Rudolf Berg • Rolf Selbmann GRUNDKURS DEUTSCHE GESCHICHTE Ein Lehr- und Arbeitsbuch für die Kollegstufe in Bayern Band 1:1800-1918 12. Jahrgangsstufe rornelsen HIRSCHGRABEN Rudolf Berg, M. A., Oberstudienrat am Wilhelmsgymnasium München, Verfasser der Teile A I, B, C III/IV Dr. Rolf Selbmann, Studienrat am Wilhelmsgymnasium München, Verfasser der Teile A II-V, C I/II, D Redaktion: Karl-Heinz Holstein Umschlagentwurf: Maria Gcitmann, Ranstadt. Bild: Einzug der Abgeordneten in die Frankfurter Paulskirche. Holzschnitt nach einer Zeichnung von Fritz Bergen (Bildarchiv Preußischer Kulturbcsitz) Grafiken: Annette Pflügner, Mörfelden Karten: Günter Wiesler, Fraunberg Bildquellen: Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin: S. 8 - Stadtarchiv München: S. 28 - Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Berlin: S. 34 61 67 73, 227, 249, 307, 317, 327 - Aldus Books Ltd.: S. 100 - Berlin. Privatsammlung: S. 116 - Staatliche Münzsammlung, München: S. 126 - Mannesmann Demag AG, Düsseldorf: S. 131 - Walker Art Gallery, Liverpool: S. 135 - British Museum, Prints Division: S. 145 - Lichtbildstelle der Bundesbahndirektion. Nürnberg: S. 146 - Stadtgeschichtliches Museum. Nürnberg: S. 148. 239 - Bildarchiv Gerstenberg: S. 167 - aus: Hans Ostwald, Die Berlinerin. Kultur- und Sittengeschichte. Berlin 1921 - Bildstelle des Hochbauamtes der Stadt Nürnberg: S. 174, 175 - Bundcspost- museum, Frankfurt: S. 237. 276 - Staatliche Graphische Sammlung, München: S. 244 - Krupp-Archiv, Essen: S. 264 - Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett, Nürnberg: S. 265 - Akademie der Künste. Berlin: S. 255, 258,259,269, 274- Kunsthistorisches Museum der Stadt Bonn: S. 275 - Deutsches Museum. München: S. 277.278-Freie Universität Berlin. Kuristhistorisches Institut: S. 292-Dokumentenkabinett Vlotho: S. 299 - Foto Marburg: S. 311 - L. Kahler. Hamburg: S. 313 - Novosti, Moskau: S. 357. 383 - Süddeutscher Verlag. Bilderdienst: S. 367 - Stadtarchiv München: S. 381 4. Auflage 1988 Alle Drucke dieser Auflage können, weil untereinander unverändert, im Unterricht nebeneinander verwendet werden. © 1986 Cornelsen Verlag Hirschgraben, Frankfurt am Main Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Parzeller, Fulda Druck: Cornelsen-Druck, Berlin ISBN 3-454-59718-8 Vertrieb: Cornelsen Verlagsgesellschaft. Bielefeld Bestellnummer 597188 Inhaltsverzeichnis A. Die liberale und nationale Bewegung in Deutschland im Zeitalter der Restauration 5 I. Die Bedeutung der napoleonischen Herrschaft für die Umgestaltung Mitteleuropas 6 1. Die Errungenschaften der Französischen Revolution und Napoleons Militärdiktatur 6 2. Frankreichs Streben nach Vorherrschaft in Deutschland 9 3. Die innere Neugestaltung Deutschlands 14 II. Die Anfänge des modernen Bayern 21 1. Säkularisation und Mediatisierung 21 ,V2. Die zentralistische Neuordnung Bayerns unter Montgelas 24 3. Die Konstitutionen von 1808 und 1818 27 III. Grundlagen und Ergebnisse des Wiener Kongresses 32 1. Das Ende der napoleonischen Herrschaft 32 2. Prinzipien und Maßnahmen der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß 33 3. Die Errichtung des Deutschen Bundes 41 IV. Liberale und nationale Kräfte 43 1. Grundsätze und Ziele liberaler Kräfte 43 2. Die Forderung nach nationaler Einheit 51 3. Die Ereignisse des Vormärz und ihre Wirkungen 57 V. Die Revolution von 1848/49 66 1. Charakter und Ziele der Märzrevolution 66 2. Die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 73 3. Die Verfassung von 1849 79 4. Das Ende der revolutionären Bewegungen 84 5. Die Folgen des Scheiterns der Revolution 91 B. Das Entstehen der Industriegesellschaft in Deutschland 93 Auslösende Faktoren der industriellen Entwicklung in Deutschland 94 I. Wandel der alten Agrargesellschaft 95 1. Die alte Agrargesellschaft 95 2. Das Bevölkerungswachstum 97 3. Die Veränderung der Agrarproduktion 100 4. Die Bauernbefreiung und ihre Folgen 107 5. Bevölkerungsbewegungen 113 II. Veränderung von Handel und Gewerbe: Die Auflösung traditioneller Wirtschaftsformen 117 1. Gewerbliche Vorformen der Industrie 117 2. Hemmnisse für die industrielle Entwicklung und ihr Abbau 120 3. Staatliche Impulse zur Veränderung von Handel und Gewerbe 126 4. Impulse durch privates Unternehmertum 130 III. Die Bedeutung technischer Neuerungen 134 1. Die industrielle Revolution in England und Frankreich 134 2. Technisierung der Produktion in Deutschland 137 3. Verkehrserschließung und Eisenbahnbau 144 IV. Die Entstehung des Industrieproletariats und die soziale Frage 154 1. Die Entstehung des Industrieproletariats 154 2. Arbeitsbedingungen 157 3. Lebensbedingungen 171 V. Lösungsversuche der sozialen Frage im Rahmen der traditionellen Ordnung 179 1. Ziele und Formen unternehmerischer Fürsorge 179 2. Christliche und kirchliche Bemühungen zur Lösung der sozialen Frage 186 3 VI. Der revolutionäre Ansatz zur Lösung der sozialen Frage: Marx und Engels 193 1. Mehrwerttheorie 197 2. Verelendungstheorie 200 3. Entfremdungstheorie 203 VII. Der Stand der industriellen Entwicklung in Europa um 1870 207 1. Die mitteleuropäische Phasenverschiebung 207 2. Merkmale der industriellen Entwicklung Englands, Frankreichs und Deutschlands um 1870 . .. 208 C. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft im deutschen Kaiserreich 215 I. Verlauf und Ergebnisse der deutschen Einigung 216 1. Etappen machtpolitischer Entscheidungen 216 2. Die Einigungskriege 218 3. Die Errichtung des Kaiserreiches 227 4. Das Reich als neues Machtzentrum in Mitteleuropa 230 II. Machtverteilung und innere Gegensätze im Kaiserreich 233 1. Die Reichsverfassung 233 2. Die Führungsrolle der alten Eliten 237 3. Die Entwicklung der Arbeiterbewegung 242 4. Bismarcks Verhältnis zu Parlament und Parteien 248 5. Der Kulturkampf 253 6. Das Sozialistengesetz und die Sozialgesetze 256 III. Die wirtschaftliche Entwicklung im Kaiserreich 262 1. Das Wirtschaftswachstum der Gründerjahre 262 2. Krisenanfälligkeit: Die Weltwirtschaftskrise 1873 267 3. Neue Technologien und Industrien 272 4. Vom Freihandel zur Schutzzollpolitik 280 IV. Der gesellschaftliche Wandel im Kaiserreich 286 1. Arbeitsbedingungen und Lebensformen 286 2. Gruppeninteressen und Verbandsbildung 292 3. Die Gewerkschaftsbewegung 298 4. Die Frauenfrage 306 D. Das Deutsche Reich und die europäischen Großmächte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 315 I. Elemente der Kontinuität und Diskontinuität der deutschen Außenpolitik 316 1. Die status-quo-orientierte Außenpolitik in der Ära Bismarcks 316 2. Großmachtpolitik im Wilhelminischen Zeitalter 322 II. Die imperialistischen Bestrebungen der europäischen Großmächte 331 1. Die Aufteilung der Erde: Unterschiedliche Konzeptionen der Expansion 332 2. Legitimierungsversuche und Ideologien 342 3. Theoretische Erklärungsansätze 347 III. Die Ursachen des Ersten Weltkrieges 352 1. Die Entwicklung in der Donaumonarchie 352 2. Die Entwicklung im zaristischen Rußland 357 3. Die Wirkung der Marokkokrise und des Balkankonflikts auf die europäischen Mächte 360 4. Die Kriegsschuldfrage 366 IV. Vom europäischen zum Weltkonflikt: Der Kriegsverlauf 374 1. Ausgangslage und Kriegsgeschehen bis 1916 374 2. Der Kriegseintritt der USA 380 3. Die Wirkung der Oktoberrevolution 383 4. Die Lage im Reich und der Zusammenbruch der Mittelmächte 387 Namen- und Sachregister 393 4 A. Die liberale und nationale Bewegung in Deutschland im Zeitalter der Restauration I. Die Bedeutung der napoleonischen Herrschaft für die Umgestaltung Mitteleuropas 1. Die Errungenschaften der Französischen Revolution und Napoleons Militärdiktatur Am Anfang der liberalen und nationalen Bewegung in Deutschland Liberalismus und Nationalis mus in Deutschland standen die Französische Revolution und ihr Erbe Napoleon. Kern des Liberalismus um 1800 war die Forderung nach einer Verfassung als Grundlage des gesellschaft lichen und politischen Lebens. Die Verfassung sollte die politischen Rechte und die parlamenta rische Mitsprache des einzelnen garantieren. Der Liberalismus richtete sich also gegen die im 18. Jahrhundert vorherrschende Regierungsform des Absolutismus, die für den Untertanen prak tisch keinerlei Mitwirkungsrechte im Staat kannte. Kern des Nationalismus war zu dieser Zeit die Vorstellung von einem geeinten Volk, das ein politisches Machtgebilde verkörpert. Damit war der nationale Gedanke gegen Adel und Hof als einzige politisch wirksame Kräfte gerichtet. Das liberale und nationale Anliegen wurde vor und nach der Französischen Revolution vor allem vom Bürgertum vertreten, das im Absolutismus politisch rechtlos war. Für das deutsche und europäi sche Bürgertum um 1800 setzten dann bestimmte Ergebnisse der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons die Maßstäbe für ihre politischen und gesellschaftlichen Ziele. Die wichtigsten Errungenschaften der Französischen Revolution von Errungenschaften der Französischen Revolution 1789-1799 für die Entwicklung des Liberalismus und Nationalismus in Deutschland waren: 1. die Errichtung einer parlamentarischen Volksvertretung (Nationalversammlung vom 17. 6. 1789, gesetzgebende Nationalversammlung 1791, Nationalkonvent 1792, Rat der Fünfhundert und Rat der Alten 1795) als Gesetzgebungsorgan; 2. die Abschaffung des Feudalismus (Bauernbefreiung, Eigentumsgarantie für die Bauern) vom 4.-11. 8. 1789; 3. die Festlegung der Grundrechte des einzelnen in der Erklärung der Menschen- und Bürger rechte (Garantie der persönlichen Freiheit, der Gleichheit vor dem Gesetz, des Rechts auf Eigentum) vom 20.-26. 8. 1789; 4. die Festlegung der Staatsordnung in Verfassungen 1791, 1793, 1795, vor allem in der von 1791 (Grundrechte des einzelnen und Gewaltenteilung: Beschränkung der Rechte des Monarchen auf die Exekutive, Volkssouveränität); 5. die Trennung von Kirche und Staat 1789/90 (Nationalisierung der kirchlichen Ländereien, Aufhebung der Klöster, Vereidigung der Priester auf den Staat); 6. die Heeresreform (allgemeine Wehrpflicht, in der Folge: Leistungsprinzip in der Beförderung) vom 23. 8. 1793 und nicht zuletzt 7. die Einführung nationaler Symbole (Kokarde, Trikolore, Marseillaise). Diese revolutionäre Entwicklung hatte eine politische Entmachtung der privilegierten Stände, der Geistlichkeit und des Adels, und einen Aufstieg des Bürgertums zur herrschenden Gesellschafts schicht in Frankreich zur Folge. Die Bauern standen dabei mehrheitlich zur Revolution und später zur Republik (seit 21. 9. 1792). Die jakobinische Schreckensherrschaft unter Robespierre 1793/94 und die Revolutionskriege seit 1792 beschleunigten die Zentralisierung Frankreichs, förderten die nationale Einheit und begründeten so den modernen Nationalismus. 6 Ungelöst aber blieben auch unter der bürgerlichen Regierung des Direktoriums (1794-1799) die Probleme der Staatsfinanzen (Verdoppelung der Staatsschuld von 1789), der Lebensmittel versorgung wie des inneren und äußeren Friedens. 1795 wurde ein royalistischer Aufstand niedergeschlagen, 1796 eine sozialistische „Verschwörung der Gleichen" unter Babeuf. 1797 mußte der Staatsbankrott erklärt werden. Erst durch Napoleons Staatsstreich und die Verfassung von 1799 wurde die Französische Revolution offiziell beendet und eine Stabilitätsphase eingeleitet. Nach seiner Rückkehr aus Ägypten nützte Napoleon seine militärische Napoleonische Militärdiktatur Gewalt zur Beseitigung des Direktoriums (Staatsstreich vom 18. Brumaire = 9.11.1799). Nur wenig verbrämt durch eine Konsulatsverfassung nach altrömischem Vorbild errichtete er eine Militärdiktatur: Als Erster Konsul, neben dem zwei Nebenkonsuln ohne Bedeutung standen, regierte Napoleon mit fast ausschließlicher Macht. Zwar gab es eine Volksvertretung, doch bestand sie aus vier Körperschaften, die sich gegenseitig blockierten und so ohne Einfluß blieben. Zudem konnte nur der Erste Konsul Gesetzesvorschläge einbringen und ohne seine Billigung niemand Volksvertreter werden. Er ernannte die Richter, die dann aber unabsetzbar blieben. Über seinen Staatsstreich ließ Napoleon ein Plebiszit durchführen, bei dem von 3 Millionen Stimmen nur 1562 negativ ausfielen. Ebenfalls in Plebisziten wurde dann das zunächst 10jährige Konsulat 1802 auf Lebenszeit erweitert und 1804 das Kaisertum bestätigt. Geschichtlich beispielgebend wurde der Verwaltungszentralismus Napoleons: Er ernannte neben den Ministern alle Präfekten der 89 Departements (Verwaltungsbezirke), die ihm für ihre Unterpräfekten in den Arrondissements (Verwaltungskreise) und diese wiederum für ihre Bürgermeister in den Gemeinden verantwortlich waren. Ähnlich straff waren die Polizei und später das Schulwesen organisiert (s. Schaubild). Krönung Josephines durch Napoleon am Tage der Kaiserkrönung, 2. Dezember 1804, in Notre-Dame zu Paris in Anwesenheit des Papstes Pius VII. Mit Hilfe dieser Verwaltung, die an Straffheit absolutistische Verhältnisse übertraf, ordnete nun Napoleon das innenpolitische Chaos. Um die Staatsfinanzen zu sanieren, führte er eine Währungs reform durch (festgelegter Edelmetallgehalt pro Währungseinheit) und regelte das Steuersystem neu: Ausgehend vom Prinzip der Steuergleichheit leisteten 840 Steuerbeamte Vorschußzahlungen an den Staat. Die Steuereinnahmen wurden durch Erhebungen aus den besetzten Ländern ergänzt. Durch eine Aussöhnung mit der Kirche (Konkordat von 1801: Katholische Kirche wieder Natio nalkirche, staatliche Besoldung der Geistlichen, Einsetzung der Bischöfe durch Napoleon) und mit den adligen Emigranten (Einbehaltung der enteigneten Güter, aber straffreie Rückkehr und Aufstiegsmöglichkeit im Staat) wurde der innere Friede wiederhergestellt. Der Preis für die neugewonnene Ordnung und Sicherheit war der allgemeine Verlust der politischen Freiheit. Die persönliche Freiheit aber wurde durch Napoleons Reform gewahrt. Im Wirtschafts- und Rechtsleben schufen neue Gesetzessammlungen (z. B. Zivil-, Straf- und Handelsgesetzbuch) die Grundlage für die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa. Vor allem der mit den französischen Eroberungen verbreitete Code Civil von 1804, wegen der persönlichen Eingriffe Napoleons auch Code Napoleon genannt, baute auf den Prinzipien der persönlichen Freiheit, der Rechtsgleichheit, des privaten Eigentums, der Wirtschaftsfreiheit, der Weltlichkeit des Staates, der Zivil-Ehe auf und garantierte damit die allgemeine Gültigkeit der Ideale des Besitzbürgertums und des Liberalismus (vgl. T 6). 8 Obwohl sich mit der Dauer des Kaisertums zunehmend aristokratische Tendenzen in Napoleons Herrschaftssystem zeigten, beruhte es auf dem Bürgertum als führender gesellschaftlicher Kraft und auf den liberalen Prinzipien staatsbürgerlicher und rechtlicher Gleichheit, persönlicher Freiheit und der Eigentumsgarantie durch den Staat. In Verwaltung, Heer und Wirtschaft galt das Leistungsprinzip für den Aufstieg. Nach außen stärkte das in der revolutionären Bewegung geborene und in der äußeren Bedrohung gewachsene Nationalgefühl das Elitebewußtsein Frank reichs gegenüber dem übrigen Europa. 2. Frankreichs Streben nach Vorherrschaft in Deutschland Im Gegensatz zu Frankreich bot Deutschland im Jahre 1800 noch ganz Das Alte Reich um 1800 das alte Bild. Die Gesellschaft war wie im Mittelalter nach Ständen gegliedert. Adel und Geistlichkeit genossen Privilegien und waren die großen Grundherren. Die Bauern befanden sich in völliger Unmündigkeit, bebauten den Boden, der ihnen nicht gehörte, und leisteten dafür dem Grundeigentümer Abgaben und Dienste. Das Bürgertum profitierte zwar durch Handel und Gewerbe am Merkantilismus und wurde wirtschaftlich einflußreich, war aber politisch rechtlos. Seine Ideen vom politischen Leben waren wie in Frankreich von der Aufklärung geprägt, blieben aber in der praktischen Politik weitgehend wirkungslos. Die Politik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war seit dem Westfälischen Frieden 1648 durch territoriale Zersplitterung und Machtlosigkeit des Kaisers gekennzeichnet. Dieser war in allen wichtigen Entscheidungen von den Reichständen des Reichstages in Regensburg abhängig. Da für gültige Beschlüsse Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte sich einigen mußten, war das Reich meist politisch handlungsunfähig. Die politische Initiative lag bei den Landesherren, unter denen Österrich, Preußen und Bayern besonders erfolgreich Territorium, Rechte und Unabhän gigkeit vom Reich erweiterten. Zu Kaiser und Reich standen allein die kleinen Reichsstände. Über dieses schwache Deutsche Reich gewann Frankreich zunehmend Gewalt. Napoleon beab sichtigte, die Reichsverfassung zu beseitigen. Wurde vor der Französischen Revolution die Politik in Europa durch Neue Lage durch Napoleon die Pentarchie, das Gleichgewicht der Großmächte England, Frank reich, Rußland, Preußen und Österreich, geprägt, so veränderten die siegreichen Truppen der Revolutionsheere diese Situation grundlegend. Gestärkt in Organisation, Taktik und Motivation, schlugen sie die wechselnden Koalitionen der alten Mächte wie England, Rußland, Österreich und Preußen und eroberten 1792/93 die linksrheinischen Gebiete. Unter Napoleons Befehl erhielten dann die Truppeneinsätze zum Schutz der Republik immer deutlicher Eroberungscharakter. Damit wurden die Errungenschaften der Französischen Revolution exportiert. In allen eroberten Gebieten kam nämlich das Bürgertum an die Regierung und die Staatsorganisation wurde der Französischen Republik nachgebildet. So entstand aus den eroberten Ländern eine Reihe von französischen Tochterrepubliken (Karte 1). Preußen fand sich bereits 1795 im Frieden von Basel mit dem Verlust des linken Rheinufers ab und sicherte damit bis 1806 Norddeutschland die Neutralität. Österreich aber wollte den Frieden von Campo Formio von 1797 (Verlust des linken Rheinufers und Mailands, statt dessen Erhalt von Venedig) nicht hinnehmen und trat 1799 einer neuen Koalition gegen Frankreich bei. Dabei unterlag es Napoleon erneut in Oberitalien und fand sich im Frieden von Luneville 1801 mit der Rheingrenze ab. 9 Karte 1: Die Franz. Republik und ihre Gegner: Eroberungen und Tochter republiken 1792-1799 1 Welche Staaten wurden von den französischen Eroberungen betroffen? 2 Welche politischen Prinzipien wurden durch die Tochterrepubliken verbreitet? In den Friedensverträgen hatten sich die beiden deutschen Groß Zerfall des Alten Reiches mächte Österreich und Preußen mit dem Verlust der linksrheinischen deutschen Gebiete einverstanden erklärt. Der Vertrag von Luneville sah in Artikel 7 für weltliche Landesherren, die linksrheinisches Gebiet verloren, eine Entschädigung durch rechtsrheinisches Gebiet vor. Das Reich sollte für Entschädigungen sorgen. Nach Napoleons Plan, der mit dem Zaren abgestimmt war, kam für eine Entschädigung nur eine Aufhebung der deutschen geistlichen Herrschaften und der kleinen reichstreuen und reichsunmit telbaren Territorien in Frage. Dieser Plan lief auf eine Zerstörung des Deutschen Reiches hinaus. Indem Napoleon den deutschen Großmächten Gebietszuwächse aus den Territorien des Reiches in Aussicht stellte, hatte er ihre Mitarbeit bei diesem Schritt gesichert. Als nun der deutsche Kaiser einen Ausschuß des Regensburger Reichstages, die sog. Reichsdeputation, mit der Vorbereitung des Entschädigungsgesetzes beauftragte, sorgte nicht nur Napoleon, sondern auch die deutsche Fürstenschaft für die Sicherung ihrer Interessen: Die Aufhebung der geistlichen Herrschaften (Fürstbistümer, Reichsabteien, Klöster) und zahlloser Reichsstädte, Reichsdörfer, Reichsritter schaften und kleiner Fürstentümer im Reichsdeputationshauptschluß von 1803 vergrößerte die deutschen Mittelstaaten Preußen, Bayern, Württemberg und Baden. Weil die süddeutschen 10
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