MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE [HERAUSGEGEBEN VON 0. FOERSTER-BRESLAU UND K. WILMA.NN:3-HEIDELBERG HEFT 40 DIE VERANLAGUNG ZU SEELISCHEN STÖRUNGEN VON DR. FERDINAND KEHRER UND DR. ERNST KRETSCHMER A. 0. PROFESSOR FÜR PSYCHIATRIE UND A. 0. PROFESSOR FÜR PSYCHIATRffi UND NEUROLOGffi IN BRESLAU NEUROLOGIE IN TÜBINGEN MIT 5 TEXTABBILDUNGEN UND 1 TAFEL SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1924 Additional material to this book can be downloaded from http://extras.springer.com ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. ISBN 978-3-642-90613-8 ISBN 978-3-642-92471-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-92471-2 Softcoverreprint ofthe bardeover 1st edition 1924 Inhaltsverzeichnis. Allgemeiner Teil. Seite Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Begriffsbestimmung der Veranlagung ..... . 2 II. Grundlinien der Entwicklung der psychophysischen Person . 7 III. Erblichkeit und Veranlagung zu seelischen Störungen 19 IV. Seelische Wesensart und Veranlagung . . . . . . . 27 Spezieller Teil. I. Die Veranlagung zu symptomatischen Psychosen 39 Die Veranlagung zu den sog. Generationspsychosen 51 Die Veranlagung zu den sog. Operationspsychosen 56 II. Die Veranlagung zur progressiven Paralyse . . . . 60 III. Die Veranlagung zu den Seelenstörungen der Rückbildungsjahre 75 1. Klimakterium . . . . . . . . . . . . 77 2. Sog. Präsenium . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Veranlagung zu senilen Seelenstörungen . . . . . . 80 4. Veranlagung zu arteriosklerotischen Seelenstörungen 82 IV. Veranlagung zu Psychoneurosen und psychogenen Psychosen. 84 Veranlagung zu psychogenen Psychosen 93 V. Veranlagung zu Zwangskrankheiten . . . . . . . 98 VI. Veranlagung zu Wahnkrankheiten . . . . . . . . 109 VII. Die Veranlagung zu den endogenen Seelenstörungen . 159 A. Die genuine Epilepsie . . . . . . . . . . . . 159 B. Dementia praecox und manisch-depressives Irresein 162 1. Die zykloiden und schizoiden Psychopathen 162 2. Die speziellen Vererbungsverhältnisse . 167 3. Der Körperbau . . . . . . . . . . . . . 173 4. Die überkreuzten Psychosen . . . . . . . . 182 5. Gynäkologische, sexuologische, internistische Befunde 186 6. Untersuchungen an Gesunden . . . . . . . . . . . 189 7. Konstitution und Rasse . . . . . . . . . . . . . . 193 Literaturübersicht zum "Allgemeinen Teil" und zum 1. Abschnitt des "Speziellen Teiles" 199 Literaturübersicht zum Abschnitt über die endogenen Seelenstörungen . . . . . . • . 203 Vorwort. Den Grundstock der vorliegenden Darstellung bilden die Referate, die wir auf der letzten Tagung des Deutschen Vereins für Psychiatrie (September 1923) in Jena erstattet haben. Wenn die Abhandlung über den Rahmen eines retrospek tiven kritisch sichtenden Berichts hinaus einerseits subjektive Anschauungen auf Grund eigner Forschung, andererseits Problemstellungen und Ausblicke bringt, so hängt dies damit zusammen, daß die grundlegende Frage nach der Veranlagung zu seelischer Krankheit sich noch ganz im ersten Stadium ihrer Lösung befindet. Beim Versuch einer erschöpfenden und zugleich abrundenden Behandlung des Themas erwies es sich als unumgänglich, da und dort in die Probleme der Ursachen und des Aufbaus der Seelenstörungen einzugreifen. Ungleichheiten und Über schneidungen in der Darstellung des speziellen Teils, eventuelle Gegensätzlich keiten in der Auffassung von' Einzelheiten erklären sich ja ohne weiteres aus der übrigens rein nach Ökonomischen Gesichtspunkten erfolgten Teilung des Stoffs unter zwei freilich in allen grundsätzlichen Fragen miteinander übereinstimmen de Berichterstatter. Eventuelle kleine Lücken in der Wiedergabe der Literatur möge der Leser mit dem Umfang des Stoffgebietes entschuldigen. Kehrer. Kretschmer. Allgemeiner Teil. Von Ferdinand Kehrer-Breslau Einleitung. tVenn es erlaubt ist, die derzeitigen Strömungen der klinischen Psycho pathologie heute schon in jenen umfassenderen historischen Zusammenhang einzuordnen, in dem sie einer künftigen Generation bei rückschauender Be trachtung voraussichtlich erscheinen werden, so wird man die gegenwärtige Phase der wissenschaftlichen Psychiatrie wohl als die bewußt ätiologische zu kennzeichnen haben. Sofern mit dem Begriffe "Phase" nur eben gemeint ist, daß aus dem Strome wissenschaftlicher Betrachtungsweise sich jeweils eine be stimmte Gruppe von Fragen heraushebt, auf die sich aus mannigfachen theo retischen wie praktischen Gründen das jeweilige Interesse der Forschung, wenn man will, die wissenschaftliche Mode im guten Sinne des Wortes wie in einem Brennpunkte sammelt, so würden wir den gegenwärtigen Zeitpunkt als den Be ginn der vierten Phase einschätzen. Nachdem sich eine rein symptomatologische Betrachtungsweise erschöpft hat, eine zweite mit der Herausstellung von Syn dromen sich begnügende oder damit resignierende - syndromologische - For schungsrichtung heute nur noch vereinzelte Vertreter aufweist und schließlich die dritte - nosodromologische - Phase, deren Vorkämpfer Kraepelin war, sich zum mindesten auf absteigender Linie bewegt, hat sich mehr und mehr die Einsicht Bahn gebrochen, daß von einer möglichst vielseitigen Erforschung der Ursachen und Bedingungen seelischer Störungen für die Erkenntnis vom Wesen derartiger Erkrankungen die meiste Förderung zu erwarten ist. All das, was man neuerdings in der Psychiatrie als Strukturanalyse, Aufbau der Psychose (Birnbaum), mehrdimensionale Diagnostik (Kretschmer) bezeichnet hat, wurzelt in der, gleichzeitig auch in der somatischen Medizin zur Vorherrschaft gekommenen .Überzeugung, daß "nicht eine, sondern mehrere Ursachen die Geisteskrankheit schaffen" (Gaupp 1903), d. h. terminologisch formuliert in dem Grundgedanken von der Verstrickung heterogener und polyvalenter ur sächlicher Koeffizienten, und hat zum Ziel, die Aufstellung einer Wertigkeitstafel dieser Bestimmungsstücke (Determinanten) der seelischen Erkrankung von Einzelfällen, aus denen sich dann bestimmte Typen gewinnen lassen. In seinem Entwurf "klinischer Strukturformeln" hat Birnbaum als Erster den Versuch gemacht, bestimmte klinische Typen, so wie sie 'der bisherigen For schung erschienen sind, auf Typen spezifischer Verhältnisse aller im Krankheits bilde zur Wirkung gelangenden Kräfte zurückzuführen, wobei er eine Rang- . Keiner-Kretschmer, Veranlagung. 1 2 Einleitung. ordnung dieser Kräfte in der Weise statuiert, daß er die eigentlichen Ur sachen der Krankheit in Grund- und Nebenursachen (pathogenetische, prädispo nierende) scheidet und von den form bestimmenden Faktoren trennt, die er dann ihrerseits in Haupt- und Hilfsmomente (pathoplastische [sc. 1. Ordnung] und präformierende [= pathoplastische 2. Ordnung]) geschieden hat. So interessant und diagnostisch wichtig nun auch die richtige Einschätzung der formgebenden Faktoren sein mag, für die Ätiologie an sich sind sie be deutungslos. Um so wichtiger ist dafür die Bestimmung der Grund- und Neben ursachen, der eigentlichen Ursachen und Bedingungen und ihres Verhältnisses zueinander. Beim Versuch dieser Trennung ergeben sich aber nicht unbeträchtliche Schwie rigkeiten. Nehmen wir einmal das am schärfsten faßbare seelische Krankheitsbild: die Paralyse, so besteht entgegen dem ersten Eindrucke vorläufig gar keine )(ög lichkeit, zu entscheiden, was hier pathogenetisch, was prädisponierend wirkt. Natürlich ist, wie wir heute wissen, eine Grundursache resp. eine conditio sine qua non der Erkrankung an Paralyse die Anwesenheit von Spirochäten im Körper resp. Gehirn. Ob das "prädisponierende" Moment aber nun seinerseits in der Vitalität spezifisch parasyphilitotroper Spirochäten oder in spezifischen Reaktionsbereitschaften des Organismus liegt, ist, wie wir sehen werden, noch keineswegs geklärt. Was nun von dieser Geisteskrankheit mit einer so klar faß baren Exogenität gilt, gilt mutatis mutandis, d. i. in erhöhtem Maße von allen anderen. Das heißt also: bis auf weiteres muß der Versuch einer Unterscheidung zwischen pathogenetischen und prädisponierenden Momenten gerade für die wichtigsten Seelenkrankheiten auf eine spätere Zeit verschoben werden. Um so mehr erscheint heute, weil auch mit unseren derzeitigen Arbeits methoden schon mit bester Aussicht auf Erfolg in Angriff zu nehmen, die Unter suchung jener biologischen Größe geboten, auf die wir bei der ätiologischen Er forschung jeder Krankheit stoßen: der Veranlagung. In gewisser Beziehung fassen wir damit die Grundlage nicht bloß aller ursächlichen, sondern auch aller formbestimmenden Kräfte, d. h. der Aufbau der Seelenkrankheiten beruht auf einem System von verschiedenwertigen Anlagen, die bei den einzelnen Krank heitsgruppeil jeweilg nur in verschiedenartigen Schichten der psychophysischen Person zu suchen sind. I. Begriffsbestimmung der Veranlagung. Worin be3teht nun aber die Veranlagung zu seelischen Störungen? Sehen wir uns nach einer Definition dieses Begriffes um, so finden wir nur bei Jaspers den Versuch einer schärferen Herausarbeitung desselben. Alle übrigen Autoren, die sich um eine Systematik der Ursachen krankhafter Seelenstörungen bemüht haben, voran Krae pelin, E. Meyer und Birnbaum, gebrauchen diesen Terminus in einem ziemlich unbestimmten oder ganz allgemeinen Sinne. So findet er bei Kraepelin seinen Inhalt im wesentlichen durch die Gegenüberstellung gegen die unmittelbar von außen wirkenden Krankheitsursachen, d. h. als Summe der in der Persönlichkeit selbst gelegenen Ursachen, die auch als "Prä disposition" bezeichnet wird. In diese Prädisposition gehen für Kraepelin die allgemeinen Faktoren Alter, Geschlecht, Klima, Beruf ebenso ein wie die individuelleren von Erbanlage und Entwicklungsstörungen. Dieser Einteilung hat sich Me yer 1907 in seiner Monographie über die Ursachen der Geisteskrankheiten im wesentlichen angeschlossen. Der Kern seiner Ausführungen liegt in den Sätzen: "Immer mehr wird es uns offenbar, daß die Eigenart des Begriffsbestimmung der Veranlagung. 3 Individuums dafür bestimmend ist, wie weit die äußeren Schädigungen einzuwirken ver mögen". Mit der Unterscheidung der inneren als prädisponierender und der äußeren als veranlassender Ursachen "wird zum Ausdruck gebracht, daß in der individuellen Veran lagung der eigentliche Grund und Ursprung aller Geisteskrankheiten beruht". Mit dieser Terminologie hat ohne Rücksichtnahme auf Kraepelin und Meyers ätiologische Syste matik Birnbaum insofern gebrochen, als er den Begriff der Prädisposition (und zwar auch für die bis dahin sog. endogenen Psychosen) einschränkt und nur mehr für diejenigen Faktoren anwendet, die innerhalb der eigentlichen Krankheitsverursachung erst in zweiter Linie in Betracht kommen1). Dieser Einschränkung entspricht nun, wie näheres Zusehen zeigt, bei ihm eine andere: diejenige des Begriffs der Konstitution, dem er in seinem "Auf bau "schema nur bei den endogenen Psychosen und den Psychopathien - praktisch vor allem also bei der Schizophrenie und dem Manisch-Melancholischen Irresein -eine und zwar die entscheidende ("pathogenetische") Rolle zuweist. Welche Bedeutung Birnbaum der An lage zuschreibt, kommt vielleicht am besten in folgenden Sätzen zum Ausdruck: "Mit den konstitutiven (! Ref.) Krankheitstypen kommen wir zu den rein endogenen Psychosen funktionellen Charakters (? Ref. ), die im Gegensatz zu den exogenen nicht Hirnschädigungs erscheinungen, sondern Eigenstörungen einer schadhaften psychischen Funktions anlage wiedergeben und pathogenetisch auf eben dieses konstitutive Element zurückzu führen sind. Mit dieser pathogenen Konstitution kommt dann auch die biologische Erb komponente, das hereditäre Moment, das bei jenen exogenen Störungen in der Hauptsache nur prädisponierend und pathoplastisch2) beteiligt war, als rein pathogenetische Deter minante mit in den Krankheitsaufbau hinein". Wie weit diese Auffassung Birnbaums, wenigstens soweit sie das Anlagemoment betrifft, sich im einzelnen halten läßt oder frucht bar ist, soll uns weiter unten beschäftigen. Wichtiger ist es, an dieser Stelle, Jas pers' Darstel lung des Anlagebegriffs kennen zu lernen. Indem Jaspers Veranlagung, soweit es sich um psychische Erscheinungen handelt, zunächst als "Sammelbegriff für alle endogenen Bedingungen seelischen Lebens" und zwar für alles, "was im Keime des Organismus schon lag", definiert, zeigt sich, daß für ihn Anlage miterblicher Anlage identisch ist. Mitdieser F01muliexung kommt Jaspers nun in einige Schwierigkelten gegenüber der Tatsache, daß durch nicht erbliche Faktoren eine, wie er sich ausdrückt, "gleichsam neue Veranlagung geschaffen" werden kann und andererseits gegenüber dem Begriff der Konstitution. "Innerhalb des Seelischen" - so heißt es bei ihm - "sind die als Anlage benannten Dinge noch mannigfaltiger" (sc. als innerhalb des Körperlichen); man nennt so die Art der Persönlichkeit (des Charakters), wie sie sich im Laufe des Lebens gezeigt hat, die Werkzeuge der Intelligenz; ferner nennt man so die von der Art der Persönlichkeit durchaus zu trennende "seelische Konstitution"3), die sich in der Reaktionsform auf Erlebnisse und in der Leichtigkeit, mit der solche abnormen Formen auftreten, zeigt, so wie sich die Persönlichkeit im Inhalt des Erlebens offenbart, ferner nennt man so die Disposition, die sich in dem endogenen Auftreten gewisser Phasen und gewisser dauernder seelischer Veränderungen (Prozesse) zeigt." Dagegen meint Jaspers an anderer Stelle: "Innerhalb3) der Anlage ist ein prinzipiell sehr wichtiger Begriff der der Kons ti tu tion. Die Konstitution heißt in der somatischen Pathologie das Ganze des körperlichen Lebens eines Einzelnen oder eines Typus in seiner Besonderheit, sofern dieses Ganze ein dauerndel'l ist". ... "Will man seelische Konstitution getrennt umschreiben, so ist sie zunächst gänzlich zu unterscheiden von Intelligenz und Charakter der Persönlichkeit; sie hat dagegen nächste Beziehungen zu Begriffen wie Quantum der psychischen Kraft, Dis- 1) Wir übergehen hier, daß sich Birnbaum in bezug auf diesen Punkt gelegentlich unklar ausdrückt, z. B. wenn er einmal von der schizophrenen Störungen schreibt: "Die Konstitution kommt zunächst rein pathogenetisch in Betracht und zwar sowohl in mehr allgemeinem und ziemlich unbestimmtem Sinne als einfach prädisponierend, wie vor allem mit mehr oder weniger spezifischem Sondercharakter unmittelbar den Krankheitstypus fest legend". Eine eingehendere kritische Stellungnahme zu dem AufbausystemBirnbaums als solchem erscheint hier nicht am Platze. 2) "Pathoplastisch" nennt Birnbaum bekanntlich die die Krankheitsausgestaltung bestimmenden Faktoren. a) Vom Ref. in Sperrdruck gesetzt. 1* 4 Begriffsbestimmung der Veranlagung. soziierbarkeit, Reizbarkeit, Ermüdbarkeit, Widerstandskraft, Reaktionsweise, ferner zu Begriffen wie Alkoholintoleranz, Idiosynkrasie". Gegenüber diesen lediglich an den Erfahrungen der Psychopathologie orientierten Anschauungen wird es gut sein, sich die Auffassungen, die sich in der Somatapathologie herausgebildet haben, zu betrachten. Unendlich viel ist von dieser Seite über den Begriff der Konstitution ge schrieben und gestritten worden. Fast ein jeder Autor hat sich mit den Vor stellungen des anderen nicht ganz in Übereinstimmung erklärt. Eine wahllose Auslese aus den Darlegungen verschiedener Somatapathologen über diesen Be griff wird das veranschaulichen: Grote definiert sie als die Summe aller morphologischen, funktionellen und regula torischen Eigenschaften des Soma und der Psyche, die im Momente der Befruchtung im einzelnen bestimmt ist und im Laufe der persönlichen Entwicklung zur Ausbildung gelangt. In ähnlicher Weise gibt Kahn dem Konstitutionsbegriff die Formulierung: "Die Kon stitution eines Organismus ist die Gesamtheit seiner morphologischen, funktionellen und evolutiven Eigenschaften, soweit sie vererbt oder vererbbar sind." Umgekehrt definiert Siemens Konstitution als einen (morphologischen oder funktio nellen) Symptomenkomplex, der dem Arzte wechselnde Schlüsse auf das Verhalten des Patienten Krankheiten gegenüber gestattet und der selbst noch nicht als Krankheit auf gefaßt zu werden braucht, da er keine unmittelbare Erhaltungsgefährdung bewirkt. Rössle definiert Konstitution als "die Gesamtheit der jeweiligen, aus angeborenen und erworbenen Elementen zusammengesetzten Verfassung des Körpers und seiner Teile, kennt lich an der Art, wie er oder sie auf die Umweltreize reagieren". Für Brugsc h ist die Konstitution nicht das Vererbte, sondern die in psychophysischer Beziehung zur Einheit geschlossene Ganzheit eines ... vitalen Systems, dessen innere (durch die Gene, d. h. die materiellen Träger der Erbanlage bestimmten) Bedingungen mit den äußeren Bedingungen (Milieu' im weitesten Sinne) sich unter Schwankungen ins Gleich gewicht setzen. Diathese sind ihm die Konstitutionsanomalien auf dem Boden kongenitaler Anlage; Disposition die mangelnde Resistenz infolge Fehleus äußerer und innerer Schutz vorrichtungen; Anlage die genotypische Reaktionsform; Krankheitsbereitschaft die ver ringerte Anpassungsfähigkeit an äußere Bedingungen. Für Pfaundler, der Kritik an einer viel diskutierten Definition von Tandler übt, bedeutet Konstitution die Summe der vom Keim her, auch durch Rasse und Geschlecht be stimmten individuellen varianten Eigenschaften des Soma und der Psyche. Kraus definiert Konstitution als eine dem Individuum ererbte oder erworbene eigen tümliche, ebensowohlmorphologisch wie funktionell analysierbare, so gut aus dem Verhält nis bestimmter einzelner Funktionen wie aus der Summe körperlicher und seelischer Zu stands- und Leistungseigenschaften sich ableitende Beschaffenbei t, besonders in Hinsicht auf Be anspruchbar kei t, Widerstandskraft (Krankheits berei tschaft), Verj üngtmgsfähigkei t und Lebenszähigkeit des Organismus. Die Differenzen dieser verschiedenen Definitionen lassen sich im wesentlichen darauf zurückführen, daß die eine, die Majorität darstellende Reihe von Autoren den Nachdruck auf die einerlei wie entstandene Dauerprägung: die Verfassung (Martius) oder das Wesen der psychophysischen Person legt, welche im Zeit punkte der Krankheitsentstehung sich in bestimmten Merkmalen äußert, - evtl. mit· der Einschränkung (Siemens): soweit es sich um Krankheiten handelt - die andere die Konstitution mit "Idiotypus" identifiziert, d. h. nur das als Konstitution gelten läßt, was sich auf die Keimanlage zurückführen läßt, also ererbt ist. Wollte man heute zu einer terminologischen Einigung kommen, so könnte es nur so geschehen, daß man die bisherigen Bezeichnungen alle über Bord würfe und für die wenigen unbestrittenen Tatsachen neue Aus drücke prägte. Ein solches V erfahren >vürde indessen angesichts der menscb- Begriffsbestimmung der Veranlagung. 5 liehen Beharrungstendenz an eingebürgerten Namen wenig Aussicht auf Erfolg haben. lndessel). läßt sich u. E. auch eine genügende Klärung dadurch herbeiführen, daß man z. T. in Modifikation eines Vorschlags von Siemens einfach von Dauer Verfassung redet und jeweils durch das Adjektiv idiotypisch oder paratypisch zum Ausdruck bringt, ob sie vorwiegend erblich oder vorwiegend durch Einflüsse des Lebens bedingt ist. Konstitution wäre darnach die zum System geschlossene Gesamtheit festgeprägter Eigenschaften einer psychophysißchen Person. Ebenso wichtig als der Begriff der Konstitution ist für die Pathologie der der Disposition. Die Beziehungen zwischen beiden scharf zu erfassen, haben sich zahlreiche Vertreter der somatischen Medizin bemüht. Auch für die Psycho pathologie ist die klare Erkenntnis dieser Beziehungen von größter Bedeutung. Das kann nicht nachdrücklich genug betont werden. Wenn man von Veranlagung zu seelischen Störungen spricht, meint man ungefähr das, was in der Bornatopathologie als Disposition zu solcher bezeichnet wird. Der Vorzug dieser Bezeichnung gegenüber dem Ausdruck Veranlagung liegt darin, daß man gemeinhin unter Anlage und somit auch unter Veranlagung etwas durch die Erbmasse Bedingtes versteht. Indessen: inwieweit in der Dispo sition zu seelischen Störungen neben einer sicher bestehenden Erbanlage etwas während der Entwicklung des Einzelindividuums (als eines Triebs am Stamm baum der Familie) Gewordenes steckt, das ist gerade bisher noch ganz unklar und im einzelnen überhaupt noch nicht untersucht. Wir sprechen von der Anlage, gelegentlich auch von der Veranlagung zur Mathematik oder Musik, nicht dagegen von der Disposition zu beiden. Anderer seits sagen wir "psychopathische Anlage", nicht aber psychopathische Dispo sition, wenn wir einen Dauerzustand kennzeichnen wollen, der sich in der spe zifischen Verarbeitung der Erlebnisse äußert, somit eine seelische Verfassung oder Konstitution. Der Begriff Disposition erhält durch diese Abgrenzung eine ganz klare Bestimrn,ung. Aus zwei verschiedenartigen Erwägungen ist man seinerzeit zu diesem Be griff gekommen: einmal aus solchen rein praktischer, ärztlicher Natur, die sich aus dem prognostischen Bedürfnis ergaben: der Vorausbestimmung des Grades von Wahrscheinlichkeit, daß bei einem Individuum unter gewissen Bedingungen diese oder jene Erkrankung auftritt und dann einen bestimmten V erl auf nimmt; zum anderen auf Grund der Erfahrung, daß unter gewissen Bedingungen insbe sondere unter Einwirkung dieser oder jener Schädlichkeit nur ein sehr unter schiedlicher Prozentsatz von Individuen einer Bevölkerung von einer der uns heute bekannten Krankheiten befallen wird. Daraus ergab sich zwingend der Schluß, daß eine der Grundvoraussetzungen einer jeden solchen Erkrankung in einer spezifischen Widerstandsunfähigkeit gegenüber den normalen oder abnormen Einwirkungen des Lebens gelegen sein müsse ("Resistenzunfähigkeit"[Siemens]). Wir definieren Disposition für unsere Zwecke als die ganz spezifische Bereitschaft, unter bestimmten alltäglichen oder außergewöhn lichen Lebensbedingungen bald aus vorwiegend erblicher, bald aus vorwiegend erworbener Anlage in einen krankhaften, d. h. das Individuum oder die Rasse gefährdenden Zustand zu ver fallen, dessen Symptome und Verlauf ebenfalls durch individu-