DEUTSCHES ARCHÄOLOGISCHES INSTITUT EURASIEN-ABTEILUNG EURASIA ANTIQUA ZEITSCHRIFT FÜR ARCHÄOLOGIE EURASIENS BAND 2 1996 SONDERDRUCK SCHRIFTLEITUNG BERLIN IM DOL 2-6 PHILIPP VON ZABERN • MAINZ AM RHEIN Originalveröffentlichung in: Eurasia Antiqua 2, 1996, S. 215-228 Sintasta - ein gemeinsames Heiligtum der Indo-Iranier? Von Karl Jettmar, Heidelberg Dieser Aufsatz entstand in der Absicht, eine Besprechung über das 1992 erschienene Buch „Sintasta"1 vorzulegen. Wie heute nicht unüblich, war es 1995 dank der Liebens würdigkeit eines Kollegen (Prof. Dr. Georg Kossack) in meine Hände gelangt. Daß ich dann doch die Form eines Aufsatzes gewählt habe, liegt nicht nur an der Tatsache, daß der Umfang meiner Beobachtungen und Anregungen das bei Besprechungen übliche Volumen überschritten hätte. Vielmehr stellte sich heraus, daß die Interpretation von Sintasta von genereller Bedeutung für das Problem der indoiranischen Wanderungen sein könnte. Spezialisten auf mehreren Gebieten sind einmütig der Ansicht, daß das Bild, das die Vedischen Texte vom Eindringen von Hirten mit „arischen" Sprachen in den Punjab vermitteln, nicht dem entspricht, was archäologisch belegbar ist2. Für eine systematische Eroberung, die schließlich in der Zerstörung der Städte der HarappaKultur kulminierte, haben wir keine Belege. Verbände von sehr unterschiedlicher Stärke Stammesbünde, einzelne Stämme oder auch Clans sind offenbar aus dem Nordwesten (meist aus dem heutigen Afghanistan) vorgedrungen. Sie erinnerten sich noch lange an das Überschreiten der großen Ströme3. Der Versuch, in diesem diffusen Konzept Ordnung zu schaffen, indem man eine frühe und eine spätere (rgvedische) Welle unterschied, ist vermutlich eine Simplifikation. Offensichtlich rechnen mehrere Kollegen mit der Möglichkeit, jener Teil der indischen Kasten, die in der sich entwickelnden Hierarchie der Ackerbauern die obersten Plätze beanspruchten, hätten eine „Privatmythologie" geschaffen, die sich von dem tatsächlichen Ablauf weit unterschied4. Angesichts dieser Situation wird jede Synthese (auch die bisher beste, von Parpola5 1994) fragwürdig. Es wirkt wie eine Herausforderung, wenn nun am südlichen Ural die Wagengräber gefunden werden (gleich im Dutzend!), die man im Süden vergebüch sucht6. So gibt es gute Gründe, die Bedeutung des Komplexes von Sintasta noch einmal zu hinterfragen, in einem weiteren Kontext. Mein Aufsatz kann diese Lücke nicht füllen, wohl aber soll er deutlich machen, was hier für jene geboten wird, die sich für das ungelöste Problem des Nachweises der Ein wanderung IndoArischer Stämme nach Südasien interessieren7. Da ich nicht alle Komplexe, die in der Fundregion Sintasta, Raj. Brody, Obl. Cel jabinsk, beobachtet wurden, in gleicher Breite besprechen kann, muß ich zunächst einen Überblick vorlegen, ohne mich an die im Buch vorgenommene Anordnung zu halten. Dabei zitiere ich die Seiten im russischen Text. Folgende Anlagen wurden in den Jahren 19721976 und 19831986, meist unter der Leitung von V.V. Gening, untersucht: 1 TeHHin-u. a. 1992. 2 Allchin 1995; Erdosy 1995. 3 Witzell995. 4 Parkes 1991. 5 Parpola 1995. 6 MejTBHHK/CepawKOBa 1988: HepeÄHHieHKo/nycTOBajioB 1991. 7 Mallory 1989; vgl. hierzu Mair 1994. 216 Karl Jettmar 1. Auf einem sanft geneigten Hang, der zu dem Flüßchen Sintasta herabführt, das sich mit dem Tobol vereinigt, lag der „Große Kurgan". Der heute noch 4,5 m hohe Hügel fiel auf der Nordseite steil ab, die südliche Flanke war nur sanft geneigt. Die Basis hatte, von Ost nach West gemessen, einen Durchmesser von etwa 80 Metern8. In der Aufschüttung lassen sich viele Schichten unterscheiden, auch Balken, die zum Teil eine Bahn bildeten, auf der man dicke Stämme für die Abdeckung der Kammer her angeschafft hatte. Sie stand ursprünglich auf dem gewachsenen Boden. Darüber hatte sich eine Kuppel aus Lehmblöcken erhoben, zu der ein Dromos von Osten heranführte. Die Kuppel lag über einer quadratischen Stufe und wurde von einem kreisförmigen Wall und einem Graben umgeben. Diese Anlage war bereits verfallen, die Gräber waren ge plündert, als ein Umbau ihr die spätere Gestalt verlieh. Beim Umbau haben nun die Leute der Bronzezeit auf die klimatischen Bedingungen Rücksicht genommen, die in dieser Region zum raschen Verfall von Erdbauten führten. Die Flanken des Hügels wurden durch Roste aus Birkenstämmen gegen das Abrutschen als Effekt von Niederschlägen gesichert. Radial angeordnete Stämme wurden paarweise durch Querbalken verbunden. Die entstandenen Zellen wurden mit Erde und Schilf gefüllt. Darüber erhob sich die nächste Plattform, so daß eine Stufenpyramide entstand. Neun Stufen sind nachweisbar, die Ausgräber glaubten, daß man sie in aufeinanderfolgenden Jahren ausgebaut hat. Eine Schicht aus Balken deckte die oberste runde Plattform, vielleicht lag noch ein flacher Hügel als Bekrönung darüber. An die immerhin denkbare Möglichkeit, daß hier ein Mau soleum stand wie bei den Gräbern der ersten Achaemeniden haben die Ausgräber nicht gedacht. Das für den Umbau nötige Erdreich wurde aus Gruben entnommen, die den Kurgan im Norden, Nordwesten und Nordosten umgaben. Hölzerne Pfeiler ragten hier empor, als „Symbole des Lebensbaums" erklärt. Es waren Feuer unterhalten worden. Beim Umbau wurde keine neue Kammer angelegt, daher bezeichnen die Ausgräber den Bau nun als Tempel. 2. Südlich des Großen Kurgans hegt das „Große Gräberfeld", das sich in einer Breite von 25 m und Länge von 35 m nach Süden zieht9. Dazu gehören in erheblicher Entfer nung noch zwei Gräber, insgesamt sind es 40 an der Zahl. Relativ einheitlich ist die Art der Verschalung. Zwar werden öfter runde oder halbierte Birkenstämme verwendet, aber in der Regel hat man mit Planken verschiedener Dicke gearbeitet, ebenfalls aus Birken holz. Zur Herstellung von Wänden für die Grabkammern hat man Bretter senkrecht in den Erdboden getrieben, oft bilden sie noch die Verschalung. Dann mußten sie zuoberst durch eine Nut in einem Querbalken zusammengehalten werden. Man hat aber auch Rillen in die seitlichen Erdwände hineingehackt, die waagerechten, übereinander ange ordneten Brettern Halt gaben. Solche Techniken sind übrigens bei der Konstruktion von Streitwagen zum Einsatz gekommen: Die Flachbeile aus Kupfer und Bronze, die man in verschiedenen Gräbern fand, waren für das Spalten der Baumstämme gut geeignet, die Induskultur hat noch lange an der Verwendung solcher Geräte festgehalten. Wenn man an die Kunstfertigkeit denkt, die im BaktrianoMargianischen Archäolo gischen Komplex (BMAK)10 bei der Herstellung von Ritualgegenständen und Schmuck aufgewendet wurde, kann man hier ein entsprechendes technisches Können feststellen, das sich jedoch in einem anderen Material auswirkt, in der Holzbearbeitung. Die Keramik ist hingegen traditionsgebunden. Form und Dekor blieben bis in die Andronovozeit kon 8 remrar u. a. 1992, 342374. 9 TeHHHru. a. 1992, 111242. 0 Sarianidi 1988; Sarianidi 1993 Sintasta 217 servativ. Daß die Textilien ebenfalls dem Haushalt überlassen und vermutlich von Frauen hergestellt wurden, darf man vermuten. Auch der Schmuck soweit erhalten ist eher bescheiden. Ein Brustgehänge in einem Frauengrab besteht aus Paste und Glasperlen sowie Silberblech vielleicht wurden damit zwei Zöpfe über der Brust zusammengefaßt. Es gibt im „Kleinen Gräberfeld" ein weiteres Stück dieser Art. Die Waffen für den Nahkampf bestehen aus Bronzelanzenspitzen mit geschlitzter Tülle sowie Bronzeäxten mit hängendem Rücken und einem kurzen Zapfen am Nacken. Ein ähnliches Stück wurde in Darel von mir erworben, vermutlich aus einem Grab der SwatKultur11. Dazu gibt es die im Steppenraum verbreiteten Dolche und gelegentlich einschneidige, gekrümmte Messer. Flachbeile sind das häufigste Gerät. Tüllenbeile feh len noch, sie wurden erst von den Bronzegießern der SejmaTurbinoKultur populär ge macht. Pfeilspitzen wurden aus Knochen, Flint und Bronze hergestellt. Dabei imitierten die Gießer die Retouche der Flintspitzen. Abgesehen von Keulenköpfen, die als Waffen und Würdezeichen dienten, gibt es noch andere massive Steingeräte Platten, Schlegel, Reibsteine ,von denen sich nur ein Teil als Geräte für das Pressen des SomaSaftes er klären läßt. Die aus Knochen angefertigten Plattenknebel, die bei der Pferdezäumung das Spiel des aus Leder geflochtenen Gebißstücks seitlich begrenzen und oft mit Innenstacheln ausgestattet sind, gehören Typen an, die, wie die Fundübersicht bei Kuz'rnina12 zeigt, zwischen Donau und IsimFluß vorkamen mit der Ausweitung nach Mykenai, was auf eine Datierung ins 16. und 15. Jh. v. Chr. deutet. Daß sich am Ende wirklich ein zen tralasiatisches Zentrum für deren Verbreitung herausstellt, ist eine bisher unerfüllte Hoff nung zuständiger Archäologen. Die Annahme einer eigenen Entwicklung wäre schon deshalb sehr kühn, weil die Rekonstruktionen der Streitwagen den Mangel (vielleicht die Unmöghchkeit) genauer Beobachtungen durch Phantasie ersetzen. Ich möchte mich hier nur auf die Angabe konzentrieren, die die Vorstellungen der Ausgräber am deutlichsten zeigt. Bei der Besprechung von Grab 3013 heißt es, daß man bei der Erklärung der Wagengräber davon ausgehen müsse, daß (anders als in den vorderasiatischen Hochkul turen) in den Steppen das Pferd bereits als Reittier benutzt wurde, bevor man es vor den Wagen spannte. Zum Reitpferd gehörte aber ein „weicher" Sattel, der durch einen Bauchriemen mit dem vorderen Teil des Pferderumpfes verbunden war, ohne die freie Beweglichkeit der Schultern zu behindern. Man habe daher in den osteurasischen Step pen dieses Prinzip auch nach dem Übergang zum Wagengespann weiter verwendet. Die Verbindung zwischen dem Joch und dem Reitsattel sei durch eine hölzerne Gabel her gestellt, den Sitz des Reiters imitierend. Daraus sei das später verwendete Schulter kissen geworden. Das Zuggeschirr wurde durch einen breiten Brustgurt gegen ein Abrut schen nach rückwärts gesichert. Der Sinn dieser Annahme der Autoren des SintastaBandes ist es, den allzu kurzen Abstand zwischen der Vorderwand des Wagenkastens und dem Jochbalken zu erklären, von dem die Gabeln herunterhingen. Der freie Abstand zwischen Wagenkorb und Gabeln muß im Schnitt nur 1,4 m betragen haben. Das hätte höchstens gereicht, wenn die Gabeln nicht über der Schulter, sondern über dem Sattel befestigt waren. Als Alternative könnte man annehmen, daß man bei den Wagen, die für das Totenritual und damit für die De 11 BüHorpanoBa 1995; Jettmar 1961. 12 KysbMHHa 1994,163194 Abb. 36; 37 Karte 6. 13 TeHHHru. a. 1992,218. 218 Karl Jettmar 1 m. 100 100 Abb. 1. Sintasta. Grab 30. Rekonstruktion des Streitwagens in der Grabkammer. Nach TeHHHr u. a. 1992, Abb. 116. ponierung in einer (unten offenen) Kammer von maximal 3,5 m Länge bestimmt waren, die Deichsel verkürzte. Es fällt aber auf, daß in den Photos des Fundbildes nirgends ein Joch und Jochgabeln sichtbar sind. Auch der Schwung der Deichsel ist nur aus der Posi tion der Stützpfosten erschlossen. So hängt die ganze Schlußfolgerung buchstäblich in der Luft. Nur der Abdruck der Speichen und Felgen sowie die unteren Bretter des Wagen korbes sind offenbar erhalten geblieben, sonst hätte man nicht Schlitze für das Einstecken senkrechter Bretter vermerken können (Abb. 1). Variationsbreite in einem begrenzten Zeitraum zeigt sich in den Ritualen der Bei setzung. Sie sind erstaunlich divergent dabei wird es dem Leser nicht erleichtert, sich dessen bewußt zu werden und die Bedeutung der Unterschiede zu sehen. Offenbar wurden den Gräbern Nummern in der Reihenfolge ihrer Entdeckung zugeteilt, und beim Abschluß wurde keine überlegte Korrektur vorgenommen. So muß man sich als Leser selbst zurechtfinden: Dem Großkurgan vorgelagert war eine „Kulthütte". Ihr Plan läßt an ein Ritual den ken, das Herodot (IV/74, 75) beschrieben hat: Bei den Trauerfeiern unterziehen sich die Skythen einem „Schwitzbad". Dabei wird Hanf erhitzt und HaschischDämpfe versetzen alle Teilnehmer in Trance. Nun folgen drei Wagengräber (46), ein viertes (12) kam erst nach Zerstörung der Hütte hinzu. Einen ähnlichen Gürtel von Wagengräbern gibt es weiter südlich (1920; 24) mit einem reichen Frauengrab (22) und Kollektivbestattungen (11; 12). Den Toten wurden Pferde mitgegeben, auch in ungerader Zahl, also nicht unbedingt vor einen zwei Sintaista 219 spännigen Streitwagen zu spannen. Am südlichen Rand des Friedhofs gibt es dann wieder Wagengräber. Über das ganze Territorium sind Gräber von Personen verstreut, die zwar Waffen tragen, aber nicht mit Pferden ausgestattet waren vor allem gibt es viele Kin dergräber. Die Anlage zeigt keinesfalls die egalitäre Ordnung, die man aus der „be festigten Siedlung" erschließen wollte. In der Grabgrube oder nach dem Auffüllen des Schachtes sind Feuer angezündet worden vielleicht als Besiegelung des Übertritts in eine andere Welt. 3. Nur 150 m weiter in nordöstlicher Pachtung lag ein flacher Grabhügel, dessen Durchmesser 32 m betrug14. Die Aufschüttung war 1 m hoch (nicht 100 m, vgl. engl. Zusammenfassung S. 393, sondern 100 cm). Der Kurgan wurde vermutlich für zwei Be stattungen errichtet. Ursprünglich war er von einem Wall umgeben, auf dessen Nordseite eine 3 m breite (nicht 30 m breite!) Öffnung die Zufahrt ermöglichte. Über dem Raum innerhalb des Ringes erhob sich eine quadratische Plattform mit schräger Kante. In ihrer Mitte hatte man mit riesigen Baumstämmen den Schacht abgedeckt, in dem die Bestat tung erfolgt war. Darüber soll sich, aus Lehmblöcken hergestellt, eine Kuppel (ein Kugel segment) erhoben haben. Unter ihr, auch in der Plattform, gab es eine größere Zahl von Feuerstellen (das heißt wohl von Altären), in denen man Tierknochen und Gefäßscherben fand. In der Aufschüttung wurden später in zwei Phasen Bestattungen vorgenommen. Es waren Kollektivgräber, über denen sich vielleicht kleine Hügel erhoben. In der letzten Phase wurden hier weitere Gräber für Frauen und Kinder angelegt. An vielen Stellen grub man Gefäße in den Boden ein, daneben wurden, zum Teil auf Holztabletts, Fleischstücke und Knochen deponiert. Die Beigaben sind sich so ähnlich, daß ihre Deponierung ohne große zeitliche Unterschiede gesehen werden muß. Hinsicht lich der Ausstattung mit den Knochen der Wirtschaftstiere gibt es geringe, aber vielleicht doch bedeutsame Unterschiede: Schaf, Rind, eine Ziege. Dazu kommen noch ein Wild schwein und mehrere Hunde. 4. An der nordwestlichen Peripherie des Komplexes lagen Gräber15, deren Zusam menhang den Ausgräbern durchaus verständlich erschien, ihre Deutung sei wieder gegeben: Hier wurde die Stammutter, aus dem Bereich der KatakombengrabKultur kom mend, reich geschmückt, nach ihrem ererbten Ritual bestattet. Das Sippenheiligtum wur de als Blockbau gegenüber dem Eingang zu ihrer Katakombe angelegt. In die gleiche Zeitebene gehört ein Kindergrab. Dann folgt das Grab für ihren Sohn (?) und ein weiteres für dessen Frau. Die nächste Generation ist durch ein Männergrab repräsentiert, die zu gehörige Frau liegt im folgenden Grab. Daran schließt sich das Grab für den Bruder des Toten oder einen Angehörigen der darauffolgenden Generation an. 5. Der Kleine Kurgan16 liegt auf der gleichen Erhebung, nur 100 m weiter östlich. Auch dort wurden Erdschichten verschiedener Färbung angeschnitten. Die Grabkammer war beraubt worden, man fand aber noch mehrere menschliche Schädel, Keramik, Me tallgerät, vor allem aber wurde durch Furchen im Boden und Pferdeknochen ein Streit wagen markiert. Vier menschliche Skelette, von den Fleischteilen befreit, hatte man im Wagenkasten deponiert, jeweils mit einem Gefäß. Einen weiteren Toten mit gleicher Ausstattung hatte reHHHr u. a. 1992, 243294. TeHHHru. a. 1992, 295332. TeHHHr u. a. 1992, 333341. 220 Karl Jettmar man an der Südseite des Grabes beim Ende der Deichsel beigesetzt. Es läßt sich nicht feststellen, ob einer der Toten eine herausragende soziale Position eingenommen hätte. Über dem Grab lagen, sich überkreuzend, drei Schichten aus mächtigen Stämmen. Zusammen mit seitlichen Lehmmauern bildeten sie einen Pyramidenstumpf. Die Rekon struktion unterstellt, daß sich darüber eine kompakte Kuppel aus Lehmblöcken wölbte. Auch diese Anlage erinnert äußerlich eher an einen Stupa als an ein Hügelgrab, besonders wenn man den Unterbau berücksichtigt, den ein runder Graben umzog. 6. Als Schlüssel zum Verständnis des gesamten Komplexes an der Sintasta betrachte ich jene Anlage, die die Ausgräber als „befestigte Siedlung"17 aufgefaßt haben. Sie wur de unterhalb des Großen Kurgans und des südlich angrenzenden Gräberfeldes festgestellt. Sie hegt so nahe am Sintastafluß, daß eine Überschwemmung, die sich in der Bildung einer Flußschleife auswirkte, die westhche Hälfte völlig zerstörte und den Rest mit Schlamm überdeckte. Die Siedlung war zwar abweisend, doppelt von Wall und Graben umgeben, dahinter schlössen sich die Häuser in einer Abwehrfront zusammen. Dennoch waren diese Linien gegen einen entschlossenen Angreifer nicht effektiv. Das wichtigste Baumaterial war dem anstehenden Boden entnommen, vergleichbar der Praxis in Mittelasien, wo man mit Lehmblöcken und Stampflehm arbeitete. Nach schweren Regengüssen und Überschwemmungen läßt sich das, was von Menschenhand geschaffen wurde, nur durch eine andere Färbung, etwa durch den Einschluß von Asche und verkohltem Holz nach einer Feuersbrunst, von dem natürlichen Untergrund unter scheiden. Leider sind die Photos, auch das Luftbild18, nicht sehr hilfreich, aber sie haben auf das Vorhandensein eines äußeren Walles mit rechteckigem Umriß aufmerksam gemacht der viel zu weit ausgedehnt ist, um von den Bewohnern der Siedlung verteidigt zu werden: er schließt 62.000 m2 ein. Der Graben, der die innere Siedlung umgab, war 4,56,0 m breit, der eingeschlossene Raum hat einen Durchmesser von ca. 145 m. Aller dings ist von dieser Fläche nur die Hälfte verschont gebheben. Der Graben besitzt meh rere Stufen. Der Abstieg von der äußeren Seite ist sanft, der Aufstieg nach innen war steiler, aber nicht höher als 1,5 m. Im Boden verlaufen eingetiefte Kanäle, in denen das Wasser ablaufen konnte. Reparaturen sind erkennbar. Brände haben die Erde geschwärzt, Lehmfluten haben sie wieder gelb gefärbt, bevor sich eine Humusdecke bildete, die neu erlich mit Lehm überzogen wurde. Unterbrechungen von Wall und Graben zeigen zwei Tore an, das eine zum Fluß gerichtet, das andere öffnet den Weg zu den übrigen Anlagen. Die Ausgräber haben sich bemüht, jedes Detail, das ihnen aufgefallen ist, festzuhal ten und im Rahmen der von ihnen vorausgesetzten Verteidigungsaufgabe zu erklären. Für ihre Interpretation spricht die FüUe offenbar zweckgerichteter Veränderungen und die Überlegung, daß es ersichtlich nur dünner Wände aus Brettern bedurfte, um Schutz gegen Pfeilschüsse oder Schleudersteine zu gewähren. Es ist jedoch nicht möghch, alle Erklä rungen zu akzeptieren. Innerhalb des äußeren Grabens, hinter dem sich eine Mauer erhebt, liegt ein Kranz von „Wohnbauten", deren äußere Seiten eine Abwehrfront bilden. Hinter diesen Häusern bleibt ein freier Rundgang, aber vor dem Kern der Anlage, einem inneren Kranz von Häusern, hegt noch einmal ein Graben, auf dessen Grund Kanäle laufen, die vielleicht der Abwasserentsorgung dienen. Im Bett eines der Kanäle befinden sich drei Feuerstel TeHHHru. a. 1992, 17110. reHHHT u. a. 1992, 14 Abb. 3. Sintasta 221 len. Dieses System wurde mehrfach verändert, der Graben wurde an einzelnen Stellen zugedeckt. Eine Rekonstruktion zeigt die Anlagen beim Südportal. Zwischen konvergierenden Mauern führte der Weg in das Innere der Siedlung. Wer sich hineinwagte, konnte von zwei Umgehungspfaden, rechts und links flankierend, angegriffen werden. Dafür wurden die Ausläufer des großen Grabens mit Brücken überspannt. Ihre Begleitmauern waren mit Pfahlreihen gekrönt. Allerdings konnte ein Angreifer auf die Idee kommen, die äuße ren Werke zu besetzen, die das Schußfeld von der Innenmauer aus begrenzen. Diese Situation bekehrte mich zu der These, daß es sich hier wie in Baktrien um eine Anlage vom Typ „Vara" handelte, in die man sich im Verlauf der Jahresfeste begab, um im Kreis der „Reinen Stammesbrüder" die Begegnung mit den höheren Mächten zu erle ben. Wie etwa bei den Kalas und auch bei den dardischen Dörfern konnten solche Zere monien nur unter Ausschluß von Fremden gefeiert werden. Diese Interpretation hatte ich als erster vertreten heute kann ich mich fast allgemeiner Zustimmung erfreuen19. Die Eigentümlichkeiten der Wohnbauten zeugen davon, daß es sich nicht um eine „reguläre" Siedlung handelt. Respektlos könnte man sie als Kabinen bezeichnen. Zur Ausstattung gehören Feuerstellen (Altäre) und ein Schacht, der wie ein Brunnen anmutet. Hier mag man Opfer für die Geister der Unterwelt dargebracht haben auch für die Toten. Anatoli Nagler verdanke ich den Hinweis, daß die Sakralzentren der Osseten neben einem für alle gemeinsamen Heiligtum auch noch „Kapellen" umfaßten, in denen die sippenbezogenen Kulte stattfanden20. Allenfalls könnte man vermuten, daß Angriff und Verteidigung mit stumpfen (und nur gelegentlich tötenden) Waffen ausgetragen wurden, wie bei dem Frühlingsfest der Shin im Hindukush. Dort sorgte das Öffnen der Weinzisternen für die Stimmung hier mag es Sorna gewesen sein. Auf jeden Fall kann man von einem „Zeremonialdorf" sprechen, die Befestigung hatte symbolischen Wert. Es erhebt sich nun die Frage, welche anderen Teile des Komplexes Sintasta in den gleichen Zusammenhang zu stellen sind. Fast sicher kann man bei dem Großen Kurgan eine Umwidmung zum Heiligtum behaupten. Das entspricht durchaus der Beurteilung der Ausgräber. Für die Gräber war eine solche „integrierende" Bedeutung sekundär. Sie spiegeln realistisch die Zusammensetzung der Bevölkerung wider, die das Heiligtum aufgebaut oder besucht hat. Auch die Wagen waren Gebrauchsgut, allerdings von hohem Prestigewert. Abschließend möchte ich hervorheben, daß die Autoren den Komplex nicht in Ver bindung mit Ariern oder Iraniern, sondern mit IndoIraniern bringen, das heißt, sie setzen die Fortdauer der noch ungeteilten Sprachgemeinschaft (bis etwa ins 16. Jh. v. Chr.) vor aus. Wir müssen hier aber vorbeugend die möglichen Einwände vortragen gegen ein Konzept, das die Existenz der ungeteilten IndoIranier noch zu einem so späten Zeitpunkt behauptet. Die Spuren der IndoArier auf dem Weg zu ihren künftigen Siedlungsgebieten in Südasien sind in einer Reihe von Ubersichtswerken von vielen kompetenten Forschern dargelegt worden21. Ebenso wichtig ist der bereits erwähnte Sammelband „The Indo Aryans of Ancient South Asia"22, der unter anderen Beiträge von Hiebert, Fairservis Jr., Jettmar 1981b. KanoeB 1967; MaroineTOB 1974. Harmatta 1992; Litvinskij/P'yankova 1992. Erdosy 1995. 222 Karl Jettmar Southworth und Parpola enthält. Dieses Buch erfaßt auch das wenige, was man von den Wegen der Iranier weiß. Alle Autoren gehen davon aus, daß die beiden großen Verbände, die sich hinter den divergierenden indoarischen und iranischen Dialekten abzeichnen, um die Mitte des 2. Jh. v. Chr. bereits weit und in verschiedener Richtung vorgedrungen waren. Eine dritte Welle könnte in den späteren Phasen der SwatKultur „greifbar" wer den ob das die Vorfahren der ProtoKafiren waren, ist sehr fraglich. Möglicherweise kamen diese Einwanderer aus Gebieten am Südrand von Xinjiang23. Sicher ist, daß im Bereich des MitanniStaates die hurritische Dynastie Spezialisten für Pferdezucht und Pferdetraining verwendete, die (intern?) ihren protoarischen Dialekt bewahrten. Es gibt zwei Möglichkeiten, die kaum vereinbaren Indizien doch in eine Hypothese einzufügen: 1. Es könnte der Streitwagenkomplex eine ältere, indigene Vorgeschichte haben. Sintasta könnte trotz der Ähnhchkeit der Scheiben/Plattenknebel, die hier zum Kopfge schirr der Pferde gehörten, mit jenen aus den Schachtgräbern in Mykenai einem älteren Horizont angehören, an die Wende vom JH. zum U. Jt. v. Chr. zu datieren sein, in die achte Phase der sprachlichen Entwicklung im Konzept Harmattas24. In dieser Zeit sollen die FinnoUgrischen Sprachen ja auch eine Reihe indoiranischer Lehnwörter übernom men haben. Das würde allerdings wirklich eine lokale Entwicklung des Streitwagens voraussetzen, nicht eine späte Entlehnung aus dem Inventar der Hochkulturen. Man hätte dann sogar die Möglichkeit, mit passablen Argumenten einen lokalen Übergang zum Reiterkriegertum zu behaupten. Tatsächlich gab es im Norden Kazachstans, faßbar in der Station Botai, Pferdejäger aus dem Verband der finnougrischen Völker erwachsen die allmählich zur Pferdezucht übergingen25. Aber erst nach dem Einkreuzen jener hoch gezüchteten Pferde, die man zum Ziehen der Streitwagen gebraucht hatte, entstand ein Pferdeschlag, der für hohe Belastungen brauchbar war, neben der weiter wirkenden An passung an das lokale Klima26. 2. Es besteht aber auch eine andere Möglichkeit, nämlich die Datierung der Schachtgräber von Mykenai als entscheidend zu betrachten. Das würde bedeuten, daß die in der Häufung der Wagengräber einzigartigen Funde von Sintasta aus einer Zeit stam men, in der sich in den Weiten Kazachstans die AndronovoKulturgemeinschaft in ihren wesentlichen Varianten entfaltete27. Wenn wir eine solche Gleichzeitigkeit unterstellen könnten dann könnte die Be zeichnung des Komplexes durch das Team Gerungs als „indoiranisch" wohl zutreffen, aber sie bekäme einen anderen Sinn. Wir müßten dann annehmen, daß indoiranische Stämme längst ihre Expansion in die Weiten des eurasiatischen Steppenraums begonnen hatten, sich jedoch immer noch ihrem Herkunftsgebiet am nördlichen Rand der Steppen zone verbunden fühlten. Zumindest die Führungsschicht oder auch jene, die religiöse Aufgaben erfüllten, kehrten zu bestimmten Festen in das Heimatgebiet zurück, um die Zeremonien abzuhalten, die die Gemeinschaft derer heraufbeschwor, die sich selbst mit großem Stolz „Arier" nannten. Andere ließen sich in ihrer „Urheimat" bestatten. Daß eine gemeinsame Vorstellung von einem gemeinsamen Wohnort im Hohen Norden existierte, ein Bereich eines „arktischen" Lebensgefühls, läßt sich nicht bestrei BHHorpaÄOBa 1995; Stacul 1987. Harmatta 1992, 364 f. Derevyanko/Dorj 1992; 185. vgl. hierzu Telegin 1986; Häusler 1992 a; Häusler 1992 b. Ky3bMHHa 1994. Sintasta 223 ten. Bongard-Levin hat in einer Arbeit, die er zusammen mit Grantovskij vorlegte, die Belege in den soviel späteren Quellen zusammengestellt. Dazu paßt genau, daß in der nördlichen Randzone der Steppen ein Heiligtum ausgegraben wurde, in dem Pfähle die Richtungen markieren, die zu den im Kalendersystem wichtigen Sternen zeigten29. Die Vermutung, daß IndoArier und Iranier an einem gemeinsamen Kult festhielten über den Zeitpunkt der politischen Trennung hinaus wage ich zu äußern, weil Mayrhofer30 auf die Übereinstimmungen hingewiesen hat, die zwischen der Kultsprache des Veda und der des Avesta bestehen. Die NuristanSprachen lassen sich in dieses Konzept einordnen. Aus einem indoarischen Milieu stammend, haben sie offenbar eine Zeitlang den Weg ihrer iranischen Nachbarn geteilt. Vielleicht erklärt sich die Tendenz, die Erinnerung an die gemeinsame Heimat am Nordrand der Ökumene zu bewahren, aus der politischen und sozialen Situation, in die die nach Süden (und Südosten?) abwandernden indoiranischen Verbände gerieten: Sie wurden (privilegiert) Bestandteil einer geschichteten Gesellschaft. Ein Entwurf, der für Mittelasien (das den westlichen Teil des Steppenraums, aber auch Oasen und Gebirge einschließt) eine solche komplexe Gesellschaft behauptet und auch belegt, hat Pierre Amiet31 vorgelegt. Den Inhalt seines entscheidenden Buches über die „Zeit des Austauschens" hat er vor kurzem in einem Band über Baktrien prägnant zusammengefaßt32. In allen Oasengebieten der südlichen Randzone Mittelasiens, die dann am Nordrand des Iranischen Plateaus ihre Fortsetzung findet, habe es eine Agrarbevölkerung gegeben, deren Sprachen dem Dravidischen Großverband zuzuordnen seien, in den sich auch das Elamische einfügt. Den Übergang zur Hochkultur mit einer politischen Zentralinstanz und einem Schriftsystem haben diese Agrargebiete nicht vollzogen im Gegensatz zu der Randzone des Vorderen Orients, zur HarappaKultur und den Staaten im Fernen Osten. Warum dieser letzte Schritt unterblieb, konnte man bis heute nicht erklären. Neben den Bauern erkennt Amiet aber auch eine erstaunlich breite Schicht von Handwerkern. Wir könnten auch von Künstlern sprechen. Jedenfalls gab es Spezialisten, Meister, die im engsten Kreis ihre Techniken weitergaben. Zwischen deren Zentren, die jeweils auf einem oder auf mehreren Feldern zuständig waren, gab es weitreichende Handelsverbindungen. Sie hatten die Rohstoffe bereitzustellen und belieferten anderer seits die Abnehmer. Offenbar waren die Menschen der frühen Bronzezeit nach einer vorausgehenden Spezialisierung auf den Goldbergbau im ausgehenden Neolithikum an vielen Produkten des technischen Fortschritts und deren künstlerischer Ausgestaltung interessiert. Es gibt kaum ein Material, an dem man sich nicht versucht hatte. Götter wurden als Handwerker der Weltschöpfung aufgefaßt. Die „Göttlichen Schmiede", die es in vielen Mythologien gibt, hatten damals ihre große Zeit. Entsprechend wurden Rituale als technische Vorgänge aufgefaßt, bei denen das Wissen um den regulären Ablauf den Erfolg garantierte. Amiet hat sich meines Wissens nicht mit dem Problem beschäftigt, woher die Spe zialisten rekrutiert wurden. Metallurgen haben wohl über ethnische Grenzen hinweg jene Gebiete aufgesucht, in denen sie Erzlager erkundet hatten. Experten für die Bearbeitung BoHrapa-JIeBHH/TpaHTOBCKHi} 1974, 512; 4252. 29 IloTeMKHHa/KoBajieBa 1993, 250260. 30 Mayrhofer 1994. 31 Amiet 1986. 32 Amiet 1989.
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