x e Al - r e m r ü t S a k ri E Signifikante Signaturen 2008 s Mit der Reihe »Signifikante Signaturen« stellt die Ostdeutsche Sparkassenstiftung in Zusammenarbeit mit ausgewiesenen Kennern der zeitgenössischen Kunst besonders förderungswürdige Künstlerinnen und Künstler aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt vor. In the series “Significant Signatures”, the Ostdeutsche Sparkassenstiftung, East German Savings Banks Foundation, in collaboration with renowned experts in contemporary art, introduces extraordinary artists from the federal states of Brandenburg, Mecklenburg-West Pomerania, Saxony and Saxony-Anhalt. Erika Stürmer - Alex vorgestellt von presented by Herbert Schirmer Sandstein Verlag Seite Page 2: Dame in Wut, 2008, 60 x 32 x17 cm, Plastik-Fundstücke Lady in anger, 60 x 32 x17 cm, Sculpture-found materials Das Werk von Erika Stürmer-Alex, in dem Vertrautes und Rätselhaftes eine Symbiose eingehen, ist von pluralistischer Vielfalt und Erscheinungsformen hybriden Seins charakterisiert. Im Spannungsfeld zwischen großen philosophischen Fragen, der Alltagswelt und biografischen Verläufen bewegt sie sich in einer universellen Ordnung, die stark von ihrer subjektiven Sicht darauf geprägt ist. Seit Jahrzehnten verfolgt sie in selten anzutreffender Kontinuität eine von der Realität provozierte Kom- binationskunst, in der es statt einer hierarchischen Ordnung ein vitales Miteinander unterschiedlicher Kunstrichtungen der Moderne gibt, die sie zur Konvergenz bringt. In diesem, von Überlagerungen und Durchdringung mehrdeutiger Sinnschichten strukturierten Bildkosmos, der vom Zeitgeist und Bezügen zur Mode- und Designästhetik unserer Tage ebenso lebt wie von der gelegentlichen Bana- lität der Motive, werden kunsthistorische Quellen noch einmal vergegenwärtigt – minimalistische Attitüden, Dadaismus, Popart, die Farbekstasen der Expressionisten oder die Strenge der Kons- truktivisten scheinen auf und verschränken sich zu simultanen Bestandteilen und ironischen Ver- fremdungen. Mit unterschiedlichen Bildtechniken begibt sich Erika Stürmer-Alex permanent in Reibungszonen der Wirklichkeit, um eigene Positionen im Wechsel mit allgemein existenziellen Fragen zu überprüfen, das Prozesshafte des Seins mit individueller Mythologie zu verbinden und dafür eine subjektive Zei- chensprache zu entwickeln. Darum setzt sie auf Alltägliches mit verfänglichem Hintersinn, mischt sie Visionäres in die Spielarten des Banalen und zielt, mit allem was sie tut, provozierend ins Zentrum unserer Wahrnehmung. Der offene Kunsthof Lietzen nahe Seelow steht exemplarisch für diese paradigmatische Verbindung, in der die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt kritisch befragt und in wechselnden Interessengruppen gelebt wird. Aus einem Bauernhof hat Erika Stürmer-Alex einen Ort der Kommunikation geschaffen, an dem Kunst, in der sich bestimmte Denkmodelle und intellektuelle Anforderungen wieder finden, dazu anregt, über komplizierte Zusammenhänge nach- zudenken, die mit unseren existenziellen Grundfragen mittelbar in Verbindung stehen oder andere Bezüge zu unserer Lebenswelt aufweist. In der Abkehr vom Kunstmarkt und seinen Mechanismen manifestiert sich in dem scheinbar weltabgewandten Lietzen eine Auffassung von Kunst und Leben- spraxis, die als Dialogforum funktioniert. Hier setzt Erika Stürmer-Alex auch die kunstpädagogische Arbeit mit Laien fort, die sie bereits 1968 in Rüdersdorf begonnen hat. Erika Stürmer-Alex, die bereits in den 1960er Jahren zu den Ausnahmekünstlerinnen zählt, bleiben die Idealprojektionen des sozialistischen Realismus fremd. Den Versuchungen der restriktiven sozialistischen Kulturpolitik widersteht sie, weil ihr die Forderung nach propagandistischer Wirkung der bildenden Kunst und die daraus resultierenden Ergebnisse zu nahe an den Bildfindungen der NS-Kunst waren. Zunächst begeistert für Musik, hört sie Klassik, Jazz und Beat und freundet sich mit ihrer Musiklehrerin an. Ausstellungen mit Werken von Paul Klee und den Fauves, im damals noch zugänglichen Berlin (West) werden zum entscheidenden Auslöser. Nach der Begegnung mit der in der DDR verpönten Klassischen Moderne trifft sie eine wichtige Entscheidung für die bildende Kunst, der sie schließlich den Vorzug vor der geliebten Musik gibt. Von 198 bis 1963 studiert sie an der Hochschule für Bildende und Angewandte Künste in Berlin bei Herbert Behrens-Hangeler und Kurt Robbel. Der 1898 in Berlin geborene Behrens-Hangeler, Schüler von Hans Baluschek und Lovis Corinth, gehört zu den nach 191 in der DDR diffamierten abstrakten Malern. In den 1960er Jahren unterrichtet er die ideologisch unverdächtigen Fächer Farbenlehre und Maltechnik. Seine Collagen, dadaistischen Gedichte und nonfigurativen Bilder beeinflussen Erika Stürmer-Alex ebenso wie die durch die politischen Verhältnisse erzwungenen Brüche in seiner Biografie. Nach dem Studium verabschiedet sie sich von der Dominanz der traditionellen Tafelbildnerei und bedient sich zur Verwirklichung ihrer Ideen mannigfaltiger Medien, verwendet verschiedenste vor- gefundene Materialien, die sie synthetisch bündelt. In den Assemblagen, die sie unter Einbeziehung von Objekten der Alltagskultur zu Farb- und Strukturbildern umwandelt, wird durch Verwendung von Verpackungsmaterialien der Unterschied zwischen Malerei und Skulptur aufgehoben. Die modulier- ten, zum Relief gehenden Oberflächen verstärken einerseits den haptischen Charakter dieser Ma- terialbilder und verringern andererseits den Abstand zwischen Alltäglichkeit und Kunst. Die Ausein- andersetzung mit der wahrnehmbaren Wirklichkeit und ihre künstlerische Verwandlung in vielfältigsten Facetten werden dabei sowohl von körperlich-sinnlichen Dimensionen wie von intellek- tuellen Komponenten getragen. Dass Erika Stürmer-Alex über einen ausgeprägten Hang zur Irrita- tion verfügt, wird sowohl in den Installationen deutlich, die sie als Aktions- oder als Meditationsräu- me organisiert, wie auch in den Collagen, in denen sie mit den Mythen der Moderne spielt, ohne die Stofflichkeit der Dinge zu übertünchen. Was als Malerei auf großformatige Leinwände kommt, findet seine Entsprechung in geistigen und emotionalen Prozessen, ist Spiegel künstlerischer Imagination, niemals Abbild oder Annäherung an ein solches. Hier werden auch keine Geschichten erzählt, eher werden, unterstützt von unter- schiedlichen Materialien, Gedanken, Erinnerungen und phantastische Vorstellungen visualisiert. 6 Dornröschens Schuh und Monteverdi,197, 8 x 3 x17 cm, Holz, Fundstücke, Plakatfarbe Sleeping Beauty’s Slipper and Monteverdi, 1977, 8 x 3 x17 cm, Wood, poster colour Hinzu kommt, dass es keine in sich abgeschlossene Komposition im Sinne eines erzählerischen Kontinu- ums, keine stabile Bildordnung gibt, sondern eher Bildgründe für szenische Ausschnitte, für klischeehafte Sujets, wie man sie aus Kinofilmen erinnert. Dabei tendiert die Bildsprache zum Chiffrenhaften. Im Zu- sammenspiel von signalhaft Ornamentalem – wie den seriellen Mustern früher gebräuchlichen Wand- Designs, die sie ironisierend als kleinbürgerliche Wohnzimmerästhetik zitiert – formieren sich diese Ausschnitte letztlich zu emblematischen Gemälden. In jüngster Zeit werden Fragmente alltäglicher Realität unverändert und scheinbar absichtslos nebeneinander gesetzt oder in subtile Farbfacetten zergliedert, ohne räumlichen, gedanklichen oder kompositionellen Zusammenhang, ohne Rücksicht auf Proportionen und Positionen, was gleichbedeutend ist mit der Loslösung von Subjektivität und Hinwendung zur objektiven Tatsächlichkeit des Lebens. Die formale Zerteilung zwingt zur partiellen Wahrnehmung des Ganzen, das wiederum in seinem Sinngehalt als separates Ereignis nicht zu definieren ist. So bleibt es dem Betrachter überlassen, das zugrunde liegende Denksystem zu ent- schlüsseln, die aus Spannungen und Zusammenstößen einzelner Bildteile erwachsenden Geheimnisse zu dechiffrieren. Gleichermaßen von rationaler Intelligenz wie von sinnlicher Intuition bestimmt, erscheinen auch die Zeichnungen zur Musik, in denen geometrische Strenge sich mit kalligrafischer Verspieltheit verbindet und in denen ein Dialog mit den lyrischen Abstraktionen von Cy Twombly aufscheint. Dem Werk des in Italien lebenden Amerikaners war Erika Stürmer-Alex 1988 in Venedig begegnet. Twom- blys Spontaneität des Schreibens und die stilistischen Homogenität im bildnerischen Rhythmus übten seinerzeit ebenso starken Einfluss aus wie die Stadt selbst, die Erika Stürmer-Alex, Mozart-Arien singend, durchstreifte. Mit »Mozart in Venedig« beginnt eine Serie von Acrylzeichnungen, deren rudimentär-gegenständliche Formensprache eine emotional geprägte Welt seelischer Zustände freisetzt, die in ein archetypisches Formlabyrinth mit verschlungenen Arabesken von intensiver Farbgebung verwandelt werden. Auch hier fehlen überschaubare Ordnungsprinzipien, herrscht ex- treme Offenheit im Duktus sich wiederholender flüchtiger Zeichen, die ganz aus der malerischen und zeichnerischen Gestik kommen. In den Arbeiten der letzten Jahre erinnern parabolisch ge- 7 Zehn Plastiken zu Musik von ... , 198, zu Paul Simon, 43 x 26 x18 cm, Holzabfälle, Latexfarbe Ten sculptures to music ... , 198, on Paul Simon, 43 x 26 x18 cm, Wood offcuts, latex colour schwungenen Kurven und Kreislinien an sich rhyth- misch schlängelnde, sich zusammenballende oder auseinanderstrebende Pinselspuren, die in kraftvollen wie in feinen Schwüngen als lineare Strukturen den Malgrund überziehen. Als vielschichtige Rundungen oder staccatohaft hingeworfene Farbkürzel beleben sie das Fluten der Farben, die von vibrierenden Linien in der Balance gehalten werden. Dieses komplexe Neben- und Miteinander von nüchterner Strenge und träumerischer Vertiefung, von informeller und gestueller Kunst, steigert sich schließlich zum Ausdruck musikalischer Beschwingtheit. Die intermedialen Grenzüberschreitungen von Erika Stürmer-Alex erscheinen nicht nur als Aus- druck der Verbindung von Alltagskultur und Kunst, sie machen auch zwei permanent miteinander streitende und sich ergänzende Positionen deutlich, welche sich im Miteinander von reflektierten Erfahrungen und von spontanen Einfällen, vom gedanklich Abgeleiteten mit dem sinnlich Wahrge- nommenen zu erkennen geben. Bereits 1979 kommt es während einer von ihr erzwungenen Stu- dienreise in Paris zur Begegnung mit dem Werk von Niki de Saint Phalle, eine Begegnung mit Folgen, denn beider Vorstellung von Plastik aus dem Material Styropor, die ironisch, heiter, bunt sein kann, erscheint im Rückblick wie eine Wahlverwandtschaft. Von Anbeginn gewinnt Erika Stürmer-Alex mit diesen farbintensiven Skulpturen dem synthetischen Material neue und verblüffende Eigenschaften ab, lässt sie phantastische Mischwesen entstehen, von denen nicht wenige zu monumentalen Ikonen werden. Neben diesen raumgreifenden Figurationen gewinnt die triviale Umwelt der Konsumgesellschaft, deren Sub- und massenmediale Kultur bereits die Vertreter der Pop Art für bildwürdig erachteten, zunehmend Einfluss auf ihr Schaffen. Es entsteht eine phantasmagorische Welt von quietschbunten Zwitterwesen, die den Ästhetizismus moderner Dingfetische mit satirischer Tendenz bis zur völligen Sinnentleerung kolportiert. Gerade die Transfiguration alltäglicher Objekte zwischen Kitsch und Ex- klusivität erzeugt eine künstliche Verlebendigung, in der das Alltägliche plötzlich verrätselt und poe- tisch verfremdet sichtbar wird. Im spielerischen Umgang entwickelt sie, gepaart mit Sinn für Witz und Skurrilitäten, für Illusion und Desillusion, eine unbändige Lust, neue ästhetische Wahrnehmungs- formen auszuloten. Sich mit eingespieltem Rezeptionsverhalten auseinandersetzen, das ihrem Werk 8 zugrunde liegende Denksystem zu entschlüsseln und Symbole für Simultaneität des Lebens zu er- kennen, diese Vorgänge münden in der Herausforderung, Kunst auch unter sozialen Gesichtspunk- ten zu betrachten. Ohne zu moralisieren oder die Weltverbesserin zu geben, lädt Erika Stürmer-Alex dazu ein, die Grenzen des Angepassten zu überschreiten, im Crossover von Design, Architektur, Kunstdiskurs und Popkultur eine von ethischen wie von ästhetischen Fragen gleichermaßen bestimm- te Kunstpraxis zu entdecken, in der normiertes Verhalten hinterfragt und als Alternative dazu ein humanes Experiment mit ungewissem Ausgang angeboten wird. Herbert Schirmer The Work of Erika Stürmer-Alex, in which the familiar and the mysterious collude in a symbiosis, is characterised by pluralistic abundance and the apparitional forms of hybrid being. In the potential field between important philosophical questions, the everyday world and biographical cycles, she moves within a universal order, strongly conditioned her subjective view of the whole. For decades she has been pursuing a combinatorial art conception provoked by reality, with a continuity that we rarely encounter, in which instead of a hierarchical order, a vital coexistence of differing artistic di- rections issuing from modernism holds sway, whe she brings into convergence. In this image cosmos structured by superimpositions and the interpenetration of ambivalent levels of meaning, which lives just as much on the spirit of the age, with references to fashion- and design aesthetics of the day, as it does on the occasional banality of the motifs, art historical references are also contemporised once more – minimalistic attitudes, Dadaism, pop art, the colour ecstasies of the Expressionists, the austerity of the Constructivists materialise and interlock into simultaneous components and ironic alienating ploys. Using differing imaging techniques Erika Stürmer-Alex permanently goes into the fray in the abrasive zones of reality, testing her own positions in alternation with wider existential questions, combining the process-orientatedness of being with individual mythology, and developing a subjective symbolic language expecially for this. This is the reason why she bets on everyday phe- nomena with insiduous concealed meaning, mixing the visionary with the ways in which the banal plays itself out and aiming provacatively with everything that she does, into the centre of our percep- tion. Kunsthof Lietzen, a country estate openly conceived for art near to Seelow, is exemplary for such paradigmatic combinations, in which the relationship between man and the environment is critically questioned and tested out by differing interest groups from their life situations. Out of an 9
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