BAYERISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE SITZUNGSBERICHTE • JAHRGANG 1964, HEFT 6 HEINRICH BECK Einige vendelzeitliche Bilddenkmäler und die literarische Überlieferung Mit 3 Tafeln Vorgelegt von Herrn Joachim Werner am 7. Februar 1964 MÜNCHEN 1964 VERLAG DER BAYERISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN In Kommission bei der C.H. Beck’schen Verlagsbuchhandlung München Druck der C. H. Beck’schen Buchdruckerei Nördlingen Printed in Germany JL)ie zwischen Völkerwanderungszeit und Wikingerzeit liegende Epoche nordgermanischer Geschichte wird nach dem reichen Fundkomplex der Bootgräberfelder von Vendel, Valsgärde und Ultuna, in der schwedischen Landschaft Uppland, Vendelzeit genannt. Die figurengeschmückten Preßbleche der hier gefun- denen Helme stellen hervorragende Quellen der germanischen Altertumskunde dar, um deren Deutung die frühgeschichtliche Archäologie ebenso ringt wie die Religions- und Kulturge- schichte.1 Das bedeutendste dieser Gräberfelder, das von Vendel, wurde 1881-83 unter Leitung von Hjalmar Stolpe ausgegraben. Den ersten Bericht über die zutage geförderten Denkmäler gab Stolpe in der „Antiqvarisk Tidskrift för Sverige“ 8.2 In der gleichen Nummer schloß der damalige Reichsantiquar Hans Hildebrand an Stolpes einführende Übersicht die ersten Bemerkungen über Bedeutung und Einordnung der Vendelfunde an3 und brachte bereits die ersten bildlichen Wiedergaben der Preßbleche aus dem Vendelgrab Nr. I.4 Die grundlegende Materialpublikation folgte 1912 durch T. J. Arne, der dazu die Vorarbeiten des 1905 verstorbenen H. Stolpe benützte.5 Das Vendelgrab Nr. I, ein von Nordosten nach Südwesten orientiertes Bootsgrab mit Skelettbestattung, enthielt im südwest- lichen Teil des Bootes reiche Tierbeigaben: drei Pferde, einen Hammel, ein Rind, drei Hunde, ein Schaf, eine Gans und ein junges Schwein. Die Waffen des Toten waren im nordöstlichen Teil beigesetzt: Fragmente vom Helm, von zwei Schwertern und der Schildbuckel sind erhalten. Die den Helm friesartig um- gebenden Bildszenen sollen hier Gegenstand der Betrachtung sein. 1 Professor J. Werner, München, hatte die Freundlichkeit, diese Arbeit im Manuskript zu lesen und in wiederholten Gesprächen die Konsequenzen auf- zuzeigen, die sich aus dem Bildmaterial ergeben. Die vorliegende Interpreta- tion empfing davon entscheidende Richtungsweisungen. 2 Stockholm, 1884-91, p. 1-34. 3 ibid. p. 35-64. 4 ibid. p. 40, Abb. 4 und 5. 5 H. Stolpe, T. J. Arne, Graffältet vid Vendel, Stockholm 1912. 4 Heinrich Beck P. E. Schramm hatte zur Erforschung des symbolischen Wer- tes mittelalterlicher Herrschaftszeichen das Beschreiten dreier methodischer Wege gefordert:1 die Sammlung der „Denkmale“, das Heranziehen der „Bildzeugnisse“ und die Ergänzung durch die „Wortzeugnisse.“ Es ist augenscheinlich, daß die genannten Bilddenkmäler von Vendel nicht in den Bereich einfacher Abbilder gehören, sondern Sinnbilder sind und damit in ihrem Zeichencharakter einer Inter- pretation bedürfen, wie sie P. E. Schramm für mittelalterliche Herrschaftszeichen durchgeführt hat.2 Die Sammlung der in den Motivbereich der Vendelbilddenkmäler gehörenden Sinnbilder soll im folgenden allein die Voraussetzung abgeben, den dritten von P. E. Schramm geforderten methodischen Weg zu beschrei- ten: die Ergänzung durch die „Wortzeugnisse“. Drei Motive sind auf den Preßblechen des Helmes aus dem Vendelgrab I zu unterscheiden: Motiv Nr. I: Ein berittener Krieger setzt die Lanze gegen eine sich hochringelnde Schlange an.3 Der Reiter trägt einen runden Schild. Der Scheitelkamm des Helmes endet in einem weit vor- ragenden Vogelkopf. Ein Vogel fliegt dem Reiter voraus, ein zweiter folgt ihm nach. Nach seiner ikonographischen Gestalt stimmt der vorausfliegende Vogel annähernd mit dem helmkrö- 1 P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, Bd. III. Stutt- gart 1956, p. 1065 f. 2 Jan de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte, Berlin 1956/57 (= Grundriß der Germanischen Philologie 12/I und II),§335,bemerktzu den Bronzeplatten von Vendel und den Stanzen von Torslunda: „Daß diese Bilder nicht der Wirklichkeit entnommen sind, sondern einen mythischen oder kul- tischen Sinn gehabt haben müssen, dürfte wohl jedem einleuchten.“ 3 Die Termini zur Bezeichnung dieses Tiersignums wechseln. Eine gemein- germanische Benennung ist „Wurm“: an. ormr, got. waurms, ahd. wurm. Weniger verbreitet, aber ebenso gemeingermanisch ist die Bezeichnung an. nadr(a), got. nadrs (belegt ist nur der gen. pl. nadre), ahd. nat(a)ra. Die übri- gen Schlangenbezeichnungen des Altnordischen, das hier insbesondere als Quelle benützt wird, sind zum Teil Lehnwörter aus dem Deutschen (wie an. slangi), zum anderen Teil (letztlich) Entlehnungen aus dem Lateinischen (wie an. dreki). Vgl. dazu Friedrich Wild, Drachen im Beowulf und andere Dra- chen, Wien 1962 (Sitzungsberichte der Österr. Akademie d. Wiss., Phil. hist. Kl. 238, 5), p. 10 f. Otto Höfler, Siegfried, Arminius und die Symbolik, in: Festschr. für Franz Rolf Schröder, hrsg. W. Rasch, Heidelberg 1959, p. 97. Einige vendelzeitliche Bilddenkmäler und die literarische Überlieferung 5 nenden Raubvogel überein (beide zeigen stark gekrümmte Raub- vogelschnäbel). Vgl. Taf. 1,1. Motiv Nr. II: Ein berittener Krieger führt waagrecht über der Schulter eine Lanze. Ein mächtiger Eber krönt den Helm. Eine kleine Gestalt mit zum Reiter hochgewandtem Kopf führt das Pferd am Zügel. In der Linken hält diese zügelführende Gestalt eine Lanze. Zwei Vögel folgen dem berittenen Krieger. Die iko- nographische Verwandtschaft von Motiv I und II ist deutlich. Vgl. Taf. 2,1. Motiv Nr. III: Ein massiges, hochaufgerichtetes Tier wendet sich mit erhobener Pranke und vorgestreckter Zunge gegen einen Mann, der das Tier an einer Kette (oder einem Seil) hält. Der unbehelmte Mann, in Frontalansicht gezeigt, trägt in der linken Hand eine Axt. Vgl. Taf. 1,2. Stolpe-Arne datieren das Vendelgrab Nr. I in die letzte Hälfte des 7. Jahrhunderts.1 Für alle drei Motive lassen sich Parallelen aufweisen, die diesen Darstellungen typenmäßigen Charakter verleihen. Das Motiv I, den lanzenführenden Reiter, haben H. Kühn, W. Holmqvist und andere Forscher auf Grund des sinnbildhaften Gehaltes der Szene in die Reihe der Reiterscheiben der Völker- wanderungszeit und des Reitersteines von Hornhausen gestellt.2 Aus Kühns Liste der Lanzenreiter, die nach ihm auf das süddeut- sche Gebiet beschränkt sind, ließe sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Scheibe von Seengen (7. Jahrhundert) anführen. Hier liegt die Schlange in vielfachen Windungen rund um den in der Mitte des Bildfeldes auf galoppierendem Pferd dargestellten Reiter.3 H. Kühn hatte es als nicht erkennbar bezeichnet, ob der 1 Stolpe-Arne, Graffaltet, p. 13. B. Almgren (Romerska drag i nordisk figur- konst frän folkvandringstiden, in: Tor, Meddelanden frän Uppsala Univer- sitets Museum för nordiska fornsaker 1948, p. 85, p. 87) dagegen führt diese Preßblechdarstellungen, besonders die aus dem Vendelgrab Nr. XIV, zusam- men mit den Torslundaprägeplatten bis in die Zeit um 500 zurück. 2H. Kühn, Die Reiterscheibender Völkerwanderungszeit, in: Ipek 12, 1938, p. 108. W. Holmqvist, Kunstprobleme der Merowingerzeit, Stockholm 1939 (Kungl. Vitterhets Historie och Antikv. Akademiens Handlingar, Del 47) p. 110 ff. 3 Kühn, Reiterscheiben, p. io3f.,Tafel 47, Nr. 29. Prof. J. Werner macht mich freundlicherweise darauf aufmerksam, daß die Reiterscheibe von Seengen (Kt. 6 Heinrich Beck Reiter bewaffnet ist. K. Hauck vermochte jedoch in einer Neu- untersuchung in der linken Hand des Reiters (man habe mit einem verlorenen, die Szene seitenrichtig wiedergebenden Pen- dant zu rechnen) ein Schwert zu sehen und bezeichnet die silberne Phalera von Seengen als „auf dem Kontinent im germanischen Bereich die älteste Schilderung eines Drachenbesiegers in einem vorchristlichen Denkmälerkreis.“1 In diesen Zusammenhang wird auch der Reiterstein von Hornhausen gerückt. In einem Bildfeld unter dem mit Speer und Schild bewaffneten Reiter rin- gelt sich eine (im Stil II) stilisierte Schlange.2 Über die formale Herkunft des Motives werden verschiedene Meinungen geäußert. Es sei auf die genannten Darstellungen verwiesen.3 Das Motiv II (Reiter mit zügelführender Gestalt) findet sich auch auf anderen Denkmälern germanischer figürlicher Kunst, zum Beispiel auf der Brakteatenfibel von Pliezhausen (Taf. 3,2),4 dem Helm von Sutton Hoo (Taf. 3, l)5 und dem Helm von Vals- gärde 8 (Taf. 2,2).® Das Motiv besteht aus folgenden Einzelheiten: Aargau) nur mit Vorbehalt als vorchristl. Denkmal bezeichnet werden dürfe. Die ins 7. Jh. gehörige Scheibe verlange möglicherweise bereits christl. Deutung. Vgl. J. Werner, Der Fund von Ittenheim, Straßburg 1943, p. 27 mit Anm. 99. Das gleiche Motiv findet sich auf einer Brakteatenfibel von Straßburg, bei der der Glorienschein um das Haupt des Reiters und die kreuzgeschmückte Lanze, die den Wurm durchbohrt, keinen Zweifel an dem christlichen Gehalt dieser Szene lassen. Vgl. dazu W. Holmqvist, Bidrag tili frägan om de nordiska guldbrakteaternas ikonografi (in: Kulturhistoriska studier tillägnade Nils Äberg, 1938), p. 133. 1 K. Hauck, Alemannische Denkmäler der vorchristlichen Adelskultur, in: Zeitschrift f. Württembergische Landesgeschichte 16 (1957), p. 10 f. Vgl. auch Holmqvist, Kunstprobleme, p. 119. 2 Holmqvist, Kunstprobleme, p. 122. 3 Kühn, Reiterscheiben, p. 110 ff., Holmqvist, Kunstprobleme, p. 110 ff. W. Holmqvist, Zur Herkunft einiger germanischer Figurendarstellungen der Völkerwanderungszeit, in: Ipek 12 (1938), p. 87 ff. Hauck, Alemannische Denkmäler, p. 12, Anm. 20. K. Tackenberg, Über einige wenig bekannte Reiterscheiben, in: Germania 28, 1944-50, p. 250 ff. 4 Hauck, Alemannische Denkmäler, Fig. 2. 5 R. L. S, Bruce-Mitford, The Sutton-Hoo Ship-Burial: A Provisional Guide, London 1956, p. 25, Fig. 7. 6 G. Arwidsson, Valsgärde 8, Uppsala 1954, Acta Musei Antiquitatum Sep- tentrionalium Regiae Univ. Uppsaliensis IV, Abb. 78 und 79. Einige vendelzeitliche Bilddenkmäler und die literarische Überlieferung 7 1. Ein Reiter auf einem in Laufstellung dargestellten Pferd führt eine Lanze waagrecht über der Schulter. Der Reiter trägt einen Schild. 2. Eine kleine menschliche Gestalt geleitet diesen Reiter. Sut- ton Hoo, Pliezhausen und Valsgärde 8 stimmen darin überein, daß diese Figur hinter dem Reiter auf dem Pferderücken in Sprung- oder Tanzstellung die Lanze mitführt. Auf dem Vendel- preßblech hält diese kleine Gestalt, den Kopf zum Reiter zurück- wendend, die Zügel des Pferdes. Valsgärde 8 zeigt sowohl die hinter dem Reiter postierte als auch die zügelführende Gestalt. Die Vendel- und Valsgärdefigur trägt eine emporgerichtete Lanze, die Figur von Pliezhausen einen Schild. An differierenden Ein- zelheiten sind festzuhalten: Pliezhausen und Sutton Hoo zeigen, unter dem Kopf und Vorderleib des Pferdes liegend, einen Krie- ger, der sein Schwert in den Vorderleib des Pferdes stößt. Vals- gärde weicht insofern ab, als der Krieger, hier unter dem Bauch des Pferdes liegend, ihm das Schwert von unten in den Leib stößt. Die Lanze der Brakteatenfibel von Pliezhausen endet - wenn die Neuuntersuchung K. Haucks richtig ist - in einem Raubvogelkopf.1 Die entsprechenden Details von Sutton Hoo und Vendel sind zerstört. Allein der Reiter des Vendelpreß- bleches trägt einen Eberhelm. Ebenso sind die dem Reiter fol- genden Vögel allein auf dem Vendelpreßblech zu finden. Den Helm des Valsgärdekriegers krönt ein Raubvogel. Über die mo- tivliche Einheitlichkeit dieser figürlichen Darstellungen aus dem nordgermanischen, dem angelsächsischen und dem alemanni- schen Stammesgebiet kann kein Zweifel bestehen: ein in voller Rüstung offensichtlich in den Kampf ziehender Reiter wird von einem kleinen menschengestaltigen Wesen nicht nur begleitet, sondern geleitet. Dieses Geleiten bedeutet ein Führen und Len- ken von Pferd und Waffe. Die Besonderheit dieser Geleitgestalt wird durch deutlich unterproportionierte Maße besonders her- vorgehoben. 1 Hauck, Alemannische Denkmäler, p. 6. Der Brakteat zeigt außerdem in einem oberen Bildfeld zwei antithetischangeordnete Löwen. Vgl. dazu Kühn, Reiterscheiben, p. 112. J. Werner, Der Fund von Ittenheim, Straßburg 1943, p. 27. 8 Heinrich Beck Das Motiv III (der axttragende Krieger mit dem gefesselten Untier: Taf. 1,2) kehrt wieder in einer der Stanzen von Torslunda (Taf.1,3). Die eindeutige Verwendung der Stanzen von Torslunda zur Herstellung von Helmblechen berechtigt, sie als Parallelen zu den Vendelhelmblechen anzuführen. Der axttragende Tierbändi- ger von Torslunda trägt jedoch im Unterschied zur entsprechenden Gestalt des Vendelbleches eine knöchellange Hose, sein Oberkörper ist nackt. Eine zweite Stanze von Torslunda ist diesem Motiv nur mit dem Hinweis auf bedeutsame ikonographische Abwei- chungen anzuschließen: Ein Krieger wird rechts und links von zwei aufgerichteten Untieren flankiert. Die Beinhaltung des Kriegers läßt an eine Sprung-, Lauf- oder Tanzstellung denken. Mit der Rechten bohrt er dem einen Tier das Schwert in den Leib, die Linke hält ein dolchartiges Messer. Die Stilisierung der flan- kierenden Tiere deutet wohl am ehesten auf Bären hin.1 Das Mo- tiv des Mannes zwischen zwei Untieren findet sich zweimal auf dem Deckel der „purse“ von Sutton Hoo, jedoch ohne die Be- waffnung des Mannes mit Schwert und Dolch. R. A. Hodgkin nennt diese Szene “a translation into cloisonné jewellery of a scene that belongs to Swedish figurai art of the Vendel period, known chiefly from Swedish helmets“.2 Die bisherigen Interpretationen haben diese bedeut- samen figürlichen Darstellungen in ihrer Gesamtheit oder in ein- zelnen Motivteilen eingeordnet in den Götter- und Heroenbereich, das heißt dem Göttermythos und der heroischen Dichtung und Sage zugeschrieben. Diese beiden Zuordnungen seien der Reihe nach auf ihre Tragfähigkeit hin beurteilt.3 1 Eric Graf Oxenstierna, Die Nordgermanen, Stuttgart 1957, Tafel 75, spricht von dem „Bärentöter von Torslunda“. Auch de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte, § 335, nennt das Tier „einem Bären ähnlich“. 2 R. A. Hodgkin, A History of the Anglo-Saxons, Bd. II, ai952, London, p. 721. 3 Die Rechtfertigung einer solchen Einordnungder Vendelmotiveinden Göt- ter- oder Heroenbereich der altnordischen literarischen Überlieferung hat sich freilich der Tatsache bewußt zu bleiben, daß auch dieser Überlieferungs- zweig lückenhaft ist. Die Gegenüberstellung hat in jedem einzelnen Fall zu zei- gen, was sie zur Interpretation beitragen kann. Dort, wo auf diese Weise eine Erhellung des Bilddenkmales gelingt, hat sie freilich größeres Gewicht als Hy- pothesen, die mit Vorstufen und Varianten von Sagen und Mythen arbeiten.