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Gerhart Hauptmann: Leben und Werk PDF

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K L E I N E B i b l i o t h e k D E S W I S S E N S LUX-LESEBOGEN N A T U R - u n d K u l t u r k u n d l i c h e H e f t e K A R L H E I N Z D 0 B S K Y G E R H A R T H A U P T M A N N L E B E N U N D WERK V E R LAG S E B A S T I AN L U X M U R N A U • M Ü N C H E N •I N N S B R U C K B A S E L D R E S D E N Da* Elternhaus. Zeichnung von Hans Meid aus „Die Spitzhacke" (1930) WO ICH DAHEIM BIN, BIN ICH NICHT DAHEIM . . , Gcrhart Hauptmann Caspar David Friedrich hat sie uns gemalt — die große und schreckliche Landschaft: eine gewaltige Woge aus Granit, die vor Jahrmillionen sich hier aufbäumte und endlich zum Riesengebirge erstarrte. Von Eiszeitgletschern zerrissen, neigen sich schroffe Trüm merwände in schwindelnd jähem Absturz über die Schneegruben, überragt von der vulkanischen Riesenfaust der Schneekoppe, die seit drei Jahrhunderten von einer schlichten Kapelle gekrönt wird, einer Andachtsstätte im Zeichen des Kreuzes, mit deren Weihe man Rübezahls Macht zu brechen glaubte. Vor genau dreihundert Jah ren, im Sommer 1662, gab Johann Praetorius seine Rübezahl geschichten unter dem Titel „Daemonologia Rubinzalii Silesii" her aus, mit großem Erfolg, da „unterschiedliche Menschen um die Sage vom Rübezahl bekümmert gewesen und gerne davon geredet, noch viel lieber aber davon gehört haben .. ." Seitdem hat der Name des launischen und gefürchteten Wetterherrn des Riesengebirges mancherlei Deutung gefunden; man neigt heute zu der Ansicht, daß der Rübezahl weder mit Rüben noch mit Zählen etwas zu tun habe und daß das geheimnisvolle Wort einfach „Nebelkappe" bedeute. 2 Heidnisches und Christliches blieben aufs wunderlichste verwoben in Schlesien, das Goethe als ein „geistig zehnfach interessantes Land" empfand. Ilarock und romantisch wie die Landschaft offen bart sich auch die Kultur- und Geistesgeschichte dieses Landes der Gottsucher und Sinnierer, der Mystiker und fabulierenden Träumer /wischen Staub und Sternen. Es waren Goldsucher und Glasbläser aus Muraoo bei Venedig, die vor einem halben Jahrtausend die ersten Pfade über den Kamm des Riesengebirges bahnten; sie such ten nach Gold, Silber und dunkelglühenden Granatsteinen und klopften das spröde Gestein nach allerlei begehrenswerten Quarzen für ihre weltberühmten Glasbläsereien ab. Die Spuren und Weg zeichen der wandernden Schatzgräber haben sich bis heute im wil den Felsengebirg erhalten, und in der Nachfolge ihrer Kunstfertig keit entstanden in der Josephinenhüue bei Schreiberhau und an anderen Orten die ersten schlesischen Glaswerkstätten. Im mysti schen Lidit einer schlesischen Schusterkugel erschaute Jakob Böhme die „Prinzipien Göttlichen Wesens" und gestaltete sein Erleben in einer spraehschöpferisdicn Großtat zur weithin wirkenden Lehre; ihm folgte der „Cherubinische Wandersmann" Angelus Silesius, der zwischen Wittenberg und Rom einen ganz eigenen, einen schlesi- sdien Weg zur Gotteskindsdi.ift sudue und fand: „Mensch, werde wesentlich; denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg: das Wesen — das besteht ..." * Opitz, Gryphius und Günther, Logau, EichendorfT und Laube, Holtei, Schleiermacher und Gustav Freytag — unmöglich, all die glanzvollen Namen aufzuzählen, die den gewaltigen Anteil Schle siens am deutschen Geistesleben durch die Jahrhundertc dokumen tieren! Die Lust am Fabulieren, eine außerordentliche Gestalter freude und naive Frömmigkeit prägten diesen Volksstamm, der sich beim Wallfahrtsort Albendorf sein „Schlesisches Jerusalem" errich tete, mit dem Bache Kidron im anmutigen Tal, mit über hundert Kapellen und mit der monumentalen Wallfahrtskirche nach dem Vorbild der Jerusalemer Grabeskirche. Hier wie im ganzen Lande sammelten sie sich an hohen Feiertagen unter Glockengedröhn und Weihrauchschwaden zu riesigen Prozessionen — die schlesischen Bauern, Bergleute und Weber. 3 Als Enkel eines Armen schlesischcn Webers ist Gerhart Hauptmann am 15. November 1X62 in Obers.il/brunn zur Welt gekommen, im wohlrenommierten, jedoch arg verschuldeten Gasthof „Zur Preußi schen Krone", der seinem V.uer gehörte. Während die Mutter, einer angesehenen Bürgerfamilie entstammend, sich eigentlich zu „etwas Besserem" als zur Gastwirtin berufen fühlte und sich redlich, wenn •auch ungern, in dem unstandesgemäßen Milieu abrackerte, erzählte der Vater seinen vier Kindern oft von der selbsterlebten unseligen Hungerrevolte der schlesischen Weber im Jahre 1844, von dem ver zweifelten Aufstandsversuch, der mit polizeilicher und militärischer Hilfe bald niedergeschlagen wurde. In Gerhart Hauptmanns Ge burtsjahr ernannte der König von Preußen Otto von Bismarcki zum Ministerpräsidenten; zwei Jahre später gründete Karl Marx in Lon don die Internationale Arbeiter-Assoziation, und wenige Jahre dar auf trat — in der niederschlesischen Provinzialhauptstadt Breslau — der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein unter dem Vorsitz Ferdi nand Lassalles zum erstenmal zusammen. Freilich — von diesen ersten Anzeichen bedeutsamer sozialpoliti scher Umwälzungen spürt man in Obersalzbrunn nidit allzuviel; doch die Hauptmann-Kinder betrachten mit scheuem Respekt die Ver wundeten des Preußisch-Österreichischen Krieges, die in den Kur häusern und Anlagen des vielbesuchten Heilbades ihre Genesung erwarten. In der Gaststube der „Preußischen Krone" diskutiert man auch über den Feldzug in Frankreich und über die Kaiser proklamation im Spiegelsaal von Versailles; und an der Hand sei nes Vaters erlebt der neunjährige Gerhart Hauptmann vor dem Brandenburger Tor in Berlin den Einzug der siegreichen Truppen von 1871. Bald folgt dem Siegestaumel der Reichsgründung eine gewaltige, überhitzte Industrialisierung — nicht zuletzt mit Hilfe der schlesischen Kohle. Kleine schlesische Bauersleute werden durch den Verkauf ihrer Ländereien an kohlesuchende Aktiengesellschaf ten über Nacht zu „Neureichen", die mit dem schnellgewonnenen Geld und mit einem entwurzelten Dasein nichts Rechtes mehr an zulangen wissen. Hauptmanns ältere Schwester Lotte, die über Gcrhans Kinderzeit mit mütterlich sorgender Liebe wachte, schildert den Bruder als ein liebenswürdiges und anschmiegsames, oft zum Kränkeln neigendes Kind. Sie nannten ihn „Lichtl", wegen seiner fast mädchenhaft an mutigen Schönheit, wozu freilich auch die weibisch lange Haartracht beigetragen haben mochte, von der sich Gerhart auch während sei ner Schul- und Studienzeit nicht trennte. Vom nicht sehr rühmlichen Verlauf und vom vorzeitigen Abbruch dieser Schulzeit kündet ein 4 Federzetchnung von Alfred Kubin zu „Fasching". 1825 „Abgangszeugnis" der Bresl.iuer Zwinger-Realschule vom 29. April 1878: „Der Sdiüler Gerhart Hauptmann hat die hiesige Realsdiule am Zwinger von der Sexta auf im Ganzen vier Jahre, zuletzt als Quartaner ein halbes Jahr besudit . . . Die Leistungen in der Fran zösischen Spradie waren befriedigend; in dem Lateinischen, Deut- sdien, der Mathematik, Naturbeschreibung, Geographie und Ge- schichte genügend, im Rechnen wenig befriedigend, im Schönsdirei- ben genügend, im Freihandzeichnen gut, im Singen befriedi gend . . ." Der ungeliebten Schule entronnen, versucht sich Gerhart als „Landwirtschafts-Eleve" auf dem Gut eines Onkels, ohne viel Nut zen und Gewinn als einige Einblicke in die sozialen Probleme der Arbeiter auf den Großgütern. Bald entflieht er wieder, auf ein Zeugnis niditvorhandenen Fleißes leichten Herzens verzichtend, dem ländlichen Leben und wendet sich erneut nach Breslau, das ihm mit einem Gastspiel der damals hochgerühmten „Meininger Truppe" im Lobetheater das erste, nie mehr vergessene Erlebnis der Bühne, des Schauspiels, des ewigen Theaters schenkt. In dieser Breslauer Zeit entdeckt der Obersalzbrunner Gastwirtssohn auch seine Nei gung und hohe Begabung zur Bildhauerkunst — eine Begabung, die ihn für zwei Jahre an die Kunstakademie fesselt, ohne daß der in ausgelaufenen Gleisen träge dahinziehende Schulbetrieb ihm viel zu geben vermag. Auch zwei Studiensemester an der Univer sität Jena, wo er vor allem Ernst Haeckels naturphilosophische Vor lesungen hört, können ihn nicht von dem einmal eingeschlagenen Weg abbringen. Von den Erinnerungen an diese Lehrjahre und das anschließende „Künstlerleben" in Rom ist später vieles in den — 1928 erschienenen — Roman „Wanda" eingegangen, der Ereignisse und freie Erfindung zum epischen Kunstwerk verwebt. Das Buch schildert auch die gewaltsame Zerstörung aller künstlerischen Zu kunftspläne als Bildhauer durch eine schwere Typhuserkrankung: Während dieser Krankheit geschieht es, daß Hauptmanns Atelier- nadibar in Rom, der estnische Bildhauer Weizenberg, in einem furchtbaren Wahnsinnsanfall neben seinen eigenen Arbeiten auch Gerharts Plastiken vernichtet. Unzerstörbar aber bleibt die Liebe zur bildnerischen Gestaltung; sie wird den künftigen Dichter be gleiten sein ganzes Leben lang — noch als Achtzigjähriger model liert er das Kinderköpfchen seines Enkels Arne in Wachs. Auch an den Kunstmitteln der Sprache hat Gerhart Hauptmann sich frühzeitig geübt; man kennt Quartaner-Gedidite von ihm, so rührend bedeutungslos wie alle Schülergedichte. Ohne künstleri schen Wert ist auch seine erste „gedruckte" Arbeit: ein Polterabend- spitl mit dem Titel „Liebesfrühling", das der Neunzehnjährige 1881 zur Hochzeit seines älteren Bruders Georg mit Adele Thicne- rnann in Hohenhaus verfaßt hat. Mit finanzieller Unterstützung einer wohlwollenden Tante konnte das sechzehn Seiten umfassende Wirkchen gedruckt werden und gilt heute als bibliophile Seltenheit. Im seinem Erinnerungsbuch „Das Abenteuer meiner Jugend" be- 6 richtet der Dichter ausführlich darüber, wie er den „Liebesfrühling" mit den Schwestern Thiencmann und mit seinem Bruder Carl ein studierte und aufführte. Eine dieser Schwestern, die schöne Maria Thiencmann, wurde im Mai 1885 die Gattin Gerhart Hauptmanns, der sich Berlin zum Wohnsitz erwählt hatte. In seinen Lebenserinnerungen führt uns der Dichter in jene „Sturm- und Drang-Jahre" zurück: „Weshalb hatte ich mich für Ber lin entschieden? Aus einer schicksalhaften Verbissenheit. Ich konnte nicht mehr los von Berlin. Hier — hier allein galt es zu kämpfen, zu siegen oder unterzugehen. Wie kam idi zu einer solchen in stinkthaften Entschiedenheit, da sich doch zunächst nur begründete Aussidu auf sicheren Untergang zeigte. ..? Verbindungen zu Schriftstellern oder zu literarisch Gleichstrebenden hatte idi nidit. Ein in seinen dichterischen Neigungen mir ähnlicher Mann wäre mir als ein Wunder erschienen. Als es dann eines Tages doch geschah, nämlich als Adalbert von Hanstein auftauchte, war dies das förder- samste Erlebnis für mich." Zu dieser ersten literarischen Bekannt schaft kommen bald weitere, kommt die Verbindung mit den Brü dern Hart, mit Wilhelm Bülsche und Bruno Wille, mit Hugo Ernst Schmidt und Johannes Schlaf, und endlich — im Januar 1889 — mit Arno Holz, dem Verkünder des „konsequenten Realismus" in der Dichtung. Der ermunternde Zuspruch von Arno Holz bestärkt den jungen Gerhart Hauptmann im Glauben an seine dichterische Be rufung; und diese Stärkung ist dringend notwendig, denn ein dem Deutschen Theater eingesandtes Drama „Das Erbe des Tiberius" hat er als unverwendbar zurückerhalten, ein Versepos „Prome- thidenlos", das er auf eigene Kosten hat drucken lassen, ist ohne bemerkenswertes Echo geblieben. Nun arbeitet er an einem neuen Drama, dessen ursprünglicher Titel „Der Sämann" auf Anregung von Arno Holz in „Vor Sonnenaufgang" abgeändert wird. Es ist die schonungslose, naturalistische Schilderung einer im Trunk ver kommenden Familie. „An einem Sommerabend im Freien", erzählt Wilhelm Bülsche in seinen Lebenserinnerungen, „las uns Haupt mann sein eben entstandenes Drama vor. Es erschien uns wie die Tat zu überall gärenden Gedanken . . ." Und am 14. September 1889 schreibt Theodor Fontane seiner Tochter jenen berühmt geworde nen Brief: „Schon gestern wollte ich Dir einen kleinen Brief stif ten, kam aber nicht dazu, weil ich anderweitig eine große Korre spondenz hatte; darunter ein Brief an einen Herrn Gerhart Haunt- mann, der ein fabelhaftes Stück geschrieben hat: Vor Sonnen aufgang, soziales Drama, fünf Akte. Ich war ganz benommen da von... Dieser Hauptmann, ein wirklicher Hauptmann der schwar- 7 zen Realistenbande . . ! — gibt das Leben, wie es ist, in seinem vollen Graus; er tut nichts zu, aber er zieht auch nichts ab, und erreicht dadurch seine kolossale Wirkung. Dabei (und das ist der Hauptwitz und der Hauptgrund meiner Bewunderung) spridu sidi in dem, was dem Laien einfach als abgeschriebenes Leben erscheint, ein Maß von Kunst aus, wie's nidit größer gedacht werden kann . . ." Auf Theodor Fontanes Empfehlung erklärt sich die von dem gro ßen Theatermann Otto Brahm und dem jungen Verleger S. Fischer gegründete Theatergesellschaft „Freie Bühne" bereit, „Vor Sonnen aufgang" aufzuführen. Noch viele Jahre später erinnert sich Otto Brahm an Gerhart Hauptmanns ersten Besuch: „Du erschienst an meiner Klingeltür in Deiner blonden, jungen Kraft, in der Hand die Attribute des Freien Deutschen Mannes: einen mächtigen Schlapphut und einen Knotenstock. Du bliebest lange und ließest mich, Du idealistischer Naturalist, Deinen unbeirrbaren Willen zur Kunst und Dein ganzes Sein voll Milde und Stärke sdion er schauen; und als ich Dir dann für Dein Kommen dankte, sprachst Du es mit dem unbefangenen Eifer des jungen Autors aus: Um dieses Stückes (,Vor Sonnenaufgang') willen laufe ich gern dreimal um ganz Berlin . . ." Die Uraufführung des Dramas — am Sonntag, dem 20. Oktober 1889 — wird zum größten Theaterskandal, den Karikatur des „Kladderadatsch" nach der Premiere von „Vor Sonnenaufgang4'.

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