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Dissertation Andreas Schrenk PDF

235 Pages·2009·1.42 MB·German
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Wie wirkt Heimerziehung? Empirische Untersuchung zur sozialen Konstruktion von Wirkungsvorstellungen von Jugendlichen im Heim. D I S S E R T A T I O N zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie am Fachbereich 1: Bildungswissenschaften der Universität Koblenz-Landau vorgelegt am 20.04.2009 von Diplom Pädagoge Andreas Schrenk geb. am 05.05.1962 in Schwenningen Referent: Professor Dr. Christian Schrapper Korreferent: Professor Dr. Norbert Neumann „Was die Sozialwelt hervorgebracht hat, kann die Sozialwelt mit Wissen gerüstet auch wieder abschaffen. Eines jedenfalls ist sicher: Nichts ist weniger unschuldig, als den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen“ Pierre Bourdieu Seite 2 von 235 Inhalt ANLAGE DER ARBEIT IN DER VORSCHAU .................................................................... 5 1 EINFÜHRUNG IN DAS DISSERTATIONSVORHABEN ..................................................... 7 1.1 ZIELSETZUNG ................................................................................................................ 8 1.1.1 Leitfragen .............................................................................................................10 1.2 RAHMENBEDINGUNGEN DES FORSCHUNGSVORHABENS ..................................................12 2 HERANFÜHRUNG AN DIE THEMATIK ............................................................................15 2.1 JUGENDLICHE IN HEIMERZIEHUNG .................................................................................15 2.2 WIE SOZIALISIEREN SICH JUGENDLICHE? BZW. WIE LASSEN SIE SICH SOZIALISIEREN?.......21 2.3 ANEIGNUNG IM SPANNUNGSFELD VON BILDUNG UND ERZIEHUNG IM HEIM ........................23 2.4 SOZIALISATION VS. SELBSTWIRKSAMKEIT .......................................................................26 2.5 HERLEITUNG ZENTRALER BEGRIFFE ...............................................................................27 2.5.1 Selbstwirksamkeit ................................................................................................27 2.5.2 Soziale Konstruktion von Wirklichkeit ...................................................................29 2.5.3 Aneignung ...........................................................................................................31 2.5.4 Positive Peer Culture und traditionelle Ansätze ....................................................35 2.5.5 Peer Group Counselling (PGC) ............................................................................36 3 THEORIE ..........................................................................................................................38 3.1 ZUM STAND DER HEIMERZIEHUNGSFORSCHUNG .............................................................38 3.1.1 Planungsgruppe Petra .........................................................................................41 3.1.2 Leistungen und Grenzen von Heimerziehung ......................................................41 3.1.3 Jugendhilfe-Effekte Studie ...................................................................................42 3.1.4 Ein Zuhause kein Zuhause ..................................................................................42 3.1.5 Metaanalysen quantitativer und qualitativer Studien zur Wirkung von Heimerziehung .............................................................................................................43 3.1.6 AdressatInnenforschung ......................................................................................51 3.1.6.1 Was man weiß ..............................................................................................52 3.1.6.2 Was man nicht weiß ......................................................................................53 3.1.6.3 Professionalität und Evidenzbasierung ..........................................................55 3.2 ZUM AKTUELLEN FORSCHUNGSSTAND VON POSITIVE PEER CULTURE ..............................61 4 GROUNDED THEORY ALS METHODOLOGISCHES RAHMENKONZEPT .....................64 5 METHODISCHE ANLAGE DER UNTERSUCHUNG .........................................................66 5.1 METHODIK VON UNTERSUCHUNGEN ...............................................................................66 5.2 NARRATIVE INTERVIEWS ...............................................................................................67 5.3 OBJEKTIVE HERMENEUTIK .............................................................................................69 5.4 KOGNITIVE FIGUREN DES AUTOBIOGRAPHISCHEN STEHGREIFERZÄHLENS ........................72 5.5 AKTENSTUDIUM ............................................................................................................73 5.6 INHALTSANALYTISCHE AUSWERTUNG .............................................................................73 5.7 TRIANGULATION ...........................................................................................................73 6 HERMEUTISCHE ANALYSE UND INTERPRETATION DER INTERVIEWS ....................74 6.1 STEFANS INTERVIEW .....................................................................................................74 6.1.1 Fallstrukturhypothese ...........................................................................................84 6.1.2 Fallstrukturhypothese ...........................................................................................94 6.1.3 Fallstrukturhypothese ...........................................................................................98 6.1.4 Fallstrukturhypothese ......................................................................................... 106 6.2 PATRICKS INTERVIEW ................................................................................................. 109 6.2.1 Fallstrukturhypothese ......................................................................................... 111 6.2.2 Fallstrukturhypothese ......................................................................................... 118 6.3 ROLFS INTERVIEW ...................................................................................................... 119 Seite 3 von 235 6.3.1 Fallstrukturhypothese ......................................................................................... 130 6.4 KURZBIOGRAPHIEN DER INTERVIEWTEN JUGENDLICHEN ................................................ 132 6.4.1 Kurzbiographie Stefan ....................................................................................... 132 6.4.2 Kurzbiographie Patrick ....................................................................................... 133 6.4.3 Kurzbiographie Rolf ........................................................................................... 136 7 INHALTSANALYTISCHE AUSWERTUNG DER INTERVIEWS ...................................... 139 7.1 CODE RELATIONS ....................................................................................................... 141 7.1.1 Eigener Erfolg .................................................................................................... 143 7.1.1.1 Eigener Erfolg : Sozialisation vs. Selbstwirksamkeit .................................... 143 7.1.1.2 Eigener Erfolg : Lernerfahrungen und Entwicklungen .................................. 146 7.1.1.3 Eigener Erfolg : Selbstwirksamkeit .............................................................. 147 7.1.2 Sozialisation vs. Selbstwirksamkeit .................................................................... 148 7.1.3 Perspektive, Lebensentwurf ............................................................................... 150 7.1.4 Peers ................................................................................................................. 151 7.1.5 Bildungsfaktoren ................................................................................................ 153 7.1.6 Regeln und Vereinbarungen und warum man sich daran hält ............................ 155 7.1.7 Selbstwirksamkeit .............................................................................................. 156 7.1.8 Verhältnis zur Einrichtung .................................................................................. 156 7.1.9 Normen, Werte, Moral ........................................................................................ 157 7.2 STRUKTURHYPOTHESE ............................................................................................... 159 8 ERGEBNISSE AUS DER TRIANGULATION .................................................................. 161 9 VERBINDUNG AKTUELLER FORSCHUNGSERGEBNISSE MIT DEN BEFUNDEN DER VORLIEGENDEN UNTERSUCHUNG ................................................................................ 167 9.1 PARTIZIPATION IN DER HILFEPLANUNG UND PASSUNG DES HILFEARRANGEMENTS .......... 167 9.2 KONTINUITÄT SOZIALER BEZÜGE ................................................................................. 173 9.3 STABILITÄT DER PLATZIERUNG .................................................................................... 177 9.4 QUALITÄT SOZIALER BEZÜGE....................................................................................... 181 9.5 NACHBETREUUNG IM ANSCHLUSS AN DIE STATIONÄRE HILFE ......................................... 184 9.6 ZU DEN EFFEKTEN DER ÖFFNUNG STATIONÄRER EINRICHTUNGEN ZUM SOZIALEN UMFELD ....................................................................................................................................... 187 9.7 MERKMALE DER KLIENTEL ........................................................................................... 190 9.8 LEBENSQUALITÄT IN EINRICHTUNGEN .......................................................................... 190 9.9 FÖRDERUNG VON SELBSTWIRKSAMKEIT ....................................................................... 192 9.10 POSITIVE PEER CULTURE .......................................................................................... 195 9.10.1 Grundlegendes ................................................................................................ 198 9.10.2 Praxisbeispiele ................................................................................................. 203 9.10.3 Implementierung .............................................................................................. 206 10 RESÜMEE UND AUSBLICK ......................................................................................... 207 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................... 229 Seite 4 von 235 Anlage der Arbeit in der Vorschau Um vorweg einen Überblick zu ermöglichen, wird der Arbeit eine Zusammenfassung vorangestellt, in der die einzelnen Kapitel inhaltlich kurz skizziert werden. In Kapitel 1 wird inhaltlich und strukturell in die Arbeit eingeführt und das Thema begründet. Der Leser wird mit der Zielsetzung und den Rahmenbedingungen der Untersuchung bekannt gemacht. Anhand der Leitfragen wird hier das zu Grunde liegende Erkenntnisinteresse formuliert. Kapitel 2 problematisiert Heimunterbringung aus der Perspektive der Indikation und bringt diese in Zusammenhang mit Überlegungen zur Peer Group als sozialisatorisch wirksamer Konfiguration. Die Diskussion des Begriffes der Aneignung öffnet einen Spannungsbogen und nimmt das Verhältnis von Bildung, Erziehung und Selbstwirksamkeit in den Blick. Darüberhinaus werden weitere, zentrale Begriffe der Arbeit eingeführt (Konstruktion sozialer Wirklichkeit, Positive Peer Culture, Peer Group Counselling) Kapitel 3 handelt theoretische Hintergründe ab und stellt den aktuellen Forschungsstand zur Heimerziehung und zu Positive Peer Culture dar. Besonders wird auf die Ergebnisse der Metaanalysen von Gabriel und Wolf eingegangen (vgl. Wolf 2007, vgl. Gabriel 2007). In Kapitel 4 werden die Grundzüge der Grounded Theory erläutert und die Wahl und Relevanz dieses Konzeptes als methodologischen Unterbau begründet. In Kapitel 5 wird zunächst die Problematik der Methodik von Untersuchungen skizziert. Im Weiteren werden die einzelnen Methoden der vorliegenden Untersuchung vorgestellt und erläutert. In Kapitel 6 erfolgt die hermeneutische, extensive Analyse und Interpretation der Interviews. Die interpretativen Überlegungen werden in Fallstrukturhypothesen gebündelt. Kapitel 7 beschreibt und dokumentiert einen zweiten methodischen Zugang zum Datenmaterial. Die Interviews werden hier inhaltsanalytisch untersucht und interpretiert. Die Ergebnisse werden in einer Strukturhypothese zusammengefasst. Seite 5 von 235 In Kapitel 8 werden die Ergebnisse aus der hermeneutischen Analyse mit den Überlegungen aus dem inhaltsanalytischen Interpretationszugang zusammengeführt. Hieraus werden erste Befunde entwickelt und formuliert. Kapitel 9 bildet zunächst die Diskussion der Befunde aus den Metaanalysen ab. Diese Befunde werden ins Verhältnis gesetzt mit den Ergebnissen aus der vorliegenden Untersuchung und dadurch untermauert, konkretisiert, ergänzt und erweitert. Daraus werden Folgerungen für die Praxis abgeleitet. Es wird der Befund der Relevanz von Peer-Beziehungen beschrieben. Außerdem werden die Grundzüge der Positive Peer Culture wiedergegeben und mit Praxisbeispielen illustriert. In Kapitel 10 werden u. a. noch einmal die Hauptbefunde in den Blick genommen, gebündelt und im Sinne von Repräsentativität und Verallgemeinerung mit Überlegungen zu Positive Peer Culture in Beziehung gesetzt. Außerdem werden daraus erwachsene Ableitungen im historischen Aufriss des Pädagogischen Bezugs reflektiert, mit dem Versuch einer aktuellen Ortsbestimmung der Pädagogischen Beziehung. Seite 6 von 235 1 Einführung in das Dissertationsvorhaben In allen Lebensbereichen haben die gegebenen gesellschaftlichen Rahmen- bedingungen Auswirkungen auf die Lebensqualität von Menschen. Die Lebensentwürfe, Lebenssituationen und Verwirklichungschancen von Menschen werden beruflich und privat, in sozialer und materieller Hinsicht, aus psychologischer und soziologischer Perspektive durch gesellschaftliche Kontexte maßgeblich beeinflusst. Im engeren Sinne, auf die Heimerziehung bezogen, beeinflussen Rahmenbedingungen den Grad der Selbstbestimmung und damit die Verwirklichungschancen junger Menschen1. Winkler bezeichnet den Zustand, in dem sich ein junger Mensch nicht als Subjekt erlebt, sondern eher als Objekt innerer und äußerer Umstände, als den „Modus der Differenz“ (vgl. Winkler 1988). Es wird davon ausgegangen, dass die Selbstbestimmung sozialpädagogischer Klientel sich im Rahmen von Heimerziehung fördern und entwickeln lässt, wenn das Heim einen Ort darstellt, in dem Schutz, Versorgung und Sicherheit gewährleistet sind und in dem Lernmöglichkeiten zur Verfügung stehen (vgl. Stanulla 2003, 101). Bei den meisten der bekannten Untersuchungen, so auch bei den im Rahmen der hier vorgestellten Metaanalysen angesprochenen quantitativen Studien dominierte die Expertenperspektive und da, wo die Heimbewohner befragt wurden, sind zwar die Aussagen „gezählt“, überindividuelle Korrelationen abgeleitet und mit Überlegungen zu Wirkungen erzieherischer Hilfen interpretativ in Verbindung gebracht worden. Dies gilt ebenso für die qualitativen Studien. Die aktuellen großen Studien zur Heimerziehung (Jes, Jugendhilfestudie,) formulieren einen entwicklungsorientierten Blick und interessieren sich auch dafür, was in den Jugendlichen selbst während der Heimerziehung passiert, bzw. was diese dazu sagen. Allerdings wurde nach meiner Kenntnis bisher nicht berücksichtigt, dass es sich hierbei um die subjektiven Konstruktionen sozialer Realitäten der Probanden handelt bzw. wurde nicht versucht, diesen Konstruktionen mit dem Erkenntnisinteresse nach ihren Ursachen und den Bedingungen ihres Zustandekommens analytisch und interpretativ 1 Einer leichteren Lesbarkeit geschuldet sind in der vorliegenden Arbeit geschlechtsneutrale bzw. maskuline Formen verwendet worden. Selbstverständlich sind feminine Formen mitzudenken. Seite 7 von 235 nachzugehen2 (siehe auch Kapitel 3.1.6.1 Was man weiß S.52 und Kapitel 3.1.6.2 Was man nicht weiß S. 53). In der vorliegenden Untersuchung wird die Beforschung der Klientenperspektive um den Aspekt der Konstruktionsidee ergänzt und spezifiziert. Sie stellt in ihrem kasuistisch ausgerichteten Forschungsdesign bei der Suche nach Antworten auf Fragen nach Wirkungen professioneller Interventionen in stationären erzieherischen Hilfen, in Ergänzung zu den aktuell vorliegenden Studien die Klientenperspektive bzw. die Konstruktionen der Klienten in den Mittelpunkt. Auf der Datenbasis von narrativen Interviews, die mit, zum Zeitpunkt des Interviews aktuell im Heim untergebrachten, jungen Menschen durchgeführt wurden, wurden mit unterschiedlichen methodischen Zugängen die individuellen Konstruktionen der Probanden zu ihren Wirkungsvorstellungen analysiert, rekonstruktiv interpretiert und mit Überlegungen zu Effekten erzieherischer Hilfen in Beziehung gesetzt. Das Erkenntnisinteresse bezieht sich auch auf den Peer Aspekt, der im Rahmen einer größeren Jugendhilfeeinrichtung als sozialisatorisch wirksamem Lebensort gruppenpädagogisch sozialisatorisch wirksam wird. Das Interesse gilt den Konstruktionen der jungen Menschen zu Wirksamkeit, die im Rückblick auf die Erfahrungen des jungen Menschen in der Heimerziehung und in konkreten Situationen (nicht ausschließlich, aber auch) den Peers der Gleichaltrigengruppe zugeschrieben wird. In den Blick genommen wird die Perspektive von Jugendlichen, die in einer Jugendhilfeeinrichtung leben und ihre subjektive Vorstellung davon, was letztlich zu ihrer positiven Entwicklung geführt bzw. beigetragen hat. Die Konstruktionen der Jugendlichen zu ihrer Vorstellung von Wirkung werden analysiert und interpretiert. 1.1 Zielsetzung Junge Menschen, die sich in stationären Hilfemaßnahmen befinden, sind vor dem Hintergrund ihrer biographischen Erfahrungsaufschichtungen und den damit verbundenen, zum Beispiel dauerhaften seelischen und körperlichen Demütigungen vor der Maßnahme, häufig nicht mehr in der Lage, auf ihr Leben im Sinne von Aneignung von Welt, aktiv gestalterisch Einfluss zu nehmen, mit dem Ziel, sich in ihrer 2 „Es ist innovativ, die Perspektive der Jugendlichen bezüglich Wirkungsforschung stark zu gewichten; doch ergeben sich dadurch auch Schwierigkeiten der Bewertung: wenn etwas subjektiv bedeutsam für sie war, ist das nicht 1 zu 1 gleichzusetzen mit der Bedeutung der Einflüsse auf ihre Erziehungs- und Bildungsprozesse (z.B. Konsum von Drogen, Machtstellung innerhalb der impliziten Hierarchie) (Gabriel 2007, 30)“. Seite 8 von 235 Welt heimisch zu fühlen (vgl. Stanulla 2003, 101). Es ist anzunehmen, dass diese elementaren Erfahrungen mit negativen externen Attribuierungen verknüpft waren (siehe auch 6.1.1 Fallstrukturhypothese S.84 ff). Möglichkeiten von frühkindlichen und kindlichen Selbstwirksamkeitserfahrungen waren weitgehend beschnitten, was sich als Entmutigung3 manifestiert und sich existenziell belastend und nachhaltig auf das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit dieser jungen Menschen auswirkt. Vorurteile, Defizitorientierungen und negative Attribuierungen werden nicht immer unmittelbar, sondern auch subtil vermittelt. Brendtro et al. entnehmen aus einem Artikel, der sich auf die Ausbildung von Sonderpädagogen in den USA bezieht, die folgende, allerdings sehr drastische defizitorientierte Sichtweise auf außergewöhnliche Kinder und Jugendliche: „Sie sind beleidigend, destruktiv, unberechenbar, verantwortungslos, rechthaberisch, streitsüchtig, irritierend, eifersüchtig, trotzig – es ist alles andere, als eine Freude, mit ihnen zusammen zu sein. Normalerweise verbringen Erwachsene nicht gerne ihre Zeit mit diesen Kindern, es sei denn, sie sind dazu gezwungen (Brendtro et al.1995, 18)“. Als Gegenentwurf wird die gegensätzliche Perspektive von Floydd Starr dargestellt, dem Gründer der Einrichtung Starr Commonwealth in Michigan, USA: „Wir glauben, dass es so etwas wie einen schlechten Jungen nicht gibt, dass Schlechtigkeit keine normale Kondition ist, sondern das Ergebnis fehlgeleiteter Energie. Wir glauben, dass jeder Junge gut ist, wenn man ihm in einem Umfeld von Liebe und Aktivität Gelegenheit dazu gibt (Floydd Starr in: Brendtro et al 1995, 18).“ Die Zielsetzung des vorliegenden Forschungsprojektes besteht darin, einen Beitrag zum Verständnis des Phänomens zu leisten, dass in Jugendhilfemaßnahmen untergebrachte Jugendliche mit häufig negativem Selbstbild und negativen externen 3 Brendtro et al. diskutieren die folgenden vier Profile der Entmutigung: „1. Destruktive Beziehungen, wie sie zurückgewiesene oder verlassene Kinder erfahren, die sich nach Liebe sehnen, aber unfähig sind, zu vertrauen und deshalb erwarten, jedes Mal aufs Neue verletzt zu werden. 2. Ein Klima der Nutzlosigkeit, wie es den unsicher gewordenen Jugendlichen begegnet, das sie durch Gefühle der Unzulänglichkeit und der Angst vor dem Versagen verkrüppelt (bzw. sie daran hindert, selbstwirksam zu sein A.S.). 3. Erlernte Verantwortungslosigkeit, die bei Jugendlichen zu finden ist, deren Gefühle der Machtlosigkeit durch Indifferenz oder herausforderndes, rebellierendes Verhalten verdeckt sind. 4. Sinnverlust, der eine Generation auf sich selbst konzentrierter Jugendlicher porträtiert, die in einer Welt widersprüchlicher Werte verzweifelt nach einem Sinn sucht (Brendtro et al. 1995, 10ff)“. Seite 9 von 235 Attribuierungen über prosoziale Ressourcen und Potentiale verfügen, andere Jugendliche (Peers) in ihrer sozialen Entwicklung unterstützen zu können4 (siehe auch Kapitel 2.5.4 Positive Peer Culture und traditionelle Ansätze S.35ff und Kapitel 3.2 Zum aktuellen Forschungsstand von Positive Peer Culture S.61ff). Durch die gemachte Erfahrung der eigenen Fähigkeiten und Wirksamkeit steigern die Jugendlichen ihr Selbstwertgefühl und können ihre eigene soziale Kompetenz weiterentwickeln. Auf dieser Folie werden die folgenden erkenntnisleitenden Fragestellungen diskutiert und mit den Konstruktionen der Jugendlichen in Beziehung gesetzt. 1.1.1 Leitfragen • Was hat die Veränderung und Entwicklung des jungen Menschen in Heimerziehung positiv unterstützt? Diese Leitfrage ist positiv formuliert und fragt in erster Linie nach den Faktoren, die zum erfolgreichen Verlauf von Maßnahmen erzieherischer Hilfen im Heim beitragen. Aspekte, die erfolgreiche Verläufe eher erschweren, bleiben jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht einfach unkritisch ausgeklammert, sondern kommen im Rahmen der Diskussion der Ergebnisse aus der Heimerziehungsforschung (vgl. Metaanalysen Wolf 2007 und Gabriel et al. 2007) ansatzweise zur Sprache und sind darüber hinaus im Umkehrschluss aus den positiven Aspekten der in den im vorliegenden Dissertationsvorhaben herausgearbeiteten und vorgestellten Befunden ableitbar. Der Grund für diese Schwerpunktsetzung mag darin liegen, dass es dem Autor nicht darum geht, mit defizitorientiertem Blick dysfunktionale Aspekte der Heimerziehung herauszuarbeiten und in den Mittelpunkt seiner Untersuchung zu stellen, um daraus Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Sondern es geht darum, von der Vorannahme ausgehend, dass sich Potentiale und Ressourcen erschließen, bzw. mit den Konstruktionen der Jugendlichen in Beziehung setzen lassen, mehr Klarheit 4 Pestalozzi war von den prosozialen Potentialen und Ressourcen seiner Straßenkinder überzeugt und berichtet von seinen Erfahrungen, dass die Straßenkinder, die er in Stans betreute, Fürsorge für andere Kinder zeigten. Nachdem ein Nachbardorf von Stans durch Feuer zerstört und viele Kinder obdachlos geworden waren, wollten die Stanser Kinder die Obdachlosen bei sich aufnehmen. Pestalozzi betont in seiner Schilderung, dass diese Initiative von den Kindern ausging und nicht etwa von ihm selbst. Sie wollten helfen, waren am Wohlergehen anderer interessiert und bereit, dafür eigene Bedürfnisse zurückzustellen (vgl. Pestalozzi in Klafki 1997, 20). Brendtro et al. berichten von einer Vielzahl innovativer Modelle und Programme, in denen sogenannten verantwortungslosen Jugendlichen Verantwortung übertragen wird und der Focus darauf liegt, Strukturen und Bedingungen zu schaffen, die Hilfe und Unterstützung durch Jugendliche für Jugendliche ermöglichen, fördern und kultivieren (vgl. Brendtro et al. 1995, 9ff). Seite 10 von 235

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Overesch betont in ihrer Dissertation den in Finnland extrem hohen oder durch traumatisierende Widerfahrnisse, wie Misshandlung (abuse) oder.
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