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Die Schicksale der Transfusion im Letzten Decennium: Rede, Gehalten zur Feier des Stiftungstages der Militärärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1883 PDF

35 Pages·1974·0.965 MB·German
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Ernst von Bergmann Die Schicksale der Transfusion im letzten Decennium Rede vom 2. August 1883 Reprint Springer-Verlag Berlin HeidelbergNew York 1974 ISBN-13: 978-3-642-61930-4 e-ISBN-13: 978-3-642-61929-8 DOI: 10.1007/978-3-642-61929-8 Das Werk ist urheberrc;chtlicQ.geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des NachdrucKs, der Funksendung und der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Weg bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwendung, vorbehalten Bei Vervielfaltigungen für gewerbliche Zwecke ist gemäß &5 4 U rhG eine Vergütung an aen VerIag zu zahlen, deren Höne mit dem Verlag zu vereinbaren ist Library of Congress Catalog Card Number 74-2947 Herstellung: Strauß & Cramer GmbH, 6901 Leutershausen Vorwort Der bedeutende Chirurg, Ernst von Bergmann (1836-1907), besonders bekannt für die operative Säuberung großer Wund gebiete ("Wundtoilette"), hat vor Sanitätsoffizieren der Militärärztlichen Bildungsanstalten in Berlin am 2. Aug. 1883 eine Rede gehalten, bei welcher er kritisch zu Erfahrungen über Bluttransfusionen beim Menschen Stellung nimmt ... "je weniger man vom Blute wußte, um so mehr sah man in ihm die Kraft, welche alle und jede Eigentümlichkeit wie Äußerung des Lebens bestimmt und schafft". Er kommt zu dem Ergebnis, daß zu jener Zeit weder tierisches noch menschliches Spenderblut geeignet sei, Blutverluste zu er setzen. Alten Vorstellungen zum Trotz, nach welchen solche Transfusionen verjüngend und heilend wirken sollten, stellt er die - viel weniger sensationelle - Infusion VOll Kochsalzlösung als Mittel zur Auffüllung des Kreislaufs gegenüber. In einer für jene Zeit erstaunlich klaren und weitsichtigen Analyse, und soweit damals überhaupt mög lich, beschreibt von Bergmann die bei Bluttransfusionen gemachten Beobachtungen, wie irreversible Blutdruckab fälle, Hämolyse und Leukozytensturz, Fieberanfälle, die Wirkung von Blutzerfallsprodukten und des "Fibrinfer mentes" , Thrombosen und Embolien - Ers-cheinungen, welche er zu klären verlangt, bevor derartige Operationen ausgeführt werden. Eben erst waren zuverlässige Bestim mungender Zahl der Blutkörperchen vor und nach Trans- fusionen möglich; Antikoagulantien waren noch nicht bekannt, erst fast zwanzigjahre später sollte Karl Landsteiner (1868-1943) in Wien die Bedeutung der menschlichen Blutgruppen A, B und Null entdecken! Ernst von Bergmann hat diese Entdeckung offenbar vor ausgeahnt. Kritisch sagt er: ... "Man machte ohne weiteres die Voraussetzung, daß die Blutkörperchen eines Individuum in den Gefäßbahnen eines anderen fortzuexistieren ver möchten, mit anderen Worten, man nahm ihre Transplan tation als eine ausgemachte Tatsache an. " ... " Das Wieder aufblühen der Transfusion fällt allerdings zusammen mit den Versuchen, durch überpflanzung eines Gewebestücks in gleichartige oder ungleichartige Gewebe, die Heilung und den Ersatz von Verlusten allerlei Art zu bewirken" ... , und wenig später stellt er fest ... "Wieder sind wir an einen Punkt gelangt, welcher uns zwingt, daran zu erinnern, wie sehr man immer in der Transfusionsfrage bereit gewesen ist, dem Standpunkte seines Wissens vorauszueilen" ... Sollten analoge Betrachtungen nicht auch heute noch gültig sein? Möge dieser Nachdruck der in schönstem Deutsch gehal tenen und von hoher ethischer Verantwortung des forschen den und handelnden Arztes zeugenden Festrede allen jenen zugute kommen, für die Medizingeschichte auch zum Verständnis von Fragen der Medizin heute beitragen kann. Freiburg, den 9. März 1974 Professor Dr. Dr. med. h. c. Qtto Westphal Max-Planck-Institut für Immunbiologie DIE SCHICKSALE DER TRANSFUSION LETZTEN DEOENNIUM. REDE, GEHALTEN ZUR FEIER DES STIFTUNGSTAGES DER MILITÄR ÄRZTLICHEN BILDUNGSANSTALTEN A~l 2. AUGUST 1883 VON ERNST VON BERGMANN. BEBUN' ISS8. VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD 68 UNTER DEN LINDEN. Hochgeehrte Versammlung! Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen, ihre Handluugen von den Grundlagen ihres Wissens zu be freien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte. Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger , als im Banne des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre. Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des Wunders, Nicht anders geschieht es auch heute noch. \Ver da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefe zellen und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chi rurgen bewnndern, welcher durch Watte und Binden-Touren die Wunden seiner Patienten den Fäulniss- und Entzün dungs-Enegern zu verschliessen meint, so sicher zu ver schliessen , dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen? 1* 4 - Noch ist kein Verband erdacht und gemacht worden, unter dem es nicht von Microorganismen aus der Gruppe der pathogenen und inficirenden geradezu wimmelte, und doch ist eine Reihe glänzender Erfolge das Eigenthum eines jeden Chirurgen der Gegenwart. Gegenüber dem alltäglichen Gegensatze zwischen dem, was wir zu können und dem, was wir zu wissen meinen, ist es vielleicht zeitgemäss daran zu erinnern, dass die chirurgische Kunst bleibend und dauernd noch keine För derung erfahren und keinen Gewinn bewahrt hat, der nicht aus dem festen Bestande des biologischen Wissens ihr zu geflossen wäre. So oft wir über das Erkannte hinaus griffen , griffen wir auch fehl und bewegten uns so lange in der Irre, bis wir zu den Quellen unserer Kenntnisse wieder zurückkehrten und an ihnen unsere Irrthümer zurecht stellten. Es sei mir erlaubt diese Erfahrung heute an dem Bei spiele einer Operation zu erläutern, welche noch vor wenig Jahren als die bedeutendste und wichtigste der modernen Chi rurgie gepriesen wurde, welche eine neue Aera in der gesamm ten Medicin inauguriren solltfl und auf den Verbandplätzen be rufen schien, mehr als jede andere das fliehende Leben des Ver wundeten zu erhalten - es ist das die Operation der U eberführung des Blutes in das Gefässsystem eines Kranken: Die Operation der Transfusion. Mehr als ein Jahrhundert vor der Entdeckung des Kreislaufs lag Papst Innocenz VIII. im Sterben. Ganz allmählig erlosch ihm das Leben, indem er von Tag zu Tage hinfälliger und matter wurde. Da kamen seine Aerzte 5 - auf dieselbe Idee, welehe Ovid der Medea eingiebt, um Jasons alternden Vater zu verjüngen, indem er die Zau berin sagen lässt: Veteremque haurite cruorem Ut repleam vacuas juvenili sanguine venas! Mit jugendlichem Blute sollten auch hier die leeren Adern des erschöpften Greises gefüllt werden. Drei rö mische Knaben gaben ihr frisches Blut dazu her, welches-in die Venen des Hohen Priesters erfolglos geleitet wurde, denn aus seiner Lethargie erwachte der Kranke nicht mehr. Noch ehe man eine Vorstellung davon hatte, wie das Blut im Körper rinnt und fliesst, noch ehe man in Erfahrung gebracht, wohin sein Strom zu richten, hatte man dnrch eine kühne That ihn in ein neues Bett zu zwingen gesucht. Wie noch heute der Sprachgebrauch Blut statt Leib, Leben, Geist und Seele setzt, so sah man, je weniger man vom Blute wusste, um so mehr in ihm die Kraft, welche alle und jede Eigenthümlichkeit wie Aeusserung des Lebens bestimmt und schafft. Was Wunder daher, dass noch im 17. Jahrhunderte nicht einzelne~ sondern ganze gelehrte Körperschaften und Collegien sich mit der Frage befassten, ob ein Hund Wolle und Hörner nach der Ein führung von Schafblut bekäme, ob die Gesinnung eines Leicht- und Heissblütigen durch das fromme und unschul dige Blut des Lammes gebessert werden könne! Zu diesen fabelhaften Zwecken hat man noch im 18. Jahrhunderte transfundirt, so dass eigentlich von der Medea bis zu den Zeiten Friedrichs des Grossen , wo Mackenziel) meinte, die Operation könne durch ihre ver- 6 - jüngende Kraft das Leben der Menschen verlängern, die Transfusionslehre nicht wesentlich gef6rdert worden ist. Ein bestimmter Heilzweck, eine am Krankenbette erreich bare Aufgabe war ihr nicht gestellt worden. Die transcendentalen Vorstellungen von der Eigenschaft des Blutes mussten beseitigt und die Scheu vor dem dämonischen Safte überwunden sein, ehe die Operation der Transfusion wieder Aufnahme finden, ja im Laufe unseres Jahrhunderts gewissermassen zum. zweiten Male erfunden werden konnte. Dazu trug nach Harvey's Ent deckung in erster Stelle das durch sie so glänzend inaugurirte Thierexperiment bei und dann die Zunahme der chirur gischen Sicherheit im Operiren, welche lediglich im Beherr schen der Blutung, im Haushalten aber auch im Schalten und Walten mit dem Blute begründet war. Gleichsam eine Probe der Lehre vom Kreislaufe war die Ue berflihrung des Blutes eines Thieres in das Gefäss-' system eines anderen. Ein solcher Austausch ist, nach dem Vorgange Lower's2) im vorigen Jahrhunderte mehr fach ausgeflihrt worden und hat die T hat s ach e festge stellt, dass ein Thier, welches durch Eröffnung seiner Arterien nahezu verblutet ist, durch Ueber leitung des Blutes ans der Arterie eines anderen Thieres wieder zum Leben gebracht werden kann. Dass die am Thiere gewonnene Erfahrung auch für den Menschen zutreffend sei, behaupteten Richter wie Hufeland und suchte durch eine Schrift, die alle bezüg lichen Erfahrungen in seltener Ausführlichkeit und Vollstän digkeit wiedergab, der dänische Arzt ScheeJS) in den -7- ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem sind allerdings Transfusionen überall und unter den mannig fachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu ausserordentlicher Höhe stieg. Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die Ueber führung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes Leben retten" könne, sollte man meinen, dass auch nur bei drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krank heiten der verschiedensten Organe, die man durch eine Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste, welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren-, Lungen-, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, nament lich aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten, sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann, als am Ende der 50er Jahre Martin4) seine durchschla genden Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste er schöpften Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor 10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krank-

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