SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Marco Overhaus Die Verteidigungspolitik der USA Grundlegende Trends und ihre Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis S 11 Juni 2015 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2015 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Außen- und innenpolitische Rahmen- bedingungen 7 Wahrnehmungen des sicherheits- politischen Umfelds 9 »Kriegsmüdigkeit« in der amerikani- schen Öffentlichkeit 10 Parteipolitik und politische Polarisierung 11 Verteidigungshaushalt 15 Entwicklungstrends in der US-Verteidigungs- politik 15 Aufgabenprioritäten und »Force Planning Construct« der Streitkräfte 18 Streitkräftestrukturen 21 Investitionen in Technologie und Rüstung 22 Overseas Military Posture 26 Fazit 27 Die verteidigungspolitische Rolle der USA in Europa 27 Längerfristige Trends 28 Auswirkungen der Ukraine-Krise und des Konflikts mit Russland 31 Schlussfolgerungen 32 Abkürzungen Dr. Marco Overhaus ist stellvertretender Leiter (a.i.) der SWP-Forschungsgruppe Amerika. Problemstellung und Empfehlungen Die Verteidigungspolitik der USA. Grundlegende Trends und ihre Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis 2011 gilt vielen als Beginn einer weitreichenden Zäsur in der Verteidigungspolitik der USA. In diesem Jahr trat das Gesetz zur Kontrolle des amerikanischen Haushalts (Budget Control Act) in Kraft, das – gemessen an den Höhenflügen in den vorangegangenen Jahren – große Einsparungen im Verteidigungsetat vorsah. Hinter dieser Entwicklung offenbarte sich zugleich ein tiefer Graben zwischen den politischen Parteien in Washington, die sich nicht auf einen Plan zur Sanie- rung der Staatsfinanzen einigen konnten. Im selben Jahr erklärte die Administration von Präsident Barack Obama die Hinwendung (pivot) zum asiatisch-pazifi- schen Raum zu ihrem zentralen außenpolitischen Ziel; Ende 2011 wurden die US-Truppen fast vollstän- dig aus dem Irak abgezogen. Die amerikanische Öffent- lichkeit war angesichts der Verstrickungen ihres Lan- des in Afghanistan und im Mittleren Osten kriegs- müde geworden. Andrew Krepinevich, Präsident des Center for Strategic and Budgetary Assessments, brachte 2012 in einem Aufsatz für die Zeitschrift »Foreign Affairs« eine in Washington verbreitete Erwartungs- haltung auf den Punkt. Das US-Militär, schrieb Krepi- nevich, stehe vor so dramatischen Veränderungen wie seit Einführung der Nuklearwaffen vor mehr als 60 Jahren nicht mehr. Die Analyse in der vorliegenden Studie zeigt, dass die amerikanische Verteidigungspolitik durch drei wesentliche Entwicklungstrends geprägt ist, die teil- weise schon lange vor 2011 ihren Anfang genommen haben. Insofern muss die Annahme stark relativiert werden, dieses Jahr markiere einen deutlichen Ein- schnitt. Erstens wurden die innenpolitischen Rahmen- bedingungen – öffentliche Meinung, Haltung der Par- teien und finanzielle Ausstattung – für das globale militärische Handeln der USA schwieriger. Allerdings bleibt der Einfluss dieser Faktoren auf die amerikani- sche Verteidigungspolitik insgesamt sehr begrenzt. Zweitens zeichnet sich die Politik Präsident Obamas durch Zurückhaltung beim Einsatz der Streitkräfte im Ausland sowie durch eine Präferenz für den »leichten Fußabdruck« aus. Darunter fällt auch das Bestreben, die Sicherheitskräfte in Partnerländern aufzubauen, um so die Notwendigkeit direkter Militärinterventio- nen durch die USA zu minimieren. SWP Berlin Die Verteidigungspolitik der USA Juni 2015 5 Problemstellung und Empfehlungen Drittens verfolgen die USA nicht erst seit Obama unterhält Programme im Bereich des Defense Capacity eine langfristig angelegte Transformations-Agenda. Building. Den zahlreichen bilateralen und multilatera- Diese rückt die technologischen Fähigkeiten zur glo- len Initiativen fehlt es allerdings oft an funktiona- balen Machtprojektion in den Mittelpunkt und nimmt ler und geographischer Kohärenz. Ein Hindernis für dabei Einschnitte beim Umfang der Streitkräfte in engere transatlantische Zusammenarbeit bleibt, dass Kauf. Deutschland und andere EU-Staaten den Kapazitäts- Für das transatlantische Verhältnis haben die zu be- aufbau vorwiegend unter dem Blickwinkel regionaler obachtenden Grundtrends der US-Verteidigungspolitik Stabilität und Krisenprävention betrachten, während ambivalente Auswirkungen. Sie bringen sowohl neue für die USA weiterhin der Kampf gegen den Terroris- Kooperationsmöglichkeiten als auch zusätzliches Kon- mus im Vordergrund steht. Daraus ergeben sich unter- fliktpotential mit sich. schiedliche Sichtweisen in der Frage, welche Akteure Kollektive Verteidigung und Lastenteilung in der Nato. als legitime Partner angesehen werden. Der Krieg im Osten der Ukraine und die neue Eiszeit Technologie und transatlantische Rüstungskooperation. im Verhältnis des Westens zu Russland haben die Der Trend, den quantitativen Umfang der US-Streit- Bedeutung der amerikanischen Militärpräsenz in kräfte zu reduzieren, um im Gegenzug Mittel für tech- Europa wieder deutlich verstärkt. Diese Entwicklun- nologische Rüstungsmodernisierung bereitzustellen, gen haben darüber hinaus zu einer Intensivierung der hat sich in den USA sowohl unter republikanischer transatlantischen Verteidigungskooperation geführt. als auch unter demokratischer Ägide fortgesetzt. Im Heute scheint die Sorge unbegründet, dass die durch Vordergrund steht dabei die Entwicklung und Be- den gemeinsamen Afghanistan-Einsatz gewonnene schaffung von möglichst präzisen, weitreichenden Interoperabilität zwischen europäischen und ameri- und autonomen Waffensystemen, ggf. ergänzt um kanischen Streitkräften nach dem Abzug vom Hindu- Tarnkappen-Eigenschaften (stealth). Dies ist nicht kusch verlorengehen könnte. Unter dem Eindruck zuletzt auch eine Antwort auf Chinas militärische der Ukraine-Krise hat Washington im Rahmen der Aufrüstung. Die stärkere Betonung technologischer European Reassurance Initiative sogar zusätzliche Mittel und rüstungspolitischer Modernisierungsprogramme für gemeinsame Übungen im Rahmen der Nato sowie in den USA birgt für das transatlantische Verhältnis auf bilateraler Ebene bereitgestellt. die Gefahr, dass bestehende technologische Lücken Damit steigen in den USA auch die Erwartungen weiter vergrößert werden. Das gilt insbesondere dann, an Deutschland, seine beim Nato-Gipfel von Wales im wenn die Verteidigungsbudgets in Europa weiter sin- September 2014 eingegangenen Verpflichtungen um- ken. Die Frage lautet, wo solche Lücken tatsächlich zusetzen. Dazu gehört, dass Berlin eine Führungsrolle entstehen, wo sie im Sinne einer sicherheitspoliti- beim Aufbau einer besonders schnellen Nato-Eingreif- schen Arbeitsteilung vielleicht sogar sinnvoll sind und truppe übernommen hat. Allerdings sieht Amerika – wo sie wiederum ein Hindernis für die Kooperation ungeachtet der Ukraine-Krise – seine zentralen sicher- über den Atlantik hinweg darstellen. Gemeinsame heitspolitischen Prioritäten weiterhin vor allem außer- europäische Programme zum Fähigkeitsaufbau – sei halb Europas. Das zeigen sowohl die langfristige Aus- es im Rahmen von Smart Defense, Pooling & Sharing oder richtung der US-Verteidigungspolitik am transforma- dem Framework Nations Concept – sollten diesen Aspekt tiven Ansatz als auch die Debatte in Washington über in Zukunft stärker berücksichtigen. den Kampf gegen den »Islamischen Staat« in Syrien und Irak. Zusammenarbeit beim Aufbau der Kapazitäten in Partner- ländern. Die Entwicklungstrends in den USA eröffnen neue Kooperationsmöglichkeiten auch jenseits von Europa. Das gilt insbesondere für die Hilfe beim Auf- bau sicherheits- und verteidigungspolitischer Kapazi- täten in Partnerländern, nicht zuletzt in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten. So verfolgen die deut- sche Bundesregierung und die Europäische Union unter den Überschriften »Ertüchtigungsinitiative« bzw. Enable & Enhance Initiative jeweils grundsätzlich ähnliche Zielsetzungen wie Amerika. Auch die Nato SWP Berlin Die Verteidigungspolitik der USA Juni 2015 6 Wahrnehmungen des sicherheitspolitischen Umfelds Außen- und innenpolitische Rahmenbedingungen Wahrnehmungen des sicherheits- mentatoren verweisen darauf, dass die USA von keiner politischen Umfelds anderen Macht direkt bedroht werden und weiterhin über nukleares Abschreckungspotential verfügen. Im Juni 2011 konkretisierte US-Präsident Obama in Auch der Terrorismus sei allenfalls eine Residual- einer Fernsehansprache seine Pläne für den Abzug bedrohung, die kein weltweites Engagement der USA amerikanischer Kampftruppen aus Afghanistan. Er rechtfertige.3 Isolationisten der libertären Tea-Party- verband damit die bereits zu Beginn seiner Amtszeit Bewegung wollen die Aufmerksamkeit der Politik vor geäußerte Erwartung, dass die USA in Zukunft weni- allem nach innen richten und dabei staatliches Han- ger Geld in ausländische Kriege und stattdessen mehr deln auch in der Sicherheitspolitik so weit wie mög- Ressourcen in den Aufbau des eigenen Landes inves- lich beschneiden. Anhänger der progressiven Linken tieren würden: »America, it is time to focus on nation- fordern hingegen einen expansiven Staat, setzen dabei building here at home.«1 ihre Prioritäten jedoch ebenfalls in der Innenpolitik 2015 ist die Hoffnung, Amerika könnte nach Ende (Infrastruktur, Bildungswesen, Sozialstaat).4 Ange- der Großeinsätze in Irak und Afghanistan eine »Frie- sichts der zahlreichen sicherheitspolitischen Krisen densdividende« einstreichen, vielerorts verflogen. Was weltweit geraten die Vertreter des minimalistischen die Wahrnehmung des internationalen Umfelds in Ansatzes zunehmend in Erklärungsnot. den USA heute prägt, sind die Expansion des soge- Der zweite Ansatz lässt sich als traditionell bezeich- nannten Islamischen Staates in Syrien und Irak, nen, weil er auf Konflikt- und Bedrohungsszenarien der Zusammenbruch staatlicher Ordnungen auch in beruht, welche bereits die Grundlagen der amerikani- Libyen und Jemen, die ungewissen Aussichten in schen Verteidigungspolitik in den Dekaden nach 1945 Afghanistan, der Krieg im Osten der Ukraine sowie die geprägt haben.5 Dazu zählen insbesondere die Erfah- fortdauernden Spannungen zwischen China und rungen des Zweiten Weltkriegs und des Korea-Krieges seinen Nachbarn. Dabei lassen sich in der politischen von 1950 bis 1953. Beide Waffengänge hatten einen Debatte im Wesentlichen drei Ansätze identifizieren, überwiegend zwischenstaatlichen und symmetrischen die jeweils unterschiedliche sicherheits- und vertei- Charakter (Aufeinandertreffen regulärer Streitkräfte, digungspolitische Prioritäten nahelegen. relativ eindeutige Frontverläufe). Da es dabei primär Die erste Perspektive beruht auf der Annahme, dass um Geländegewinne ging, genoss das Heer gegenüber die USA weiterhin relativ sicher seien. Daraus wird die Marine und Luftwaffe einen besonderen Stellenwert. Forderung abgeleitet, das Land solle sein globales mili- Masse bzw. Umfang der Streitkräfte waren wichtiger tärisches Engagement stärker einschränken und beim als technologische Überlegenheit. Unter dem Eindruck Einsatz eigener Truppen in internationalen Konflikten des Korea-Krieges gewannen darüber hinaus große wesentlich selektiver vorgehen.2 In diesem minimalis- und dauerhafte Auslandsbasen in Europa und Nord- tischen Ansatz treffen sich sehr unterschiedliche Denk- ostasien stark an Bedeutung für die USA. traditionen. Dem Neorealismus nahestehende Kom- Der traditionelle Ansatz hat das Ende des Kalten Krieges überdauert. Er wurde 1993 im Rahmen der sogenannten Bottom-Up Review (BUR) in einem zentra- 1 Barack Obama, Remarks by the President on the Way Forward len Strategiedokument kodifiziert, das die Anpassun- in Afghanistan, Washington, D.C.: The White House, Office of gen der US-Verteidigungspolitik nach Zusammen- the Press Secretary, 22.6.2011, <https://www.whitehouse.gov/ the-press-office/2011/06/22/remarks-president-way-forward- afghanistan> (Zugriff am 8.4.2015). 2 Für eine umfassendere Darstellung der Debatte über die 3 John J. Mearsheimer, »America Unhinged«, in: The National Einschränkung des außenpolitischen Engagements (retrench- Interest, 129 (Januar/Februar 2014), S. 9–30. ment) der USA vgl. Stephen G. Brooks/G. John Ikenberry/ 4 Bruce W. Jentleson, »Let the ›Grand Strategy‹ Debate Begin«, William C. Wohlforth, »Don’t Come Home, America. The in: The Hill (online), 20.11.2014. Case against Retrenchment«, in: International Security, 5 Linda Robinson u.a., Improving Strategic Competence. Lessons 37 (Winter 2012/13) 3, S. 7–51. from 13 Years of War, Santa Monica: RAND, 2014, S. 9. SWP Berlin Die Verteidigungspolitik der USA Juni 2015 7 Außen- und innenpolitische Rahmenbedingungen bruch der Sowjetunion beschrieb.6 Im Mittelpunkt der (Area Denial) zu verlieren.12 Ziel der amerikanischen militärischen Planungen standen dabei regionale Verteidigungspolitik müsse es sein, die Fähigkeit zur Konflikte wie der Zweite Golfkrieg von 1991 oder die globalen Machtprojektion zu sichern. Möglichkeit eines Angriffs von Nord- auf Südkorea.7 Deshalb ist nach dieser Sichtweise die Entwicklung Auch die Vertreter des traditionellen Ansatzes ste- eigener technologischer Fähigkeiten (strategische hen unter Rechtfertigungsdruck, denn die westliche Distanzwaffen wie z.B. Bomber, unbemannte Systeme, Sicherheitspolitik wird heute eher durch staatliche Cyber- und Weltraumwaffen) wichtiger als die Auf- Zerfallsprozesse sowie durch asymmetrische Bedro- rechterhaltung umfangreicher Streitkräftestrukturen. hungen (Terrorismus, organisierte Kriminalität) als Marine und Luftwaffe haben gegenüber den Land- durch klassische Kriege zwischen Staaten heraus- streitkräften eine größere Bedeutung als beim tradi- gefordert. Dessen ungeachtet spielt diese Perspektive tionellen Ansatz.13 Der transformative Ansatz prägt weiterhin eine wichtige Rolle in der aktuellen ameri- die von Obama betriebene Schwerpunktverlagerung kanischen Debatte8 sowie in Planungsdokumenten in den asiatisch-pazifischen Raum, doch er spielte der Militärs.9 auch schon für die verteidigungspolitische Program- Schließlich ist drittens der transformative Ansatz zu matik früherer Administrationen eine wichtige nennen. Anders als aus traditioneller Perspektive wird Rolle. Das gilt insbesondere für die Jahre von 2002 die Hauptbedrohung der USA hier nicht in klassisch- bis 2006, als das Pentagon von Donald Rumsfeld ge- territorialen Konflikten gesehen, sondern in einer führt wurde.14 zunehmenden Verbreitung militärisch relevanter Ähnlich wie der traditionelle Ansatz bietet die Technologien unter staatlichen und nichtstaatlichen Transformations-Agenda nur unzureichende Antwor- Akteuren.10 Darunter fallen Mittel zur Kontrolle von ten darauf, wie mit der sicherheitspolitischen Her- Cyber- und Weltraum, integrierte Luftverteidigung, ausforderung durch den Zerfall der staatlichen und immer zielgenauere ballistische Raketen sowie un- regionalen Ordnungen in Afrika sowie dem Nahen bemannte Systeme.11 Durch die Verbreitung dieser und Mittleren Osten umzugehen ist. Denn die Ursa- Technologien, so die Befürchtung, drohen die USA chen dieser Prozesse liegen weniger in der Verbrei- sowohl den Zugang zu kritischen Weltregionen und tung neuer Technologien als in der Erosion legitimer globalen Räumen (Anti-Access) als auch Handlungs- politischer Ordnungen. möglichkeiten in ihren jeweiligen Operationsgebieten Die geschilderten Ansätze legen auch unterschied- liche Schlüsse und Prioritäten nahe, wenn es darum geht, Antworten auf die Krise der europäischen Sicher- 6 Department of Defense, Report on the Bottom-Up Review, heitsordnung und auf die massive Verschlechterung Washington, D.C., Oktober 1993. der Beziehungen mit Russland zu finden. Dabei ist 7 Die Bottom-Up Review benannte zwar auch Risiken für die jedoch klar, dass die Entwicklung in Europa seit An- USA durch zerfallende Staaten und innerstaatliche Konflikte. Sie sollten für die amerikanischen Streitkräfte jedoch nicht fang 2014 für die USA nur eine von mehreren sicher- strukturbestimmend sein. Peacekeeping-Einsätze sind aus heitspolitischen Problemlagen darstellt. Aus Sicht dieser Sicht zweitrangig. Deutschlands und anderer EU-Staaten rüttelt der Krieg 8 So kam beispielsweise ein vom US-Kongress eingesetztes in der Ukraine an den Grundfesten der eigenen Sicher- Expertengremium zur Bewertung der Quadrennial Defense heits- und Verteidigungspolitik. Auf Amerika trifft das Review (QDR) von 2014 zu dem Schluss, dass die USA weiter- nicht zu. hin über »substantielle Landstreitkräfte« verfügen müssten und sich nicht allein auf die Möglichkeit von Luftschlägen oder Spezialoperationen verlassen dürften. National Defense Panel, Ensuring a Strong U.S. Defense for the Future. The National Defense Panel Review of the 2014 Quadrennial Defense Review (Advance Copy), Washington, D.C., Juli 2014, S. 44. 12 Andrew Krepinevich, Jr., »Strategy in a Time of Austerity. 9 Dies gilt vor allem für das amerikanische Heer. Vgl. hierzu Why the Pentagon Should Focus on Assuring Access«, in: United States Army, Win in a Complex World. The U.S. Army Foreign Affairs (Online), November/Dezember 2012. Operating Concept, Washington, D.C., 31.10.2014. 13 Barry M. Blechman u.a., Strategic Agility: Strong National 10 Department of Defense, Joint Operational Access Concept Defense for Today’s Global and Fiscal Realities. A Summary of the (JOAC), Washington, D.C., Januar 2012, S. ii; »North America«, Findings of the Defense Advisory Committee, Washington, D.C.: in: The Military Balance 2013, London: International Institute Stimson Center, September 2013. for Strategic Studies, 2013, S. 49–88 (51). 14 Thomas Rid, »Militär«, in: Simon Koschut/Magnus Kutz 11 Department of Defense, Quadrennial Defense Review 2014, (Hg.), Die Außenpolitik der USA. Theorie – Prozess – Politikfelder – Washington, D.C., März 2014, S. 6f. Regionen, Opladen 2012, S. 107–115 (111). SWP Berlin Die Verteidigungspolitik der USA Juni 2015 8 »Kriegsmüdigkeit« in der amerikanischen Öffentlichkeit »Kriegsmüdigkeit« in der issues«). Lediglich 3 Prozent vertraten die gegenteilige amerikanischen Öffentlichkeit Auffassung.17 Zweitens können externe Entwicklungen und ein- Die wachsende Skepsis der amerikanischen Öffent- zelne Ereignisse in kurzer Zeit große Verschiebungen lichkeit gegenüber militärischen Interventionen in im Meinungsbild der Bevölkerung bewirken. Noch im Folge der Kriege in Irak und Afghanistan wird weit- November 2013 vertraten lediglich 17 Prozent der hin als ein wesentlicher innenpolitischer Faktor ange- befragten Amerikaner die Meinung, die USA würden führt, der den sicherheits- und verteidigungspoliti- zu wenig tun, um globale Probleme zu lösen, während schen Handlungsspielraum des US-Präsidenten be- 51 Prozent sagten, die USA täten zu viel. Weniger als schränkt. So meinten im Oktober/November 2013 ein Jahr später meinten 31 Prozent der Befragten, die nicht weniger als 92 Prozent der außenpolitischen USA unternähmen zu wenig, und nur noch 39 Pro- Eliten des Landes, in der breiten Bevölkerung habe die zent meinten, sie täten zu viel. Besonders augenfällig Unterstützung für eine aktive Rolle Amerikas in der waren die Verschiebungen bei Republikanern, die der Welt abgenommen.15 Tea-Party nahestehen.18 Die Ereignisse in der Ukraine Tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass die Öffent- und im Irak, die das Jahr 2014 bestimmt hatten, dürf- lichkeit in den USA sich stärker als noch vor einigen ten ein wesentlicher Grund für diese Veränderungen Jahren durch eine Binnenorientierung auszeichnet, gewesen sein. dass es immer mehr Zuspruch findet, die amerikani- Gerade singuläre Ereignisse können – medial ver- sche Außen- und Sicherheitspolitik an engen »natio- stärkt – eine unmittelbare Wirkung entfalten. So hat nalen Interessen« auszurichten, und dass die globalen die Enthauptung des US-Journalisten James Foley im Handlungsmöglichkeiten des Landes pessimistischer August 2014 die öffentliche Meinung klar zugunsten gesehen werden. 2013 meinten laut einer Umfrage eines militärischen Eingreifens im Irak durch Luft- 52 Prozent der Bürger, die USA sollten sich auch bei schläge beeinflusst.19 Dies gilt sowohl für Anhänger ihrem internationalen Engagement in erster Linie um der Demokraten als auch für jene der Republikaner. die eigenen Belange kümmern (»should mind their Drittens verändern sich Haltungen in der Bevölke- own business internationally«). Das war der höchste rung unter dem Einfluss politischer Entscheidungen. Wert, seit diese spezifische Frage 1964 erstmals ge- Will der amerikanische Präsident militärisch handeln, stellt wurde.16 Darüber hinaus meinten 80 Prozent der kann er öffentliche Unterstützung mobilisieren, in- Befragten, die Vereinigten Staaten sollten sich auf die dem er auf die Bedrohung nationaler Sicherheitsinte- Probleme zu Hause statt jene im Ausland konzentrie- ressen verweist. Dass sich dabei ein Rally around the flag- ren – 11 Prozentpunkte mehr als noch 2003. Effekt einstellt, ließ sich im Zusammenhang mit Mili- Allerdings sprechen drei Gründe dagegen, dass die tärinterventionen der USA immer wieder beobachten Einstellungen in der breiteren Bevölkerung dem ver- – in den Fällen Irak/Syrien 2014, Libyen 2011, Irak teidigungspolitischen Handeln der US-Administration 2003, Afghanistan 2001, Kosovo 1999, Somalia 1993 wesentliche Beschränkungen auferlegen. Erstens ist und Irak 1991.20 Der Präsident verliert diese Unter- die öffentliche Meinung – soweit sie sich in Umfragen stützung, wenn das jeweilige militärische Eingreifen spiegelt – oft widersprüchlich oder zumindest durch über längere Zeit nicht die gewünschten Erfolge bringt. Ambivalenzen gekennzeichnet. Obwohl die Mehrheit Dessen ungeachtet bleibt die öffentliche Meinung eine der Amerikaner eine verstärkte Besinnung auf innen- wandelbare Rahmenbedingung, die dem jeweiligen politische Probleme unterstützt, meinten 54 Prozent US-Präsidenten viel Flexibilität und Freiräume lässt. bei einer Umfrage von August 2014, dass Präsident Obama in seiner Außen- und Sicherheitspolitik nicht 17 Pew Research Center for the People & the Press, As New hart genug vorgehe (»is not tough enough in his Dangers Loom, More Think the U.S. Does »Too Little« to Solve World approach on foreign policy and national security Problems, 28.8.2014. 18 Ebd. 19 Pew Research Center for the People & the Press, Support 15 Befragt wurden die Mitglieder des Council on Foreign Rela- for U.S. Airstrikes in Iraq; Concern about Getting Too Involved, tions (CFR). Pew Research Center for the People & the Press, Washington, D.C., 18.8.2014; Gallup, Slightly Fewer Back ISIS Public Sees U.S. Power Declining as Support for Global Engagement Military Action vs. Past Actions, Washington, D.C., 23.9.2014, Slips. America’s Place in the World 2013, Washington, D.C., <www.gallup.com/poll/177263/slightly-fewer-back-isis- 3.12.2013, S. 7f. military-action-past-actions.aspx> (Zugriff am 26.2.2015). 16 Ebd., S. 52. 20 Gallup, Slightly Fewer Back ISIS Military Action [wie Fn. 19]. SWP Berlin Die Verteidigungspolitik der USA Juni 2015 9 Außen- und innenpolitische Rahmenbedingungen Parteipolitik und politische Polarisierung Einschnitte im Zuge des sogenannten Sequesters (vgl. hierzu die Ausführungen im folgenden Abschnitt). Die politische Polarisierung in den USA steht für den In den vergangenen Jahren hat sich zudem der Prozess einer Lagerbildung zwischen Demokraten und Trend verstärkt, dass der Kongress die Macht des Prä- Republikanern. Beide Parteien haben sich in zentralen sidenten in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wirtschaftlichen, fiskalischen sowie gesellschaftspoli- über den Hebel der Haushaltsgesetzgebung einzuhe- tischen Fragen zunehmend nach innen homogenisiert gen sucht. Die Legislative koppelt dabei zum Teil sehr und gleichzeitig immer stärker entlang ideologischer spezifische Forderungen und Prioritäten an die Bewil- Linien von der jeweils anderen Seite abgegrenzt. Diese ligung des Militärbudgets.26 Häufig spiegeln diese Entwicklung lässt sich bereits seit den 1960er Jahren Bedingungen allerdings weniger ideologische Partei- beobachten. Sie hat sich in jüngster Zeit jedoch erheb- präferenzen wider als vielmehr handfeste materielle lich verschärft21 und während der Amtszeit von Prä- Interessen der einzelnen Abgeordneten in ihren je- sident Obama zu Regierungsblockaden geführt.22 Kon- weiligen Wahlkreisen. gressabgeordnete, die inhaltliche Schnittmengen mit Ein weiterer Bereich, auf den die parteipolitische der jeweils anderen Partei aufweisen, haben an Ein- Polarisierung zumindest mittelbar Einfluss nimmt, fluss verloren oder sind abgewählt worden. Das gilt sind Auslandseinsätze der US-Streitkräfte. Hier wird beispielsweise für viele konservative Demokraten der das ambivalente Kompetenzgefüge zwischen Präsident sogenannten Blue Dog Coalition bei den Kongresswahlen und Kongress besonders deutlich.27 Der Präsident ist von 201023 – zu einem Zeitpunkt also, da die erzkon- laut Verfassung der Oberkommandierende der Streit- servative Tea-Party-Bewegung ihren Aufstieg feierte kräfte; der Kongress hat dagegen das alleinige Recht, und damit die Republikanische Partei immer stärker den Krieg zu erklären und die Streitkräfte aufzustellen nach rechts drängte.24 und zu unterhalten.28 Die Polarisierung betrifft in erster Linie innen- und Demokraten und Republikaner vertreten traditio- gesellschaftspolitische Fragen. Nicht so eindeutig zu nell unterschiedliche Standpunkte, wenn es um den identifizieren sind dagegen die Auswirkungen auf die Einsatz des US-Militärs geht. Generell gilt, dass die Sicherheits- und Verteidigungspolitik.25 Am ehesten Demokraten innenpolitischen Problemen und – auf ist dies noch im Bereich der Haushaltsgesetzgebung außenpolitischem Feld – der Diplomatie Vorrang ein- und damit der Mittelausstattung für die US-Streit- räumen, während Republikaner tendenziell der natio- kräfte möglich. Da sich Demokraten und Republika- nalen Sicherheit und dem Militärischen eine höhere ner seit nunmehr vier Jahren nicht auf einen grund- Bedeutung beimessen. Führende Vertreter der Republi- legenden Kompromiss zum Abbau des Haushalts- kanischen Partei haben Obama denn auch wiederholt defizits und des Schuldenstandes einigen können, dro- für seine vermeintliche Zögerlichkeit beim Einsatz hen dem amerikanischen Militär größere finanzielle militärischer Mittel scharf kritisiert29 – etwa als es um den Zeitplan für den Abzug amerikanischer Kampf- truppen aus Afghanistan30 oder um den Einsatz von 21 Pew Research Center for the People & the Press, Political Polarization in the American Public, Washington, D.C., Juni 2014. 22 Henriette Rytz, »Die politische Handlungsfähigkeit: Blo- 26 Michael Foley, »The Foreign Policy Process: Executive, ckade in Washington«, in: Stormy-Annika Mildner/Henriette Congress, Intelligence«, in: Michael Cox/Doug Stokes (Hg.), Rytz/Johannes Thimm, State of the Union. Innenpolitische und US Foreign Policy, Oxford: Oxford University Press, 2012, binnenwirtschaftliche Herausforderungen für die Führungsrolle der S. 112–129 (119). USA in der Welt, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 27 Vgl. Herbert Dittgen, »Präsident und Kongress im außen- Juli 2012 (SWP-Studie 16/2012), S. 50–70 (50). politischen Entscheidungsprozess«, in: Wolfgang Jäger/ 23 Ebd., S. 53. Christoph M. Haas (Hg.), Regierungssystem der USA. Lehr- und 24 Torben Lütjen, »Divided We Stand: Warum Amerika so Handbuch, München/Wien 2007, S. 395–419. gespalten ist«, in: Peter Lösche/Anja Ostermann (Hg.), Die Ära 28 Foley, »The Foreign Policy Process« [wie Fn. 26], S. 118, Obama. Erste Amtszeit, Bonn: Bundeszentrale für Politische 124f. Bildung, 2012, S. 121–143 (122). 29 Justin Sink, »Obama Guards His Legacy«, in: The Hill 25 Christian Lammert, »Kongress«, in: Koschut/Kutz (Hg.), (online), 28.5.2014; Martin Matishak, »Boehner: Obama Is Die Außenpolitik der USA [wie Fn. 14], S. 63. Ein leitender Mit- an ›Anti-war President‹«, in: The Hill (online), 26.3.2015. arbeiter des Streitkräfte-Ausschusses im Repräsentantenhaus 30 Martin Matishak, »McCain: Obama Should Ditch ›Calen- meint sogar, 90 Prozent der in diesem Gremium behandelten der-driven‹ Afghan Withdrawal«, in: The Hill (online), 29.12. Fragen seien zwischen Republikanern und Demokraten eher 2014; Jesse Byrnes, »Boehner Warns Obama on Afghanistan unstrittig. Telefon-Interview am 8.10.2014. Strategy«, in: The Hill (online), 30.12.2014. SWP Berlin Die Verteidigungspolitik der USA Juni 2015 10