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ein Tempel der Erinnerung an Deutschlands großen Dichter PDF

36 Pages·2009·0.58 MB·German
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40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 40 Das kulturhistorische Archiv von Weimar–Jena 2/1 (2009) S. 40–75 ©Verlag Vopelius http://www.verlagvopelius.eu „...ein Tempel der Erinnerung an Deutschlands großen Dichter“ Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007. Gründung und Geschichte des ersten deutschen Literaturmuseums (Teil II) von Paul Kahl II. Die Gründung des Museums 1847 Charlotte v. Schiller bewohnte das Haus nach Schillers Tod 1805 weiter als des- sen „heiliges Andenken“, und bereits zu ihren Lebzeiten wird das Haus wie eine Gedenkstätte besucht: „Ich habe es [das Haus] doch vor Gewaltthätigkeiten bewahrt und unter Schillers Bild wie an einen Altar mich geflüchtet. Alle Nationen sind zu mir gekommen, um das Haus zu sehen; aus dem innern Rußland kamen Officiere und wollten Bücher haben, die er geliebt und gebraucht hätte. […] Preu- ßen, Liefländer, Oesterreicher kamen zu mir und weinten mit mir“.49 Charlotte v. Schiller formuliert damit selbst die später im neunzehnten Jahrhundert weit aus- greifende kulturprotestantische Schillerverehrung in säkularisierten Begriffen des christlichen Gottesdienstes,50 und bereits weniger als ein Jahrzehnt nach Schillers Tod ist das Haus offenbar ein wallfahrtsähnliches Ziel, das über den deutschen Sprachraum hinaus ausstrahlt und das Bedürfnis nach berührbarer Nähe hervorruft („Bücher …, die er ... gebraucht hätte“). Dennoch geht man mit Haus und Gegen- ständen zunächst auch pragmatisch um. Gleich nach Schillers Tod erhielt Heinrich Voß d.J. Schillers Pfeife und Stehpult zum Geschenk, und der Wert des Stehpultes ist offenbar auch ein praktischer; Voß gebraucht es täglich, um nicht sitzen zu müs- sen.51 Einige Räume des Hauses wurden vermietet.52 Die Hauslehrer Friedrich August Ukert und Bernhard Rudolf Abeken wohnten vorübergehend in Schillers Arbeitszimmer, wie aus Abekens Briefen hervorgeht;53dann 1823 bis 1826 Bertha von Brawe als Mieterin und Freundin von Charlotte v. Schiller; sie hat später Ein- drücke aus Haus und Familie in ihren Erinnerungen festgehalten (vgl. unten Doku- ment Nr. 2).54 Nach Charlottes Tod 1826 ging das Haus in fremden Besitz über:55 Ihre Kinder verkauften es für 4160 Taler an den Garteninspektor Johann Christoph Weise.56Charlotte v. Schiller hatte Weimar 1824 verlassen, um ihre Söhne zu besu- chen, und starb 1826 in Bonn. Keines ihrer Kinder hat das Haus für sich genutzt. Zeugnisse für die Zeit Weises gibt es nur wenige. 1827 weilte LudwigI. von Bayern in Weimar; am 29. August besuchte er mit Kanzler von Müller die vermieteten Räume des Schillerhauses und deklamierte dort aus Schillers Werken57(er besichtig- te am gleichen Tag auch Schillers damals in der Bibliothek niedergelegten Schä- del58). Karl Gräbner vermerkt in „Die Großherzogliche Haupt- und Residenz-Stadt DOI:10.2371/DgS2/1/2009/29 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 41 Paul Kahl(cid:1)Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007 41 Weimar, nach ihrer Geschichte und ihren gegenwärtigen gesammten Verhältnissen dargestellt. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde“ (Erfurt 1830), die Espla- nade sei „für den Fremden deshalb besonders merkwürdig, weil in der Mitte dersel- ben das anspruchlose Wohngebäude steht, wo einst Schiller lebte und wirkte, und jetzt im Besitz des Ingenieur-Geograph, auch Gartenbau-Inspektor Weise ist“ (S. 68).59 1847 ergab sich nach dem Tod der Witwe Weises für die Stadt Weimar die Gele- genheit, das Haus zu kaufen (vgl. Dokument Nr. 7)60 – ein Jahr nach der Anbin- dung Weimars an das entstehende Eisenbahnnetz61und ein Jahr vor der Revolution von 1848.62Stadtdirektor Karl Georg Hase beschreibt das Anliegen zuerst in einem Schreiben vom 28. April 1847 an den Weimarer Verlagsbuchhändler Bernhard Friedrich Voigt (1787–1859), um für die Unterstützung der deutschen Buchhänd- ler zu werben (vgl. Dokument Nr. 6). Karl Georg Hase ist der Gründer des Schillerhauses als Museum, Hases Schrei- ben an Voigt eines seiner Gründungsdokumente. Entscheidend sind der städtisch- bürgerliche Anstoß, dem in Marbach zwölf Jahre später vergleichbar, die memo- rial-kunstreligiöse Einrichtung – namentlich in Schillers Arbeitszimmer – und die Überlegung, das Gedenken mit Kunstförderung zu verbinden, die später in der Schiller-Stiftung Gestalt gewann. Voigt antwortete am 2. Mai 1847 abschlägig. Der Stadtrat machte sich aber beherzt zum Anwalt der Sache. Schon am 4. Juni 1847 heißt es in den Protokollen über die Stadtratssitzungen: „Nach mehrfachen Ver- handlungen über die Frage, ob die Kommune eine Verpflichtung zum Ankauf die- ses Hauses habe, wurde der dagegen gemachten Bedenken hinsichtlich der Mittel dazu, ungeachtet mit Stimmenmehrheit der Beschluß gefaßt, eine Kommission zu ernennen, welche die Aufgabe haben soll, dahin zu wirken, daß das Schiller’sche Haus nicht in Privathände gelange und äußersten falls für die Kommune erworben werde. In diese Kommißion wurden der Herr Stadtdirektor Hase, der Herr Stadt- verordnete Horny und der Herr Bezirksvorsteher Heyer erwählt.“63 Die Besichti- gung und Instandsetzung des Hauses werden vorgesehen, „Ein Bauaufwand von über 800 Reichstalern“64eingeplant. Am 29. Juni 1847 fand die Versteigerung statt: „Bei dem heutigen öffentlichen Verkaufe des Schillerschen Hauses hat Herr Stadt- direktor Hase Namens des Stadtraths das höchste Gebot von 5025 Reichsthalern gethan, der Zuschlag ist jedoch noch nicht erfolgt, da sich die Verkäufer eine acht- tägige Bedenkzeit ausbedungen haben.“65 Bereits am 8. Juli wird die Weimarer Sparkassenverwaltung um ein Darlehen von 5000 Reichstalern gebeten (vgl. unten Dokument Nr. 13). Nachträglich geschieht eine Abstimmung mit der Großherzoglichen Landesdirektion, die nicht ihrerseits einen Ankauf des Hauses beabsichtigte, sondern nur auf Anfrage das Vor- gehen des Stadtrates ausdrücklich genehmigte und auch würdigte.66 Am 14. Juli 1847 verkündet die „Weimarische Zeitung“ (Nr. 56) dann: „Das ehemalige Wohn- haus Schillers in der Esplanade ist auf dem Wege der Versteigerung in das Eigen- thum der Stadt übergegangen. Der Stadtrath, dem man diese, uns und einen unse- rer größten Dichter ehrende Entschließung verdankt, wird es möglichst wieder so herrichten lassen, wie es zur Zeit seines frühern Bewohners ausgesehen hat, und eine Sammlung von Gegenständen darin aufstellen, welche unzweifelhaft im Besit- ze Schillers gewesen sind.“ Die große Stadt 2/1(2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 42 42 EDITIONUNDDOKUMENTATION Schon vor dem Vollzug des Kaufes beginnt man mit Überlegungen zur Gestal- tung des Hauses und mit der Wiederauffindung und Rückführung von authenti- schen Erinnerungsstücken, wie z.B. ein Ratsprotokoll vom 12. Juni 1847 belegt über ein Gespräch mit der Ehefrau des Schuhmachermeisters Schiek, die offenbar Autographen und andere Gegenstände besaß (vgl. Dokument Nr. 8). Im November wandte man sich in ähnlichem Sinne an Emilie v. Gleichen-Rußwurm (1804– 1872), Schillers jüngste Tochter (vgl. Dokument Nr. 18). Die Bemühungen gingen weit über Weimar hinaus. Schon am 17. Juni 1847 berichtete die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (Nr. 168) in Leipzig von der Mög- lichkeit des Erwerbs, am 5. Juli 1847 (Nr. 186) meldet sie den Vollzug der Verstei- gerung und am 11. Juli 1847 (Nr. 192) Einzelheiten des Verkaufs und das Anlie- gen, „die innere Einrichtung des Hauses wiederum möglichst so herzustellen, wie solche zur Zeit seines frühern Bewohners gewesen, und zu dem Ende Gegen- stände anzusammeln und in den von Schiller bewohnten Räumen aufzustellen, welche entschieden in dessen einstigem Besitze gewesen sind und für jeden seiner Verehrer ein bleibendes, werthvolles Andenken sein müssen“ (s. den ganzen Wort- laut unten Dokument Nr. 12). Es folgt der Aufruf, „bei dieser Sammlung kräftigst mitzuwirken“. Diesem Aufruf folgten viele, und es sammelten sich überlieferte und neu her- gestellte Gegenstände an.67 Erbgroßherzog Carl Alexander stiftete bereits am 3. August 1847 Schillers Sterbebett: „Mit wahrer Freude habe Ich vernommen, daß der wohllöbliche Rath hiesiger Stadt das Schillersche Haus gekauft hat, und seines ehemaligen Besitzers würdig einzurichten gedenkt. – Da Ich Mich im Besitz der Bettstelle Schillers, in welcher er gestorben, befinde, so gereicht es Mir zum besondern Vergnügen dieselbe dem hiesigen wohllöblichen Stadtrathe mit der Bitte zu übergeben, ihr in dem ehemaligen Wohnhause des Besitzers einen würdigen Platz einzuräumen.“68Von Schillers Schreibtisch – natürlichem Mittelpunkt eines Dichterzimmers – wurde dagegen eine Nachbildung aufgestellt, die der Weimarer Tischler R.[ichard] Fröde 1847/48 eigens für 25 Taler anfertigte (das Original kehr- te erst 1862 in das Haus zurück, vgl. Dokument Nr. 36).69 Die „Weimarische Zei- tung“ meldet am 27. November 1847: „Um das Arbeitszimmer des Dichters soviel als möglich wieder herzustellen, wie es zu seiner Zeit gewesen, hatte der hiesige Tapeten-Fabrikant Rößler den Auftrag erhalten, die alte Tapete nach dem Muster eines aufgefundenen Bruchstücks nachzubilden. Auch dieß ist nun in gelungener Weise vollendet.“ (Nr. 95, Titelblatt) Damit ist erstmals in Deutschland der Wohn- raum eines Schriftstellers zu einer Gedenkstätte geworden. Zahlreiche Gegenstände aus Schillers Privatbesitz gelangten in das Haus zurück,70 teilweise erst im Laufe der Jahrzehnte: 1850 Kupferstiche aus Schillers Arbeitszimmer, 1851 Schillers Gitarre, später sein Lehnstuhl, hölzerne Leuchter, Champagnergläser usw.; 1879 folgte Schillers Hofdegen (vgl. Dokumentenan- hang). Nur der Ankauf von Teilen von Schillers eigener Bibliothek scheiterte 1852 und 1860 (vgl. Dokument Nr. 27).71 1905 forderte der Stettiner Ingenieur Bruno Koch für Möbel aus Schillers „guter Stube“ vom Weimarer Stadtrat 40000 Mark – der Stadtrat verzichtete freilich auf den Ankauf.72Zahlreiche Beglaubigungsschrei- ben von verschiedenen Stiftern sind erhalten (vgl. Dokumentenanhang).73 Wenn Die große Stadt 2/1 (2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 43 Paul Kahl(cid:1)Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007 43 dagegen schriftliche Nachweise fehlten, verhielt sich der Stadtrat zurückhaltend; am 9. März 1905 lehnte er den Kauf einer Kaffeetasse ab, die Schiller 1794/95 Körners Frau zum Geburtstag geschenkt haben soll, „da urkundlicher Nachweis über die Echtheit derselben […] nicht erbracht werden kann“.74 Neben der Rückführung von Reliquien stehen gegenständliche Spenden aus allen Himmelsrichtungen, auch Geldspenden. Am 28. Februar 1848 schickte der nassauische Amtssekretär Dübell 23 Gulden und 18 Kreuzer aus einer in Diez ver- anstalteten Kollekte (vgl. Dokument Nr. 20). Die Cotta’sche Buchhandlung stifte- te „ein Geschenk mit allen vier Ausgaben der Schillerschen Werke [...], sämmtlich in glänzenden Einbänden, und zwar mit der Ausgabe in einem Bande, mit der in 10 Bänden, mit der in 12 Bänden und mit der eben erscheinenden kleinen Damen- Ausgabe in Seide mit den einzelnen Werken, um dieselben in dem eben entstehen- den Schiller-Museum aufzustellen“ („Weimarische Zeitung“, 2. Oktober 1847, Nr. 79, Titelblatt). „Das schöne Beispiel, welches die Frauen und Jungfrauen zu Weimar durch ihre Bereitwilligkeit zur Ausschmückung des Schiller-Museums geben, war in Bautzen kaum durch die öffentlichen Blätter bekannt geworden, als sich auch dort ein weiblicher Verein bildete, um durch eine ausgezeichnete Kunst- arbeit irgend einen werthvollen Beitrag für diesen Zweck mit eignen Händen zu fertigen und zu spenden. Dieser Verein hat jetzt den in Weimar zu diesem Behuf zusammengetretenen Ausschuß um die Bestimmung desjenigen Schmuckgegen- standes ersucht, welcher ihm als der zweckmäßigste und willkommenste erschei- nen möchte.“ („Weimarische Zeitung“, 6. Oktober 1847, Nr. 80, Titelblatt)75Wei- marer Schüler stifteten dem Haus „ein prachtvoll eingebundenes Album […] mit Schillers Bildniß und der Aufschrift: ‚Dem Andenken Schillers die erste Klasse des Gymnasiums zu Weimar am 11. November 1847.‘“ („Weimarische Zeitung“, 27. November 1847, Nr. 95, Titelblatt).76 Am 16. Oktober 1847 fand in Weimar eine Benefiz-Aufführung der „Piccolomini“ zugunsten des Schillerhauses statt („Weimarische Zeitung“, 16. Oktober 1847, Nr. 83, Titelblatt, außerdem unten Dokument Nr. 14). Es wurde eine Gedenkmedaille in Bronze und in Silber geprägt – gestaltet von Angelica Bellonate Facius – und verkauft (vgl. Dokument Nr. 15 mit Anm. 84 und Dokument Nr. 17/2). Außerdem wurde ein „Schiller-Album“ für das Haus zusammengestellt, das Widmungen und Würdigungen, Gedichte und Briefe von Personen des öffentlichen Lebens, deutschen Fürsten, Gelehrten und Künstlern überwiegend aus den Jahren 1848–1850 vereinigt, an die ein entsprechender Aufruf ergangen war.77 Darunter waren Ernst Moritz Arndt, Ludwig Bechstein, Heinrich Brockhaus, Carl Gustav Carus, Eckermann, Georg Gottfried Gervinus, Karl Georg Hase, Hoffmann von Fallersleben, Sylvester Jordan, Justinus Kerner, Gustav Schwab, Varnhagen von Ense, Prinz Wilhelm von Preußen und zahlreiche Abgeordnete der National- versammlung – eine erstrangige Quelle für das Schillerbild der deutschen Gesell- schaft, ja die gesellschaftliche Stimmung zur Zeit der bürgerlichen Revolution. Einige wenige Einträge sind ausdrücklich dem Schillerhaus gewidmet (und nur ihnen gilt die unten vorgenommene Auswahl, vgl. Dokument Nr. 19/1–10). Damit noch nicht genug der Gaben für das Haus. 1851 stiftete der Hofbankier Hermann Moritz Statuen der beiden Musen Clio und Polyhymnia.78 1856 bildete sich ein Die große Stadt 2/1(2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 44 44 EDITIONUNDDOKUMENTATION „Komité für Herstellung einer marmornen Büste Friedrich v. Schillers“79, 1861 wird eine Schillerbüste für 400 Taler von Ernst Julius Hähnel aufgestellt80und das „Schilleralbum der Deutschen Nationallotterie“ (1859/60), eine umfangreiche Autographensammlung, gestiftet.81– Vollends auch Reliquien anderer Dichter, dar- unter ein Briefbeschwerer, eine Haarlocke und Briefe Goethes, Manuskripte Wie- lands und sein Petschaft mit Futteral, später Wielands Schreibtisch, die Totenmas- ke Karl Augusts, die Brille der Großherzogin Louise.82Daneben stehen zahlreiche Bücherspenden, besonders in den Jahren 1851 und 185283, und 1860 wurde sogar die Herstellung einer umfassenden Schillerbibliothek angestrebt (vgl. Dokument Nr. 34 mit Anm. 162).84Darin spricht sich, trotz aller kunstreligiösen Wendungen, offenbar schon ein Bedürfnis nach wissenschaftlicher Verantwortung im Museum aus; eine umfangreiche Schillerhaus-Bibliothek ist erhalten (heute Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek). In wenigen Jahren entwickelte sich das Weimarer Schillerhaus zu einem welt- lichen Wallfahrtsziel. 1856 brachte Josef Rank einen Reiseführer unter dem Titel „Schillerhäuser“ heraus, der „den andächtigen Wanderern zu den geweihten Arbeits- und Leidensstätten unsers großen Dichter-Propheten ein willkommener Führer“ (S. V) sein möchte (vgl. Dokument Nr. 29). Rank berichtet davon, wie in den Fünfzigerjahren – kurz nach dem Weimarer Haus – zahlreiche „Schillerhäu- ser“ an Schillers Lebensorten als Stätten der Verehrung eingerichtet wurden: „[G]leichsam betroffen über die Unterlassungen der Väter beeilen die Nachkom- men sich jetzt, die Wohnungen des Dichters durch Feste und Gedenktafeln auszu- zeichnen“ (S. V). Rank führt immerhin schon acht verschiedene Schillerhäuser (oder -stätten) auf, von denen er zu sagen weiß, sie seien „als solche von den Rei- senden gekannt und besucht“ (S. VI). Ein Höhepunkt in der Geschichte des Schillerhauses wurden wenig später die Schillerfeiern des Jahres 1859.85 Ein im Haus vorgesehener Festakt kann nur aus äußeren Gründen nicht stattfinden.86Das Schillerhaus wird im Zuge der paralitur- gischen Feiern aber in das Geschehen einbezogen. Der Jahreszeit zum Trotz war Weimar, besonders die Schillerstraße, festlich geschmückt. In der „Weimarer Zei- tung“ stand am 9. November 1859 (Nr. 263) der Aufruf: „Hinströmen wird das Volk zum Schillerhaus, / Bewundernd schau’n die Stätte, wo er wohnte, / Drum, Schillerstraße, putze Dich heraus! / Des Dichterkönigs denk’, der einst hier thron- te!“ (S. 1062) Der Festschmuck des Hauses bestand aus Girlanden und zwei buch- stäblich haushohen Transparenten links und rechts des Hauses mit Darstellungen der Apotheose Schillers und allegorischen Gestalten: Schiller als Ganymed, von einem Adler emporgetragen, während ihm unten sechs Musen opfern, nach einer Vorlage des Malers Bonaventura Genelli (1798–1868), und Schiller vor Jupiter, nach Schillers „Die Teilung der Erde“, umringt von Figuren seiner Dramen, nach Hermann Wislicenus (1825–1899).87 Eine Gesamtansicht des Hauses ist über- liefert durch eine kolorierte Lithografie von Friedrich Walther88(Abb. 3). Die bei- den Transparente erscheinen gemeinsam mit dem Haus selbst als ein kolossaler Flügelaltar; das Haus ist der mit Reliquien versehene Altarschrein. Es ist am Abend des 9. November Zielpunkt eines Fackelzuges.89(Ausdrücklich ausgespro- chen, nämlich von Kanzler von Müller in seiner Gedenkrede vom 17. September Die große Stadt 2/1 (2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 45 Paul Kahl(cid:1)Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007 45 Abb. 3. Das Schillerhaus 1859, geschmückt zu Schillers 100. Geburtstag. Nach Photographie lithogra- phiert und gedruckt bei Fr. Walther. (Klassik Stiftung Weimar, Direktion Museen) 1826, ist die Altarassoziation bei der Überführung von Schillers Schädel in die Herzogliche Bibliothek; von Müller bezieht sich auf die Translation von Reliquien in Altäre und bezeichnet die Weimarer Bibliothek als „Tempel der Kunst und Wissenschaft“.90) Im Laufe der Jahrzehnte wird die memoriale Gestaltung des Hauses auf alle Räume ausgedehnt, d.h. der ursprüngliche Zustand soweit möglich wiederherge- stellt und inszeniert: 1876 wurde Schillers Gesellschaftszimmer, das mittlere Zim- mer der Mansarde, wie ein Wohnraum eingerichtet. 1906 wurde im Sinne wissen- schaftlicher Verantwortung der Raumgestaltung die Ansicht formuliert, „daß in die beiden eigentlichen Schillerzimmer nur Sachen gehören, die entweder von Schil- ler u. Schillers Familie stammen, oder doch zu dem Dichter in direkte Beziehung gebracht werden können und außerdem in den Charakter seiner Zeit passen. Die große Stadt 2/1(2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 46 46 EDITIONUNDDOKUMENTATION Danach empfiehlt sich die Beseitigung einiger ganz aus der Zeit fallender Bil- der“.91 1909 wurde das Empfangszimmer, also der erste der drei Räume, museal eingerichtet,92 1930 memorial. 1930/36 wurden auch im ersten Stock Museums- räume eingerichtet, die 1955 und 1979 neu gestaltet wurden.93Die Geschichte der verschiedenen Umgestaltungen im zwanzigsten Jahrhundert wäre ein eigener Untersuchungsgegenstand. 1942/43 wurden Schillers Schreibtisch und andere Gegenstände im Konzentra- tionslager Buchenwald von Häftlingen nachgebildet, und diese Nachbildungen wurden dann im Hause gezeigt, die Originale dagegen geschützt (den Vorgang hat jüngst Dieter Kühn aufgegriffen).94 Die Offenhaltung der Dichterhäuser während der verbleibenden Kriegsjahre, im Falle des Schillerhauses mit den nachgemachten Möbeln, war laut Kühn offenbar ein „Propagandasignal“ im Sinne des Durch- haltewillens.95 Am 9. Februar 1945 wurde das Haus durch die Explosion einer Luftmine beschädigt, und schon am 10. November 1946 wurde es, wiederum als erstes Wei- marer Dichterhaus, wieder eröffnet.96 1953 wurde das Haus in die Verwaltung der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG) eingegliedert und so zum Bestandteil des Goethe-National- museums97(heute Direktion Museen der Klassik Stiftung Weimar). 1985 bis 1988 wurde das Haus grundlegend saniert98und soweit wie möglich der schillerzeitliche Zustand inszeniert,99d.h. die memoriale Gestaltung auf das ganze Haus ausgewei- tet.100 1988 wurde hinter dem Haus ein Museumsneubau eröffnet.101 Zu seinen Gunsten wurden die Museumsräume im ersten Stock des Schillerhauses geschlos- sen, und auch sie wurden memorialisiert. Das Schillermuseum in dem Neubau wurde 1996 aufgelöst; seit 1999 ist die ständige Ausstellung „Wiederholte Spiege- lungen 1759–1832“ im Goethemuseum auch Schiller gewidmet. Neben seiner paraliturgischen und memorialen Funktion ist das Haus verbunden mit dem „literarischen Leben“, d.h. der jeweiligen Gegenwartsliteratur: Im Jahre 1863 zog die Deutsche Schillerstiftung hier ein, so dass „dies ehrwürdige Häus- chen ausser seinen [Schillers] Reliquien noch ein Stück lebendigen Schillers [be]herbergt“ (so Heinrich Lilienfein, Generalsekretär der Schillerstiftung, auf dem Weimarer Rundfunktag am 15.11.1931).102 Eduard Mörike, Wilhelm Raabe, Adalbert Stifter, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Ricarda Huch, Her- mann Hesse und viele andere zehrten von der Förderung der Schiller-Stiftung. Sie blieb bis 1977 im Schillerhaus.103 Lange Zeit erscheinen Schiller-Stiftung und Schillerhaus sogar als eine Einheit,104 und es ist folgerichtig, dass 1902 beschlos- sen wurde, dass auch die Shakespeare- und die Goethe-Gesellschaft die Räume nutzen dürfen. Im Antrag der Schiller-Stiftung vom 2. Juni 1902 an die Stadt hieß es: „[S]o wird für den verehrlichen Gemeinderath sicher auch die Erwägung schwer in das Gewicht fallen, daß das Schillerhaus durch die Aufnahme dieser drei literarischen, für das geistige Leben Weimars, aber auch ganz Deutschlands, so bedeutenden Vereinigungen eine seines hohen Namensträgers überaus würdige Aufgabe erhält. Wenn ein Haus in Weimar, so ist das Haus Schillers die gegebene Heimstätte für diejenigen, die sich in den Dienst Schillers, Goethe’s, Shakespeares stellen.“105 Die große Stadt 2/1 (2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 47 Paul Kahl(cid:1)Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007 47 III. Nationaldenkmal,Tempel und Museum.Das Schillerhaus 1847–2007 Die Schillerverehrung des neunzehnten Jahrhunderts ist ebenso national geprägt wie kulturprotestantisch-kunstreligiös. Schiller erscheint einerseits als Fürst oder König und andererseits als religiöses Genie. Beides findet sich im Umfeld der Wei- marer Museumsgründung: Das Haus wird zu einem Nationaldenkmal und zu einem Kultort; es erscheint als „Thron“ des Dichterkönigs („Weimarische Zeitung“ 1859, s. oben) und als „Kirche“ (Anastasius Grün, s. unten und Dokument Nr. 35). Bei der Einrichtung des Hauses im Einzelnen steht das zweite im Vordergrund. Deshalb noch zwei letzte Beispiele für die „religiöse“ Schillerverehrung: Denk- malsweihen bekommen „sakramentalen“ Charakter, und Festumzüge bei Schiller- feiern sind säkulare Wallfahrten, teilweise mit Schaureliquien. Bernhard Endrulat berichtet von der Zurschaustellung einer Reliquie 1859 in Hamburg, einem Stammbuchblatt Schillers: „Diese Reliquie ward von vielen Tausenden – Herr J. S. Meyer selbst [der Antiquar] veranschlagt die Zahl auf mehr als 8000 Personen – mit größter Ehrfurcht betrachtet. Zu ihrem Schutze hatte der Aussteller einen Zet- tel mit den Worten: ‚Ich bitte höflichst, dieses theure Andenken an den großen Dichter nicht zu berühren’beigelegt, und in der That hat Niemand das Blatt ange- rührt.“106 Der evangelische Prediger Sydow bezeichnete 1859 bei der Grundstein- legung eines Schillerdenkmals in Berlin Denkmäler als „gleichsam sacramentliche Symbole; nicht bloße Zeichen der Erinnerung an einen großen Todten, sondern dem, der sich ihnen mit Verlangen und liebendem Verständniß naht, Pfänder und Spender des Geistes dessen, der da lebt!“107Entscheidend ist jeweils die sinnliche, sogar sakramentale Vergewisserung durch eine Reliquie und einen entsprechend eingerichteten Ort. Der Umgang mit Schillerreliquien folgt „dem Strukturmodell des christlichen Heiligen- und Reliquienkultes“108, dessen Bestandteile, scheinbar katholisch, im protestantischen Umfeld der Schillerverehrung, als „Kompensa- tions- und Konkurrenzphänomene“ (Albrecht Schöne) wiederkehren.109 Eine der Grundlagen für die pseudoreligiöse Hochschätzung des Dichters ist die Aufwertung der Autorpersönlichkeit seit der Geniezeit, im achtzehnten Jahrhun- dert gipfelnd in Klopstock und seiner Verehrung.110 Man hat sogar von einer „Dominanzwende“ des Werk-Autor-Verhältnisses gesprochen (Klaus Hurle- busch),111 indem das Interesse am Autor als Person das Interesse an seinem Werk übersteigt. Daneben gibt es theologiegeschichtliche Wurzeln, die mit der Selbstver- teidigung des sich selbst unsicher gewordenen Christentums gegenüber der Moder- ne zusammenhängen. David Friedrich Strauß hat 1839, gleichsam am Vorabend der Weimarer Museumsgründung, in seiner Schrift „Vergängliches und Bleibendes im Christenthum“ ausdrücklich den Geniekult als Ersatzreligion festgestellt: „Es ist eingestanden: wir wissen keine Kirchen mehr zu bauen […]. Dagegen steigen jetzt aus einem Drange, der wie ein Miasma sich namentlich über Deutschland verbrei- tet hat, aller Orten Denkmale für große Männer, für erhabene Geister, hervor. Vie- les Lächerliche mischt sich in diesen Trieb: aber er hat seine ernste Seite, und ein Zeichen der Zeit ist er gewiß. […] Ein neuer Paganismus, oder auch ein neuer Katholicismus, ist über das protestantische Deutschland gekommen: man hat an der Einen Menschwerdung Gottes nicht genug, und will nach indischer Weise eine Die große Stadt 2/1(2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 48 48 EDITIONUNDDOKUMENTATION Reihe sich wiederholender Avatar’s haben; man will den allein stehenden Jesus wieder mit einem Kranze von Heiligen umgeben; nur daß diese nicht lauter kirch- liche Heilige sind, sondern wie in der Hauskapelle des Kaisers Alexander Severus neben den Standbildern Christi und Abrahams auch das des Orpheus sich befand: so geht die Richtung dieser Zeit dahin, die Offenbarung Gottes in allen den Geis- tern zu verehren, welche belebend und schöpferisch auf die Menschheit eingewirkt haben. Der einzige Cultus – mag man es nun beklagen oder loben, aber läugnen wird man es nicht können – der einzige Cultus, welcher den Gebildeten dieser Zeit aus dem religiösen Zerfalle der letzten übriggeblieben ist, ist der Cultus des Genius.“112 Dem entspricht eine grundlegende Aufwertung der Autorbiografie113 und damit eine Aufwertung von persönlichen Erinnerungsstücken („Reliquien“)114 und Lebensorten, d.h. zumeist den Häusern des „Genius‘“. So wird das Dichter- haus zu einer „Kirche“. Anastasius Grün beschreibt in seinem Gedicht „Ein Dichterhaus“ 1861 einen Besuch im Schillerhaus: „Wir treten ein. Uns will’s die Brust umschnüren, / Als ob wir bang im Saal des Königs ständen; / Andacht und Demuth will das Herz uns rühren; / Als ob wir uns in Gottes Kirche fänden.“ In seiner Kultfunktion – das Haus als Sammlungsort für „Reliquien“ und als Ganzes – erschöpfen sich aber Geschichte und Bedeutung des Hauses nicht, denn trotz des memorialen Verständnisses ist von Anfang an auch von einem „Schiller- museum“ die Rede. Die Gleichzeitigkeit von Gedenkstätte und Museum wird aus- drücklich formuliert („... die ... bewohnt gewesenen Zimmer … wieder hergestellt worden sind und daß wir zugleich den Grund zu einem Museum gelegt haben, in welchem Reliquien ... Platz finden sollen“, so das Schreiben des Stadtrats an Schillers Schwiegertochter Magdalena geb. Pfingsten, 25. Juni 1852, unten Doku- ment Nr. 25). Dieses Museumsverständnis ist zwar zunächst auch memorial, die „Instruktion für den stadtrathlichen Kastellan“ unterstreicht aber, dass das Haus eine für jedermann offene Bildungsstätte sein soll (vgl. Dokument Nr. 15/1, Abschnitte 6–8). Dem entspricht die Ausstellung von an Ort und Stelle nachzule- senden Handschriften unter Glas (bezeugt z.B. durch Adolf Stahrs Tagebuchbericht vom Mai 1851, Dokument Nr. 24), und dem entsprechen zahlreiche – von „Reli- quien“ unterschiedene – Bücherspenden und der Plan einer eigenen Schillerbiblio- thek (vgl. Dokument Nr. 34 und Anm. 71). Das Schillerhaus hat insofern, als Gedenkstätte, Züge eines „Museums“, Züge eines Personalmuseums wie eines Literaturmuseums. Das Haus wird durch die Schillerstiftung sogar zu einem Ort der jeweiligen Gegenwartsliteratur bzw. der Gegenwart literarischen Lebens überhaupt, so sehr, dass das Schillerhaus vorübergehend sogar mit der Literaturförderung in Verbin- dung gebracht wurde – ein Umstand, der völlig vergessen ist. Die heutige voll- ständige Einrichtung des Hauses im memorialen Sinne – d.h. als Inszenierung der schillerzeitlichen Wohnung – knüpft zwar an einen Anstoß der Ersteinrich- tung an; schon 1847 hat man Schillers Tapeten wieder hergestellt, und die memo- riale Wiederherstellung von Schillers Zimmer war erklärtes Ziel der Museums- gründer. Es war aber nicht ihr einziges. Die Memorialisierung als ein Museums- konzept neben möglichen anderen wurde 1988 durch ein begleitendes eigenes Schillermuseum aufgefangen. Diese Gleichzeitigkeit von Gedenkstätte und Die große Stadt 2/1 (2009) 40_75_Kahl II 23.01.2009 9:55 Uhr Seite 49 Paul Kahl(cid:1)Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007 49 Museum ist, wie gesehen, schon in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zumindest angelegt. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den Grün- dungsdokumenten des Marbacher Schillerhauses.115Sie entspricht beispielsweise der Ergänzung des Frankfurter wie des Weimarer Goethehauses durch einen Museumsbau und auch dem Miteinander von Geburtshaus und Schiller-National- museum in Marbach. Ohne Schillermuseum bleibt das nur memoriale Schillerhaus in Weimar ein Torso, der an den Besucherbedürfnissen der nachbürgerlichen Wissensgesell- schaft116 vorbeigeht. Denn es fehlt ein auf Lektüre-Hinführung und überhaupt auf literarische Bildung ausgerichtetes Museum: Schlimmer noch, es fehlt ein zeitge- mäßes Leitbild, aus dem ein entsprechendes Konzept hervorgeht, das auf die gegenwärtige Krise der Gedenkkultur („Schafft die Museen ab!“) insgesamt ant- wortet.117Da sich aber die Bildungsvoraussetzungen der nach wie vor zahlreichen Besucher des Hauses zwischen 1847 und 2007 unbestreitbar geändert haben, erhebt sich die Frage, ob sich selbst historisch gewordene Inszenierungen verän- derbar sind und wie literarische Gedenkstätten überhaupt ‚bespielt‘ werden kön- nen, damit sie nicht in der Bedeutungslosigkeit antiquarischer Historie und ihrer Reliquien versinken.118 Abb. 4. Schillers Arbeitszimmer, um 1850. Kolorierte Lithographie von Eduard Lobe (1799–1873). (Klassik Stiftung Weimar, Direktion Museen) Die große Stadt 2/1(2009)

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„Dominanzwende“ des Werk-Autor-Verhältnisses gesprochen (Klaus Hurle- busch),111 Und Tezky/Geyersbach, Schillers Wohnhaus (wie Anm. 8).
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