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Die Macht des fließenden Wassers PDF

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Die Macht des fließenden Wassers Hydrosysteme im kaiserzeitlichen Rom von Franziska Lang und Helge Svenshon „Aber in römischen [Aquädukten]1 ist beides hervorragend, daß die Baukunst be- wunderungswürdig und die Gesundheit der Gewässer einzigartig ist. Wo überall nämlich Wasserströme gewissermaßen durch gebaute Berge geleitet werden, da möchte man annehmen, es handle sich um natürliche Flußbetten wegen der Festig- keit der Steine, da ja ein so großer Ansturm des Wasserstromes so viele Jahrhunderte lang ausgehalten werden konnte.“2 Am Ende der Antike nimmt Cassiodor melancholisch resümierend noch einmal die Hochleistungen römischer Kultur in den Fokus, für die stellvertretend das künst- lich zum Fließen gebrachte Wasser und sein hierfür entwickelter Architekturtypus, der Aquädukt, beschworen wird. Dieser Ausdruck kulturellen Selbstverständnisses war jedoch nicht nur ein gefälliges literarisches Motiv, sondern reflektiert selbstbe- wusst einen Teil der gebauten Umwelt im Römischen Reich. Denn die mehr als 600 archäologisch erfassten Fernwasserleitungen, deren Arkadenbögen sich zum Teil über viele Kilometer erstreckten, visualisierten nicht nur den unstillbaren Durst nach ‚fließendem Wasser‘, sondern vor allem auch den immensen materiellen und personellen Aufwand, der allenthalben nötig war, um diesem kulturellen Bedürfnis Rechnung tragen zu können. Zu der materiellen Dichte der überlieferten Artefakte gesellt sich mit Frontinus’ einflussreicher Schrift de aquaeductu urbis romae eine wei- tere Quelle, die bei der Erforschung der römischen Hydrosysteme ein eigenes Gravi- tationszentrum bildet. Ihm allein verdanken wir das detailreiche Wissen über die Verwaltung des römischen Hydrosystems und darüber hinaus die erste Geschichte der römischen Wasserleitungen, die trotz der ihm teilweise entgegengebrachten Kritik bis heute kontinuierlich weitergeschrieben wird. Aufgrund dieser reichhalti- gen antiken Überlieferungen haben sich vielfältige Forschungsfelder entwickelt, 1 Von den Verfassern geändert. Der Begriff „forma“ im lateinischen Text bezieht sich hier auf Aquädukte; s. a. die engl. Übersetzungen: Thomas Hodgkin, The Letters of Cassiodorus. London 1886, 324. 2 Cassiod. var. 7,6,2 zitiert nach Damir Kek, Der römische Aquädukt als Bautypus und Repräsentations- architektur. Münster 1996, 49. DOI 10.1515/9783486781052.61 61 von denen wir im Folgenden die stadtrömischen kaiserzeitlichen Fernwasserleitun- gen und Großthermen ausgewählt haben. Wegen ihrer wechselseitigen Abhängig- keit und engen Bindung an die kaiserliche Macht erscheinen sie in besonderer Wei- se prädestiniert, die Interdependenz zwischen Infrastruktur und Macht schlaglicht- artig zu beleuchten.3 I. Infrastruktur – Akteure Über die Praxis der Wasserversorgung in republikanischer Zeit sind wir nur bruchstückhaft unterrichtet; Bau und Betreuung der frühesten Leitungen Roms la- gen in der Hand von Censoren bzw. eines Prätors, also in der Verantwortung hoher Beamter der römischen Verwaltung. Die Finanzierung solcher Großprojekte wurde teilweise aus öffentlichen Mitteln oder Kriegsbeuten bestritten, aber auch private Investoren waren beteiligt.4 Einige der frühen Wasserleitungen trugen den Namen ihrer Erbauer und werden wohl auch deren wirtschaftliche und politische Potenz eindringlich kommuniziert haben.5 Diese Praxis änderte sich jedoch grundlegend, als nach den innenpolitischen und zugleich auch wirtschaftlichen Verwerfungen des römischen Bürgerkrieges Oktavi- an als Kaiser Augustus (30 v.Chr. – 14 n.Chr.) den römischen Staat tiefgreifend um- gestaltete, die Machtverhältnisse neu ausbalancierte und damit dem Senat und der Nobilität neue Rollen zuwies, die von einer spürbaren Distanz zur kaiserlichen Macht geprägt waren.6 Diese veränderte Situation spiegelte sich gerade auch in dem umfangreichen „Restaurierungs- und Neubauprogramm“7 für die Hauptstadt Rom, 3 Da dieser Beitrag eine übergeordnete Fragestellung behandelt, ist eine Diskussion zur Datierung der einzelnen Objekte nicht notwendig. Es sei noch angemerkt, dass der Einfluss der benachbarten Etrusker auf die römische Wasserbaukunst intensiver erforscht werden müsste, da diese bereits über ein großes Ingenieurswissen verfügt haben. 4 Gerda de Kleijn, The Water Supply of Ancient Rome. City Area, Water, and Population. Amsterdam 2001, 92–100. 5 Frontin. 5–8, vgl. auch Anm.41, 71. 6 Hierzu Peter Eich, Aristokratie und Monarchie im kaiserzeitlichen Rom, in: Hans Beck/Peter Scholz/ Uwe Walter (Hrsg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ‚ed- ler‘ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit. (Historische Zeitschrift, Beiheft 47.) München 2008, 126, 136. 7 Anne Kolb, Die kaiserliche Bauverwaltung in der Stadt Rom. Geschichte und Aufbau der cura operum pu- blicorum unter dem Prinzipat. Stuttgart 1993, 19–21; Frank Kolb, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Anti- 62 Historische Zeitschrift // BEIHEFT 63 / 2014 das als sichtbares Zeichen der Konsolidierung und des Aufbruchs in ein neues Zeit- alter vor allem die gewaltigen wirtschaftlichen Potentiale der beiden neuen Akteure Agrippa und Oktavian vor Augen führte, die diese zum Wohle der Bevölkerung und des Staates einzusetzen bereit waren. In dem geschickt arrangierten Rollenspiel zwischen beiden übernahm Oktavians Schwiegersohn Agrippa, ehemaliger Konsul und Mitregent, einen bedeutenden Part, indem er in der Funktion eines Ädils, einer innerhalb der Ämterhierarchie und -laufbahn der römischen Verwaltung eher nachgeordneten Stellung, den gesamten Bereich der öffentlichen Bauten sowie die Instandsetzung und den Ausbau der In- frastruktureinrichtungen und damit auch des Fernwasserleitungsnetzes zu seiner Aufgabe machte.8 Als einer der reichsten Männer Roms finanzierte Agrippa all diese Vorhaben aus seinem privaten Vermögen, darunter auch zwei weitere neue Fern- wasserleitungen, ohne die Staatskasse damit belasten zu müssen. 1. Cura aquarum – die Verwaltung der Hydrosysteme Während seiner Ädilität – von 33 bis 12 v.Chr. – unterhielt Agrippa eine privat fi- nanzierte Organisation von 240 Sklaven (familia publica), die für die Wasserversor- gung Roms, also für Pflege und Reparatur der „Leitungen, Verteilerbauwerke und Brunnenbecken“9 zuständig war. Diese Einrichtung markiert den Beginn einer in- stitutionalisierten Verwaltung des römischen Hydrosystems und zeigt zugleich die veränderte Sensibilität gegenüber solch fragilen und wartungsintensiven Infra- struktureinrichtungen – insbesondere der Fernwasserleitungen –, für deren nach- haltigen Betrieb eine systematische Betreuung zwingend notwendig erschien. Hier- ke. München 1995, 330–369; Andrea Scheithauer, Kaiserliche Bautätigkeit in Rom. Das Echo in der antiken Literatur. Stuttgart 2000, 27–31; Lothar Haselberger, Urbem adornare. Die Stadt Rom und ihre Gestaltum- wandlung unter Augustus. (Journal of Roman Archaeology, 64.) Portsmouth, RI 2007, 256–271: Liste der Bauwerke; Dietmar Kienast, Augustus. Princeps und Monarch. 4.Aufl. Darmstadt 2009, 408–439. Bereits Pompeius begann das Marsfeld zu bebauen (Pompeiustheater); diese Aktivitäten wurden unter Caesar fort- gesetzt. 8 Jean-Michel Roddaz, Marcus Agrippa. Rom 1984. Agrippa hatte bereits das Amt des Consuls (33 v.Chr.) inne und war mit dem imperium ausgestattet. Als Dritter im Bunde dieses filigranen Zusammenspiels sollte noch Gaius Maecenas genannt werden, der aus altem etruskischen Adel stammte und ein loyaler Weg- gefährte des Kaisers war. Er förderte besonders die zeitgenössische Literatur, indem er junge aufstrebende Autoren wie Horaz und Vergil großzügig beschenkte und sie damit möglicherweise zur Panegyrik anregte, die der kaiserlichen Propaganda durchaus nützlich sein konnte. 9 Frontin. 98. F. LANG, H. SVENSHON / DIE MACHT DES FLIESSENDEN WASSERS 63 bei wird es Agrippa wohl weniger um die Grundversorgung der Bevölkerung gegan- gen sein, denn Wasser spendende Tiefbrunnen und Zisternen waren reichlich vor- handen und deckten den für das Leben notwendigen Bedarf der Stadt.10 Die immen- sen Investitionen in Ausbau und Sanierung der Anlagen11 dienten in erster Linie der baulichen Verwandlung Roms zu einer luxuriösen ‚Stadt-Landschaft‘, die ihren Be- wohnern durch die Steigerung der urbanen Lebensqualität eine Möglichkeit zur Ak- zeptanz bzw. Identifikation mit dem gleichzeitig sich vollziehenden Wandel der machtpolitischen Verhältnisse bot.12 Doch nicht allein das Endprodukt der urbs or- nata13 mit ihren weitläufigen Freizeiteinrichtungen auf dem Marsfeld rund um die Thermen Agrippas, den zahlreichen neuen Bädern und flächendeckend installierten Laufbrunnen verschlang das nach Rom fließende Frischwasser, sondern sicher auch die gigantische Baustelle, als die sich die Metropole für viele Jahre ihren Bewohnern und Besuchern darbot. Neben der physischen Pflege der Hydrosysteme durch die familia publica bedurfte es aber auch einer internen Organisation, um einerseits die Vielzahl der unter- schiedlichen Arbeitsabläufe festzulegen und andererseits die Verteilung des Was- sers an „öffentliche Bauten [...], Brunnenbecken und Privatleute“14 zu regeln. Hierfür scheint Agrippa Richtlinien in schriftlicher Form, die commentarii aquarum, hinter- legt zu haben, deren Inhalt jedoch nicht direkt überliefert ist.15 Nach seinem Tod im Jahre 12 v.Chr. fiel die familia und mit ihr die Verantwortung für das gesamte Hy- drosystem als Erbschaft in die Hand des Kaisers, der jedoch nicht persönlich an die Stelle Agrippas trat, sondern diese Einrichtung – um den „republikanischen Schein“ 10 Anna Maria Liberati Silverio/Giuseppina Pisani Sartorio (Eds.), Il trionfo dell’aqua. Acque e acquedotti a Roma IV sec. a.C. – XX sec. Rom 1986, 28–30; Rabun Taylor, A citiore ripa aquae. Aqueduct River Crossings in the Ancient City of Rome, in: Papers of the British School at Rome 63, 1995, 75–103; ders., Public Needs and Private Pleasures. Water Distribution, the Tiber River and the Urban Development of Ancient Rome. Rom 2000, 39f.; Andrea Schmölder-Veit, Brunnen in den Städten des westlichen römischen Reichs. Wiesba- den 2009, 31–57. 11 Frontin. 9–12. 12 Harry B. Evans, Agrippa’s Water Plan, in: American Journal of Archaeology 86, 1982, 401–411. 13 Haselberger, Urbem (wie Anm.7), 308f. 14 Frontin. 98, 2. 15 Roddaz, Agrippa (wie Anm.8), 572f.; Michael Peachin, Frontinus and the curae of the curator aquarum. Stuttgart 2004, 14–25; Kienast, Augustus (wie Anm.7), 263. Vermutlich hat Frontinus aus diesen commenta- rii geschöpft. 64 Historische Zeitschrift // BEIHEFT 63 / 2014 nicht zu mindern16 – verstaatlichte17, sie fortan als cura aquarum weiter betrieb und damit zu einer dauerhaften Institution erhob. Für die Leitung wurde per Senatsbe- schluss ein Kollegium von drei curatores aus dem senatorischen Adel benannt, die je- doch direkt vom Kaiser eingesetzt wurden.18 Die gesetzlichen Regelungen für die Wasserversorgung – wie private Entnahme, Sicherheitsabstände zu den Trassen, Be- schädigung der Leitungen, etc.19 – wurden von Augustus in einem Edikt veröffent- licht, das einerseits umfassende Rechtsicherheit bot, andererseits aber signalisierte, dass diese ‚staatliche‘ Einrichtung der Autorität des Kaisers als ‚erstem Mann‘ der res publica unterstand.20 Während die cura selbst aus der Staatskasse, dem fiscus, finan- ziert wurde, blieben die Investitionen in das stadtrömische Leitungssystem, ob Neu- bau oder Reparatur, auf lange Zeit Sache der Kaiser.21 Grundlegende Veränderung erfuhr die Organisation unter Kaiser Claudius (41– 54 n.Chr.), der die alte staatliche Verwaltung anlässlich der Realisierung zweier wei- terer Wasserleitungen um eine kaiserliche, 460-köpfige Mannschaft erweiterte und einen weiteren Funktionsträger, den procurator aquarum einsetzte.22 Die zusammen auf 700 Mann angewachsene Personaldecke zeigte einerseits, wie kompliziert der Betrieb dieser Infrastruktur in den ca. 30 Jahren zwischen Augustus’ Tod und Clau- dius’ Amtsantritt geworden war, aber auch andererseits, welchen Aufwand man be- reit war, sich für die dauerhafte Sicherstellung eines urbanen ‚life-style‘ auf hohem technischen und gesellschaftlichen Niveau zu leisten. „Aufsichtspersonal, Wärter von Verteilerbauwerken, Streckenläufer, Pflasterer, Putzer und andere Handwer- ker“23, aber auch Vermesser und Architekten waren sowohl inner- als auch außer- halb der Stadt beschäftigt, um das weit verzweigte Leitungssystem instand zu hal- 16 Werner Eck, Organisation und Administration der Wasserversorgung Roms, in: Die Wasserversor- gung im antiken Rom: Sextus Iulius Frontinus, curator aquarum. Hrsg. v. der Frontinus-Gesellschaft e.V. 3.Aufl. München 1986, 63–77, hier 66. 17 Frontin. 119ff. 18 Ebd.99. 19 Ebd.126, 127: Senatsbeschluss; 129. – Taylor, Needs (wie Anm.10), 57f. Die drakonischen Strafen für Beschädigungen von Wasserleitungen reichten in manchen Provinzen bis zur Todesstrafe, s. Werner Eck, Roms Wassermanagement im Osten. Staatliche Steuerung des öffentlichen Lebens in den römischen Pro- vinzen? (Kasseler Universitätsreden, 17.) Kassel 2008, 25. 20 Zum Edikt: Frontin. 99; Helmut Freis, Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit. Von Augustus bis Konstantin. Darmstadt 1984, 43, Nr.27; Eck, Organisation (wie Anm.16), 67. 21 Ebd. 22 Frontin. 105. 23 Frontin. 117. F. LANG, H. SVENSHON / DIE MACHT DES FLIESSENDEN WASSERS 65 ten24; außerdem sorgte ein ständig besetzter Bereitschaftsdienst an den zahlreichen Wasserschlössern dafür, dass bei Versorgungsengpässen oder Leitungsausfällen ausreichend Wasser in die betroffenen Stadtbezirke umgeleitet wurde. In ihrem ver- mutlich größten Ausbauzustand hatte die Behörde schließlich ein Netz von insge- samt elf Aquädukten, ca. 250 Wasserschlössern (castella) und weit über 1300 öffent- lichen Brunnen zu beaufsichtigen25 – eine hochkomplexe Infrastruktur, für deren Auf- und Ausbau, Betrieb und Wartung sicher eine große Zahl technischer Experten notwendig war. 2. Expertenwissen im Hydrosystem Infolge des enormen Ausbaus der Infrastrukturen im gesamten römischen Reich konnten sich spezifische Kompetenzgruppen formieren, ohne deren Wissen und Er- fahrung gerade auch die sensiblen Hydrosysteme dauerhaft nicht hätten funktionie- ren können. Vom Handwerker bis zum Fachingenieur verfügten die rasch und in großer Zahl sich herausbildenden Spezialisten über ein Erfahrungswissen, das Kai- ser und Staat in doppelter Weise von ihnen abhängig machte. Einerseits war man für Bau, Wartung und Reparatur auf Experten angewiesen, andererseits aber be- stand die Gefahr, dass sich eben diese Experten aufgrund ihrer exklusiven Kenntnis- se der Aufsicht und Kontrolle der Verwaltung entzogen und das Infrastruktursys- tem für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten oder gar missbrauchten.26 Die ge- rade im Entstehen begriffene „technische Komplexität der Zivilisation“ wurde durch diese Akteure zur Gefahr für ihre „eigene politische, administrative und ge- sellschaftliche Kontrolle“.27 Um einem solchen Autonomieverlust entgegenzuwir- ken, verfasste der von Kaiser Nerva im Jahre 97 n.Chr. als curator aquarum eingesetz- te Sextus Julius Frontinus die Schrift de aquaeductu urbis romae, in der das verstreute 24 Es gab Architekten, die auf den Bau von Aquädukten spezialisiert waren, vgl. Michael Donderer, Die Architekten der späten römischen Republik und der Kaiserzeit. Epigraphische Zeugnisse. Erlangen 1996, 87f. 25 Plin. nat. 36, 121 zu Agrippas Erfolgsbilanz; zu einer Liste von Wasserbauten aus dem 4.Jahrhundert n.Chr.: Kolb, Rom (wie Anm.7), 542; Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocle- tian bis Justinian: 284 – 565 n.Chr. 2., überarb.Aufl. München 2007, 428; Christer Bruun, The Water Supply of Ancient Rome. A Study of Roman Imperial Administration. Helsinki 1991, 73–75, hält diese Zahl im Ver- gleich zur Anzahl an Bädern in Städten wie Ostia oder Pompeji für zu niedrig. 26 Frontin. 105, 110; Eck, Organisation (wie Anm.16), 70; Peachin, Frontinus (wie Anm.15), 161–171. 27 Burkard Meißner, Die technologische Fachliteratur der Antike. Berlin 1999, 185. 66 Historische Zeitschrift // BEIHEFT 63 / 2014 Praxiswissen erstmals systematisch geordnet wurde und damit als verbindliche Richtlinie für ihn selbst sowie für seine Nachfolger dienen konnte.28 Neben einer differenzierten Beschreibung der ihm anvertrauten Infrastruktur, der zahlreichen Aufgabenfelder der Behörde, juristischer Rahmenbedingungen, Mitarbeitertableau und Besoldungstarifen, spielte insbesondere die tabellenartige Zusammenschau der unterschiedlich großen Durchmesser hauptsächlich verwen- deter Leitungsrohre eine zentrale Rolle, weil mit diesen Daten unter Zuhilfenahme geeichter Messrohre die Kapazitäten der einzelnen Leitungen und damit auch die Abgabemengen an öffentliche und private Konsumenten bestimmt und kontrol- liert werden konnten.29 Mit geradezu „betriebswirtschaftlicher Rationalität“30 eva- luierte Frontinus also den gesamten Hydrokomplex und stellte einen Wissensex- trakt zusammen, der nach seinem Dafürhalten die Entscheidungskompetenz und Souveränität der Administration und damit auch die Kontrolle über das System dau- erhaft wiederherstellen sollte.31 Vor allem wegen dieses ausgesprochen normativen Charakters fügt sich Fronti- nus’ Schrift in jene technisch ausgerichtete Handbuch- und Expertenliteratur, die sich im frühen Prinzipat rasch auszubreiten begann und beispielsweise mit Vitruvs de architecura und den Ingenieurhandbüchern des Heron von Alexandria32 bedeu- 28 Frontin. 1–2, (1) „Für einen qualifizierten Mann ist nichts so entehrend, als sich von Untergebenen die Ausführung einer übertragenen Aufgabe vorschreiben zu lassen. Die muss aber dann eintreten, wenn ein unfähiger Vorgesetzter sich nur auf die Routine seiner Mitarbeiter stützt, die zwar für die Tätigkeit not- wendig sind, aber nur Hand oder Werkzeug des Verantwortlichen […] obendrein diesen Bericht gefertigt, den ich als Richtlinie meiner Verwaltung betrachten kann.–“ (übersetzt von Gerhard Kühne), in: Wasser- versorgung (wie Anm.16), 81. Zum Einstieg in die Forschungen über Frontinus vgl. etwa Werner Eck, Die Gestalt Frontins in ihrer politischen und sozialen Umwelt, in: Wasserversorgung (wie Anm.16), 47–62; Bruun, Water (wie Anm.25), 13–19; Harry B. Evans, Water Distribution in Ancient Rome. The Evidence of Frontinus. Ann Arbor 1994; Ann Olga Koloski-Ostrow, Water as a Symbol of Wealth? An Overview of the Ro- man Evidence, in: dies. (Ed.), Water Use and Hydraulics in the Roman City. Dubuque, Iowa 2001, 2–4; Pea- chin, Frontinus (wie Anm.15); ders., Frontinus and the Creation of a New Administrative Office, in: Anne Kolb (Hrsg.), Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Berlin 2006, 79–87. 29 Frontin. 36; Henning Fahlbusch, Über Abflußmessung und Standardisierung bei den Wasserversor- gungsanlagen Roms, in: Wasserversorgung (wie Anm.16), 129–144; Taylor, Needs (wie Anm.10), 39–51; Hodge, Aqueducts (wie Anm.36), 215–245. 30 Meißner, Fachliteratur (wie Anm.27), 35. 31 Robert H.Rodgers, An Administrator’s Hydraulics. Frontinus AQ. 35–36,2, in: Alfred Trevor Hodge (Ed.), Future Currents in Aqueduct Studies. Leeds 1991, 15–20. 32 Das Wirken Heron von Alexandrias wird im Allgemeinen ins 1.Jahrhundert n.Chr. datiert, vgl. Otto Neugebauer, Über eine Methode zur Distanzbestimmung Alexandria–Rom bei Heron. Kopenhagen 1938, F. LANG, H. SVENSHON / DIE MACHT DES FLIESSENDEN WASSERS 67 tende Beiträge zur Standardisierung und Systematisierung dieser Wissensfelder ge- leistet hat. Hierdurch wurde aber auch die Koevolution einer eigenen technischen Wissensinfrastruktur möglich, die eigentlich zur Effizienzsteigerung und Überprüf- barkeit der eingeforderten Leistungen beitragen sollte, zugleich aber eine zentripe- tale Wirkung zur ‚ursächlichen Handlungsmacht‘ entfaltete und damit Gefahr lief, dieser zu entgleiten. II. Infrastruktur – Artefakte Die Ausdifferenzierung der Infrastrukturverwaltung war nicht allein das Ergeb- nis der unter Augustus konstituierten und sich konsolidierenden kaiserlichen Macht, sondern ergab sich auch zwingend aus der Entscheidung für bestimmte For- men der Wasserinstallation. Denn die technischen Artefakte stehen für verschiede- ne Konzeptionen der materiellen Infrastruktur, die unterschiedliche Macht- und Handlungsebenen berührten und bestimmte Handlungsabläufe vorgaben. Konzeptionell lässt sich das komplexe System der Wasserinfrastruktur im kai- serzeitlichen Rom in ein Primär-, Sekundär- und Tertiärsystem untergliedern. Dem Primärsystem sind sowohl Quellen als auch Leitungs-, Verteiler- und Speichersyste- me zuzuordnen, die das Wasser von ihrem Ursprung bis zum Endverbraucher be- förderten und als Fernwasserleitungen, Verteilerbauten, Tiefbrunnen, Zisternen so- wie Wasserbecken, Teiche und sonstige Reservoirs33 ihre jeweilige Funktion erfüll- ten. Das Sekundärsystem umfasst den Konsumentenbereich, dem die Bäder, Thermen, Nymphäen, Lauf- und Zierbrunnen, aber auch Latrinen angehörten; eben- so sind die Einrichtungen für die Feuerwehr dazu zu zählen wie auch Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft mit ihren Mühlen, Gärten, Fischteichen und Feldern.34 1–26. Anders neuerdings Nathan Sidoli, Heron’s Dioptra 35 and Analemma Methods. An Astronomical Determination of the Distance between Two Cities, in: Centaurus 47, 2005, 236–258. Unter Herons Namen wurden zahlreiche technologische Schriften vom 1.Jahrhundert n.Chr. bis ins byzantinische Mittelalter veröffentlicht, die sich mit Spezialgebieten des Ingenieurwesens wie Vermessung, Mechanik, Geschütz- bau, Pneumatik, Katoptrik usw. beschäftigten. Ihm wird nachgesagt, eine eigene Ingenieurschule gegrün- det zu haben, vgl. Glanville Downey, Pappus of Alexandria on Architectural Studies, in: Isis, 38, 3–4, Feb. 1948, 197–200. 33 Begrifflich werden hier Zisterne als Sammelbehälter für natürliches Wasser (Regen, Grundwasser) und Reservoir als Speicher für zugeführtes Wassers unterschieden. 34 Koloski-Ostrow, Water (wie Anm.28), 7; de Kleijn, Water (wie Anm.4), 75–91; dies., The Emperor and Pub- 68 Historische Zeitschrift // BEIHEFT 63 / 2014 Die reine Wasserentsorgung und ihr Netz von Abwasserkanälen sind dagegen Teil des Tertiärsystems.35 Danach diente das Primärsystem der basalen Zufuhr von fließendem Wasser und umfasste die Versorgungstechnik der Stadt, die Pfadabhängigkeiten auslöste und ihr damit langfristige Verpflichtungen auferlegte. Während sich die gestalterische Varianz der Artefakte des Primärsystems vergleichsweise bescheiden ausnahm, bo- ten die an den Konsumenten orientierten Einrichtungen des Sekundärsystems eine wesentlich größere Bandbreite an Praxisfeldern, für die unterschiedlichste Nut- zungsbereiche mit entsprechend vielfältigen Bauformen entwickelt wurden. Dieser Unterschied bestimmte die Interdependenz von Infrastruktur und Macht, die daher auch im Sekundärsystem differenzierter als im Primärsystem wirksam werden konnte. Alle antiken Hydrosysteme waren grundsätzlich davon abhängig, auf welche Weise und an welchem Ort die notwendigen Wasserspender wie Quellen, wasser- führende Schichten, Gewässer und Regen erschlossen werden konnten.36 Der de- finierte Zweck der einzelnen Installationen bestimmte ihre Art und Größe, woraus auch die jeweils notwendigen Schritte für Planung, Maßstab und Aufwand des Pri- märsystems resultierten.37 Der Bau von Tiefbrunnen erforderte einen vergleichs- weise geringen Aufwand, was Personal- und Materialeinsatz betraf. An einer güns- tigen wasserführenden Stelle musste lediglich ein Schacht ausgehoben und gesi- lic Works in the City of Rome, in: Lukas de Blois (Ed.), The Representation and Perception of Roman Impe- rial Power. Roman Empire, c. 200 B.C. – A.D. 476. (Impact of Empire, 3.) Amsterdam 2003, 212f. 35 Das Tertiärsystem könnte streng genommen auch dem Bereich Konsum subsumiert werden. In die- sem Beitrag kann es nicht behandelt werden, obwohl eine der ersten Aufgaben der frühen Könige Roms im Rahmen der Wasserinfrastruktur die Anlage der („schiffbaren“) cloaca maxima war, die die marschige Ge- gend des späteren Forum Romanum entwässerte und so ihre Nutzung erst ermöglichte. Auch später wird Ausbau und Reparatur der cloaca maxima immer wieder als besondere Leistung der römischen Führungs- riege gelobt. 36 Günther Garbrecht, Mensch und Wasser im Altertum, in: ders. (Hrsg.), Die Wasserversorgung antiker Städte. Mensch und Wasser, Mitteleuropa, Thermen, Bau/Materialien, Hygiene. Mainz 1988, 13–42; Schmölder-Veit, Brunnen (wie Anm.10), 15–20; Alfred Trevor Hodge, Roman Aqueducts and Water Supply. London 1991, 67–92. 37 Einen Überblick zu Planung, Bauablauf, Betrieb etc. aus ingenieurstechnischer Sicht bietet etwa Hen- ning Fahlbusch, Vergleich antiker griechischer und römischer Wasserversorgungsanlagen. Braunschweig 1982; vgl. auch die Publikationen der Frontinus-Gesellschaft e.V.; siehe auch Günther Garbrecht, Die Was- serversorgung Roms, in: Wasserversorgung (wie Anm.16), 32–43. F. LANG, H. SVENSHON / DIE MACHT DES FLIESSENDEN WASSERS 69 chert werden, um schließlich Wasser schöpfen zu können. Hierbei handelte es sich oft um private Brunnenanlagen, die im günstigen Fall direkt im Haus lagen.38 Das Spektrum von Wassersammelbecken reichte von einfachen, in den Fels ab- geteuften Zisternen bis hin zu mehreren tausend Kubikmeter fassenden Reservoirs; erinnert sei hier an die piscina mirabilis in Misenum (Italien) oder die Yerebatan Sarnıcı (Istanbul).39 Ein erheblicher Maßstabssprung war beim Planungs- und Orga- nisationsaufwand der großen städtischen Reservoirs notwendig. Die Bereitstellung der gewünschten Bauplätze erforderte rechtliche Entscheidungen durch die Admi- nistration; bautypologisch oder standortbedingte hohe Anforderungen an die Trag- werkstechnik setzten konstruktives Wissen voraus, das von Experten geliefert wer- den musste. Außerdem galt es die Finanzierung, ob privat oder aus öffentlichen Mit- teln, abzusichern und den Baubetrieb mit all den notwendigen Personal- und Materialressourcen sachkundig zu organisieren. 1. Fernwasserleitungen – Planung Tiefbrunnen und Zisternen waren ortsfeste und durch lokale hydrologisch-kli- matische Verhältnisse festgelegte Infrastrukturen.40 Um sich von solchen Bin- dungen unabhängig zu machen und die Stadt mit fließendem Wasser zu versorgen, konnten außerhalb der Siedlung vorhandene Wasserressourcen, vornehmlich Quellen, erschlossen und ihre Distanz zum Ziel durch den Bau von Fernwasser- leitungen41 überwunden werden. Deren Konzeption war jedoch mit spezifischen Anforderungen verknüpft, die auf das Zusammenspiel von Macht und Infrastruktur 38 Wolfram Letzner, Römische Brunnen und Nymphaea in der westlichen Reichshälfte. Münster 1990, 62–98 (Terminologie), 117–225 (Typen), 217–244 (Rom); Schmölder-Veit, Brunnen (wie Anm.10), 50–51. 39 Misenum: ca. 12000 m3: Mathias Döring, Wasser für den Sinus Baianus, in: Antike Welt 33, 2002, 305– 319. – Istanbul: ca. 80000 m3: James Crow/Jonathan Bardill/Richard Bayliss, The Water Supply of Byzantine Constantinople. (The Journal of Roman Studies, Monographs, 11.) London 2008, 125–155. – Werner Brinker, Wasserspeicherung in Zisternen. Ein Beitrag zur Frage der Wasserversorgung früher Städte. Braunschweig 1990; Hodge, Aqueducts (wie Anm.36), 48–66; Schmölder-Veit, Brunnen (wie Anm.10), 51f. 40 In diesem Zusammenhang darf man den Anteil von Gefäßen (Pithoi und Dolia), mit denen in den Häu- sern Regenwasser aufgefangen wurde, für die Sicherung der Wasserversorgung nicht unterschätzen. 41 Das Wort Aquädukt ist das lateinische Wort für Wasserleitung, wird im allgemeinen Sprachgebrauch aber häufig auf die Arkadenbögen von Aquäduktbrücken reduziert. Die Literatur zu den römischen Aquä- dukten ist sehr umfangreich, als Einstieg und Überblick sei auf folgende Werke verwiesen: Esther Boise van Deman, The Building of the Roman Aqueducts. Washington 1934; Thomas Ashby, The Aqueducts of Ancient Rome. Oxford 1935; Pietrantonio Pace, Gli aquedotti di Roma e il de aquaeductu di Frontino, con testo critico versione e commento. Rom 1983; Liberati Silverio/Pisani Sartorio (Eds.), Il trionfo (wie Anm.10), 70 Historische Zeitschrift // BEIHEFT 63 / 2014

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4 Gerda de Kleijn, The Water Supply of Ancient Rome 12 Harry B. Evans, Agrippa's Water Plan, in: American Journal of .. 80000 m3:James Crow / Jonathan Bardill / Richard Bayliss, The Water Supply of 1990; Hodge, Aqueducts (wie Anm.36), 48–66; Schmölder-Veit, Brunnen (wie Anm.10), 51f.
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