K S Barbara Sigge • Entbehrung und Lebenskampf ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 213 begründet von Klaus Schwarz herausgegeben von Gerd Winkelhane KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 213 Barbara Sigge Entbehrung und Lebenskampf Die Autobiographie des marokkanischen Autors Mohamed Choukri K KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN • 1997 S Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sigge, Barbara: Entbehrung und Lebenskampf: die Autobiographie des marokkanischen Autors Mohamed Choukri / Barbara Sigge. - Berlin : Schwarz, 1997 (Islamkundliche Untersuchungen ; Bd. 213) ISBN 3-87997-264-8 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk oder einzelne Teile daraus nachzudrucken oder zu vervielfältigen. © Gerd Winkelhane, Berlin 1997. Klaus Schwarz Verlag GmbH, Postfach 41 02 40, D-12112 Berlin ISBN 3-87997-264-8 Druck: Offsetdruckerei Gerhard Weinert GmbH, D-12099 Berlin ISSN 0939-1940 ISBN 3-87997-264-8 Inhalt 1 Einleitung 1 1.1 Zum Aufbau und Inhalt der Arbeit 1 1.2 Bemerkungen zur Übersetzung und Transkription 5 2 Der Autor und sein Werk 6 2.1 Der Autor 6 2.2 Das Werk 6 3 Al-fjubz al-häfi und Zaman al-'ahtä': eine "romanhafte Pikaro- autobiographie" 10 3.1 Der "autobiographische Pakt" Choukris mit dem Leser 10 3.2 Das Fiktionale in Choukris Autobiographie 14 3.3 Das Pikareske in Choukris Autobiographie 17 4 Zur Bedeutung von Choukris Autobiographie in der maghrebinischen und arabischen Literatur 22 4.1 Choukri und Al-hubz al-häfi als "Phänomen" 22 4.1.1 Al-hubz al-häfi als Sonderfall in der maghrebinischen Literatur ...23 4.1.2 Al-hubz al-häfi als Sonderfall in der arabischen Autobiographik ...26 4.2 Zaman al-'ahtä' als Nachfolgewerk von Al-hubz al-häfi 31 5 Entstehungsumfeld und Entstehungsgeschichte von Al-hubz al-häfi 33 5.1 Die internationale Künstlerszene in Tanger als Entstehungsumfeld....33 5.1.1 Die Faszination Tangers für die internationale Künstlerszene 33 5.1.2 Choukris Kontakte zur internationalen Künstlerszene und ihre Bedeutung für sein Werk 38 5.2 Die besondere Rolle von Paul Bowles bei der Entstehung von Al-frubz al-häfi 40 5.2.1 Bowles' Verhältnis zur marokkanischen Kultur 40 5.2.2 Die Übersetzungen marokkanischer Erzählungen durch Bowles 42 5.2.3 Die Entstehung und Übersetzung von Al-hubz al-häfi 46 5.2.4 Exotismus in der 'westlichen' Rezeption von Al-hubz al-häfi 53 6 Zur Darstellung von Entbehrung in Al-hubz al-häfi und Zaman al-'atftä' 56 6.1 Entbehrung als dominierendes Element des Lebensraumes 57 6.1.1 Armut und Hunger als individuelle Erfahrung materieller Entbehrung 59 6.1.2 Entwurzelung, Diskriminierung und Ausbeutung als Begleit- erscheinungen materieller Entbehrung 63 6.1.3 Gewalt als Folge von Entbehrung und Hindernis der Befreiung 65 6.1.4 Unwissenheit und Analphabetentum als geistige Dimension von Entbehrung 69 6.2 Entbehrung als Komponente der Textstruktur in Al-hubz al-fjäff 71 7 Zur Darstellung des Lebenskampfes in Al-hubz al-häfT und Zaman al-'ahtä' 76 7.1 Die Überlebensstrategien des Helden und ihre Funktionen im Lebenskampf 76 7.1.1 Geduld als mögliche Strategie des Ertragens 76 7.1.2 Phantasien als Kompensation, Bewältigung und Vergessen 79 7.1.3 Flucht und Vagabundentum als Abwendung der Todesgefahr und Erschließung neuen Lebensraumes 86 7.1.4 Gegenmoral als Legitimation, Lebensprinzip und Provokation 90 7.1.5 Sexualität als ontologische Bestätigung, Feier des Lebens und Suche nach Nähe 96 7.1.6 Gewalt als Verteidigung, Selbstbehauptung und Rausch 102 7.1.7 Bildung als Befreiung, Suche und Herausforderung 107 7.2 Das Scheitern an der Last der Vergangenheit 112 8 Vom Lebenskampf des Helden zum Lebenskampf des Autors im Schreiben 118 9 Al-hubz al-häfT und Zaman al-'ahtä' als Dokumente eines erfolg- reichen Lebenskampfes? 124 10 Literaturverzeichnis 127 10.1 Primärliteratur 127 10.2 Weitere Werke des Autors 127 10.3 Übersetzungen 127 10.4 Sekundärliteratur 128 10.5 Index 135 1 1 Einleitung 1.1 Zum Aufbau und Inhalt der Arbeit Mohamed Choukri [Muhammad Sukri] ist seit seinen ersten Veröffentli- chungen einer der umstrittensten Schriftsteller der arabischsprachigen Literatur. Dazu tragen maßgeblich sein ungewöhnlicher Aufstieg vom Straßenjungen zum Autor und die Wahl eines Lebens am Rande der Ge- sellschaft zum Thema seiner Literatur bei. Mit der Autobiographie Al- hubz al-häfi hat Choukri ein Werk geschaffen, in dem seine von Ent- behrung und Gewalt geprägte Jugend in den Straßen, Bars und Bor- dellen von Tanger und Tetouan in einer für die arabische Literatur ungewöhnlichen Offenheit dargestellt ist.1 Choukri hat sich damit in vieler Hinsicht über die Tabus der arabischen Literatur hinweggesetzt. Mit Zaman al-'ahtä' hat Choukri sein autobiographisches Werk fortge- setzt.2 Bei der ersten Lektüre von Al-hubz al-häft schwankte meine Reaktion zwischen Abgestoßensein und Faszination. Als abstoßend empfand ich sowohl die Lebensbedingungen des Helden als auch einige der Mittel, mit denen er sich überleben und Gen uß garantiert. Die Faszination be- ruhte auf dem außerordentlichen Willen des Helden, das Leben gegen alle lebensfeindlichen Umstände nicht nur zu verteidigen, sondern le- benswert zu gestalten. Eine besondere Spannung bezieht Al-hubz al- häfi darüberhinaus aus seinem autobiographischen Charakter. Held und Autor scheinen als Einheit. So vermittelte der Text den Eindruck äußerster Authentizität. Aus der Polarität zwischen Abstoßendem und Faszinierendem in diesem Text entwickelte sich die Themenstellung der vorliegenden Arbeit. Sie umfaßt folgende Schwerpunkte: - Der Lebensraum des Helden. Er ist vorläufig mit dem Be- griff Entbehrung charakterisiert. 1 Sukri, Muhammad: Al-Ijubz al-hafT. Sira datiya riwä'Tya 1935-1956. London [o.J.]. Das Buch ist in Marokko verboten, daher lag mir die marokkanische Ausgabe nicht vor. Der Titel wird im folgenden als Hubz zi ti ert. 2 Sukn, Muhammad: Zaman al-'ajita1. Sira datiya riwa'lya. [o.O.] 21992. Der Titel wird im folgenden als Zaman zitiert. 2 - Die Lebensstrategien des Helden. Sie sind unter dem Be- griff Lebenskampf zusammengefaßt. - Das autobiographische Moment. Im folgenden werden diese Schwerpunkte unter Erläuterung der metho- dischen Vorgehensweise kurz umrissen. Als Textgrundlage habe ich die gesamte Autobiographie Choukris in ih- ren beiden Teilen Al-hubz al-häff und Zaman al-'ahtä' gewählt. Aus der Entwicklung der Fragestellungen anhand der Lektüre von Hubz ergibt sich, daß dieser Teil der Autobiographie im Vordergrund steht. Um den Rahmen der Arbeit in angemessenen Grenzen zu halten, wurde auf eine Einbeziehung weiterer Texte aus dem Werk Choukris verzichtet. Die vorliegende Arbeit gibt zunächst allgemeine einführende Informatio- nen zu Autor und Werk. Dem schließen sich Vorüberlegungen zum Ver- hältnis von Autobiographischem und Fiktionalem in Choukris "romanhafter Autobiographie", wie es im Untertitel beider Textteile heißt, an. Vor dem Einstieg in die inhaltliche Analyse wird ausführlich die Entstehung des Werkes und seine Bedeutung dargestellt. Die Not- wendigkeit einer solchen Kontextualisierung für ein umfassendes Ver- ständnis des Werkes ergibt sich aus der Sonderposition, die Choukri innerhalb der arabischen wie der marokkanischen Literatur einnimmt und aus der besonderen Entstehungsgeschichte von Hubz. Die im Kontext der arabischen Literatur ungewöhnliche Offenheit der Darstellung in Choukris Werk wirft die Frage nach den Umständen auf, die eine solche untypische Literatur hervorgebracht haben. Mohamed Choukris Werk ist ohne die Stadt Tanger und ihren kosmopolitischen Charakter als Mittelpunkt einer Künstlerelite kaum denkbar. Choukri hat dies immer wieder betont. Eine besondere Rolle für die Entstehung von Hubz spielt der amerika- nische Schriftsteller Paul Bowles, der den Text kapitelweise ins Engli- sche übertrug, noch bevor der gesamte Text geschrieben war. Mohamed Choukri hatte vor dem Verleger Peter Owen behauptet, seine Autobio- graphie bereits geschrieben zu haben, bevor er ein einziges Wort da- von zu Papier gebracht hatte. Aus dieser ungewöhnlichen Entstehungs-