Gregor Hensen · Peter Hensen (Hrsg.) Gesundheitswesen und Sozialstaat Gesundheit und Gesellschaft Herausgegeben von Ullrich Bauer Uwe H.Bittlingmayer Matthias Richter Der Forschungsgegenstand Gesundheit ist trotz reichhaltiger Anknüpfungspunkte zu einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher Forschungsfelder – z.B.Sozialstrukturanalyse, Lebensverlaufsforschung,Alterssoziologie,Sozialisationsforschung,politische Soziolo- gie,Kindheits- und Jugendforschung – in den Referenzprofessionen bisher kaum prä- sent.Komplementär dazu schöpfen die Gesundheitswissenschaften und Public Health, die eher anwendungsbezogen arbeiten,die verfügbare sozialwissenschaftliche Exper- tise kaum ernsthaft ab. Die Reihe „Gesundheit und Gesellschaft“ setzt an diesem Vermittlungsdefizit an und systematisiert eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf Gesundheit.Die Beiträge der Buchreihe umfassen theoretische und empirische Zugänge,die sich in der Schnitt- menge sozial- und gesundheitswissenschaftlicher Forschung befinden.Inhaltliche Schwer- punkte sind die detaillierte Analyse u.a.von Gesundheitskonzepten,gesundheitlicher Ungleichheit und Gesundheitspolitik. Gregor Hensen Peter Hensen (Hrsg.) Gesundheitswesen und Sozialstaat Gesundheitsförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. . 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Frank Engelhardt/Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15286-8 Inhalt Vorwort ............................................................................................................. 9 I. Einführung Gregor Hensen, Peter Hensen Das Gesundheitswesen im Wandel sozialstaatlicher Wirklichkeiten ..... 13 II. Struktur und Wandel Ferdinand Rau Der Sozialstaat: Prinzipien, Konstituenten und Aufgaben im Gesundheitsbereich................................................................................. 41 Sebastian Klinke Gesundheitsreformen und ordnungspolitischer Wandel im Gesundheitswesen ............................................................................. 61 Felix Tretter Gesundheitsökonomie zwischen Politik und Wissenschaft. Gestaltungsansprüche und Erkenntnisdefizite ...................................... 107 Ullrich Bauer Polarisierung und Entsolidarisierung. Ansätze zu einem Impact Assessment der Ökonomisierung im Gesundheitswesen ...................... 141 Peter Hensen Qualitätsberichterstattung im Gesundheitswesen. Der lange Weg zur Leistungstransparenz und Nutzerkompetenz ......... 165 6 Inhalt Peter Franzkowiak Prävention im Gesundheitswesen. Systematik, Ziele, Handlungsfelder und die Position der Sozialen Arbeit ......................... 195 III. Risiken und Herausforderungen Thomas Lampert, Lars Eric Kroll Gesundheitliche Ungleichheit als Herausforderung für den Sozialstaat ................................................................................ 223 Uwe H. Bittlingmayer Blaming, Producing und Activating the Victim. Materialistisch inspirierte Anmerkungen zu verdrängten Dimensionen sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit .............................................. 239 Gregor Hensen Gesundheitsbezogene Einflüsse im Sozialisationsprozess und riskante Identitäten ........................................................................ 259 Ulla Walter, Nils Schneider Gesundheitsförderung und Prävention im Alter. Realität und professionelle Anforderungen .......................................... 287 Hans Günther Homfeldt, Sandra Steigleder Gesundheitsbezogene Sozialarbeit. Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit zwischen Anspruch und Wirklichkeit ........................ 301 Gregor Hensen Pädagogische Handlungsansätze der Gesundheitsförderung. Gesundheitspädagogik als individualisierte Bildungsanforderung ....... 319 Inhalt 7 Gerhard Meinlschmidt Lebenslagenorientierte Gesundheitsförderung im Sozialraum in Berlin. Zielorientierte, vernetzte Strukturen für die Gesundheitsförderung und Prävention ...................................................................................... 333 IV. Epilog Pravu Mazumdar Der Gesundheitsimperativ .................................................................... 349 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ..................................................... 361 Vorwort Gesundheit bzw. Gesundheitsförderung wird stark von politischen und gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt. Der Zugang zu Gesundheitsleistun- gen sowie deren Erbringung und Finanzierung sind – gestützt auf den Solidar- und Sozialstaatsprinzipien – zum großen Teil staatlich reglementiert. Es ist ein großer Verdienst der Begründer unserer sozialen Sicherungssysteme, dass deren Erbe nachhaltig wie eine Art kollektives Bewusstsein oder wie ein genetischer Code tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Deutlich wird dies u.a. dadurch, dass sozialstaatliche Prinzipien bei der steten Neugestaltung des Gesundheitssys- tems nach wie vor heftig umkämpft werden. Bei jeder Form von (geplanten oder durchgeführten) Veränderungsprozes- sen im Gesundheitswesen ist reflexartig das Aufkommen der Gerechtigkeitsde- batte zu beobachten, bei der es um die Verteilung von knappen Mitteln für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung geht. Gleichzeitig werden vor dem Hintergrund dieser öffentlich geführten Grundsatzdiskussionen monetäre Vertei- lungskämpfe erkennbar, bei denen der Gerechtigkeitsbegriff interessenpolitisch verzerrt wird. In diesem Zusammenhang mahnen Kritiker die grundgesetzlich geschützte Solidaritätsverpflichtung an, gleichzeitig wird jedoch auch implizit die Angst vor staatlich verordneter Rationierung geschürt, was mit Blick ins europäische Ausland zum Teil berechtigt erscheint. Jede sozialstaatliche Inter- vention bedeutet jedoch gleichzeitig auch eine Einschränkung des individuellen Freiheitsrechts. Die Forderung nach mehr Freiheit innerhalb der sozialen Siche- rungssysteme würde aber ein Stück mehr Unsicherheit für alle Beteiligten bedeu- ten und marktwirtschaftlichen Prinzipien eine größere Bedeutung zurechnen. Gerechtigkeit an sich ist gesellschaftlicher Konsens, dessen inhaltliche Be- deutung von politischen Interessenvertretern nur sehr unterschiedlich interpre- tiert wird, was die gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen und die Re- formdebatten zeigen. Gerechtigkeit findet aber gerade ihren Ausdruck im Sozial- staatsprinzip und muss von ihm heraus gestaltet werden. Die Gesundheitspolitik bewegt sich damit ständig in einem Spannungsfeld, das einerseits von sozialstaatlichen Eingriffen zum Schutz des Solidarprinzips, andererseits von den Zwängen wirtschaftlichen Handels und dem Grundsatz individueller Freiheit geprägt ist. Die Positionen innerhalb dieses Spannungs- felds waren in den letzten 30 Jahren einem großen politischen Wandel unterwor- fen. Die gesundheitspolitischen Zielsetzungen erlebten einen Paradigmenwech- sel. Im Rahmen eines langsamen Wandlungsprozesses transformierte sich eine 10 Vorwort expandierende Strukturpolitik in den 1970er Jahre über zahlreiche korrigierende Kostendämpfungsmaßnahmen der 1980er und 1990er Jahre in eine wirtschaft- lichkeitsorientierten Ordnungspolitik. Diese muss in der heutigen Zeit als eine Art der „Ökonomisierung“ der Gesundheitspolitik angesehen werden, die letzt- lich auf das Gesundheitswesen durchscheint. Die Auswirkungen dieses gesundheitspolitischen Wandels sind auf system- technischer Ebene und auch auf individueller Ebene wahrnehmbar. Sie spiegeln sich in medial geführten Debatten und werden sichtbar bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Zunehmende Selbstbeteiligungen und Zuzahlungen auf Ebene der Nutzer bzw. Leistungsempfänger sind ebenso spürbare Realität wie die Konsequenzen aus der Zunahme pauschalierter Entgeltsysteme und strukturierter Behandlungsprogramme. Ob diese Steuerungsinstrumente zur Be- einflussung und Anreizsteuerung letztendlich wirken, ist unklar. Unübersehbar ist jedoch deren überwiegend experimenteller Charakter, der häufig zu Lasten nicht privilegierter Bevölkerungsgruppen geht. Die Gesundheitsförderung ist dabei die wesentliche Zielvorstellung ge- sundheitspolitischer Programmatik, obwohl dieser Begriff zahlreiche Unschärfen aufweist und mit einem Omnipotenzanspruch ausgestattet ist, der nur schwer einzulösen ist. Mit dem vorliegenden Band soll eine kritische Annäherung an das deutsche Gesundheitswesen und seine sozialstaatliche Einbettung hinsichtlich der Überprüfung dieser Zielprogrammierung erfolgen. Aus unterschiedlichen Perspektiven des Sozial- und Gesundheitssystems werden Anforderungen an ein modernes Gesundheitswesen und die damit verbundenen Folgen für die sozial- staatliche Leistungstiefe beleuchtet. Dabei ist es nach der Standortbestimmung gesundheitspolitischer Zielsetzungen und sozial-staatlicher Rahmenbedingungen notwendig, strukturelle Möglichkeiten, Instrumente und Auswirkungen derarti- ger Reformbemühungen vor dem Hintergrund eines sozialstaatlichen Wandels zu diskutieren und zu bewerten. Zusätzlich werden Auswirkungen der zuvor vorge- stellten Modernisierungspolitik auf die Folgen individueller Lebensentwürfe und gesellschaftlicher Teilhabechancen erörtert. Allen Autorinnen und Autoren aus den unterschiedlichen Bereichen der Ge- sundheitswissenschaften, Soziologie, Erziehungswissenschaft, Politikwissen- schaft, Philosophie und der Medizin soll an dieser Stelle für die interdisziplinär- konstruktive Zusammenarbeit an diesem Sammelband gedankt werden. Wir hoffen, mit dem verfolgten Ansatz die bisher eher sektoral geführten Diskussio- nen zu diesem Thema wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch erweitern zu können. Münster, im Oktober 2007 Gregor Hensen, Peter Hensen I Einführung