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Die Methoden der künstlichen Atmung: Und ihre Anwendung in historisch-kritischer Beleuchtung mit besonderer Berücksichtigung der Wiederbelebungsmethoden von Ertrunkenen und Erstickten PDF

128 Pages·1912·4.487 MB·German
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Die Methoden der künstlichen Atmung und ihre Anwendung in historisch-kritischer Beleuch tung mit besonderer Berücksichtigung der Wieder belebungsmethoden von Ertrunkenen und Erstickten Von Dr. G. van Eysselsteijn Direktor des Universitäts-Krankenhauses in Groningen Mit einem Vorwort von Professor K. F. Wenckebach in Straßburg i. E. Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1912 ISBN 978-3-662-32349-6 ISBN 978-3-662-33176-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-33176-7 Vorwort. Die Frage, welche Methode der künstlichen Atmung die beste sei, besonders zum Wiederbeleben Ertrunkener, ist immer noch eine offene und vielumstrittene. Sie kann nur richtig gelöst werden, wenn man weiß, was erreicht werden soll und wie die verschiedenen Methoden wirken. Die Beantwortung der Frage liegt denn auch nicht in einer Statistik über gerettete Personen; bei Anwendung einer jeden Methode sind schon Ertrunkene wieder zu sich gekommen. Ich erachte es als ein Verdienst des Verfassers dieses Büchleins, daß er nicht darin seine Aufgabe erblickt hat, sondern in einer wissenschaftlichen Kritik der Methoden. Bei der Ausbildung der Methoden der künstlichen Atmung und bei ihrer Beurteilung ist als alleiniger maßgebender Faktor das Volumen der ein- und ausgetriebenen Luft viel zu sehr in Betracht gekommen. Daß es viel mehr auf etwas anderes an kommt, nämlich auf das Wiederingangbringen der stockenden Zirkulation, wird hier richtig hervorgehoben, die Bedeutung der Atmung für die :Förderung des Kreislaufs gebührend berück sichtigt. Und die Schlußfolgerung, daß nur einer der physio logischen Atmung möglichst genau nachgebildeten Methode der künstlichen Atmung die Krone zukommt, scheint mir ganz richtig zu sein. Da diese Behandlungsweise in der entsprechenden Literatur kaum genügend gewürdigt worden und der Gegenstand selbst für. weite Kreise außerordentlich wichtig ist, halte ich die Aufgabe, die der Verfasser sich gestellt hat, für eine höchst dankenswerte. Straßburg i. Els., im Mai 1912. K. F. Wenckebach. Inhaltsübersicht. I. Abschnitt. Erste Hilfe bei Ertrunkenen nach den Schriftstellern des Altertums. Seite Warum die Alten den Tod durch Ertrinken für einen schändlichen und schrecklichen Tod hielten und weshalb bei ihnen fast nicht von Ertrunkenen als solchen gesprochen wird . . . . . . . . 1 Welche Mittel von den Alten angewandt wurden, um Ertrunkene ins Leben zurückzurufen und weshalb sie gerade die genannten Mittel gebrauchten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Abschnitt. Von Galenus bis an die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ansichten von Plater, Borellus, Camerarius, Waldschmied, Becker, Boerhave, Von Haller, Vitringa Coulon, Walter, Florman, Hebenstreit, Unzer u. a. über den Tod durch Ertrinken. Kommt Wasser in die Lungen oder nicht? . 15 Das Tabakklistier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Das Wärmen des Ertrunkenen in warmer Asche, warmen Bädern usw. 28 Kalte Übergießungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Prescriptions de !'Etablissement de Ia ville de Paris de 1778 . 30 Natürliche Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Die Gründung verschiedener Gesellschaften zur Rettung von Er- trunkenen . . . . . . . . . . . . . 33 John Hunter und seine "Proposals" . . . . . . . 34 C. W. Hufeland, "De usu vis electricae" . . . . . . . 35 Register und Tabellen der Rettungsgesellschaften, übersieht der ver- schiedenen von Arzten und Laien angewandten Mittel und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Abschnitt. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. A. Künstliche Atmung mittels Instrumenten. Blasebalg und Luftpumpe . . . . . . . . . . 45 Der Gürtel von Leroy und der von Dalrymple 49 Pechpflaster, Saugleder, Schröpfgläser 50 Das Spirophor von W oillez 50 Eisenmangers Bauchatmungsmaske . . 57 VI Inhaltsübersicht. B. Künstliche Atmung ohne Instrumente. Seite Das Einblasen des Atems in Mund oder Nase. 59 Das Aufziehen des Rippenbogens . . 61 Marshall Halls postural method . 62 Silvesters physiologische Methode 64 Pacinis und Bains Methoden 65 Howards direkte Methode 66 Die Methode von Brosch . 70 Schultzes Methode 71 Schäfers Methode . 72 Bolauds Methode . 76 Labordes Methode. 77 Reizung des Diaphragmas und Herzmassage 78 Die Atmung und der Kreislauf während des Ertrinkens nach Paul Bert, Brouardel und Paul Loye . . . . . . . . 79 Der Rapport der Londoner Kommission vom Jahre 1903 • 82 Spontane und künstliche Atmung . . . . . . . . . . . 87 V ergleichende Übersicht der venJChiedenen Methoden . . . 97 Akapnie und Hyperpnoe. Kann man die künstliche Atmung auch zu kräftig anwenden? . . . IIO Welche Methode ist die beste? . . . . . . . . . . . . . . . . 1 U l. Abschnitt. Erste Hilfe bei Ertrunkenen nach den Schrift stellern des Altertums. rae :IWtyt<al '7 nvtyo~evc.v O~OtO<; o tauv f''7 Jvva~evoc; avanvetv. Es ist erstaunlich, wie wenig bei den Alten berichtet wird über den Tod durch Ertrinken und über die Mittel, ihn zu be kämpfen. Ohne Zweifel haben sie sich den Tod durch Ertrinken als einen Erstickungstod gedacht, der, wenn auch nicht immer so schändlich wie der Tod am Galgen, doch sicher ebenso schreck lich in seinem Wesen sein mußte. Von Theophrastus Eresius (372-287 a. C. n.) ist folgendes Fragment bewahrt (Opera Tom. II, p. 472, edit. Dan. Heinsii): rrvtycrat yae 'YJ nvtyoJ1EV!fJ OJlOWc; eouv 6 Jl'YJ lJvvaJlevoc; avanvuv. "Derjenige, der nicht atmen kann, erstickt oder befindet sich im Erstickungszustand." Nach der Meinung der Alten verläßt beim Sterben die Seele mit dem letzten Atemzug den Körper. Wie sich die Alten den gegenseitigen Zusammenhang zwischen Seele und Körper dachten, findet man wundervoll beschrieben bei Flavius Josephus1) (Ed. B. Niese, Berolini 1894, de bello Judaico Cap. II, VIII, 11 [154]), wo er zeigt, wie groß die Übereinstimmung ist zwischen der Ansicht der jüdischen 1) Flavius Josephus wurde 37 n. Chr. in Jerusalem geboren. Beim Ausbruche des Aufstandes der Juden gegen die Römer verteidigte er als jüdischer General die Festung Jotapata gegen Vespasian, wurde gefangen, gewann aber bleibend die Gunst Vespasians, als er diesem prophezeite, er werde Kaiser werden. Nach der Zerstörung Jerusalems und des heiligen Tempels a0 70 ging er mit Titus nach Rom und schrieb in griechischer Sprache eine Geschichte des jüdischen Volkes und des jüdischen Krieges und andere für die Juden apologetische Schriften. Eysselsteijn. I 2 Erste Hilfe bei Ertrunkenen nach den Schriftstellern des Altertums. Sekte der Essäer und der der Griechen über diese Frage und über die Unsterblichkeit der Seele. Er sagt: Kat yae seewrat :rcarl avr:ot<; fj(>s ~ oo~a, cpfJaera flBV stvat 'W OWflaTa uat T'YJV ·Ö).1JV OV f.lOVtftOV avTWV1 Ta<; Oe 1fJVXa<; a{}avar:ov<; an OtaflBVetv, xat OVf.l:rc).suw{}at pev eu wv 2s:rcwTawv cpoawaa<; atfJe(!O<; WO:TCE(! Bl(!UTat<; TOt<; OWflaOtV tvyyt Tl'l'l CfJVOlXll UaTaO:rcW f.leVa<;, s:rcetoav IJe ave{}wat ww uara aaeua OEOf.lWV, o'ia d1J f.lauga<; oov2eta<; a:rc1JAAayf.lEVa<; wu: Xatf!etV uat flETEWf!OV<; rpef!w{}w, d. h.: "Denn diese Meinung herrscht unter ihnen, daß der Körper sterblich und sein Urstoff vergänglich ist, daß aber die Seele unsterblich ist und ewig besteht, und daß sie, die aus der sub tilsten Luft entstanden ist und durch eine unwiderstehliche Anlockung der Natur herabgezogen ist, in den Körper gleich sam wie in ein Gefängnis eingesperrt wird; daß sie aber, sobald die Fesseln, die sie mit dem Körper [verknüpften] gelöst sind, darum daß sie jetzt von schwerer Sklaverei befreit ist, frohlockt und emporschwebt." Bei dem Gehenkten jedoch kann der Lebensgeist nicht durch die zugeschnürte Kehle entweichen, sondern geht, nach gewal tiger Perturbation, in der Erstickung in Blut und Säften unter. Kommt das Pneuma irgendwo in den Säften des Körpers zum Vorschein, dann hat augenscheinlich die Perturbation schon stattgefunden, und es ist vergebens, dem Gehenkten Hilfe zu leisten: Twv a:rcayxof.lEVWJI xat xaraAVOf1cvwv f.lr]Oenw ~Je Tdh'1J n xorwv ovx avacpeeoYTat oiatv av acpeo<; :rceet w owrw (Hippocr. Aphor. II, 43): Von den losgeschnittenen Gehenkten, die noch nicht tot sind, werden (diejenigen) nicht zum Bewußtsein ge bracht, denen der Schaum (schon) auf dem Munde steht. Denn dieser Schaum findet seinen Ursprung nicht in der ausgeatmeten Luft, weil ja die Kehle zugeschnürt ist; das Pneuma ist offenbar schon in die Säfte hineingedrungen. Nichts kann dem Gehenkten mehr helfen, er ist rettungslos verloren. Um nun von den Gehenkten zu den Ertrunkenen zu ge langen, brauchen wir nicht in schlauer Weise den Text zu fälschen und xara2vof.lEJIWV durch uaraOVOf.lEVWJI zu ersetzen, sondern wir müssen einfach achtgeben auf das große Ansehen des Galenus und auf dessen Meinung über den Schluck mechanismus. Erste Hilfe bei Ertrunkenen nach den Schriftstellern des Altertums. 3 Galenus1) hat die Ansicht einiger vor ihm lebenden Medici und Philosophen bestritten, als würde beim Schlucken der Larynx durch Muskelwirkung gegen die Epiglottis hinaufgezogen. Er dagegen behauptet, daß der fallende Speisebrocken die Epiglottis zeitweise hinunterdrückt und also das Vestibulum laryngis ab schließt. Bis auf heute hört man die falsche Ansicht auch von denjenigen, von denen man besseres erwarten würde. Man braucht doch nur den Finger auf den Adamsapfel zu legen und dann zu schlucken, um zu fühlen, daß die Larynx beim Schlucken wohl hinaufgezogen wird. Wie groß ist das Ansehen des Hippokrates und des Galenus Jahrhunderte hin durch gewesen! Beim Ertrunkenen nun wird, nach Galenus, die Epiglottis durch das herbeiströmende Wasser abgeschlossen und bleibt durch dessen Gewicht zugedrückt. Ebensowenig wie beim Gehenkten kann also hier der Atem entweichen. Auch der Ertrunkene ist ein ,u1) (Jvvapcvoc; avanvetv. Erstickungstod in beiden Fällen. Will man sich in das Schreckliche dieses Todes ganz hineindenken, so vertiefe man sich in die Vorstellung der Alten. Hören wir Hippokrates 2) in seinem Lobgesang auf das Pneuma (Tract. de vent. III): Mensch und Tier brauchen dreierlei Nahrung: Essen, Trinken, aber vor allem Pneuma, im Körper Wvoat, außerhalb desselben a17e genannt. Tagelang kann man ohne Essen und Trinken leben, aber ohne Pneuma lebt niemand. Wie groß ist seine Macht! Der Wind ist ein Strom von Aer, er entwurzelt Bäume und schleudert schwere Schiffe auf der bewegten See herum. Der Raum zwischen Himmel und Erde ist mit Pneuma aus gefüllt und der Lauf von Sonne, Mond und Sternen wird von ihm beherrscht. Denn es gibt dem Feuer Nahrung, und ohne Pneuma besteht das Feuer nicht. Also auch die Sonne nicht. Und wovon würden die Fische im Meere leben, wäre nicht das Pneuma da~ Wie groß ist sein Einfluß auf Mensch und Tier! Auch die Krankheiten kommen mit verderblichen Luftströ mungen. Die Aer ist die Causa prima der Krankheiten, alles 1) Claudius Galenus wurde geboren in Pergamus im Jahre 131 n. Chr. und starb um 200 wahrscheinlich in Rom, wo er längere Zeit lebte. 2) Hippokrates, der "Vater der Heilkunde", geboren auf der Insd Kos, lebte 460-377 a. C. n. I* 4 Erste Hilfe bei Ertrunkenen nach den Schriftstellern des Altertums. übrige ist nur konkomitierend. Namentlich Wetterwechsel bringt Krankheit mit sich. (Hipp. Aph. III, l.) In diesem Zusammenhange achte man auch auf Plinius (23-79 n. Chr.), der bemerkt, daß die Pestilenzen nur in den Sommermonaten kommen und fast immer von Osten nach Westen gehen: "Qua in re observatum a meridianis partibus ad occasum solis pestilentiam semper ire nec unquam aliter fere, non hieme, nec ut ternos excedat menses" (Nat. Rist. VII, 51). Wenden wir uns nun zum Erstickungstod zurück. Wie schrecklich wäre es, wenn die Seele des Menschen nach dem Tode nicht entweichen könnte, sondern nach starker Peturbation untergehen müßte! So gewaltig ist ihr Andrang im Blute, daß man bei Ertrunkenen (Galenus de decret. Plat. atque Hip pocr. II, c. 5) Zerreißung der Adern und infolgedessen Blutsturz im Gehirn findet. Auch bei den. Römern sehen wir einen innigen Zusammen hang zwischen Seele und Atem (Animus und Anima); auch bei ihnen verläßt die Seele den Körper mit dem letzten Atemzug. Jüdische Rabbiner behaupten im Talmud, daß die Seele sich ebenso schwer von dem Körper trenne, als "ein Schiffs kabel oder ein Prellkissen durch die Kehle geht". Auch hier also ein übereinstimmender Gedankengang. Der Tod am Galgen war wohl der schlimmste Tod, den man jemand erleiden lassen konnte, ebenso schlimm wie Ertränken und lebendig Begraben. Eine Schmach blieb dieser Tod bis in späte Zeiten. Es war das Recht des Edelmanns, wie schuldig er auch sein mochte, durch das Schwert zu sterben.1) Furchtbar war also als Erstickungstod der Tod durch Er trinken, man sei schuldig oder nicht. Mit Recht durfte man 1) Bis in unsere Zeit herrscht unter den Mohammedanern die Mei nung, daß der Tod am Galgen der Seele nicht erlaubt, den Körper durch die Kehle zu verlassen und ins Paradies emporzusteigen. Im Anfang des Kampfes um Tripolis haben die Italiener Hunderte gefangene, des Verrats angeklagte Araber füsiliert, ohne den Feind zu erschrecken. Um besser zu diesem Zweck zu gelangen, haben sie dann fortan die Ver urteilten an den Galgen gehängt, um ihnen auf diese Weise nicht nur das Leben. sondern auch die Hoffnung auf die Freuden des Paradieses zu nehmen.

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