Susanne Peters Hrsg. Geld Interdisziplinäre Sichtweisen Geld Susanne Peters (Hrsg.) Geld Interdisziplinäre Sichtweisen Herausgeberin Susanne Peters Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Magdeburg, Deutschland ISBN 978-3-658-15060-0 ISBN 978-3-658-15061-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-15061-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Lektorat: Katrin Emmerich Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhaltsverzeichnis Was ist Geld? ................................................. 1 Horst Gischer Das neoliberale Geldverständnis und der Mythos der Rationalisierung .............................................. 11 Jakob Fruchtmann „Und es stinkt doch!“ Eine verstehende Analyse von Geld in der Alltagsökonomie ......................................... 49 Heiko Schrader Geld und Glück – Erkenntnisse aus der ökonomischen Zufriedenheitsforschung ........................................ 75 Andreas Knabe Geld in der Psychologie: Vom Homo oeconomicus zum Homo sufficiensis .............................................. 97 Liane Hentschke, Alexandra Kibbe und Siegmar Otto Mehr als Schall und Rauch: Namen als Kapital und wertvolles geistiges Eigentum .................................... 119 Angelika Bergien Von Mitteln, Medien und Gaben: Moderne Philosophien des Geldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Andreas Hetzel Geld als metaphysisches Zahlungsmittel? .......................... 159 Hans Werner Breunig V VI Inhaltsverzeichnis Zwischen avaritia und curiositas: Wahrnehmungsweisen von Geld in Mittelalter und Früher Neuzeit ........................ 175 Almut Schneider Geldmangel, Kollekten und Kredite in Zeiten der Not. Ein Magdeburger Szenario 1681/1682 ................................ 203 Eva Labouvie „Tolles Geld“: Geld, Unternehmertum und Kommerz in der russischen Literatur ........................................... 223 Gudrun Goes „,Money, O drug!‘ said I aloud, ‚what art thou good for?‘“: Geld und Ökonomie in Robinson Crusoe (1719) ......................... 263 Laurenz Volkmann The Fiction of Money: Geld im zeitgenössischen englischen Roman .... 283 Susanne Peters Einleitung Susanne Peters Im Jahr 2012 wurde eine Skizze des berühmten Gemäldes „Der arme Poet“ von Carl Spitzweg, das als eines der beliebtesten Gemälde der Deutschen gilt,1 vom Auktionshaus Sotheby’s für 542.500 USD versteigert. Die Skizze zeigt dem Betrachter bekanntlich einen Dichter, der sich in seiner kalten und feuchten Dach- stube im Bett liegend den schönen Künsten widmet. Was mag sich wohl der sicher wohlhabende neue Besitzer dieses Bildes beim Anblick des ärmlichen, frierenden Poeten denken? Wird ihm bewusst, welche Differenzen zwischen Betrachter und Betrachtetem bestehen und spielen diese Differenzen überhaupt eine Rolle? Was ist der „wahre Wert“ dieses Kunstwerks und lässt er sich wirklich in Dollar beziffern? Auf eindrucksvolle Weise wird mit der Versteigerung dieser Skizze (und überhaupt mit allen für große Summen versteigerten Kunstwerken) ein uralter Glaubenssatz thematisch, über dessen Gültigkeit sich in den Diszipli- nen schon immer trefflich streiten ließ. Er betrifft die Unvereinbarkeit von Geld und Kunst, von schnödem Mammon und geistreicher Dichtkunst, die Gegensätz- lichkeit der Welt der Konsumgüter und der Welt der inneren Werte. In immer neuen Spielarten – und je nach Fachdisziplin – wird die angebliche Konkurrenz oder auch das Miteinander von Konsum und Konsumverzicht, von Geld und Geist in historischen wie modernen Gesellschaften verhandelt. Ganz offensichtlich haben wir Menschen also ein eher schwieriges Verhältnis zum Geld. Das macht sich insbesondere dann bemerkbar, wenn es an ihm mangelt – aber nicht nur dann. Was bedeutet uns also Geld? Wie gingen und gehen Gesellschaften mit dem Zahlungsmittel um und was hat Geld mit Vergeltung zu tun? Wie steht es um die Ökonomie von Geben und Nehmen? Ist Geld ein Fetisch, ein Ersatz, bedeutet Reichtum glücklich zu sein? Wieso ist Geld unser Feind? Wie wird Geld zur Sprache? Welchen moralischen Sinn entdecken wir beim Umgang mit Geld? Und 1So Stefan Koldehoff in Die Zeit (http://www.zeit.de/2012/03/Kunstmarkt-Spitzweg. Zugriff 26.6.2016). VII VIII Einleitung schließlich: Wie wird Geld in der Literatur thematisch? Geld an sich ist nichts wert. Ein Schein in der Tasche ist nur Papier, ein paar Münzen in der Hand sind bloß Metall, und was wir auf dem Konto bei der Bank haben (oder auch nicht), sehen wir nur als substanzlose Zahlen auf dem Kontoauszug. Geld hat seinen Wert, weil es ein Tauschwert ist, weil es für etwas anderes steht. Es hat ein Poten- zial, das jederzeit als etwas Anderes realisiert werden kann. Geld ist demnach ein Tauschmedium, aber auch eine Recheneinheit und ein Wertaufbewahrungsmittel, und diese dreifache Funktionsbestimmung des Geldes evoziert auch kritische Positionen innerhalb der Einzeldisziplinen. Dass Geld ein historisches Symbol des Relativitätscharakters des menschlichen Seins darstellt, macht das Thema so spannend. Der Philosoph und Soziologe Georg Simmel hat schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts von einer Steigerung der Kultur der Dinge und einem Zurückbleiben der Kultur der Personen gesprochen, hat er mit seiner Diagnose recht behalten? Ist möglicherweise der Eindruck falsch, dass der Prozess der Monetarisierung unserer Gesellschaften universell und irreversibel ist? Der vorliegende Band will interessierten Lesern einen Einblick in die univer- sitäre Vielfalt der akademischen Zugänge zu diesem komplexen Verhältnis geben. Dabei wird versucht, die dereinst von C.P. Snow propagierte (und teilweise mitt- lerweile überwundene) Trennung der „two cultures“ in geistes- und kulturwissen- schaftliche und naturwissenschaftlich-technische Weltzugänge zu überwinden, denn beide Kulturen haben wichtige Positionen zum Thema Geld entwickelt, die einander fruchtbar ergänzen können. Der vorliegende Band vereint dreizehn interdisziplinäre Perspektiven auf dieses Thema, folgt aber nur lose einer Reihen- folge, die mit einer klassisch ökonomischen Perspektive beginnt und mit Geld in der zeitgenössischen Belletristik endet. In der Zusammenschau der einzelnen Beiträge ergibt sich ein vielschichtiges Bild vom Verhältnis des Menschen zum Kapital, das nun keineswegs erschöpfend sein kann, sondern Anregungen geben und zeigen will, welche ganz unterschiedlichen Bewertungen des Themas Geld in Einzeldisziplinen vorgenommen werden. Der Band geht zurück auf eine interdis- ziplinäre Ringvorlesung an der humanwissenschaftlichen Fakultät der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg im Sommersemester 2015. Der Beitrag von Prof. Dr. Horst Gischer, der den Lehrstuhl für Monetäre Öko- nomie und öffentlich-rechtliche Finanzwirtschaft an der Universität Magdeburg innehat, gibt einen ersten Überblick über einige grundlegende Fragestellungen zur Funktionsweise moderner arbeitsteiliger Volkswirtschaften. Bei der Betrach- tung der Frühgeschichte sozialer Verbände des Menschen werden zunächst der Naturaltausch und beidseitig akzeptierte Tauschverhältnisse als Basismodell einer mikroökonomischen Theorie analysiert. Das ausführlich erläuterte Prinzip der doppelten Koinzidenz zeigt hier, dass Angebots- und Nachfragewünsche poten- Einleitung IX zieller Tauschpartner exakt entgegengesetzt sein müssen – eine Situation, in der der Dreieckstausch Abhilfe schafft. Die Einführung eines einheitlichen Zählgutes, eines Marktes und eines gemeinsamen Zeitpunktes würde Tauschgeschäfte ver- einfachen. Gischer zeigt, dass bei Definitionsversuchen immer die Funktionsbe- schreibung statt intrinsischer Eigenschaften des Geldes im Vordergrund steht. Der Gebrauch des stoffwertlosen Geldes in einem ungedeckten Verfahren ist dagegen im Wesentlichen abhängig vom Vertrauen der Nutzer. Dem System ist nämlich inhärent, dass keine Garantie des Staates in Bezug auf das in seinen nationalen Grenzen im Umlauf befindliche Geld besteht. Heutige Geldsysteme, so Gischer, bieten keine Rückfallpositionen; Geld wird nicht akzeptiert, weil es Wert hat, sondern es hat Wert, weil es akzeptiert wird. Es repräsentiert keinen Wohlstand; erst die potenzielle Verfügungsgewalt – die in Geld gespeicherte Kaufkraft – macht seinen Besitzer vermögend. Dr. Jakob Fruchtmann, der zurzeit als Lecturer of Sociology an der Jacobs University Bremen arbeitet, setzt sich kritisch mit dem in den Wirtschaftswis- senschaften und in Teilen seiner eigenen Disziplin noch immer vorherrschenden „neoliberalen“ Verständnis des Geldes auseinander. Dazu stellt er die wichtigs- ten soziologischen und anthropologischen Argumente vor, die dieser Konzeption widersprechen. Auch dieser Beitrag behandelt das Problem der doppelten Koin- zidenz beim Naturaltausch, und es wird bezweifelt, dass es vormonetäre Tausch- gesellschaften in der Menschheitsgeschichte tatsächlich gab. Daneben wird auch eine zweite wichtige Eigenschaft des neoliberalen Geldkonzeptes diskutiert, näm- lich die These, dass Geld generell neutral sei. Fruchtmann rekurriert in der Frage, ob Geld ein Motor des Fortschritts sei, auf Weber, und charakterisiert Ansätze, die Modernisierung und Monetarisierung mit Prozessen der Rationalisierung identi- fizieren. Auch Simmels Philosophie des Geldes hat hier eine für die Geldsozio- logie zentrale Stellung. Dabei ist die Länge der wirtschaftlichen Handlungsketten bedeutsam, denn sie führt dazu, dass die Bedeutung des Geldes immer weiter zunimmt und dass schließlich aus dem Zwischenzweck Geld ein Endzweck wird. Dabei kommt dem Geld eine Doppelrolle als Zeichen des relativen Wertes der Waren als Tauschmittel und als Wert an sich zu. Die Frankfurter Schule stellt jedoch nicht nur die Auffassung vom Geld als Modernisierungsmotor in ein kriti- sches Licht, sie hinterfragt auch die Überzeugung von der inhärenten Rationalität des Geldes, der vierten Grundfeste des neoliberalen Geldkonzeptes. Eine den For- schungsstand aus soziologischer Perspektive abschließende Fragestellung bezieht sich dann auf die Transzendenz des Geldes, auf die spannende Frage, ob nicht Geld im Zuge des fortschreitenden modernen Kapitalismus den Ort des sakralen, den sozialen Ort Gottes für die Gesellschaft einnimmt. X Einleitung Prof. Dr. Heiko Schrader vom Lehrstuhl für Makrosoziologie der Universität Magdeburg, argumentiert, dass in modernen Gesellschaften Geld – trotz seiner Funktion als generalisiertes Medium und jenseits der orthodoxen ökonomischen Theorie, die Geld keinen Eigenwert zuschreibt – auch gleichzeitig zum „Spezi- algeld“ in verschiedenen Wertsphären werden kann. Es transportiert hier auch andere als ökonomische Werte und steht deshalb in einem Spannungsverhältnis zum ökonomischen Wert. Im Alltagshandeln spielt das Aufladen mit und Anhaf- ten von Qualitäten an Handlungen des Gebers bzw. Nehmers moralisch nach wie vor eine wichtige Rolle. Die moralische Ökonomie des Tausches steht daher von der Anlage her der Warenökonomie entgegen, zwischen Markttausch und Gaben- tausch, so Schrader, existiere eine intrinsische Spannung. Während der Markt- tausch leistungsbezogen und der Tauschprozess selbst ergebnisorientiert ist, gilt der Gabentausch dagegen als prestigebezogen. Schraders Argumentation zielt auf die Betonung der moralökonomischen Aspekte des Geldes, denn die Moralökono- mie begrenzt den Möglichkeitsraum des Geldes und erzeugt eine Spannung, die die Akteure lösen müssen. Hier wird eine klare Sphärentrennung zwischen dem Sozialen und dem Kommerziellen aufrechterhalten. Prof. Dr. Andreas Knabe, der den Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Univer- sität Magdeburg innehat, widmet sich der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Geld und Glück aus der Perspektive der ökonomischen Glücksforschung und bietet einen Überblick über den Stand der Forschung im Bereich der Sozialindikatoren und des subjektiven Wohlbefindens. Geld wird hier nicht im engeren wirtschaftswis- senschaftlichen Sinne verstanden, sondern es geht um die individuelle Verfügungs- gewalt über materielle Ressourcen, die es uns ermöglichen, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Der Logik der Wahlmöglichkeiten entsprechend führt mehr Geld zu mehr individuellem Wohlbefinden. Je wirtschaftlich leistungsfähiger eine Gesellschaft ist, um so mehr sind ihre Mitglieder grundsätzlich in der Lage, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Der Beitrag stellt Verfahren zur Messung des indi- viduellen und gesellschaftlichen Wohlbefindens mithilfe psychologischer und ande- rer sozialwissenschaftlicher Methoden vor. Knabe vergleicht die Aussagekraft des Bruttoinlandsprodukts mit objektiven Wohlfahrtmaßen und diskutiert, wie subjekti- ves Wohlbefinden gemessen werden kann und wie es durch Einkommen und Wirt- schaftswachstum beeinflusst wird. Obwohl im internationalen Kontext ein positiver Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Nettoeinkommen nachzuweisen ist, finden sich keine überzeugenden empirischen Hinweise, dass allgemeines Wirt- schaftswachstum zu mehr Lebenszufriedenheit führen muss (Easterlin-Paradox). Auch der Beitrag von Dipl. Psych. Liane Hentschke, Dipl. Psych. Alexandra Kibbe und Dr. Sigmar Otto, die am Lehrstuhl für Persönlichkeits- und Sozialpsy- chologie der Universität Magdeburg tätig sind, ist u. a. mit den Zusammenhängen