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Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit Band I Prolegomena PDF

704 Pages·1999·23.163 MB·German
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Otto Zwierlein Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit w DE G Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Winfried Bühler, Peter Herrmann und Otto Zwierlein Band 57 Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999 Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit Band I Prolegomena von Otto Zwierlein Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999 © Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaufnahme Zwierlein, Otto: Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit / von Otto Zwierlein. — Berlin ; New York : de Gruyter Bd. 1. Prolegomena. - 1999 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Bd. 57) ISBN 3-11-016635-6 © Copyright 1999 by Walter de Gruyter Gmbh & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikro- verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und Buchbinderische Verarbeitung: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach MEINEM BONNER OBERSEMINAR Vorwort Den Anstoß zu den vorliegenden Untersuchungen gab eine mündliche Staats- examensprüfung über Vergils Aeneis, für die ich den Schluß der Nisus-Eurya- lus-Episode ausgewählt hatte. Als ich den Text auf Verständnisschwierigkeiten hin durchsah, wurde mir klar, daß der Kandidat die Frage, welche Funktion dem Vers Aen. 9,430 im Zusammenhang zukomme, nicht befriedigend würde beantworten können (wie es sich in dem sehr erfolgreichen Gespräch dann auch ergab), weil es sich um einen sentimentalisch anmutenden Fremdkörper handelt, der offensichtlich von späterer Hand hinzugesetzt wurde, um das Pathos der Szene zu steigern. Diese Diagnose verlangte nach einer breiteren Absicherung: Dabei überprüfte ich zunächst die nur in einem Teil der Über- lieferung gebotenen Verse, danach die vielen wiederholten Verse und Vers- gruppen im Vergilcorpus und gewann schon bald den Eindruck, daß diese zuallermeist nur an einer der beiden (oder auch drei) Stellen, an denen sie auftreten, formal und inhaltlich befriedigend in den Zusammenhang integriert sind. Dies zeigt sich besonders deutlich dort, wo durch die homerische Vor- lage, deren Struktur Vergil übernimmt, der ursprüngliche Sitz des jeweiligen Wiederholungsverses zweifelsfrei ermittelt werden kann. Über die weiteren, oft mühevollen Schritte, die zu gehen waren, wird der Leser ein Bild aus dem folgenden Einleitungskapitel gewinnen, in dem ich zugleich die wichtigsten Ergebnisse knapp zusammenzufassen suche. Die These, daß wir den Vergil und den Ovid in einer etwa um 14-25 n.Chr. entstandenen überarbeiteten Fassung lesen, soll in den anschließenden drei Bänden durch einen fortlaufenden echtheitskritischen Kommentar zum ganzen Vergil (Bände II und III) und (im Band IV) zu exemplarisch ausgewählten Par- tien aus allen Werken Ovids (einschließlich der jeweiligen Appendices) im einzelnen begründet werden. Dort wird zugleich das Ziel verfolgt, die Über- arbeitungsschicht aus tiberischer Zeit abzulösen und so den ursprünglichen Text soweit wie möglich wiederzugewinnen. Obwohl die Züge des erschlossenen Zudichters in allen Einzelheiten erst am Ende der Untersuchungen erfaßt werden können, schien es mir wichtig, dem Leser die Gesamtkonzeption (wie sie sich mir erst spät ergeben hat) bereits in den vorliegenden Prolegomena (Band I) vorzuführen. Dabei erwies es sich als notwendig, an einer Reihe von Stellen, denen besondere Beweiskraft zukommt, den ganzen Begründungszusammenhang, wie er an sich dem kritischen Kom- mentar vorbehalten ist, nach vorne zu ziehen, damit der Leser eine wenigstens einigermaßen sichere Beurteilungsbasis gewinnen kann. Ich werde ihn auch so noch häufig genug für den detaillierten Nachweis der Unechtheit von Stellen, Vili Vorwort die ich in den folgenden, systematisch angelegten Kapiteln nur als getilgt anführe, auf die späteren Bände vertrösten müssen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß bei der Fülle des Materials ein anderer Weg nicht gangbar war. Wenn aus der Perspektive des erreichten Endpunktes der Eindruck ent- stehen sollte, es würden hier leichten Herzens ganze Versgruppen bis zum Umfange von beinahe achtzig Zeilen geopfert, so täuscht dies: Ich habe um jeden einzelnen Vers hart gerungen (wohl wissend, welche Häme rasch urtei- lender Rezensenten sich über so viel Wagemut ergießen wird), aber immer wieder die Erfahrung gemacht, daß die Athetese eines oder mehrerer Einzel- verse nur die besonders markanten Indizien einer größeren Zudichtung besei- tigt und erst deren ganzheitliche Aussonderung dem echten Vergil (oder Ovid) Genugtuung widerfahren läßt. Solange man der Vorstellung anhängt, unser Vergil- oder Ovidtext weise allenfalls die üblichen 'Benutzerspuren' auf, die der ein oder andere Leser oder Grammatiker hinterläßt, wird man die Tilgung größerer Versblöcke nicht plausibel finden. Auch meine eigenen Skrupel sind erst gewichen, als ich erkannt hatte, daß hinter der kanonisch gewordenen 'Vergil'-Ausgabe ein in den literarischen Diskussionen des Deklamationsbetriebs heimischer Dichter tiberischer Zeit steht, der als Veranstalter einer Gesamtedition der Werke Vergils das Geschäft der 'emendatio' in einem ähnlich umfassenden Wortsinne betrieb, wie es der Dichter (und Grammatiker) Valerius Cato anläßlich einer Lucilius-Ausgabe ins Auge faßte (s. S. 599ff.). Obwohl mein Interesse auf Vergil gerichtet war, konnte ich an Ovid nicht vorübergehen, weil sich herausstellte, daß der gleiche Dichter tiberischer Zeit auch den Ovid 'ediert' hat und zwar zeitlich vor der Vergilausgabe1 (wodurch die Reihenfolge der beiden Dichternamen im Titel dieser Untersuchungen begründet ist). Ovid schreibt selbst aus der Verbannung seinem Freund und 'Verleger' in Rom, er möge - wie früher - auch während der Zeit seiner Relegation für die Verbreitung seiner Schriften sorgen und insbesondere die unvollendet gebliebenen Metamorphosen edieren. Für die postume Edition der wohl im Jahre 4 n.Chr. abgebrochenen Fasti läßt sich das Datum recht genau benennen: Die Ausgabe hat den Triumph des Germanicus vom 26. Mai 17 n.Chr. zur Voraussetzung und durch den Bearbeiter ein neues, an den jungen (19 n.Chr. gestorbenen) Prinzen und dichtenden Zunftgenossen gerichtetes Proöm erhalten, ist also in die Zeitspanne 17-19 n.Chr. zu setzen. Mit Aus- nahme der beiden als Auftakt belassenen Mottoverse hat der Redaktor das ursprüngliche Augustusproöm an den Beginn des zweiten Buches gerückt (wo es fehl am Platze ist: man erkennt hier das grundsätzlich konservierende Editionsprinzip!) und alle sechs Bücher durch eine große Zahl von Zudichtun- 1 Der eilige Leser wird sich davon leicht durch die Lektüre der Kapitel IV 5 und IV 1 über- zeugen können. Vorwort IX gen erweitert. Nach dieser Editionsmethode ist er wenig später mit der eben- falls unvollendeten Aeneis, aber auch mit den Geórgica verfahren, während ihm die Bucolica nur sporadisch Anreize zum Eingreifen geboten zu haben scheinen. Welcher Dichter frühtiberischer Zeit diese Gesamtausgabe veranstaltet hat, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ich glaube jedoch in diesem Band (verwiesen sei vor allem auf die Kapitel III und IV) genügend Indizien zu- sammengetragen zu haben, die auf Iulius Montanus deuten, so daß ich ihn von Anfang an als den Urheber der Zudichtungen (und der nahezu ganzen Appen- dix Vergiliana, ferner des Epicedion Drusi, der Heroides, der Medicamina faciei femineae, der Nux und wahrscheinlich auch der Ibis-Invektive) einführe, obwohl seine jeweilige Autorschaft erst im Laufe dieser Untersuchungen plausibel werden wird. Wer eine solche Präjudizierung für unangemessen und die Identifizierung für nicht überzeugend hält, möge den Namen Montanus überall durch 'Bearbeiter' ersetzen und meine Zuschreibung dieser Ovid- und Vergilausgaben mit den vielen in ihnen enthaltenen Zusätzen an den Dichter Iulius Montanus als Modell ansehen, wie wir uns das Zustandekommen des in vielem unbefriedigenden und anstößigen Textes vorzustellen haben. Daß hier überall der gleiche Urheber am Werk ist, wird unmittelbar einsichtig, wenn man die im Register unter den Stichworten 'Identität des Verfassers' und 'komplementär' aufgeführten Stellen überprüft. Wer sich aber aus einer grund- sätzlich aporetischen Haltung heraus einer radikalen Kritik des überlieferten Textes, wie sie hier nach langem Abwägen als unerläßlich erachtet wird, verschließt, mag diese Bände schlicht als kritischen Kommentar de Ulis eius (sc. Vergili) quaestionibus innumerabilibus, quibus grammatici agitari et perturban soient1 verwenden. Es wird sich zumindest die Erkenntnis Bahn brechen, daß die Eliminierung der von scharfsinnigen Philologen des letzten und vorletzten Jahrhunderts geleisteten echtheitskritischen Arbeit aus den Apparaten unserer heutigen Vergil- (und Ovid-) Ausgaben einen schwer verständlichen Rückschritt in der Editionstechnik darstellt. Daß die Palinurus- und Deiphobus-Episoden des 6. Aeneisbuches in der uns überlieferten Form nicht von Vergil stammen, konnte man seit 1843 (dem Erscheinungsdatum der kommentierten Aeneisausgabe von Peerlkamp) wissen. Man findet von dieser und vielen gleichartigen Erkenntnissen in den heute maßgeblichen Vergil- ausgaben buchstäblich keine Spur mehr. Die Geschichte der Philologie vollzieht sich in manchen Disziplinen als Krebsgang. So steht zu hoffen, daß sich in der jungen Generation frei und selbständig denkende, kritische Köpfe finden werden, die das volle Methoden- arsenal, in dem seit den Alexandrinern, ja, seit Herodot die Echtheitskritik eine wichtige Rolle spielt, zur Geltung bringen und auch das auf diesem Felde Aug. util. cred. 6, 13. χ Vorwort Geleistete angemessen würdigen und weitergeben. Die Erfahrungen, die ich in dieser Hinsicht in meinem Bonner Oberseminar sammeln konnte, erfüllen mich mit Zuversicht. Dort sind die hier veröffentlichten Thesen erprobt und durch energischen Widerspruch ebenso wie durch ergänzende Anregungen vielfältig verbessert worden. Die Widmung dieses Bandes soll meine Anerkennung und meinen Dank bekunden. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für das unschätzbare Privileg, daß ich ein volles Jahr ohne Lehrverpflichtungen ganz auf diese Studien verwenden durfte. Besonderer Dank gebührt meinen Mitarbeitern, allen voran Frau B. Paich- Knebel, die mit unerschöpflicher Geduld meine handschriftlichen Vorlagen in den Computer eingegeben hat, ferner den Hilfskräften, die mich über Jahre hin mit nie erlahmendem Eifer unterstützt haben: J.P. Clausen, B. Mentjes, Maren Peek, Th. Riesenweber, M. Scheer. Hervorgehoben sei die Mitwirkung der folgenden aus dem Bonner Oberseminar hervorgegangenen Doctores illustres: A. Arweiler (jetzt Kiel), R. Cramer, M. Deufert (Göttingen), Rebekka Junge (Erlangen) und T. Schmit-Neuerburg. Sie haben ein gut Stück ihrer eigenen Forschungszeit, viel Geduld, Gründlichkeit und Scharfsinn, vor allem aber ihren geschulten Blick an dieses Buch gewendet. Die schwierigen Anforde- rungen der Computertechnik hätten wir ohne das Geschick von Rebekka Junge niemals bewältigen können. Die erstgenannten doctorum ex turba tergemini fratres haben mich noch im Stadium des Korrekturenlesens vor vielen Irr- tümern bewahrt und wertvolle Ergänzungen und Präzisierungen beigesteuert. Wenn das more ursae parere et lambendo demum effingere einen neuen Vergil und einen Montanus redivivus hervorgebracht hat, ist dies auch ihr Verdienst. Den beiden Mitherausgebern, denen ich seit nunmehr zwanzig Jahren in herzlicher Zusammenarbeit verbunden bin, danke ich für das gewährte Ver- trauen, Herrn Bühler für seine trotz mancher Skepsis ermunternde Kritik, Frau Dr. Grünkorn vom Verlag de Gruyter für die aufgeschlossene Förderung. Bonn, im Juli 1999 Otto Zwierlein

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