Gudrun Wiedemer Grenzen des Kontextualismus Die frühe Architektur Frank Gehrys und Los Angeles in den 1960 - 1980er Jahren als Kontext Titelblatt Grenzen des Kontextualismus Die frühe Architektur Frank Gehrys und Los Angeles in den 1960 - 1980er Jahren als Kontext Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines DoKTor-InGEnIEurs. Von der Fakultät für Architektur der universität Karlsruhe (Technische Hochschule) / des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) genehmigte Dissertation von Dipl.-Ing. M (Arch) Gudrun Wiedemer schwarzwaldstrasse 29, D - 76137 Karlsruhe E-Mail: [email protected] Tag der mündlichen Prüfung: 14.oktober 2008 referent: Professor Walter nägeli Korreferent: Professor Alex Wall Weiteres Mitglied des Prüfungsausschusses: Professor v. Dr. Werner sewing Gudrun Wiedemer Grenzen des Kontextualismus Die frühe Architektur Frank Gehrys und Los Angeles in den 1960 - 1980er Jahren als Kontext „We are constraint by language much more than we know, as Borges so knowingly admits: what we can see in Los Angeles and in the spatiality of social life is stub- bornly simultaneous, but what we write down is successive, because language is successive.“ Soja, Edward: Postmodern Geographies. London: Verso, 1989; S.247 Zusammenfassung Grenzen des Kontextualismus Die frühe Architektur Frank Gehrys und Los Angeles in den 1960 - 1980er Jahren als Kontext Einleitung (Teil I.) Meine Dissertation, die das Frühwerk Frank Gehrys in Los Angeles zum Gegen- stand hat, geht von folgenden Thesen aus: Zum einen, dass das Frühwerk Gehrys in Los Angeles zu einer neuen Beziehung zwischen Architektur und Stadt und zu einem neuen Verständnis von Stadt innerhalb der Architektur beiträgt. Es kann damit als Beitrag innerhalb der zeitgleichen Kontextualismus-Debatte verstanden werden, weist aber gleichzeitig deren Grenzen auf. Zum anderen, dass sich das Frühwerk Gehrys in Los Angeles weiteren zeitgleichen architekto- nischen Debatten und einer weiteren zeitgleichen Baupraxis zuordnen lässt, an diese anknüpft, sie erweitert und darüber hinaus in ihnen das Potential auslotet, angemessen auf den Kontext Los Angeles´ zu reagieren. Das Frühwerk Gehrys in Los Angeles lässt sich folglich vor dem Hintergrund der zeitgleichen architek- tonischen Debatten wie der zeitgleichen Baupraxis neu interpretieren. Es kann konträr zur damaligen wie gegenwärtigen Rezeption, die die Arbeit Gehrys als subjektiven Beitrag zur Architektur sieht, als ein nachvollziehbarer kontextueller Beitrag, der auf architektonische Fragen antwortet, gelesen werden. Meine Thesen stehen dabei nicht im absoluten Gegensatz zu bestehenden Erklärungs- modellen der Architektur Gehrys. Während die Modelle innerhalb der Rezeption Gehrys Arbeit jedoch im Wesentlichen über ein übergeordnetes skulpturales, formales Interesse begründen, verweisen meine Thesen bei einigen von ihnen auf ein darüber hinausgehendes übergeordnetes, kontextuelles Interesse. Erklärungsmodell: „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ (Teil II.) Teil II. der Dissertation führt in die „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ ein. Kontextualismus wird dabei verstanden als eine Auseinandersetzung mit der Beziehung Architektur zu Kontext, Architektur zu Städtebau, Haus zu Stadt. Um 1960, als Reaktion auf die Auswirkungen der Moderne, rückt dieser Diskurs auf internationaler Ebene ins Zentrum des architektonischen Interesses. Der europä- ische Kontextualismus geht dabei von der traditionellen, gewachsenen, histo- rischen Stadt aus. Er bezieht sich auf Geschichte, auf Typologien und vor allem auf die baulichen, räumlichen Aspekte von Stadt. Stellvertretend kann hier Aldo Rossi mit seiner theoretischen sowie seiner praktischen Arbeit insbesondere zur Stadt Venedig stehen. Der amerikanische Kontextualismus geht hingegen von der amerikanischen Streustadt aus. Er bezieht sich auf das Alltägliche, das Gewöhnliche, das industriell Vorgefertigte, das Kommerzielle, das Populäre und vor allem auf die kulturellen Aspekte von Stadt. Stellvertretend können hier Robert Venturi und Denise Scott Brown mit ihrer theoretischen sowie ihrer prak- tischen Arbeit insbesondere zu den Städten Philadelphia und Las Vegas stehen. Ihrer Position entgegengesetzt, und damit in die Nähe des europäischen Kontex- tualismus rückend, steht jene Colin Rowes, dessen praktische Arbeit sich auf die i dichten amerikanischen Städte der Ostküste, insbesondere New York, bezieht. Das Los Angeles der 1960-1980er Jahre als Kontext (Teil III.) Die Architektur und der Städtebau in Los Angeles haben von Anbeginn an durch „theming“ ihren Kontext geleugnet oder ausradiert. Teil III. zeichnet nach, wie die Stadt zunächst wahrgenommen wird, wie sich im Gegensatz dazu ihre reale, urbane Struktur entwickelt, welche Probleme und Potentiale sie aufweist und wie diese Stadtstruktur dann nach und nach erkannt wird und Eingang in den architektonischen Diskurs findet. Los Angeles wird vor 1960 als Landschaft oder höchstenfalls als unendliches, homogenes „suburbia“ eingebettet in einen landschaftlichen Kontext wahrge- nommen. Das Los Angeles der 1960-1980er Jahre stößt jedoch im Gegensatz zu dieser Wahrnehmung an verschiedene Grenzen und ist in starkem Wandel begriffen: Die Bevölkerungsexplosion verbunden mit dem Traum des Einfamili- enhauses führt zu einer enormen Bautätigkeit. Los Angeles stößt tatsächlich an seine physischen Grenzen: Pendleraufkommen und Anfahrtszeiten eskalieren, das Bauland wird knapp. Los Angeles stößt an seine ökologischen Grenzen: Es kommt zu enormen Smog-Problemen, zu einer Reihe von Umweltkatastrophen, zum Zusammenbruch der Kläranlagen und zu Grundwasserverseuchungen. Los Angeles stößt an seine ökonomischen Grenzen: Es kommt zur Finanzkrise, und zu einer enorm hohen Arbeitslosigkeit. Diese Ereignisse wirken sich auf die bauliche Struktur aus. Sie führen dazu, dass das Ideal des freistehenden Einfami- lienhauses für viele zum unerreichten Luxusobjekt wird, dass sich das Verhältnis von Hauseigentümern zu Mietern umkehrt und dass eine extreme Nachverdich- tung einsetzt. Neue Typologien – unter anderem das Apartmentgebäude – und damit verbundene Maßstabsprobleme entstehen. Vor diesem Hintergrund bilden sich eine Vielzahl von „outer cities“, reiche Stadtteile, die sich durch eigene Verwaltung und eigene Planungshoheit der Nachverdichtung entziehen können. Damit aber wächst der Druck zur Nachverdichtung innerhalb der verbleibenden „inner city“-Gebiete. In den 1960-1980er Jahren wächst die Bevölkerung nicht nur explosionsartig, sondern wandelt sich gleichzeitig von einer weißen, angel- sächsischen, protestantischen zu der multikulturellen Einwohnerstruktur, die wir heute mit Los Angeles verbinden. Da die Wohnmöglichkeiten der Afro- und Lateinamerikaner jedoch stark eingeschränkt sind, kommt es zu massiver Wohnungsnot. Politisch lässt sich die Rassentrennung Anfang der 1960er Jahre zwar nicht mehr aufrechterhalten, sie wird aber weiter praktiziert, wenn es etwa innerhalb der „outer cities“ möglich ist, den Zuzug von ethnischen Minderheiten zu untersagen. Die Probleme gipfeln in den „riots“ von 1965 und 1992. Die sich in Los Angeles etablierende Kunstszene der 1960-1980er Jahre, die sich mit Alltag, Stadt und Raum auseinandersetzt, spielt eine wesentliche Rolle auf dem Weg zu einem neuen Verständnis von Stadt. Sie verweist auf neue Aspekte von Stadt und lotet deren Potential aus. Ed Ruscha thematisiert die alltäglichen, die gewöhnlichen, die industriellen und die kommerziellen Aspekte von Stadt: die neuen Typologien wie Apartmentgebäude, Tankstellen, die neuen Räume und Strukturen wie Parkplätze, pools, billboards oder die neue Wahrnehmungs- perspektive des Autofahrens. Dennis Hopper thematisiert die populären und die kommerziellen Aspekte von Stadt wie Zeichen oder Reklame und setzt sich mit Spiegelungen und Schattenwürfen auf Oberflächen auseinander. David Hockney thematisiert den amerikanischen Traum des Einfamilienhauses, das er als „box“ darstellt, die nicht nur als typisches Zeichen von Familienglück, sondern auch als Möglichkeit für andere, subkulturelle Lebeweisen verstanden werden kann. Hockney verweist auf das Zusammentreffen von Baustruktur der „suburbs“ und Freiheit der Stadt, auf die Vielfalt von Lebensweisen und auf die neuartige Urbanität in Los Angeles. Los Angeles entspricht folglich um 1960-1980 nicht einfach „100 x Suburbia“, sondern einem gigantischen, komplexen, heterogenen, suburbanen wie urbanen Raum, der von der zweiten Generation bewohnt wird und aus verschiedenen Gründen an seine Grenzen stößt, der eine starke Nachverdichtung erfährt und neue Typologien integriert und entwickelt, in dem urbane Kultur wie auch Sub- kultur aufblühen und der massiv mit städtischen Problemen konfrontiert wird. ii Nach meinem Dafürhalten bildet die Kunstszene um 1960-1980 den Ausgangs- punkt dieses Wahrnehmens, dieses Bewusstwerdens von Stadt, dieses Begrei- fens neuer Aspekte als Aktionsfelder für Architektur – Mike Davis spricht vom Aufblitzen einer authentischen Erkenntnistheorie der Stadt. Über die Kunstszene findet das neue Verständnis von Stadt Eingang in den architektonischen Diskurs. Reyner Banhams Buch bzw. Stadtführer „Los Angeles: The Architecture of Four Ecologies“ zeichnet diese Entwicklung nach. Die frühe Architektur Frank Gehrys und das Los Angeles der 1960-1980er Jahre als Kontext (Teil IV.) Innerhalb des Teils IV. untersuche ich, in wie weit Gehrys frühe Architektur auf diese neue Stadtstruktur, auf ihre Potentiale, Probleme und Fragestellungen reagiert und welche Aspekte und Elemente sie als Teil der Stadt begreift. Zunächst werden Gehrys Gebäude der 1960-1980er Jahre innerhalb des Kontexts Los Angeles´ verortet. Verschiedene Teilräume Los Angeles´, die spezifische Eigenschaften, Potentiale oder Probleme der Stadtstruktur verkör- pern und in die Gebäude Gehrys eingeschrieben sind, zeichnen sich dabei ab. Im Anschluss wird der Stadtteil Venice sowie das Viertel Venice/Oakwood mit jeweils einem exemplarischen Gebäude detailliert analysiert. Es wird nachge- zeichnet, auf welche Aspekte und Elemente des Kontexts die Gebäude reagie- ren. Venice ist dabei als „inner-city“-Gebiet im Besonderen mit dem Problem der Nachverdichtung, der Typologie des Apartmentgebäudes und den damit einher- gehenden Maßstabsunterschieden konfrontiert. Der Bereich Venice/Oakwood gilt darüber hinaus als sozialer Brennpunkt. Venice, Spiller House Los Angeles entsteht zunächst im Landesinneren. Entlang des Küstenstreifens bilden sich Orte mit kleinen Ferienhäusern, die Fahrzeit entspricht einer Tages- reise. Um 1890 bindet eine Eisenbahnlinie den Küstenstreifen ans Landesinnere an. Ferienhaussiedlungen entwickeln sich zunächst zu Wohnvororten und dann zu Städten. Santa Monica stellt dabei das Zentrum dieses Prozesses dar. Die Verstädterung des südlich an Santa Monica angrenzenden Venice´ verzögert sich jedoch, da man auf Erdöl stößt und in dessen Förderung ein größeres Potential als im Bausektor sieht. Zunächst überziehen Ölbohrtürme die Ferienhausidylle, erst in den 1960-1980er Jahren – und dementsprechend verstärkt – boomt die Bauindustrie. Der lokale Kontext weist daher in seiner baulichen Struktur unterschiedliche Typologien und Maßstäbe auf: Apartmentgebäude und Einfamilienhäuser, die zum Teil hintereinander auf einem Grundstück angeordnet sind. So beim Spiller House: das unmittelbare angrenzende dreigeschossige Apartmentgebäude ent- stammt nicht dem Bauboom der 1960-1980er, sondern verweist unter anderem über einen Schriftzug auf die Zeit der Strandhäuser und Hotels. Der Schwarzplan wie die Betrachtung der Gebäudemasse des Spiller House zeigen, dass das Grundstück nahezu überbaut ist. Die differenzierte Ausbildung des Volumens lässt jedoch verschiedene Leseweisen zu: „1x Apartmentgebäude“ bzw. „2x Einfamilienhaus“. Von der Nutzung umfasst das Spiller House tatsächlich zwei Wohneinheiten bzw. zwei Einfamilienhäuser, deren eines als alltägliche „box“ ausgeführt ist, während deren anderes eine „répétition différente“, eine äußerst komplexe „box“, eine Neuinterpretation von „box“ darstellt. Trotz der Dichte bieten beide Einheiten die Möglichkeit zur Identifikation und weisen darüber hinaus die Vorzüge auf, die mit dem typischen Einfamilienhaus in Verbindung gebracht werden: eigenständige Parkierung, eigenständige Erschließung von „street“ wie „alley“, Terrassen nach Süden, Ausblicke in alle vier Himmelsrich- tungen. Die Einheiten präsentieren sich innerhalb des öffentlichen Straßenraums und greifen die unterschiedlichen repräsentativen Elemente der bestehenden Typologien auf. Darüber hinaus reagieren sie auf neue Aspekte von Stadt: Die Modellierung des Gebäudes bzw. der Einheiten stellt zum einen den Schriftzug des Nachbargebäudes frei und thematisiert ihn und nimmt zum anderen den Grünraum des angrenzenden Grundstücks auf der anderen Seite auf und führt ihn weiter. Die West-Ansicht des Spiller House kann somit als Reaktion auf die iii angrenzende, lang gestreckte Brandwand des Apartmentgebäudes verstanden werden, während die Ost-Ansicht eine Reaktion auf die zwei angrenzenden „bungalows“ um Hof mit Palme darstellt. Das Spiller House kann dementspre- chend als Verschränkung zweier örtlich gegebener Typologien im Allgemeinen bzw. der beiden angrenzenden Gebäude im Besonderen verstanden werden. Venice/Oakwood, Indiana Avenue Houses Während sich Santa Monica der Bauindustrie und Venice der Ölproduktion verschreibt, wird Oakwood als dazwischen liegendes Niemandsland der Wohn- ort der schwarzen Bevölkerung, die für die weiße Oberschicht in Santa Monica arbeitet. Die Afroamerikaner übernehmen dabei zunächst die kleinmaßstäb- lichen, bestehenden Ferienhäuser und rüsten sie mit einem Kamin, fließend Wasser und eventuell zusätzlichen Zimmern nach. In den 1970-1990er Jahren wird Oakwood vor diesem Hintergrund nicht nur mit dem Problem der Nachver- dichtung, sondern auch der massiven Gentrifizierung konfrontiert. Der lokale Kontext weist also wiederum in seiner baulichen Struktur unterschied- liche Typologien und Maßstäbe auf: Apartmentgebäude, Einfamilienhäuser, Strandhäuser, die mit ihren diversen Anbauten als Miniaturen wirken, sowie als Vorreiter der Gentrifizierung, als „studios“ genutzte „big boxes“. Der Schwarzplan wie die Betrachtung der Gebäudemasse der Indiana Avenue Houses zeigen, dass das Grundstück zu einem noch höheren Grad als das des Spiller House überbaut ist. Die differenzierte Ausbildung des Volumens aus- schließlich im oberen Geschoss ermöglichz zunächst vage die beiden folgenden verschiedenen Leseweisen: „1x Apartmentgebäude“ bzw. „3x ‚studio‘“. Von der Nutzung umfassen die Indiana Avenue Houses drei „studios“ mit Wohn- einheiten. Alle drei Einheiten sind als einfache, große „boxen“ ausgeführt, die aber trotz der Dichte durch die Modulation der Masse eine gewisse Möglichkeit zur Identifikation bieten und alle drei Einheiten weisen die Vorzüge, die mit dem typischen „studio“ in Verbindung gebracht werden auf: eigenständige Parkie- rung, eigenständige Erschließung von „street“ wie „alley“ sowie eigener Werk- hof. Jedem „studio“ ist über die feine Differenzierung der Baumasse hinaus ein großes, skulpturales Element bzw. Attribut – „bay-window“, Kamin und Treppe – zugeordnet. Nach meiner Recherche wie Analyse lassen diese Attribute, sowie weitere Elemente die oben erwähnten bestehenden Typologien des Kontexts anklingen. „Bay-window“ und Kamin verweisen so auf die Typologie des Einfa- milienhauses, Kamin und Treppe in ihrer überdimensionalen Größe erinnern an die Typologie des Strandhauses, das ebenfalls mit seinen diversen Anbauten als Miniatur wirkt, und die räumliche Disposition dieser skulpturalen Elemente führt zu einer Neuinterpretation des „front yards“, der für die ethnischen Minder- heiten den Lebensmittelpunkt darstellt. Die Indiana Avenue Houses können dementsprechend als Verschränkung der örtlich gegebenen Typologien verstan- den werden. Gehrys spezifischer Kontextualismus (Teil V.) Teil V. fasst zusammen, wie sich die Beziehung der frühen Architektur Gehrys zum Kontext der Stadtstruktur Los Angeles´ innerhalb des Themenfelds Kontex- tualismus bzw. der Kontextualismus-Debatte positionieren lässt. Der spezifische Kontextualismus, den Gehrys Frühwerk impliziert oder produziert, agiert inner- halb des amerikanischen Kontextualismus analog zur Position Venturis und Scott Browns bzw. zu deren „Inclusivism“ oder sogar über diesen bzw. diese hinaus innerhalb amerikanischer suburbaner wie urbaner Strukturen. Er reagiert dabei jedoch nicht nur auf kulturelle, sondern auch analog zur Position Rowes bzw. zum „Contextualism“ Rowes auf bauliche, räumliche Aspekte seines Kontexts. Er integriert traditionelle wie neue Elemente von Stadt, öffnet sich unterschied- lichen Ebenen und verweist auf ein differenziertes, mehrdimensionales, reali- tätsbezogenes, aktuelles Verständnis von Stadt. Er liefert einen Beitrag auf der Suche nach neuen Typologien innerhalb suburbaner wie urbaner Räume, die nachverdichtet, von der zweiten Generation bewohnt und mit städtischen Pro- blemen konfrontiert werden. Dabei lassen sich zwei Strategien innerhalb Gehrys kontextbezogener Architektur unterscheiden: die „Räumliche Strategie“, die iv vermittelnde Form der Architektur, für die das Spiller House und die „Skulpturale Strategie“, die radikale Form der Skulptur, für die die Indiana Avenue Houses stehen können. Die letztere Strategie deutet im Falle der Indiana Avenue Houses die Grenzen des Kontextualismus auf, da die Architektur zum Teil zu einer gebauten Kritik reduziert wird. Weitere Erklärungsmodelle (Teil VI.) Teil VI. untersucht zwei weitere innerhalb der Rezeption vertretene Erklärungs- modelle, die die Arbeit Gehrys eindeutig einem zu Grunde liegenden subjektiven, individuellen skulpturalen Interesse Gehrys zuschreiben: Gehrys Architektur als eine „Auseinandersetzung mit Einheiten“ sowie als eine „Auseinandersetzung mit der Kunst“. Ausgehend von Gehrys eigenen Aussagen sowie seiner Biogra- phie, seinem Umfeld und Freundeskreis, können diese weiteren Modelle, als sein eigentliches Interesse oder als Motivation seiner Arbeit eingestuft werden. Diese Modelle lassen sich – und das wurde bisher innerhalb der Rezeption vernachlässigt – anlog den vorliegenden Untersuchungen zeitgleichen theore- tischen Diskursen bzw. der zeitgleichen Baupraxis zuordnen und innerhalb derer positionieren. Sie überschneiden sich zudem mit der „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ bzw. können einem zu Grunde liegenden, kontextuellen Interesse zugeordnet werden. Das heißt, Gehrys Annäherung an die Architektur – über eine „Auseinandersetzung mit Einheiten“ sowie eine „Auseinandersetzung mit der Kunst“ – produziert innerhalb eines gewissen Kontexts – der Stadtstruktur Los Angeles´ – zu einem gewissen Zeitpunkt – den 1960-1980er Jahren – einen spezifischen, erweiterten Kontextualismus. Resumée (Teil VII.) Teil VII. bietet eine Zusammenfassung und gibt einen Ausblick auf die beiden Fragestellungen, die sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse meiner Untersu- chungen ergeben. Zum einen: Wie lässt sich, vor diesem Hintergrund meiner Auslegung des Frühwerks Gehrys, die gegenwärtige Architektur Gehrys einord- nen? Und zum anderen: Inwieweit ist die Stadtstruktur Los Angeles´ der 1960- 1980er Jahre als Kontext für uns Architekten in Europa gegenwärtig relevant? Innerhalb der global-lokal-Debatte wird Gehrys gegenwärtiges Werk als auto- nome, beliebig austauschbare, skulpturale Architektur kritisiert, die ihren Kontext nicht nur vernachlässigt, sondern ausradiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Gehry für seine gegenwärtige Arbeit ein Bruch mit der Haltung seiner frühen Werksphase eingegangen ist? Nach meinem Dafürhalten wäre es interessant zu überprüfen, ob Gehrys gegenwärtige Arbeit eventuell noch immer als „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ verstanden werden kann. Um diese These nachzuzeichnen, bedarf es unter Umständen einer neuen Definition von Kontext und neuer Analysemethoden. Für einen Bruch Gehrys mit einer „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ spre- chen nach meinem Dafürhalten folgende Gründe: Gehrys Interesse galt und gilt, wie bereits angedeutet, anderen Auseinandersetzungen bzw. Themen. Diese haben zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb des Kontexts von Los Angeles zu einem kontextuellen Beitrag geführt, sie haben sich jedoch zwischenzeitlich verselbständigt. Auch führen die vermehrt internationalen Aufträge dazu, dass Gehry mit dem Kontext, in dem er baut, weniger vertraut ist. Oder es führt die Größe der Aufträge zu dem Problem, dass die Architektur ihren eigenen Kon- text bildet. Möglicherweise haben ihm auch frühe Arbeiten in problematischen urbanen Zusammenhängen, in denen sich die Architektur zu einer gebauten Kritik reduzierte, die Grenzen des Kontextualismus aufgezeigt. Der Kontext von Los Angeles steht seit den 1990er Jahren als Stadtmodell für die zeitgenössische Stadt. Er bildet den Rahmen unseres gegenwärtigen Bauens auch in Europa. Vor diesem Hintergrund sind viele gegenwärtige Studien inner- halb Europas weniger auf historische, dichte Städte oder deren Zentren, als viel- mehr auf suburbane wie urbane Strukturen gerichtet. Diese Studien versuchen dabei, den Kontext bzw. die reale (sub)urbane Struktur aufzuzeigen bzw. sichtbar zu machen, notwendige neue Begriffe und neue Analysemethoden einzuführen. v Der Kontext von Los Angeles in den Jahren von 1960 bis 1980 und Gehrys frühe Architektur, die sich mit diesem Kontext auseinandersetzt, helfen nach meinem Dafürhalten die Rolle, die dem gestaltenden, Raum bildenden Architekten inner- halb dieses Kontexts zukommt, zu definieren. vi Inhalt I. Einleitung 1. Gegenstand der Dissertation 1 2. Thesen 1 3. Rezeption 2 3.1 Gehrys frühe Architektur innerhalb der Rezeption im Allgemeinen 2 3.2 Gehrys frühe und gegenwärtige Architektur innerhalb der Rezeption und deren Bezug zum Kontext 3 3.3 Erklärungsmodelle zu Gehrys früher Architektur innerhalb der Rezeption 3 4. Gehrys frühe Architektur 4 5. Gehrys frühe Architektur in Los Angeles 4 6. Erklärungsmodelle zu Gehrys früher Architektur 5 7. Aufbau des Untersuchungsteils 6 II. Erklärungsmodell: Auseinandersetzung mit dem Kontext 1. Der Diskurs 7 1.1 „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ innerhalb der Architektur 7 1.2 „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ innerhalb anderer Disziplinen bzw. „Urbaner Stadtdiskurs“ 15 1.3 „Auseinandersetzung mit dem Kontext“ und Gehrys frühe Architektur in Los Angeles 16 2. Rowes Contextualism 18 2.1 Einführung 18 2.2 Bezugspunkte bzw. Elemente 20 2.3 Strategien 23 2.4 Monumentalität, Öffentlicher Raum, Architektur zu Städtebau 25 2.5 Beziehung zur bzw. Kritik an der Moderne 26 2.6 Kritik 27 2.7 Einfluss 30 3. Venturis Inclusivism 33 3.1 Einführung 33 3.2 Definition bzw. Verständnis von Kontext 35 3.3 Bezugspunkte bzw. Elemente 36 3.4 Strategien 37 3.5 Monumentalität, Öffentlicher Raum, Architektur zu Städtebau 43 3.6 Beziehung zur bzw. Kritik an der Moderne 44 3.7 Kritik 44 3.8 Einfluss 48 III. Los Angeles in den 1960-1980er Jahren als Kontext 1. Einführung 53 1.1 Gehrys Frühwerk und sein Kontext, das LA der 1960-1980er Jahre 53 1.2 Kontext Los Angeles? 53 1.3 Prozesse des Bewusstwerdens des Kontexts Los Angeles 53 2. Soziale, politische, ökonomische Hintergründe der Veränderung der Stadtstruktur 54 vii
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