Inhalt Vorwort– 7 1 Frauen und Sprachgebrauch: gesprächs- und kommunikationsanalytische Aspekte – 9 FRIEDERIKEBRAUN:Reden Frauen anders? Entwicklungen und Positionen in der linguistischen Geschlechterforschung – 9 ANJAGOTTBURGSEN: Kleiner Unterschied, große Wirkung: Die Wahrnehmung von weiblichem und männlichem Kommunikationsverhalten – 27 CHRISTAM. HEILMANN: Prosodie und Körpersprache im Geschlechterfokus – 42 ULRIKEGRÄSSEL: Weibliche Kommunikationsfähigkeit – Chance oder Risiko für Frauen an der Spitze? – 56 CAJATHIMM/ANTJESCHRÖER/SABINEC. KOCH/LENELISKRUSE: Geschlechterkommunikation in Arbeitsbesprechungen – 69 RITASÜSSMUTH: Frauen und Medien – 85 GERTRUDJUNGBLUT: Vom allmählichen Verschwinden des Subjekts »Frau« aus realpolitischen Kontexten. Eine Beobachtung – 91 KARINM. EICHHOFF-CYRUS: Die »verkaufte« Frau – Sexismus in der Werbesprache – 102 RUDOLFHOBERG: Sprache und Sexualität – 114 SUSANNEOELKERS:Warum Adamund Eva? Vornamengebung und Geschlecht – 133 2 Frauen und Sprachsystem: lexikalische und grammatische Aspekte – 148 JOCHENA. BÄR: Genus und Sexus. Beobachtungen zur sprachlichen Kategorie »Geschlecht« – 148 ROSWITHAFISCHER: Coach-Frau, Frau Coachoder Coacherin? Wie Sprachstruktur geschlechtergerechten Sprachgebrauch beeinflusst – 176 Inhalt MADELINELUTJEHARMS: Bildung und Verwendung femininer Formen im Deutschen, Englischen, Französischen und Niederländischen: ein Vergleich – 191 3 Gender(soziales Geschlecht) in literarischen und anderen Texten– 209 KEQINHUANG: Frauenbewusstsein im interkulturellen Vergleich– am Beispiel der Frauenfiguren in den Romanen Wiekommt das Salz ins Meer von Brigitte Schwaiger und DasNordlichtvon Kangkang Zhang – 209 FRIEDMANNHARZER: Salmacis und Isis. Zum Hermaphroditismus bei Ovid und Musil – 220 SUNANDAMAHAJAN: Eine kontrastive Studie zur deutschsprachigen Frauenliteratur und Marathi-Frauenliteratur der 1970er- und 1980er-Jahre – 240 RENATEFREUDENBERG-FINDEISEN:Frauen- und Männerbilder. Beobachtungen in Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache – 248 GÜNTHERPFLUG: Sprachformen und Ausdrucksweisen der Frauen im Alten Testament – 265 4 Vorschläge zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern– 275 MARLISHELLINGER: Empfehlungen für einen geschlechter- gerechten Sprachgebrauch im Deutschen – 275 JOSEFKLEIN: Der Mann als Prototyp des Menschen – immer noch? Empirische Studien zum generischen Maskulinum und zur feminin-maskulinen Paarform – 292 KATHRINKUNKEL-RAZUM: Die Frauen und der Duden – der Duden und die Frauen – 308 RENATESCHMIDT: Geschlechtergerechte Sprache in Politik und Recht – Notwendigkeit oder bloße Stilübung? – 316 IRMINGARDSCHEWE-GERIGK: Geschlechtergerechte Sprache im Deutschen Bundestag – 322 MARGRETSCHIEDT/ISABELKAMBER: Sprachliche Gleichbehandlung in der Schweizer Gesetzgebung: Das Parlament macht‘s möglich, die Verwaltung tut es – 332 HILDBURGWEGENER: »Nennt uns nicht Brüder!« Gerechte Sprache in Gottesdienst und Kirche – 349 HANNEKÖHLER: Auf dem Weg zu einerBibel in gerechter Sprache– 361 5 Die Autorinnen und Autoren– 374 Vorwort Bekanntlich gibt es zwischen Mann und Frau den »kleinen Unter- schied«. Als »großer Unterschied« ist in der Diskussion mehr und mehr das Verhältnis der Geschlechter zur Sprache in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Wie »jegliches Vieh«, die Vögel und die Tiere auf dem Felde heißen würden – die Aufgabe, das zu bestimmen, übertrug Gott an Adam (Gen2,19–20). Die Bibel ist ein Dokument einer patriarchalen Kultur und einer ebenso patriarchalen Überlieferung. Dieser Kultur entspricht eine aus der Perspektive von Männern formulierte Sprache. Sprache ist mehr als nur Kommunikationsmittel; sie ist Ausdruck des Denkens. Das Bemü- hen um eine angemessene Sprache ist ein Prozess, da sowohl die Spra- che als auch das Denken einem Wandel unterliegen. In diesem Zusammenhang spielt die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern eine wichtige Rolle. Immer wieder wird der Gebrauch des Maskulinums für Personen beiderlei Geschlechts – der Bürger, der Leser – als männerzentrierte Sprachverwendung kritisiert, die das Vorhandensein von Frauen als Gesprächsteilnehmerinnen oder als Amtsinhaberinnen etc. ignoriert. Inzwischen hat sich auch die Poli- tik der sprachlichen Nichtbeachtung des weiblichen Teils der Bevölke- rung angenommen. Dies ist wichtig, weil die Sprache das Denken und auch das Bewusstsein der Menschen bestimmt; Sprache spiegelt nicht nur Realität, sie schafft auch Realität. Die Auseinandersetzung mit der männerzentrierten Sprache führte in der Studentenbewegung 1968 zum Protest der Frauen. Die Kritik an dieser Sprache wurde ein Forschungsschwerpunkt in der Feministi- schen Linguistik. Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte hat sich das Zentrum des wissenschaftlichen und mehr und mehr auch des gesell- schaftlichen Interesses verschoben: Die alte Grenzziehung zwischen fe- ministischer Sprachkritik und männlicher Verteidigung einer patriar- chalen Sprachverwendung verlor zugunsten einer Diskussion über ge- schlechtergerechte Sprache und Sprachverwendung an Bedeutung. Die 7 Vorwort neue Blickrichtung ergab sich in der Auseinandersetzung mit den Zie- len der Neuen Frauenbewegung und führte zur linguistischen Ge- schlechterforschung. Ohne Zweifel hat die Diskussion über geschlech- tergerechte Sprache und Sprachverwendung in nicht geringem Maße konkrete und positive Auswirkungen auf Gesellschaft und Beruf ge- habt. Die wachsende Sensibilität für sexistische Erscheinungen in der Sprache erfasste seit den 1970er-Jahren alle Gesellschaftsgruppen, so- dass Forderungen nach einem nicht diskriminierenden Sprachge- brauch nicht mehr verstummten. Sprachliche Gleichbehandlung der Frauen wurde seitdem in Teilbereichen durchaus erreicht, so zum Bei- spiel bei Stellenausschreibungen, in öffentlichen Verlautbarungen, bei Anreden, in Rechtstexten. Der vorliegende Band soll einen Blick auf diese Entwicklungsten- denzen werfen. Er enthält sowohl Analysen als auch Vorschläge. Nicht die abstrakte Theoriediskussion steht im Vordergrund, es geht nicht um eine allgemeine Theorie des Sprachgebrauchs, sondern es geht um die Darstellung und Deutung des Themas »Männersprache – Frauen- sprache«. Dabei konnten nicht alle relevanten Aspekte behandelt wer- den, aber ein Blick in das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass ein breites Spektrum zur sprachlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen, auch im internationalen Kontext, erörtert wird und auch andere Fragen, die die Sprache von Männern und Frauen betreffen, Be- rücksichtigung finden. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass die The- men nicht nur der Fachwelt, sondern allen an Sprache Interessierten Einblicke und Denkanstöße bieten. Wenn es gelingt, breiteren Kreisen der Sprachgemeinschaft zu vermitteln, dass der weiblichen Hälfte der Bevölkerung ein eigenes Recht auf sprachliche Präsenz zusteht, ist das letztendliche Ziel unserer Bemühungen erreicht. Nun, da das Werk den Weg in die Öffentlichkeit geht, gilt mein Dank in erster Linie den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und ihre große Kooperationsbereitschaft. Aber er gilt auch allen, Kolleginnen und Kollegen, die an den planerischen und organisatorischen Vorberei- tungen beteiligt waren. Hervorgehoben sei die Arbeit von Frau Dr. Sabine Frilling, die sich engagiert und kompetent den redaktionellen Aufgaben gewidmet hat. Karin M. Eichhoff-Cyrus 8 1 Frauen und Sprachgebrauch: gesprächs- und kommunikations- analytische Aspekte FRIEDERIKEBRAUN Reden Frauen anders? Entwicklungen und Positionen in der linguistischen Geschlechterforschung1 1 Einleitung Das Sprachverhalten von Frauen ist ein Thema, das nicht nur die Lin- guistik beschäftigt, sondern auch im Alltag eine wachsende Rolle spielt. Denn die sprachbewusste »Eva« achtet heute auf ihre »Verbalhy- giene«, wie es Deborah Cameron (1995 a, b) zynisch nennt: Manche Frauen nehmen an speziellen Rhetorikkursen für Frauen teil, andere studieren die Ratgeberliteratur zum Thema »Kommunikation zwi- schen den Geschlechtern«, und wieder andere absolvieren ein Durch- setzungstraining. Nicht immer wird jedoch das weibliche Sprachver- halten als Problem gesehen: So setzen z. B. Industriebetriebe mitunter gezielt weibliche Führungskräfte ein, um einen Kommunikationsstil zu fördern, in dem die »kommunikative Kompetenz« von Frauen (soft skills) ihre wohltuende Wirkung entfaltet. Zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung ist die Frage nach dem geschlechtstypischen Sprachverhalten gereift, als sich die lin- guistische Geschlechterforschung etablierte. Innerhalb seiner ca. 30- jährigen Geschichte hat dieser Wissenschaftszweig eine umfangreiche Forschungsliteratur hervorgebracht, in der sehr heterogene, durchaus widersprüchliche Befunde und Ansätze präsentiert werden. Der vorlie- gende Überblick soll deutlich machen, welche unterschiedlichen theo- retischen Positionen in der Beschreibung und Erklärung des weiblichen und männlichen Sprachverhaltens vertreten wurden bzw. werden. Bei allen Perspektivenwechseln, die sich in der Forschungsgeschichte aus- 1 Dieser Beitrag erschien zuerst als LAUD Series A: General & Theoretical Paper No.520 (2000) und wurde für den vorliegenden Sammelband geringfügig über- arbeitet. 9 1 Frauen und Sprachgebrauch machen lassen, erweist sich allerdings eine Tendenz als relativ kon- stant: In Betrachtungen über die Sprache von Frauen und Männern bil- det männliches Sprachverhalten häufig den Hintergrund, vor dem das weibliche als besonders und erklärungsbedürftig hervortritt. Auf diese Asymmetrie soll der Titel »Reden Frauen anders?« ironisch aufmerk- sam machen, denn die Frage, ob Männer »anders« reden, ist kaum ge- stellt worden. Aus dieser schiefen Perspektive lassen sich die verschie- denen Positionen unter folgenden Überschriften fassen: Reden Frauen überhaupt? Frauen reden anders Frauen reden schlechter Frauen reden besser Frauen reden anders, aber gleich gut Wer anders redet, ist eine Frau Reden Frauen wirklich so anders? Im Folgenden sollen diese Ansätze kurz vorgestellt und kommentiert werden. 2 Reden Frauen überhaupt? Auch wenn die Frage nach weiblichem und männlichem Sprachverhal- ten heute ganz selbstverständlich erscheinen mag, wurde Sprachfor- schung doch lange Zeit so betrieben, als gebe es, überspitzt gesagt, kei- ne Frauen – oder jedenfalls keine sprechenden. Denn vielfach wurden Sprachdaten nur von männlichen Gewährspersonen erhoben und die Frage nach Geschlechtsunterschieden wurde gar nicht gestellt. Theo- rien bezogen sich nicht selten auf männliche Sprecher in männlichen Kommunikationskontexten. Hierfür finden sich Beispiele selbst in der Soziolinguistik, also der Teildisziplin, die sich ausdrücklich der Bezie- hung zwischen sozialen und sprachlichen Strukturen widmet und des- halb die Kategorie Geschlecht eigentlich unmöglich übersehen dürfte. Als ein Beispiel ist einer der »klassischen« Artikel der Anredefor- schung zu nennen: »The pronouns of power and solidarity« von Roger Brown und Albert Gilman (1960). Der Artikel untersucht die Verwen- dung von du- und Sie-Formen in verschiedenen Sprachen. Obwohl Brown und Gilman bei ihren Befragungen auch Daten einiger Spreche- rinnen einholten, stützen sie ihre Darstellung, wie sie ohne weitere Be- gründung angeben, ausschließlich auf die Angaben ihrer männlichen In- formanten (vgl. Brown/Gilman 1960: 262). Selbst im Fragebogen, also als Adressatinnen von Anredeverhalten, spielen Frauen eine untergeordne- 10 FRIEDERIKEBRAUN:Reden Frauen anders? te und beschränkte Rolle. So skizzieren Brown und Gilman (1960: 262) den Fragebogenteil zur Anrede in der Familie z. B. folgendermaßen: »The questionnaire asks about usage between the subject and his mother, his father, his grandfather, his wife, a younger brother who is a child, a married elder brother, that brother’s wife, a remote male cousin, and an elderly fema- le servant whom he has known from childhood.« Obwohl im Fragebogen also ein Großvater vorkommt, gibt es keine Großmutter; es gibt Brüder, aber keine Schwestern – und zum Aus- gleich nur ein älteres Dienstmädchen. Trotz der weitgehenden Aus- blendung von Frauen als Sprecherinnen und als Adressatinnen hatten Brown und Gilman aber keine Bedenken, Verallgemeinerungen über die Regeln des Duzens und Siezens in den untersuchten Sprachgemein- schaften zu formulieren. Wenn schon die Soziolinguistik, jedenfalls die frühe, den Sprachge- brauch von Frauen übergehen konnte, so verwundert es nicht, dass dies auch in anderen Bereichen linguistischer Beschreibung geschah und noch geschieht. Noch im Jahr 1994 war z. B. auf einer internationa- len Konferenz für türkische Linguistik ein Vortrag über die Sprache in der türkischen Region Bolu zu hören, der ausschließlich auf Sprachda- ten männlicher Sprecher beruhte (Hayasi 1998). Natürlich ist es aus er- hebungspraktischen Gründen nicht immer möglich, beide Geschlech- ter gleichermaßen in eine Untersuchung einzubeziehen. Aber nur die Sprache von Männern zu untersuchen und diese dann als dieSprache einer ganzen Region zu beschreiben, ist kennzeichnend für die Hal- tung, auf die die Überschrift »Sprechen Frauen überhaupt?« zielt. Na- türlich ist mitunter auch der umgekehrte Fall zu beobachten: Frauen (insbesondere ältere Sprecherinnen) waren z. B. in der deutschen Dia- lektforschung bevorzugte Informantinnen. Dass aber eine ganze Theo- rie oder ein Sprachmodell ausschließlich auf weiblicher Sprache und weiblichen Kommunikationskontexten basiert, scheint in der Linguis- tik eindeutig die Ausnahme zu sein. 3 Frauen reden anders Die Tatsache, dass auch Frauen redeten, ließ sich nicht auf Dauer über- sehen. Die sprachliche Andersartigkeit von Frauen wurde dabei zu- nächst in fremden Kulturen konstatiert und war vom Hauch des Exoti- schen umgeben: Im 17. Jahrhundert etwa wurde beobachtet, dass es auf den Kleinen Antillen ein Volk gebe, bei dem die Frauen eine ganz ande- re Sprache verwendeten als die Männer. Vermutet wurde, dass die Frauen einem Stamm angehörten, dessen Männer in einer kriegeri- 11 1 Frauen und Sprachgebrauch schen Auseinandersetzung getötet worden waren. Die siegreichen Krieger heirateten die Frauen des unterlegenen Stammes, jedoch be- hielten die Frauen ihre eigene Sprache bei.2 Heute wird jedoch – weit weniger exotisch – angenommen, dass es sich nicht um verschiedene Sprachen, sondern um weibliche und männliche Register derselben Sprache handelte oder sogar nur um einige lexikalische Unterschei- dungen, wobei gegenseitige Verständlichkeit aber gewährleistet war (Baron 1986: 59 f.). Auch Wilhelm von Humboldt, der im 19. Jahrhundert Beobachtun- gen über das weibliche Sprachverhalten anstellte, beschäftigte sich vor- wiegend mit Kulturen und Sprachen, die als exotisch galten, z. B. mit indianischen und afrikanischen Sprachgemeinschaften. Doch auch ganz generell ging Humboldt davon aus, dass Frauen irgendwie anders sprechen als Männer, wenngleich er sich nicht in der Lage sah, diese Unterschiede zu benennen: »Frauen drücken sich in der Regel natürlicher, zarter und dennoch kraftvol- ler, als Männer aus. Ihre Sprache ist ein treuerer Spiegel ihrer Gedanken und Gefühle [...]. Wirklich durch ihr Wesen näher an die Natur geknüpft, durch die wichtigsten und doch gewöhnlichsten Ereignisse ihres Lebens in grössere Gleichheit mit ihrem ganzen Geschlecht gestellt, [...] verfeinern und verschö- nern sie die Naturgemässheit der Sprache, ohne ihr zu rauben, oder sie zu verletzen. Ihr Einfluss geht im Familienleben und im täglichen Umgang so unmerklich in das gemeinsame Leben über, dass er sich einzeln nicht festhal- ten lässt.« (Humboldt 1827–29: 253 f.) Einer der Ersten, die weibliches Sprachverhalten speziell in westlichen Kulturen genauer betrachteten, war der dänische Linguist Otto Jesper- sen (1925). Aufgrund seiner Eindrücke stellte er verschiedene, sehr konkrete Merkmale des weiblichen Sprechens zusammen, wie z. B.: »Darüber besteht jedoch kein zweifel, daß die frauen in allen ländern davor zurückschrecken, gewisse körperteile und gewisse natürliche verrichtungen mit den unmittelbaren und oft derben bezeichnungen zu benennen, die män- ner und vor allem junge leute bevorzugen, wenn sie unter sich sind. Die frau- en ersinnen deshalb harmlose und schönfärbende wörter und redensarten [...].« (Jespersen 1925: 229) Insgesamt beschrieb Jespersen folgende Unterschiede im Sprachverhal- ten von Frauen und Männern: Frauen: Männer: – unvollständige Sätze – vollständige Sätze – parataktischer Satzbau – hypotaktischer Satzbau 2 Vgl. dazu Günthner/Kotthoff (1991) und Baron (1986: 59 f.). 12 FRIEDERIKEBRAUN:Reden Frauen anders? – Euphemismen – Kraftausdrücke und Tabuwörter – verstärkende Adverbien – geringerer Wortschatz – umfangreicherer Wortschatz – durchschnittliche Wortwahl – ungewöhnliche und innovative Wortwahl – reden mehr und schneller – reden weniger, Sprachstörungen So überholt, wie Jespersens Betrachtungen wegen ihrer altertümlichen Ausdrucksweise erscheinen, sind sie nicht: Wie sich noch zeigen wird, entsprechen manche der von Jespersen genannten Punkte den Varia- blen, die auch heute in der linguistischen Geschlechterforschung unter- sucht werden (z. B. der Gebrauch von Kraftausdrücken oder von ver- stärkenden Adverbien). 4 Frauen reden schlechter Spätestens mit Jespersen war der Verdacht aufgekommen, dass Frauen anders reden als Männer. Die linguistische Geschlechterforschung als wissenschaftliche Disziplin verdankt ihre Entstehung jedoch nicht Otto Jespersen, sondern den Impulsen, die von der Frauenbewegung der späten 1960er- und der 1970er-Jahre ausgingen. Feministinnen, die da- mals die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen anprangerten, entdeckten im Sprachverhalten eine wesentliche Ursache weiblicher Machtlosigkeit. Eine der wichtigsten Arbeiten in diesem Zusammen- hang ist der Artikel »Language and woman’s place«, den die Amerika- nerin Robin Lakoff 1973 veröffentlichte und 1975 zu einem Buch aus- baute. Obwohl auch andere das Thema Sprache und Geschlecht etwa zur gleichen Zeit entdeckten (z. B. die amerikanischen Linguistinnen Mary Ritchie Key und Cheris Kramer oder der norwegische Psychologe Rolf Blakar), gilt v. a. Lakoffs Arbeit als »Initialzündung« der linguisti- schen Frauenforschung, da sie eine breite Diskussion und eine wahre Flut an empirischen Untersuchungen auslöste. Nach Lakoff (1973) ist weibliches Sprachverhalten durch folgende Merkmale gekennzeichnet: – Frauen besitzen einen differenzierten Wortschatz im trivialen Be- reich der Farbbezeichnungen, z. B. ecru, mauve, lavender – Frauen verwenden schwächere Ausrufe oder Kraftausdrücke als Männer, z. B. oh dear! (vs. männlich shit!), goodness! (vs. männlich damn!) – Frauen verwenden Adjektive, die Assoziationen von Frivolität und Trivialität erwecken, z. B. adorable, charming, lovely(vs. männlich oder neutral great, terrific, cool) 13 1 Frauen und Sprachgebrauch – Frauen stellen häufig Fragen und verwenden angehängte Fragefor- men (tag questions), z. B. Sure it is hot here, isn’t it? oder The war in Viet- nam is terrible, isn’t it? – Frauen neigen zur Verwendung von Unschärfemarkierungen (hedges), z. B. you know, kind of – Frauen drücken sich höflicher aus als Männer (z. B. indirekte Auffor- derungen) Mit diesen Eigenschaften reflektiert weibliches Sprachverhalten die ge- sellschaftliche Machtlosigkeit von Frauen. Um der weiblichen Rolle ge- recht zu werden, so Lakoff, müssen Mädchen den weiblichen Sprachstil erlernen; damit legen sie aber das Fundament dafür, nicht ernst ge- nommen zu werden und sich nicht durchsetzen zu können. In Deutschland leitete Senta Trömel-Plötz 1978 die Diskussion ein. Ihr Artikel »Linguistik und Frauensprache« wurde, wie der von Lakoff, Auslöser für eine Vielzahl empirischer Studien. Ihre Bestandsaufnah- me weiblichen Sprachverhaltens im Deutschen unterscheidet sich von Lakoffs Beobachtungen nur in Nuancen.3 Darüber hinaus stimmt Trö- mel-Plötz (1982: 52) mit Lakoff in der negativen Einschätzung des weiblichen Sprachverhaltens überein und sieht Frauen in einer Zwick- mühle gefangen: Sprechen sie typisch weiblich, werden sie als Frau akzeptiert, bleiben aber machtlos. Sprechen sie dagegen wie Männer, gelten sie nicht als »richtige« Frau oder werden als Emanze diskredi- tiert. Die Pionierinnen der linguistischen Geschlechterforschung gin- gen also von folgenden Annahmen aus: a) Frauen reden anders als Männer, b) weibliches Sprachverhalten bringt Frauen Nachteile in der Kommunikation. Weibliche Sprache ist somit ein Handicap. 5 Empirische Untersuchungen: Ergebnistendenzen Die Thesen von Lakoff und Trömel-Plötz stützten sich zunächst nicht auf empirische Befunde, sondern auf Beobachtungen und Introspek- tion, ein Punkt, der insbesondere Lakoff immer wieder angelastet wur- de (vgl. auch Hall 1995: 184). Wie schon angedeutet, motivierten sie aber empirische Forschung zum geschlechtstypischen Sprachverhal- ten. Die erste Untersuchungswelle ergab folgende Tendenzen (vgl. die Zusammenfassung in Braun 1993):4 3 So etwa in der Feststellung, dass Frauen besonders zu Diminutiven neigen, ein Punkt, der bei Lakoff nicht angesprochen ist. 4 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Überblicksdarstellungen (z. B. Günthner 1997: 123). 14
Description: