Volker Roloff Scarlett Winter Christian von Tschilschke (Hrsg.) Alain Robbe-Grillet – Szenarien der Schaulust Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Umschlagabbildung: Nachgestellte Filmszene aus Alain Robbe-Grillet: Glissements progressifs du plaisir (1974), fotografiert von Catherine Robbe-Grillet (Alain Robbe-Grillet, Glissements progressifs du plaisir, ciné-roman illustré de 56 photographies extraites du film, Paris 1974, 61). © 2011 · Stauffenburg Verlag Brigitte Narr GmbH Postfach 25 25 · D-72015 Tübingen www.stauffenburg.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verw ertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Printed in Germany ISSN 1433-7983 ISBN 978-3-86057-519-2 Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................... 7 Volker Roloff: Robbe-Grillet – intermédialité, autofiction, surréalisme .... 15 Alain Goulet: Les visions de Robbe-Grillet ............................................... 23 Jochen Mecke: Das Schicksal der Schaulust: Von der Poetik des Blicks zur Ästhetik der Uneigentlichkeit ................................................. 39 René Prédal: Le cinéma cliché de Robbe-Grillet face à la critique ........... 61 Scarlett Winter: Alain Robbe-Grillet: Voyeure in Bild und Text ............. 77 Patricia Oster: Schnitte in Raum und Zeit. Zu Robbe-Grillets Poetik der Montage .................................................................................. 87 Uta Felten: Zur Ästhetik der Momentaufnahme bei Proust und Robbe-Grillet ................................................................................ 107 François Jost: Le Film-Opéra .................................................................... 115 Christian von Tschilschke: Die Sichtbarkeit des Schweigens. Alain Robbe-Grillets La Forteresse. Scénario pour Michelangelo Antonioni (1992 / 2009) ................................................................ 123 6 Inhaltsverzeichnis Ernstpeter Ruhe: Noir sous blanc. La double subversion d’Alain Robbe-Grillet ................................................................... 145 Kerstin Küchler: „Blindfelder“ – Stadtlektüren bei Robbe-Grillet ........... 161 Hans T. Siepe: „Er will doch nur spielen“ – Alain Robbe-Grillet und die Histoire d’O ..................................................................... 173 Autorinnen und Autoren .......................................................................... 187 Christian von Tschilschke Die Sichtbarkeit des Schweigens. Alain Robbe-Grillets La Forteresse. Scénario pour Michelangelo Antonioni (1992 / 2009) 1. Das Verschweigen des Schweigens bei Robbe-Grillet Als erstes Werk aus dem Nachlass Alain Robbe-Grillets (1922-2008) erschien am 5. Februar 2009, ein Jahr nach seinem Tod, in seinem Hausverlag Les Édi- tions de Minuit, ein Drehbuch, das er im Oktober 1992, während eines Aufenthalts als visiting professor an der Washington University in St. Louis / Missouri, für den italienischen Filmregisseur Michelangelo Antonioni (1912- 2007) geschrieben hatte: La Forteresse. Scénario pour Michelangelo Antonio- ni. Antonioni, der 1985 einen Schlaganfall erlitten hatte, infolgedessen halb- seitig gelähmt war und zudem sein Sprachvermögen verloren hatte, sollte in diesem Film die Hauptrolle spielen, die Robbe-Grillet ihm regelrecht auf den Leib geschrieben hatte. Antonioni hatte schon zugesagt, das Casting war abge- schlossen, die Finanzierung schien zunächst gesichert, und doch zerschlug sich das Projekt.1 Übrig geblieben ist das (nahezu) fertige Drehbuch, das von Olivier Corpet, dem Direktor des Institut Mémoires de l’Edition Contempo- raine (IMEC) in Caen herausgegeben wurde, dem Robbe-Grillet sein Archiv vermacht hat. Mit der Veröffentlichung des nachgelassenen Manuskripts bietet sich jetzt die Gelegenheit, an Robbe-Grillets Werk die Frage heranzutragen, ob sich in ihm Ansätze zu einer intermedialen Ästhetik des Schweigens finden lassen. Allerdings scheint diese Fragestellung, so neu sie auch sein mag, zunächst nicht wirklich zum Werk Robbe-Grillets zu passen, das ja zweifellos durchge- hend von einer blickorientierten Schreibweise beherrscht wird. Entsprechende Würdigungen durchziehen die umfangreiche Robbe-Grillet-Forschung von der frühen, durch Robbe-Grillet selbst forcierten Inanspruchnahme seines Werks für eine „École du regard“ bis hin zu Scarlett Winters kürzlich erschienener Habilitationsschrift Robbe-Grillet, Resnais und der neue Blick (2007). Nun soll es im Folgenden keineswegs darum gehen, die Privilegierung des Blicks bei Robbe-Grillet in Frage zu stellen und sein Werk stattdessen unter dem As- pekt des Schweigens gänzlich neu zu perspektivieren. Aber das Drehbuch, das Robbe-Grillet eigens für Antonioni verfasste, gibt Anlass dazu, versuchsweise 1 Über die Geschichte des Projekts informiert Corpet: 2009. 124 Christian von Tschilschke das Motiv des Schweigens in den Vordergrund zu rücken und insbesondere auch nach seinem Zusammenhang mit dem Blick zu fragen und zwar nicht nur in Bezug auf La Forteresse, sondern, davon ausgehend, für das Werk Robbe- Grillets insgesamt.2 Bei näherer Beschäftigung mit dem Motiv des Schweigens bei Robbe- Grillet und in der ihm gewidmeten Forschung und angesichts der Tatsache, dass dieses Motiv auf den ersten Blick nur eine marginale Rolle zu spielen scheint, sodass man im Grunde von einem ‚Verschweigen des Schweigens‘ sprechen müsste, lässt sich die doppelte, im Folgenden in fünf Schritten zu entfaltende These aufstellen, dass Robbe-Grillet in seinen Werken erstens keine echte, tiefgreifende Sprachproblematik verarbeitet, wie es doch an- sonsten für zahlreiche Autoren der Moderne und der Avantgarden charakteris- tisch ist, und dass diese Abwesenheit der Sprachproblematik zweitens damit zusammenhängt, dass Robbe-Grillets Poetik genuin intermedial ausgerichtet ist. Anders als es die übliche Verwendung des Motivs erwarten lässt, indizieren die Stummheit, das Schweigen und die Stille bei Robbe-Grillet, wo immer sie in seinem Werk vorkommen, nicht mehr Abwesenheit, Opazität, flüchtige Re- ferenten, noch sind sie am Ende auf ein unsagbares Jenseits der Sprache angelegt, vielmehr verweisen sie primär auf andere Medien und Sinne, vor allem auf innere und äußere Bilder, aber auch auf akustische Phänomene. Das geschieht zum einen mit Hilfe eines elementaren synästhetischen Chiasmus, bei dem die monomedialen Formeinheiten Reden / Schweigen und Sehen / Blindheit über Kreuz miteinander verbunden werden, und zum anderen durch implizit und explizit markierte Bezugnahmen eines Mediums auf ein anderes, im Fall von La Forteresse die der literarischen Form des Drehbuchs auf das fremdmediale System des Films – im Vorgriff auf den intendierten Medien- wechsel, die geplante Verfilmung des Drehbuchs.3 Man kann daher sagen: An Robbe-Grillets Umgang mit dem Schweigen zeigt sich, dass seine intermediale Poetik nicht referentiell ist, auch nicht im Sinne der Beschwörung eines sich entziehenden, abwesenden Referenten, son- 2 Die einzige Studie zu Robbe-Grillet, die im Titel den Begriff des Schweigens verwendet, ist die Dissertation von Heather Garret Nothing to say. Disclosures of Silence in the Narratives of Louis-René Des Forêts, Julien Gracq, Marguerite Duras, Alain Robbe-Grillet, and Fritz Lang (2004). Garret untersucht das Verhältnis zwischen Sehen und Wissen in Robbe-Grillets drittem Roman Le Voyeur (1955). Dabei findet sich schon bei Roloff: 1973, 15 im Zusam- menhang mit der Konjunktur des Schweigens als künstlerischem Thema die Bemerkung: „Vgl. auch Filmdrehbücher von M. Duras, A. Robbe-Grillet u.a., in denen die Affinität von Filmausdruck, Schweigen und Sprachskepsis besonders deutlich wird […].“ 3 Von einer „Form, die zwei Seiten hat“ sprechen in Bezug auf Reden und Schweigen Luhmann / Fuchs: 1989, 1. Der Begriff ‚Medium‘ wird, auch als Bestandteil von ‚Intermedialität‘, hier und im Folgenden mit Böhme / Matussek: 2008, 100 nicht nur auf technische Medien angewendet, die sich an einzelne Sinne richten und an diese gekoppelt sind, wie etwa Schrift, Buch und Film, sondern auch auf „die menschlichen Sinne als natürliche Medien“, durch welche die Welt überhaupt erst wahrnehmbar wird. Die Sichtbarkeit des Schweigens 125 dern relational und damit radikal antimetaphysisch. Das unterscheidet sie zum Beispiel, wie noch genauer zu sehen sein wird, von der Poetik Samuel Becketts. Während sich im zweiten Akt von Becketts En attendant Godot (1953) Stummheit und Blindheit in Gestalt von Lucky und Pozzo in ihrer Ne- gativität verdoppeln, sind Stummheit, Stille und Schweigen bei Robbe-Grillet in der Regel mit einer Steigerung des Sehsinns und einer Aufwertung des Bildmediums gekoppelt. 2. Schweigen in historischer und systematischer Perspektive Das in La Forteresse dominierende Motiv des Schweigens ist ästhetisch stark konnotiert und birgt von vornherein ein hohes selbst- und medienreflexives Potenzial. Da es hier noch dazu von einem Ex- und Postavantgardisten wie Robbe-Grillet verwendet wird, scheint es erst recht angebracht, zunächst einen kurzen Blick auf den dadurch unvermeidlich evozierten ästhetischen und poe- tologischen Kontext zu werfen.4 Auch wenn das Schweigen als elementare Form menschlichen Verhaltens ‚schon immer‘ Thema und Gegenstand der Literatur war, besteht doch kein Zweifel, dass es als ein zentrales Problem der ästhetischen Moderne identifi- ziert werden kann. Spätestens seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist das Schweigen zum ständigen Begleitschatten des Sprachinteresses, der Sprachkri- tik und der Sprachskepsis geworden, die ihrerseits im Banne vielfältiger Be- wusstseins-, Wahrnehmungs-, Wirklichkeits- und Subjektkrisen standen und die Literatur des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts entscheidend prägten: von der Romantik und der Dichtung Arthur Rimbauds und Stéphane Mallarmés über Hugo von Hofmannsthals berühmten Chandos-Brief (1902) bis zu den historischen Avantgarden des Dadaismus und Surrealismus und von dort über das absurde Theater zu Maurice Blanchot, Nathalie Sarraute, Samuel Beckett und anderen.5 Für Ihab Hassan ist das Schweigen daher die geeignete Hintergrundmeta- pher zur Kennzeichnung der Situation, in der sich die literarische Avantgarde um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts befindet: „The point is this: silence develops as the metaphor of a new attitude that literature has chosen to adopt toward itself. This attitude puts to question the peculiar power, the ancient ex- cellence, of literary discourse – and challenges the assumptions of our civiliza- tion.“ (Hassan: 1967, 15) Als Metapher für die bis zur Selbstabschaffung gehende Infragestellung der Künste bezeichnet das Schweigen jedoch nicht nur die zentrale Aporie und damit den historischen Endpunkt der Avantgarden, 4 Vgl. zur Charakterisierung Robbe-Grillets als „Postavantgardist“ Gelz: 1996. 5 Vgl. zum Beispiel die Überblicksdarstellungen von Roloff: 1973, 7-23, Hart Nibbrig: 1981 und Schmitz-Emans: 2002. 126 Christian von Tschilschke sondern gleichzeitig auch den Ausgangspunkt und die Geburtsstunde der äs- thetischen Postmoderne. Für die Literatur hat Umberto Eco in seiner Postille a „Il nome della rosa“ den Punkt, an dem ihr gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als in eine ironische Revision der Traditionsbestände umzuschlagen, folgendermaßen charakterisiert: „la distruzione del flusso del discorso, sino al collage alla Bourroughs, sino al silenzio o alla pagina bianca […].“ (Eco: 1983, 38) Wie müsste eine der historischen Entwicklung gerecht werdende literari- sche und filmische Poetik des Schweigens aussehen? Der Entwurf einer litera- rischen Poetik des Schweigens hätte drei Ebenen zu berücksichtigen, wenn man einmal von den vielfältigen Möglichkeiten der Thematisierung des Schweigens absieht. Die erste Ebene ist die der Diegese, auf der die Figuren miteinander reden oder eben schweigen, wobei es von entscheidender Bedeu- tung ist, ob das Schweigen freiwillig erfolgt oder durch physische, psychische, politische, religiöse oder sonstige Umstände auferlegt ist. Die zweite Ebene wird durch den Diskurs konstituiert, also die narrative Fokalisierung und die strategische Informationsvergabe. Schweigen kann der Erzähler in zweifacher Hinsicht: einmal in Bezug auf die Figuren und die Umstände der Geschichte, die er erzählt, und dann in Bezug auf sich selbst. Das Schweigen des Erzählers kann im Gegensatz zum Schweigen der Figuren immer nur ein relatives Schweigen sein, ein Zurückhalten von Informationen, andernfalls gäbe es keine Erzählung. Dasselbe gilt für die dritte Ebene, das mediale Substrat der Erzählung, ihre sprachliche Gestalt, die sich dem Schweigen auch immer nur annähern kann. Damit ist zugleich das zentrale Ausdrucksparadox der literari- schen Moderne benannt: Schweigen ist immer nur durch Rede zu vermitteln, durch eine „Rhetorik des Schweigens“ (Hart Nibbrig: 1981, 11), wobei sich je- weils die Frage stellt, ob und – wenn ja – wie sich diese Einsicht, etwa in Form der lautlichen und graphischen Ikonisierung von Stille, Schweigen und Ver- stummen, auch auf die sprachliche Struktur des Textes selbst auswirkt. Eine filmische Poetik des Schweigens ist insofern im Vorteil, als sie diesem Paradox, der medialen Abhängigkeit von Sprache und Schrift, nicht unterliegt. Auf der diegetischen und der sprachlich-diskursiven Ebene verfügt der Film, jedenfalls der Tonfilm, im Prinzip über dieselben Möglichkeiten wie die Lite- ratur. Darüber hinaus kann er als audiovisuelles Medium Schweigen aber auch absolut darstellen: als Geste des sichtbaren Schweigens und des hörbaren Ver- stummens. Einem in diesem Sinne bildmächtigen ‚Kino des Schweigens‘ sind beispielsweise die Filmregisseure Yasujiro Ozu, Robert Bresson, Ingmar Berg- man, Aki Kaurismäki, Werner Herzog, Andrej Tarkowskij und nicht zuletzt Michelangelo Antonioni zuzurechnen (vgl. Kock: 1994, 327-329). Wie gestaltet sich nun vor diesem Hintergrund das Motiv des Schweigens in Robbe-Grillets Antonioni gewidmetem, zwischen Literatur und Film stehen- dem Drehbuch La Forteresse? Die Sichtbarkeit des Schweigens 127 3. Schweigen in La Forteresse Nachdem die Verwirklichung des Filmprojekts gescheitert war, hatte Robbe- Grillet im Jahr 2002 zumindest die Veröffentlichung des fertigen Drehbuchs von La Forteresse ins Auge gefasst. Nur den Schluss, der ihm nicht mehr ge- fiel, wollte er noch verändern (vgl. Corpet: 2009, 13).6 Die Form, in der sich Robbe-Grillets nun aus dem Nachlass publizierter Text präsentiert, entspricht mehr oder weniger den bereits in Scénarios en rose et noir (2005b) veröffent- lichten Drehbüchern. La Forteresse ist also kein ciné-roman wie L’Année der- nière à Marienbad (1961) oder C’est Gradiva qui vous appelle (2002), sondern, soweit diese Unterscheidung in Bezug auf Robbe-Grillets hybrides Werk überhaupt sinnvoll ist, ein pragmatischer, primär auf den Medienwechsel angelegter Text.7 Das eigentliche Drehbuch trägt die Überschrift „Continuité dialoguée“ und beschreibt in präsentischem Tempus und chronologischer Folge, was im Film zu sehen und zu hören sein soll. Es umfasst im Druck einundachtzig Seiten und ist in dreiundvierzig durchnummerierte kürzere Abschnitte bzw. Sequen- zen unterteilt, die bereits zum Teil exakte Angaben zur filmischen Umsetzung enthalten: Einstellungsgrößen und -übergänge, Kamerapositionen, Bewegun- gen, Blickrichtungen, Gestaltung von Licht und Ton (Dialoge, Voice-over- Kommentare, Geräusche, Musik) usw. An einigen Stellen verweist Robbe- Grillet darauf, dass die betreffende Szene endgültig erst nach Maßgabe der Verhältnisse am Drehort einzurichten sei. Begleitet wird das Drehbuch von zwei kürzeren, ebenfalls 1992 entstandenen Texten: „Projet“, eine Projekt- skizze, in der das Filmvorhaben noch Le Survivant heißt, richtet sich in ironi- schem Ton an potentielle Produzenten und bricht nach wenigen Seiten mit den Worten ab: „Si vous voulez connaître la suite de ces troublantes aventures, produisez Le Survivant (titre provisoire), un film écrit et réalisé par Alain Robbe-Grillet.“ (Ebd., 23) Der zweite Text, „Synopsis“, sollte der Produk- tionsgesellschaft Fastever bei der Suche nach Finanzierungsquellen von Nut- zen sein. Aufgrund einer Vielzahl aus seinen anderen Büchern und Filmen bekannten Motiven und Grundstrukturen ist La Forteresse unschwer als ein Text Robbe- Grillets zu identifizieren. Der Schauplatz bzw. die Kulisse, denn Robbe-Grillet 6 Im letzten Eintrag von Roger-Michel Allemands Monographie über Robbe-Grillet wird das Projekt in den vorangestellten „Repères biographiques“ noch folgendermaßen erwähnt: „1997. Projet de réalisation de La Forteresse, où Jean-Louis Trintignant jouerait le rôle d’un officier dragon blessé à la jambe.“ (Allemand: 1997, 12) 7 Wegen der Unterschiede, die sie untereinander aufweisen, und ihrer Ähnlichkeit mit den Drehbüchern ist eine eindeutige formale Definition der von Robbe-Grillet ciné-roman genannten Texte nicht möglich. Seit mit C’est Gradiva qui vous appelle (2002) der ciné- roman dem entsprechenden Film Gradiva (F / B 2006) zum ersten Mal vorausging, ist auch das Kriterium der Nachzeitigkeit des literarischen Textes hinfällig geworden. Vgl. Corpet / Lambert: 2005. 128 Christian von Tschilschke versucht jeglichen Realismus zu vermeiden, ist eine gigantische Festungsruine „à la Vauban“ (Robbe-Grillet: 2009, 37), die einsam im Nebel über steilen Meeresklippen thront. Im Inneren besteht sie aus einem Labyrinth aus endlo- sen Korridoren, dunklen Zimmerfluchten und Geheimgemächern. Bevölkert wird die Festung von einigen wenigen Figuren, darunter einem alten, hochmü- tigen und autoritären Oberst, „le vieux Marcus“ (ebd., 25), der rechtsseitig ge- lähmt ist und nicht mehr sprechen kann. Mit herrischen Gesten dirigiert er die junge, hübsche, blonde Krankenschwester Annie, die sich um ihn kümmert und zu der er offensichtlich auch eine intime Beziehung unterhält. Daneben gibt es den Festungskommandanten Jensen, der mit dem obskuren Arzt Um- berto – mit seiner dicken Brille, seinem schwarzen Bart und seinem leichten italienischen Akzent erinnert er unweigerlich an Umberto Eco –, in eine Ver- schwörung verwickelt ist, sowie den sechzigjährigen, bereits pensionierten Major Heinrich, der den alten Oberst Marcus aufsucht, weil er sich von ihm Aufklärung über Vorkommnisse in der gemeinsamen Vergangenheit ver- spricht, die mit dem Tod von Marcus’ Tochter Diane zu tun haben. Heinrich ist es auch, der am Ende überraschend Jensen verhaftet und das Kommando über die Festung übernimmt. Vervollständigt wird das Ensemble durch eine Handvoll sich langweilender Soldaten, die auf den Angriff eines unbekannten Feindes warten, der zum Schluss auch tatsächlich einzutreffen scheint. Les soldats Le capitaine Jensen Le docteur Umberto h. J 0. e 2 Le vieux colonel Marcus Mitt Le commandant L’infirmière Annie Heinrich n re Le jeune colonel Marcus h a J 0 3 r o v LeH lieeiuntreicnha nt DLeia cnaev/Dalaienry Abb.1: Figurenkonstellation in La Forteresse Dieses Minimalsetting wird nun von Robbe-Grillet in bewährter Manier in ein komplexes Verwirrspiel überführt, in dem die Identität der Figuren, die Zeit- und Realitätsebenen erheblich in Bewegung geraten (vgl. Abbildung). Eine
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