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Die medizinische Moralkritik Friedrich Nietzsches: Genese, Bedeutung und Wirkung PDF

198 Pages·2018·1.582 MB·German
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Diana Aurenque Die medizinische Moralkritik Friedrich Nietzsches Genese, Bedeutung und Wirkung Die medizinische Moralkritik Friedrich Nietzsches Diana Aurenque Die medizinische Moralkritik Friedrich Nietzsches Genese, Bedeutung und Wirkung Diana Aurenque Departamento de Filosofia Univ de Santiago de Chile (USACH) Estacion Central, Chile ISBN 978-3-658-20784-7 ISBN 978-3-658-20785-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-20785-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Frank Schindler Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Danksagung Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis einer Forschung, die ich 2011 als Wissen- schaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen angefangen habe. Seitdem habe ich die Forschung auch in Weimar, Puebla (Mexico) und Santiago (Chile) durchgeführt. Insbesondere zwei Forschungsaufenthalte als fellow in residence des Nietzsche-Kollegs in Weimar haben mir die hervorragende Möglichkeit gegeben, wichtige Teile der Forschung zu verfassen und diese vor einige Kolleg/-innen zu präsentieren. Dank des Projektes CONICYT-PAI Nº 79140034 und des Projektes FONDECYT DE INICIACIÓN N° 11150298 der chilenischen Regierung durfte ich die Forschung abschließen. Zuallererst möchte ich Urban Wiesing ganz herzlich dafür danken, dass er mich auf das faszinierende Verhältnis zwischen Nietzsche und der Medizin so eindrucks- voll und lebensprägend aufmerksam machte. Ohne seine stetige Unterstützung, kritische Anmerkungen sowie sachverständige Erkenntnisse der Medizinethik und der Philosophie der Medizin wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Zudem möchte ich in dieser Stelle auch meinem ehemaligen Kollegen und guten Freund Hans-Jörg Ehni für zahlreiche und tiefe philosophische Gespräche, seine perma- nente fachliche Großzügigkeit sowie für die achtsame Lektüre des Manuskriptes von Herzen danken. Für hilfreiche Kommentare und philosophische Expertise zu Nietzsche bin ich zudem Werner Stegmaier sehr verbunden. Ganz besonderes danke ich Franziska Remeika und Orsolya Friedrich für die stete Unterstützung. Für die Aufnahme ins Verlagsprogramm und die anschließende Betreuung sei Herrn Frank Schindler und Frau Monika Mülhausen vom Springer-Verlag gedankt. V Inhalt Danksagung .......................................................... V Einführung .......................................................... 1 1 Medizin und Philosophie im Dialog .......................... 2 2 Ziele der Untersuchung ..................................... 5 3 Allgemeine Struktur der Untersuchung ....................... 6 Teil 1 Die Einflüsse der physiologisch-naturwissenschaftlichen Medizin auf Nietzsches moralkritisches Denken .................. 9 1.1 Nietzsches Philosophie und ihr Dialog mit der naturwissenschaftlichen Medizin seiner Zeit .................. 9 1.1.1 Nietzsches Pathographie ............................. 12 1.1.2 Der Aufschwung der Medizin als physiologische Naturwissenschaft .................................. 17 1.1.3 Epistemologische Fragen: Materialismus versus Historismus ........................................ 22 1.2 Die physiologische und medizinische Lektüre: Von der philosophischen Kunst zur wissenschaftlichen Philosophie .............................................. 30 1.3 Nietzsche und Darwin(ismus) .............................. 33 1.3.1 Struggle for life und Agonalität bei Nietzsche ........... 37 1.3.2 Natürliche Selektion, survival of the fittest und Mittelmäßigkeit .................................... 39 1.3.3 Anpassung an äußere Umstände ...................... 41 1.3.4 Überleben versus Machtsteigerung .................... 43 1.4 Ernährung als philosophisches Problem ..................... 45 1.5 Organismus und Wille zur Macht ........................... 52 VII VIII Inhalt 1.6 Experimentelle Wissenschaft als Paradigma für die Philosophie ........................................ 59 1.7 Décadence und Physiologie ................................. 63 Teil 2 Nietzsches medizinische Philosophie ........................... 71 2.1 Das Verhältnis zwischen Nietzsches Philosophie und der Medizin .............................................. 71 2.1.1 Was ist Philosophie für Nietzsche? .................... 71 2.1.2 Was bedeutet Medizin? .............................. 76 2.1.3 Philosophie und Medizin als Lebenskünste ............. 82 2.1.4 Diätetisches Denken ................................. 90 2.2 Nietzsches physiologisch-philosophische Diätetik ............. 95 2.2.1 Die medizinische Metaphorik ........................ 95 2.2.2 Der Mensch als „krankes“ Tier ...................... 102 2.2.3 Moral und Moralkritik ............................. 108 2.2.4 Moral als Medizin und die „Moralisierung“ des Lebens . 115 2.2.5 Die „grosse Gesundheit“ ............................ 121 2.3 Nietzsches philosophische Therapeutik: Mut zum Leiden ..... 129 2.3.1 Die Bekämpfung des Leidens: Schopenhauers Leidensauffassung .................................. 129 2.3.2 Leiden und Schmerzen nach Nietzsche ............... 133 2.3.3 Mitleiden – Nächstenliebe – Mitfreude ............... 139 2.3.4 Die Produktivität der Schmerzen und des Leidens . . . . . 142 Teil 3 Die Rezeption von Nietzsches Denken in der heutigen Medizin .... 151 3.1 Nietzsches Rezeption und die Medizinethik ................. 151 3.1.1 Transhumanismus und Enhancement ................ 155 3.1.2 Care ethics und Intersexualität ...................... 162 3.1.3 Autonomie vs. Paternalismus: Pluralisierung der Gesundheit ....................................... 166 3.1.4 Euthanasie, Sterbehilfe und freier Tod ................ 171 3.2 Kritischer Abschluss: Nietzsche, Menschenrechte und die Medizinethik ............................................ 178 3.2.1 Menschenrechte und Menschenwürde ................ 180 3.2.2 Menschenrechte und Gleichheit ...................... 183 3.2.3 Menschenrechte und demokratische Werte ............ 186 Einführung Einführung Im letzten Kapitel des Meisterwerks Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha erzählt Cervantes von Don Quijotes Tod. Aus Sicht der Medizinphilosophie sowie der Medizintheorie verkörpert dieses Kapitel wahrscheinlich eine der ergrei- fendsten, interpretationswürdigsten und tief erschütterndsten Stellen des ganzen Buches. Bevor Don Quijote stirbt, behauptet er, den Verstand zurück bekommen zu haben: „…Ich war verrückt, und jetzt bin ich bei Verstand; ich war Don Quijote von der Mancha, und jetzt bin ich, wie gesagt, Alonso Quijano der Gute…“ Wahrhaft stirbt Don Quijote, aber sein Sterben betrifft keineswegs nur sein bio- logisches Verenden, sondern er stirbt, als er wieder Alonso Quijano wird, genauer, als er wieder gesund wird. So sagt der Pfarrer, der die Beichte Don Quijotes anhört: „Wirklich, er stirbt, und wirklich ist Alonso Quijano der Gute wieder bei Verstand.“ Don Quijotes abenteuerliches Leben war aus Sicht der gesunden Mehrheit ein irrtümliches, ja ein verrücktes Leben voller Träumereien und Kinderspielereien. Dieses Leben war aber gerade für Don Quijote selbst der Reichtum seiner Gesund- heit und das heißt, der Ausdruck aller seiner möglichen vitalen Kräfte. Die geistige Genesung Don Quijotes, seine Rückkehr in den Bereich der normalen Gesundheit bedeutete deshalb und paradoxerweise seinen Abschied vom Leben. Denn das aus der Perspektive der institutionalisierten Normalität gesehene wahnsinnige Leben des Don Quijote war für ihn selbst seine Gesundheit, sodass das Ende dieses Le- bens den wirklichen Verlust seiner Gesundheit darstellt und sogar zu seinem Tod führt. Eigentlich stirbt Don Quijote also, weil er wieder gesund wird. Ist aber diese Überlegung Cervantes nicht lächerlich? Der Gedanke, dass die Gesundheit zum Tod führen kann? Wie kann man dieses Paradoxon verstehen? Die Philosophie Friederich Nietzsches (1844-1900) mitsamt seiner weitreichen- den Überlegungen zur Medizin, insbesondere zur Bedeutung von Gesundheit und Krankheit für den Einzelnen, steht wie keine andere Philosophie dafür, dass Ge- sundheit, von der Perspektive des partikulären Lebens her gesehen, als ein plurales Phänomen verstanden werden kann. Von dieser Pluralität her gesehen, lässt sich die © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 1 D. Aurenque, Die medizinische Moralkritik Friedrich Nietzsches, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20785-4_1 2 Einführung Gesundheit Don Quijotes als eine weitere verstehen neben dem Paradigma einer einzig gültigen Gesundheit. Denn Nietzsches Grundüberzeugung besteht gerade darin, dass jeder Organismus – der Mensch mit eingeschlossen – die eigenen Be- dingungen für sein Optimum (bewusst oder nicht) reguliert und transformiert, um seine partikulären vitalen Kräfte auszuüben. Deshalb vermag etwa der Mensch eine Moralität und eine gesellschaftliche Regulierung seiner Existenz zu gestalten, transformiert sich also von homo naturalis zum homo moralis, um sich dadurch einen Vorteil für sein Leben zu verschaffen – auch wenn ein solcher Vorteil nach Nietzsche weder durch Institutionalisierung noch durch Autorität gewonnen werden kann. Wie Vanessa Lemm dies sehr genau beschreibt: „Wenn das Leben seine eigenen Normen entwickelt, wenn es selbst fähig zu wissen ist, was gut und schlecht ist, wenn es zwischen Gesundheit und Krankheit unter- scheiden kann, und wenn es zudem, aus einer anormalen Kondition eine Normalität wiederherstellt, dann öffnet sich die Möglichkeit, dass unsere Konzepte abhängig vom Leben geformt werden und nicht unser Leben abhängig von unseren Normen und Konzepten.“1 Wie diese Untersuchung zeigen wird, ermöglicht uns Nietzsches Philosophie, eine Reihe von medizinischen Konzepten – also nicht nur zur Gesundheit und Krankheit – in einer durchaus neuen Tiefe zu denken. Letztere geht mit der ein- zigartigen Form einher, in der der Dialog zwischen Nietzsches Denken und der Medizin stattgefunden hat. 1 Medizin und Philosophie im Dialog 1 Medizin und Philosophie im Dialog Spätestens seit der Moderne leben wir in einer Welt, die durch zunehmende Spe- zialisierung und Technisierung in allen Wissensbereichen charakterisiert wird. So kann man heute kaum ernsthaft von isolierten Disziplinen reden, wie etwa von der Medizin, Biologie, Anthropologie oder gar von der Philosophie, ohne dazu klärende Adjektive wie „klinisch“, „regenerativ“, „personalisiert“, „evolutiv“, „genetisch“, 1 Lemm, V. (2014): „Introducción. Nietzsche y el devenir de la vida“. In: Lemm, V. (Hrsg.), Nietzsche y el devenir de la vida, FDE Chile, 13-21, S. 13: „Si la vida desarrolla sus propias normas, si es capaz de saber por sí misma qué es bueno y qué malo, si puede distinguir entre la salud y la enfermedad, y si puede, además, reconstituirse en la normalidad a partir de una condición de anormalidad, entonces se abre la posibilidad de que nuestros conceptos sean moldeados en función de la vida y no nuestra vida en función de nuestras normas y conceptos.“ (Übersetzung von mir). 1 Medizin und Philosophie im Dialog 3 „molekular“, „philosophisch“, „theoretisch“ oder viele weitere spezifizierende Möglichkeiten zu erwähnen. In diesem Sinne mag es vielleicht auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, dass ein ernsthafter Dialog zwischen solch spezialisierten Disziplinen wie gerade der Medizin und der Philosophie überhaupt stattfinden kann oder gesucht werden soll. Ein solcher Skeptizismus erweist sich jedoch mit Rekurs auf die historische Betrachtung als nur irreführend. Denn Philosophie und Medizin haben seit deren Anfängen gemeinsame tief verankerte Wurzeln. Besonders in der Antike kommt der innere Bezug zwischen (Natur-)Philosophie und Medizin deutlich zur Geltung. So kommentiert einer der renommiertesten Interpreten der antiken Philosophie, W.K.C. Guthier: “The word philosophy must therefore be interpreted in a very wide sense, though possibly not much wider than that which it bore in Europe down to the seventeenth century A.D. By the fifth century B.C. history, geography, and to a large extent med- icine did receive separate treatment, by certain writers […] The medical writers, it is true, had to come to terms with these broad theories, which they criticized as relying too confidently on general principles instead of on empirical investigation. There was action and reaction here, and an acquaintance with the medical literature is essential for an understanding of the philosophers. On the other hand, much that might now be regarded as philosophical–ethical and political theory, logic and epistemology–is either wholly lacking in this early period or present only at an embryonic stage.”2 Die Liste der Philosophen, die ebenfalls Ärzte waren, ist länger als man denkt. Dabei sind nicht nur die bekannten Namen wie Hippokrates von Kos (460-370 v. Chr.), Demokrit (460/459-371 v. Chr.) oder Paracelsus (1493-1541) zu erwähnen. Paradig- matisch, wenn auch weniger berühmt, ist der Fall von Alkmaion von Kroton (6. Jh. v. Chr.). Er war nicht nur jener Naturphilosoph, der zum ersten Mal den Mensch von den restlichen Tieren – übrigens auch prägend für die gesamte Philosophie des Westens – aufgrund seines Logos unterscheidet, sondern er war auch einer der wichtigsten Mediziner der Antike. Andere bekanntere Philosophen wie etwa Arthur Schopenhauer (1788-1860) wenden sich als Philosophen medizinischen Themen zu. Es ist in der Tat weniger bekannt, dass der junge Schopenhauer zunächst in Göttingen als Student der Medizin immatrikuliert ist. Dort besucht Schopenhauer Vorlesungen von Johann Friedrich Blumenbach über Naturgeschichte, Mineralogie und vergleichende Anatomie. Schopenhauer verlagert jedoch seinen Schwerpunkt immer stärker auf die Philosophie, bricht sein Medizinstudium frühzeitig ab und widmet sich völlig der Philosophie. Als Philosoph greift er jedoch immer wieder auf 2 Guthier, W. K. C. (1967): A history of greek philosophy, Vol I, Cambridge at the University Press: London/New York, S. X-XI. 3

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