Norbert Blößner Die singulären Iterata der Ilias Bücher 16-20 Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Ernst Heitsch, Ludwig Koenen, Reinhold Merkelbach, Clemens Zintzen Band 13 B. G. Teubner Stuttgart Die singulären Iterata der Ilias Bücher 16-20 Von Norbert Blößner §3 B. G. Teubner Stuttgart 1991 CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Blößner, Norbert: Die singulären Iterata der Ilias, Bücher 16-20 / von Norbert Blößner. - Stuttgart: Teubner, 1991 (Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 13) ISBN 3-519-07462-1 NE: Homerus: Ilias; GT Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt besonders für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfdmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © B. G. Teubner Stuttgart 1991 Printed in Germany Druck und Bindung: Röck, Weinsberg Meiner Mutter Erna Blößner und dem Andenken meines Vaters Karl Blößner (f 1990) Inhalt Einleitung Sekundäre Iliasstellen Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D Zusammenfassung Verteilung der sekundären Iliasstellen Anhang Primäre Iliasstellen Nicht entscheidbare Fälle Literaturverzeichnis Einleitung Durch Einsatz elektronischer Datenverarbeitung lassen sich nun- mehr die Iterata der frühgriechischen Epik in zuvor nicht erreichbarer Vollständigkeit erfassen und nach bestimmten Kriterien ordnen.1 Ermöglicht wird so auch eine Untersuchung aller sogenann- ten singulären Iterata der Ilias, d.h. derjenigen im frühgriechischen Epos zwei- oder mehrmals belegten Wortverbindungen, die in der Ilias nur einmal zu finden sind. Die vorliegende Arbeit bildet den dritten Teil dieser auf vier Bände konzipierten Untersuchung, von der zwei Teile bereits veröffentlicht sind;2 der vierte, der die singulären Iterata in A - O behandelt, steht vor der Fertigstellung. Für die Tatsache, daß unsere epischen Texte zu einem großen Teil aus wiederholten Wortgruppen (Iterata) bestehen, sind vor allem drei Erklärungen vorgeschlagen worden:3 (1) Die Wiederholungen entstehen unabhängig voneinander infolge eines einheitlich zugrundeliegenden generativen Prinzips. Es ist vom Zufall bestimmt, wie oft und wo sie auftreten. (2) Die wiederholten Wortgruppen sind Formeln und stammen aus einem epischen Formelwortschatz, dessen der Dichter sich be- dienen konnte, wie wir uns einzelner Wörter bedienen. Die ursprüng- liche Originalstelle, aus der die Formel entstanden ist, ist dem extem- porierenden Dichter unbekannt und spielt daher für den Vorgang der Wiederholung keine Rolle.4 1 Der vorliegenden Untersuchung liegt meine Dissertation zugrunde, die im Sommersemester 1990 von der Philosophischen Fakultät IV (Sprach- und Literatur- wissenschaften) der Universität Regensburg angenommen wurde. Meinen akademischen Lehrern und der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für eine langjährige und anregende Förderung. — Das oben angesprochene, noch unveröffentlichte maschinenlesbare Iteratenverzeichnis der frühgriechischen Epik wurde konzipiert von Herrn Franz Xaver Strasser, der mir dankenswerterweise die singulären Iterata der Iliasbücher IT - Y als Materialgrundlage zur Verfügung stellte. Zum Begriff «Iteratum» und zum Aufbau des Iteratenverzeichnisses siehe F. X. Strasser, Zu den Iterata der frühgriechischen Epik, Königstein/Ts. 1984 [Beiträge zur klass. Philologie 156] 6-36. 2 H. Ramersdorfer, Singulare Iterata der Ilias (A - K), Königstein 1981 [Beiträge zur klass. Philologie 137]; P. Roth, Singuläre Iterata der Ilias (<D - fi), Frankfurt 1989 [Beiträge zur klass. Philologie 194]. 3 Die folgende Einteilung nach Strasser 37f., der 1-5 einen Uberblick über die Geschichte der Iteratadeutung bietet. — Die im folgenden abgekürzt genannte Literatur ist unten S.207ff. verzeichnet. 4 Vgl. Kulimann [Neoanalyse] 14f. 10 Einleitung (3) Gleichlautende Formulierungen sind durch Zitat entstanden: hier handelt es sich also nicht nur um die Verwendung einer beliebig zu Gebote stehenden Formulierung unklarer Herkunft, sondern um bewußte oder unbewußte Nachahmung einer irgendwie vergleich- baren konkreten Textstelle. Dabei sind wieder zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: a) Die Iterata hängen von einer früher formulierten, uns aber verlorenen Originalstelle ab. b) Eine der uns erhaltenen Stellen zitiert aus einer anderen uns ebenfalls erhaltenen Stelle. "Von den hier skizzierten Deutungsansätzen kann keiner a priori als unzutreffend ausgeschlossen werden, ebensowenig kann einer von ihnen den Anspruch erheben, das Gesamtphänomen der Iterata befriedigend zu erklären."5 So sind z.B. die Deutungen 1 und 3 für ausgesprochene Formelverse weniger wahrscheinlich, ebenso 1 und 2 für signifikante, im frühen Epos aber nur zweimal belegte Wieder- holungen,6 die, wie seit kurzem bekannt, einen unerwartet hohen Prozentsatz der epischen Iterata bilden.7 Methodisch ergibt sich daraus die Forderung, im Einzelfall möglichst unvoreingenommen zu prüfen, welche der möglichen Deutungen den Befund am plausibelsten erklärt. Dieser eigentlich selbstverständliche methodische Grundsatz ist aller- dings wohl deshalb nicht immer befolgt worden, weil unerwünschte Konsequenzen für das Homerbild nicht auszuschließen waren.8 Wie leicht zu sehen ist, nimmt Fall 3b insofern eine Sonderstellung ein, als sich aus ihm Rückschlüsse nicht nur auf die Formung der epischen Kunstsprache, sondern auch auf die Entstehung unseres 5 Strasser 37. 6 Vgl. Roth 9. 7 Die nur zweimal belegten Iterata stellen je nach Definition des Begriffs Iteratum (dazu Strasser 73ff.) zwischen 50,14% und 73,98% der Gesamtmenge dar (Strasser 64). Die Vermutung, der überwiegende Teil der frühgriechischen Iterata lasse sich durch Herkunft aus einem allgemein verfügbaren epischen Formelreservoir erklären, gerät dadurch ebenso ins Wanken wie durch die meßbare Tatsache, daß zwischen 67,01% und 75,27% aller Iterata in nur einem epischen Werk auftreten, anstatt sich statistisch gleichmäßig über die erhaltenen Werke des fgrE zu verteilen (Strasser 63f.). 8 Die Deutung des Befundes erfolgt in vielen Arbeiten unter ausdrücklicher (z.B. Danek 18 Anm.27) oder stillschweigender Voraussetzung eines bestimmten Homer- bildes, wodurch Erklärungsmöglichkeiten, die mit diesem Homerbild nicht vereinbar wären, von vornherein außer Betracht bleiben (vgl. unten Anm.23). M.E. sollten im konkreten Fall grundsätzlich alle bekannten Erklärungsmöglichkeiten berücksichtigt und nur nach dem Grad ihrer jeweiligen Wahrscheinlichkeit selektiert werden. Die Suche nach einem Homerbild, mit dem diese Erklärungen vereinbar wären, kann m.E. erst am Schluß stehen (vgl. Sacks 23).