und sie hat intensive Freundschaften gepflegt: erst in1 Pariser listen war dieses politische Desinteresse nicht n1ehr rnöglich. Exil und dann vor allen1 in Ne'v York, wo sie nach ihrer Flucht Arendt erfuhr plötzlich, \Vas es bedeutet, politisch verfolgt und aus Frankreich 1941 bis zu ihren1 'fod 1975 lebte. Freundschaft gesellschaftlich ausgeschlossen zu \Verden. Aus der I~rfahrung \var fiir die Aristotelikerin nicht nur die höchste politische 1'u politischer Verfolgung gc\vann sie die »positive<( Erkenntnis, dass gend, sondern zugleich jene ausgezeichnete Forn1 des Zusan1n1en inan sich als Jude verteidigen inuss, wenn n1an als Jude angegrif lebens, über die Menschen sich in der \\'.feit zu I--lause fühlen. fen ist (GG, 57). Konkret bedeutete dies, sich politisch zu orga l)er Freundschaft als Liebe zur Welt, amor rnundi - so 'ivollte nisieren) 'iVaS in dein Fall nur heißen konnte, die Zionisten zu Arcndt ursprünglich ihr handlungstheorctisches Hauptwerk The unterstützen. Als K„urt Blu1ncnfeld, Präsident der Zionistischen 1-lunian Condition nennen -, entspringt die Urteilkraft derjeni Vereinigung für Deutschland, 111it dcn1 Arcndt sehr eng befreun gen, die sich den Menschen und der Z'ivischen ihnen sich bilden det war, sie im Frühjahr 1933 bat, antise1nitische l:lctzartikel aus den Welt zuwenden, so wie es Lessing getan hat, den Arendt zun1 deutschen Zeitschriften, Fachjournalen und anderen PublikatioH l(sonzeugcn jener l1altung erklärt, der sie sich fortan selbst ver· ncn zu sanuneln, willigte Arendt sofort ein. Für sie bot sich hier pflichtet fühlt: >1Nicht nur die Einsicht, daß es die eine \X'ahrheit die Möglichkeit, aus der passiven und ohntnächtigcn Opferrolle innerhalb der Menschenwelt nicht geben kann, sondern die herauszutreten und konkret et\vas zu 1nachen (C~G, 49). Freude, daß CS sie nicht gibt und das unendliche c;espräch ZV·li l)er eigentliche Schock \Var für Arendt indes nicht I-:litlers schen den Menschen nie aufl1ören \vcrde, solange es Menschen Machtergreifung, sondern das Verhalten ihrer Bekannten und überhaupt gibt, kennzeichnet die Größe Lessings.« (GL, 44) Freunde: »l)as Problen1, das persönliche Problen1 \var doch nicht Wie Lessing schätzt Arendt den Streit un1 die Wahrheit höher et\va, was unsere Feinde taten, sondern \Vas unsere Freunde ta als ))die Widerspruchslosigkeit 1nit sich selbst) die \vir doch bei ten. ].„] Ich lebte in einem intellektuellen Milieu, ich kannte aber allen, die schreiben und sprechen, als selbstverständlich voraus auch andere Menschen. Und ich konnte feststellen, daß unter setzen« (C;L, 22). Es ist die Präferenz fiir das perspektivische I)cnH den Intellektuellen die Gleichschaltung sozusagen die ll.egel war. ken und die Vielfalt politischer Meinungen, die Arendt gegen die Aber unter den anderen nicht. Und das habe ich nie vergessen. philosophische Wahrheitssuche setzt. Sie selbst spricht auch von 10 11 >)Übungen iin politischen l)enken<(, so der lJntertitel ihrer Es tiziert ein politikthcoretischcs Problen1dcnken, das von gesell saysan1n1lung Zwischen Vergangenheit u.nd Zukunft-. ])iese Übun schaftlichen Grundspannungen und Widersprüchen ausgeht und gen verfolgen einzig das Ziel, ))Erfahrung darin zu cr\verbcn, \Vie auch in der theoretischen Bearbeitung der diagnostizierten I<.:ri inan denkt. Sie enthalten keine Vorschriften darüber, \vas gedacht senstruktur der _Moderne dein Ansatz eines problernfokussierten \Verden soll oder \vclchc Wahrheiten hochzuhalten \värcn.(<1 J)enkcns verhaftet bleibt. Zu dicsen1 politischen ProblenH.1en In diesen >)Übungen i1n politischen l)enken<< crE>rtert Arendt ken gehört ein interventionistisches Verständnis von 'I'heorie, sehr grundsätzliche Fragen wie das Verhältnis von Geschichte das sich in1 Anschluss an literatur- und kultur\vissenschaftliche und Politik oder Autorität und Freiheit, sie stellt hier aber auch Ansiitze als perforn1ative 'I'hcoric des Politischen bezeichnen ihre v.richtigsten intellektuellen Weggefährten vor. l)abci hegt lässt. Arcndt ent\virft und betreibt politische 'I'heorie als Inter sie eine besondere Vorliebe für politische Denker, die in U1n vention in gesellschaftliche l)cutungskärnpfe. Ihre 1-Ierangchens· bruchsituationen gewirkt haben und in deren Werk Widersprü \veise ist dabei insofern konservativ, als sie diesen ideell-konsti· che zun1 Ausdruck kon1nH~n. Ungewbhnlich ist indes nicht allein tutiven Beitrag von politischer 1~heorie zu politischer Praxis nicht die Aus\vahl der l\.eferenzautoren, sondern auch die Art und in post1noderner K_an1pften11inologie fasst, sondern sich in die Weise, \vie Arcndt sie n1iteinander ins (Jespräch bringt, So \Ver alteuropäische 'I'radition einer ho111crischen Auffassung des Po den et\va der Begründer der abendländischen Politikwissenschaft litischen einordnet) den dan1it verbundenen Anspruch auf poli Aristoteles, der un1strittene Florentiner Flirstenbcrater NiccolO tische Sinnstiftung aber in eine die politische Urteilsfähigkeit Machiavelli und der franzbsischc Soziahvisscnschaftlcr Alexis de befördernde Spannung zu kritischer l\.eflexion stellt. Tbcquevillc zu idecngcschichtlichen H.cfercnzcn für ein un1 Frei In der l)arstellung von Arcndt als politische l)cnkcrin, die heit zentriertes politisches 1-Iandlungskonzept, \Vährend Sören 'I'heorie i1n Modus der l(ritik don1inanter Wahrnch1nungskate K„ierkegaard, I\.arl Marx und Friedrich Nietzsche als >>\Xleg\vciser gorien des Politischen betrieben hat, lege ich den Schwerpunkt zu einer Vergangenheit« vorgestellt \VCtdcn, ))die ihre Autorität auf ihre politikwissenschaftlichen Schriften, das unvollendet ge verloren hat« ('fN, 37). Arendt n1acht den drei letztgenannten bliebene philosophische Spät\verk Vo111 Leben des Geistes \vird Autoren das a111bivalentc K„0111pli1ncnt, die niit Platon anheben nur a111 l\.ande the111atisiert. Das erste J\.apitel führt in das politi de 11-adition politisch-philosophischen l)enkcns beendet zu haben. sche Verstehenskonzcpt von Arendt ein. Über die kornple1nentä l)adurch habe sich freilich die große Chance erbffnet, »auf die re Lektüre der politisch-historischen Studie E'lernente und Ur \lergangcnheit init einen1 von keiner Überlieferung getrübten sprünge t.otaler lien·schaft und des äußerst kontrovers diskutierten Blick zu schauen, rnit einer l)irekthcit, wie sie die Augen und Prozessberichts E'ichmann in }eru.salem \Verden SO\vohl der unor Ohren des Abendlandes nicht 1nchr gekannt haben, seit die l\.ö- thodoxe 1nethodologischc Zuschnitt ihrer politische 'I'heorie 111er sich der Autorität griechischen Geistes unterwarfen« (TN, vorgestellt als auch Arendts Krisendiagnose der Moderne ent 38). \vickelt. 1)ic politikwissenschaftliche Analyse der Selbstgefähr Arendt bricht in ihrer Neuerzählung des Politischen 111it den dungen 111oderner c;esellschaften steht i111 Zentrun1 des Z\Veiten Konventionen politischer 'T'heorie und Ideengeschichte. Sie prak- l(apitels. Hier wird der bcgriffstheoretischc Rah1nen konturiert, 12 13 innerhalb dessen Arcndt zu ihrer Neuerzählung des Politischen 1. Das Phänomen der totalen Herrschaft ansetzt. Gegenstand des dritten Kapitel ist die republikanische und die Krise der Moderne l(onzeption einer guten politischen ()rdnung, die Arendt als Antwort auf die dc111okratietheoretische I\.ernfrage ent\vickelt) \Vie politische Freiheit unter Bedingungen de111okratischer Gleich* heit auf ])aucr gestellt \Verden kann. 1111 vierten I<apitel \Vird Arendts politikwissenschaftliche Methode des Unterscheidens als eine riskante Praxis politischer Urteilsbildung vorgestellt, die vielfach Kritik hervorgerufen hat. l)ie zu Lebzeiten höchst urnstrittenc, aber innerhalb der poli l)as Phänon1en der totalen Herrschaft bildet den Ausgangspunkt tischen 'I'heoric und Philosophie anfangs nur recht zögerlich re für die politische Theorie Hannah Arendts. ))l)ies hätte nicht zipierte Autorin ist n1ittler\vcilc als Autorit;it in1 H.cich polit:i·· geschehen dlirfen« - dieser Satz aus dein Schlusskapitel der gro sehen l)enkens anerkannt. Seit über zwanzig Jahren erfährt ihr ßen Studie Elemente u.nd [Jrspriinge totaler 1-!errschaft drückt das \Xlerk eine sehr breite Ttezeption. Es sind seither nicht nur beina Entsetzen über die Ennordung von Millionen Menschen aus. he alle Aspekte ihres \vissenschaftlichen \\J'erks gründlich unter„ Noch Jahre später ist dieses Entsetzen präsent, 1111 Fernsehge sucht \Vorden, auch ihre persönlichen Beziehungen, ihre Freund spräch 1nit Günter (~aus, das a111 28. Oktober 1964 i111 Z\veiten schaften und die vielen Brief\vechsel haben nachhaltiges Interesse ])eutschen Fernsehen gesendet \Vurde, sagte Arendt: » ])as Ent erregt. I)ank des 2002 von Ursula Ludz und Ingeborg Nordn1ann scheidende ist der Tag ge,vescn, an dcn1 \vir von Ausch\vitz er herausgegebenen J)enktagebuchs ist inz\vischen sogar Arendts fuhren. [. .. ] l)as war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet. »Z,viegespräch« n1it sich selbst doku111entiert. Zu dieser Erfolgsge~ Weil man die Vorstellung gehabt hat, alles andere hätte irgcnd schichte gehört auch, dass Arcndt für ganz unterschiedliche und \vic noch einn1al gutge1nacht \Verden kbnncn, \vie in der Politik 1niteinander t1111 die richtige I)eutung der sozialen Welt konkur ja alles irgend,vie ein1nal \Viedergutge1nacht werden kann. Dies rierende T'heorien1odelle in Anspruch geno1111nen \vird. Eine Aus nicht. l)ies hätte nie geschehen dürfen. Und dan1it 111einc ich \\'ahl disparater lnterpretationen ·\vird in1 fünften l(apitel vorgc~ nicht die Zahl der ()pfer. Ich 1neine die Fabrikation der Leichen stellt. l)an1it schließt diese Einführung 111it den1 aktuellen I)eu J. J)icscs hätte nicht geschehen dürfen. l)a ist irgend et\vas 1. .. tungskan1pf un1 Arcndt, der den von Arendt er()ffnetcn und n1it passiert, wo1nit wir alle nicht fertig \Verden.« ((;(;, 59 f.) ihr ausgetragenen Ka111pf un1 die angen1cssene l)eutung des Po Für Arcndt: ist angesichts dieser auf das Jahr 1943 datierten litischen abgelöst hat. l~rfahrung des Schocks entschieden, dass die abendländische Tra~ dition politischen l)enkcns un\viderruflich an ihr Ende gekorn~ n1en ist und inan nach dicscn1 i1n 'fotalitarisn1us offensichtlich gewordenen »Traditionsbruch« das Politische ganz neu denken n1uss. Sie selbst bezeichnet dieses neue politische I)enkcn als 14 15 »Verstehen<<, das in1 »Unterschied zur fehlerfreien Inforn1ation In ihren1 Bericht E'ichrnann in jeru.salcrn. \Ion der Bänalitti:t. des und den1 \vissenschaftlichen Wissen« ein ko1nplizicrtcr Prozess JJO"sen, der 1963 zunächst als fünfteilige Artikelserie in der re ist, »der nicn1als zu eindeutigen Ergebnissen flihrt<< (\1P, 110). ln1 non11nicrtcn Wochenzeitschrift 'lhe Nc'lCJ }'brker vcrbffentlicht Vor\vort zun1 ersten 'feil ihres 'l'ot.alitarisn1usbuchs erklärt und noch in1 selben Jahr als Buch publiziert: \Vurde, spricht Arcndt ihren Ansatz genauer: ))Begreifen bedeutet freilich nicht, 1\rcndt explizit nicht 1nehr von dein »radikal Bösen(<, sondern das Ungeheuerliche zu leugnen, das Beispiellose n1it Beispielen ,erfindet< die \\/endung von der »Banalitiit des Bösen<<. l)iescr zu vergleichen oder Erscheinungen 1nit 1-1.ilfe von Analogien und \X/cchscl der K.onzepte unterstreicht das Prozesshaftc dieser Art Verallgen1einerungen zu erklären, die das Erschütternde der von politischer 'rheorie. Stellt sich i1n Verlaufe des Nachdenkens \Xfirklichkeit nicht 111ehr spüren lassen. Es bedeutet vieln1ehr, heraus, dass ein Begriff die zu beschreibende Sache nicht inehr die Last, die uns durch die Ereignisse auferlegt \Vurde, zu unter trifft, n1uss er aufgegeben werden. In der Beobachtung des Pro suchen und be,vußt zu tragen und dabei \veder ihre Existenz zu zesses gegen Adolf Eich1nann gelangte Arendt: ganz offenbar zu leugnen, noch den1ütig sich ihretn c;e,vicht zu beugen, als habe der Überzeugung, dass sie diese I<.ategorie ändern n1uss. Ur alics, \Vas einn1al geschehen ist, nur so und nicht anders gesche sprlinglich nach Jerusalen1 gefahren, 'ivcil sie »partout \visscn hen können. K.urz: Begreifen bedeutet, sich aufn1crksa1n und un wollte, \Vie einer aussieht, der >radikal Böses< getan hat«,2 ent voreingenon1n1en der Wirklichkeit, \Vas i1111ncr sie ist oder \Var, deckt: sie nunn1chr die Banalität des Masscnrnördcrs Eichn1ann. zu stellen und entgegenzustellen.« (ElJ, 22) l)ieser Kategorien\vechscl löst: eine bislang beispiellose, in In ihrer Analyse der totalen Herrschaft unterbreitet Arcndt der akaden1ischcn wie in der politischen ()ffentlichkcit geführte inehrere bcgriffsthcoretische l)eutungsangebote, 'vie dieses »C;renz J(ontroverse uni die Urteilskraft einer politischen 'fhcoretikerin phänon1en<( des Politischen begriffen 'iverden kann: Zunächst aus. In den1 berühn1ten Briefwechsel init c;crshon1 Scholc1n rea prägt sie den Begriff »1'otalitarisrnus«, un1 dan1it das nationalso·· giert Arcndt auf dessen I<.ritik, ihre überzeugende Analyse des zialistische l)eutschland und das bolsche,vistische H„ussland unter radikal Bösen in ihrcn1 'fotalitarisn1usbuch habe sich ))nun in Stalin als zwei H.egi1ne zu charakterisieren, in denen diese aus einc1n Schlagwort verloren« (BwSch, 434), zunächst niit der zu ihrer Sicht völlig neue Herrschaftsforn1 praktiziert wurde. l)ann st:in1n1enden Bcn1erkung, »Sie haben vollkon1n1en recht, 1 changed bezeichnet sie die Konzentrationslager als zentrale Institution 1ny n1ind und spreche nicht rnchr vorn radikal Bösen«, un1 dann (VS, 82) und »richtungsgcbendes Gesellschaftsideal« der totali zu betonen: »Unklar ist rnir, warurn Sie die Wendung von der tären 1-lerrschaft (EU, 677). Und schließlich versucht sie niit: der >Banalität des Bösen< ein >Schlagv-1ort< nennen. Soviel ich v,1eiss, ln1n1anucl K„ant entlehnten Fonnulicrung von der »H.adikalität hat noch nie1nand dies Wort gebraucht; aber das ist ja egal. Ich des Bösen<(, das Entset7,en gegenüber der beispiellosen Vernich bin in der Tat heute der Meinung) dass das Böse i111n1cr nur ex tungspolitik der Nationalsozialisten auf einen nioralischcn Be trc111 ist, aber nien1als radikal, es hat keine Tiefe, auch keine I)ä griff zu bringen. Eben diese letzte K.atcgorie änderte Arcndt je n1onie. Es kann die ganze Welt verwüsten) gerade weil es wie ein doch Z\völf Jahre nach dc111 Erscheinen des ']})talitarisn1usbuchs. Pilz an der Oberfläche \vciter\vuchcrt. Tief aber, und radikal ist in1111er nur das Gute.« (BwSch, 444) 16 17 Gleichwohl handelt es sich hier nicht um eine völlig neue schaft zugleich die Erwartung, »auch die Grundzüge jener Krise Einsicht. Bereits im Totalitarismusbuch hatte Arendt, wie der zu entdecken J„.J, in der wir heute alle und überall leben« (EU, Historiker Hans Mommsen in seinem einleitenden Essay zur 724). Neuauflage des Eichmannbuchs bemerkt, »den Nachweis ge führt, daß das unerhörte Neue der >Endlösungs<-Politik, die in der Sache durchaus Vorformen im >Verwaltungsmassenmord< der Verstehen und Zerstören in Elemente und Ursprünge imperialistischen Kolonialpolitik besitze, darin liege, daß sie sich totaler Herrschaft außerhalb jeder moralischen Dimension, zugleich ohne äußeren Anlaß und ohne erkennbare Zwecksetzung vollzog. Sie zeigte Der Totalitarismus ist für Arendt die politische Schlüsselerfah dort, daß die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie in rung des 20. Jahrhunderts. In Elemente und Ursprünge totaler der Tendenz völlig affektfrei arbeitete und das Verbrechen in Herrschaft unternimmt sie den historisch ausgreifenden Versuch, Routinehandeln verwandelte, denen gegenüber die Berufung auf die europäische Geschichte in großen Linien nachzuzeichnen das Gewissen gegenstandslos war.«3 und zugleich in eine Fülle von Einzelepisoden aufzubrechen, um Die neue Formulierung von der »Banalität des Bösen« trifft die Entstehung von Nationalsozialismus und Stalinismus zu er zudem Arendts ebenfalls bereits im Totalitarismusbuch aufge klären. Nach der Lektüre dieses großen Geschichtspanoramas stellte modernekritische These genauer. Dieser These zufolge ha lässt sich zunächst nur eines mit Sicherheit sagen: Weder Antise ben wir es zwar bei der totalitären Herrschaft mit einer völlig mitismus und Imperialismus, die in den ersten beiden Teilen des neuen Staatsform zu tun, die mit den überkommenen Kategorien Buchs als Elemente des späteren Totalitarismus historisch zu der politisch-philosophischen Sprache nicht angemessen erfasst rückverfolgt werden, noch die »in dem Niedergang und Zerfall werden kann und in der historisch beispiellose »Verbrechen ge des Nationalstaates und dem anarchischen Aufstieg der moder gen die Menschheit« (EJ, 401) verübt wurden. Dies aber wurde nen Massengesellschaft« verorteten Ursprünge der totalen Herr möglich unter Bedingungen einer modernen, bürokratisierten schaft (EU, 14) •erklären<d ie Genese einer Herrschaftsform, deren Massengesellschaft, in der mit der Erosion institutionell zure sinnloser Sinn darin bestand, die Ideologie vom notwendigen chenbarer politischer Verantwortung auch das Gefühl, für das ei Ende »minderwertiger Rassen« oder »absterbender Klassen« über gene Tun verantwortlich zu sein, abhandengekommen ist. Arendt die Ermordung von Millionen Menschen in die Tat umzusetzen. verbindet mit dieser Charakterisierung der »bürokratischen Nie Das Totalitarismusbuch war ein großer Erfolg, der Arendt in mandsherrschaft« jedoch weder eine Entschuldigung der Täter ternational bekannt machte. Es wurden jedoch auch vehemente noch eine Banalisierung der Taten, wie ihr (nicht nur) Gershom Einsprüche formuliert. Neben der im ideologischen Klima des Scholem vorgeworfen hat (BwSch, 453).4 Sie versucht vielmehr Kalten Krieges massiv vorgetragenen Kritik an Arendts Vergleich zu begreifen, wie es zu diesem »Zivilisationsbruch« (Dan Diner) von Nationalsozialismus und Stalinismus als Erscheinungsfor kommen konnte, mit dem wir alle nicht mehr fertig werden. Und men totalitärer Herrschaft wurden immer wieder die fragwür sie verbindet mit dem Verstehen des Wesens totalitärer Herr- dige empirische Evidenz der Darstellungen sowie die fehlende 18 19 methodologische Explikation ihrer historischen Analysen und Fakten der Geschichte eine historische Narration entgegensetzt, politischen Deutungen moniert und damit infrage gestellt, ob es die nicht nur verstehen will, »warum und wodurch diese Art von sich hier überhaupt um ein wissenschaftliches Konzept hande Regime überhaupt möglich geworden war«,7 sondern die zugleich le.5 aufzeigen will, dass es auch hätte anders kommen können. Me Nachhaltige Irritationen löste vor allem das Fragmentarische thodisch an Walter Benjamins »Mosaiktechnik« der fragmenta von Arendts Historiographie aus. Und in der Tat finden sich in rischen Historiographie anschließend,8 betont Arendt die Brüche, Arendts Analyse der totalen Herrschaft, die sie im dritten Teil Risse und Sackgassen der Geschichte, ohne jedoch die politi des Buchs vornimmt, zwar alle Elemente wieder, die in ande schen Ereignisse, Entwicklungen und die mit ihnen verknüpf ren historischen Kontexten und unabhängig voneinander in den ten Ideologien auszublenden, welche die Entstehung des Totali beiden ersten Teilen dargestellt werden: die antisemitische Pro tarismus begünstigt haben. Auf diese doppelte Absicht, nämlich paganda, eine auf Weltherrschaft orientierte rassistische Ideolo eine Verbindung zwischen rassistischem Antisemitismus, impe gie, eine als Internationale betriebene und an den Protokollen der rialistischer Weltpolitik und bürokratischer Herrschaftspraxis Weisen von Zion geschulte totalitäre Bewegung, deren Anhänger einerseits und der aus diesen Elementen bestehenden »totalitä sich durch eine Mentalität der Selbstlosigkeit und Desinteres ren Kristallisationsfonn« (EU, 14) andererseits herzustellen und siertheit am eigenen Wohlergehen »auszeichnen«, ein entwickel zugleich die entstehungsgeschichtliche Notwendigkeit des Auf tes bürokratisches System, das an die Stelle öffentlich-rechtli stiegs eines europäischen Totalitarismus zu bestreiten, verwei cher Entscheidungen die Anonymität der Verwaltung setzt, und sen die Begriffe »Ursprünge«, »Elemente« und »Kristallisation«. schließlich der Terror - das neben der totalitären Ideologie we Während die Rede von den Ursprüngen einen konsekutiven Er sentlichste Element des Totalitarismus -, der sich jenseits aller klärungsansatz nahelegt, wenngleich bereits über den Plural eine Schuld seine Opfer auswählt. Einen kausalen Zusammenhang monokausale Analyse abgelehnt wird, stehen Kristallisation und zwischen der »Dreyfus-AHäre« und dem Imperialismus von Ce Elemente für die entgegengesetzte Strategie einer Zerstörung cil Rhodes, zwischen der imperialistischen Politik Großbritan historischer Kontinuitäten.9 niens und dem gesellschaftlichen Antisemitismus in Frankreich Ausgehend von der Prämisse, dass ein Geschehnis zwar seine einerseits und dem deutschen Nazismus andererseits oder zwi eigene Vergangenheit erhellt, aber niemals von ihr abgeleitet schen dem rassistischen Panslawismus und Stalins Ideologie ab werden kann (EU, 422), praktiziert Arendt in Elemente und Ur sterbender Klassen aber bietet diese »Montage« historischer Frag sprünge totaler Herrschaft eine (Darstellungs-)Form der historisch mente nicht. politischen Analyse, die der in der Geschichtsschreibung vor Nun haben diese fragmentarische Historiographie und die herrschenden Kausalitätsannahme in grundsätzlicher Hinsicht durch sie ausgelösten Irritationen durchaus Methode. Das Grund widerspricht (VP, 122). Fragmentarische Historiographie will den dilemma der Historikerin, über etwas - wie den Totalitarismus Fallstricken einer kausale Zusammenhänge herstellenden Ge - zu schreiben, was sie nicht erhalten wollte, sondern zu dessen schichtsschreibung entkommen: der Gefahr nämlich, im Wissen Zerstörung sie sich animiert fühlte,6 löst Arendt, indem sie den um den Gang der Ereignisse und ihr vorläufiges Ende eme 20 21

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.