rls papers Cornelia Hildebrandt, Michael Brie (Hrsg.) Die Linke in Regierungsverantwortung Analysen, Erfahrungen, Kontroversen Gesellschaftspolitisches Forum am 4. Februar 2006 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung rls Rosa-Luxemburg-Stiftung Cornelia Hildebrandt, Michael Brie (Hrsg.) Die Linke in Regierungsverantwortung Analysen, Erfahrungen, Kontroversen Gesellschaftspolitisches Forum am 4. Februar 2006 in der Rosa Luxemburg Stiftung 1 Inhaltsverzeichnis Vorwort: Lernen in Konflikten – Kontroversen zur Frage der Regierungsbeteiligung_______________________________________________________4 Michael Brie: Ist sozialistische Politik aus der Regierung heraus möglich? Fünf Einwände von Rosa Luxemburg und fünf Angebote zur Diskussion ___________8 Joachim Bischoff: Regierungsbeteiligung der politischen Linken – Erfahrungen in Frankreich _________________________________________________27 Dag Seierstad: Die jüngsten Entwicklungen der norwegischen Linken: Herausforderungen und Perspektiven ________________________________________33 Peter Ritter: Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Mecklenburg-Vorpommern Maßstäbe, praktische Ansätze, Ergebnisse____________45 Edeltraut Felfe: Warum? Für Wen? Wohin? 7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung_______________________52 Wolfgang Dietrich: Linke Politik konkret – Potentiale und Grenzen: Soziale Entwicklungen und Rechtsextremismus_______________________________________59 Birgit Schwebs: Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern – Maßstäbe, praktische Ansätze, Ergebnisse___________62 Marko Ferst: Umweltpolitik in Mecklenburg-Vorpommern seit 1998 ______________65 Erwin Kischel: Zum Einfluss der PDS -Regierungsbeteiligung auf die Kommunalpolitik in Mecklenburg-Vorpommern_________________________74 Michael Brie/Rolf Reißig: Restriktionen und Optionen linkssozialistischer Politik in Regierungsverantwortung. Das Beispiel Berlin ________77 Wolfgang Albers: Linke Regierungen – Folgen für die Sozialpolitik _______________86 Klaus Lederer: Außerparlamentarische Bewegungen und linke Akteure in der Regierung: Ist Kooperation möglich? ___________________________________89 Christine Buchholz: Außerparlamentarische Opposition und linke Akteure in der Regierung. Ist Kooperation möglich?__________________100 Dieter Klein: Schlussbemerkung zum Forum _________________________________103 Tom Strohschneider: Selbstbewusste Modernisierer und der Optimismus der Straße. Was bringen Regierungsbeteiligungen der Linken? Auf jeden Fall viel Diskussionsstoff____________________________________________1 Gilberto López y Rivas: Linke Regierungen und Bürgerbeteiligung in Mexiko-Stadt, Stadtbezirk Tlapan, 2001-2003_______________________________113 Gilberto Maringoni und João Sicsú: Woher kamen wir, wo stehen wir? Eine Bewertung der Leistungen der PT und der Regierung Lula _________________124 Alvaro J. Portillo: Die Frente Amplio in Urugay_______________________________139 Autorenverzeichnis _______________________________________________________146 3 4 Vorwort Lernen in Konflikten – Kontroversen zur Frage der Regierungsbeteiligung Ausgangsfragen auf den unterschiedlichen Ebenen und Poli- tikfeldern wird diese Frage nicht beantwortet Kaum ein anderes Thema wird von den werden können. Linken in Lateinamerika, in Asien, in Europa und hier vor allem in Frankreich, Italien, Der Fall Berlin, der Fall Mecklenburg- Tschechien, Schweden, Norwegen und auch Vorpommern – Anlass zur Diskussion in Deutschland so heftig und kontrovers In Berlin wird diese Diskussion zwischen der diskutiert wie die Frage nach dem „ob“ und Linkspartei, deren Mitglieder mehrheitlich dem „wie“ Linker in Regierungsverantwor- hinter der Regierungsarbeit ihrer Fraktion tung. Ist unter neoliberalen Bedingungen stehen, aber nicht unkritisch mit ihr umge- genuin linke Politik auf landes-, regionaler hen und einer WASG, die sich als Korrektiv oder nationaler Ebene gestalt- und durch- zur Linkspartei.PDS und politischer Vertreter setzbar? Kann sie zur Herausbildung von sozialer Bewegungen versteht und deren Voraussetzungen für einen Politikwechsel Landesvorstand mehrheitlich Regierungs- beitragen oder behindert sie diesen? Worin handeln unter neoliberalen Bedingungen besteht die Funktion und worin die Attraktivi- ablehnt, mit besonderer Schärfe geführt. tät eines linken Projektes, auch in Regie- Auch in Mecklenburg-Vorpommern stehen rungsverantwortung? Was ist der Kern not- sich Kritiker und Befürworter einer Weiter- wendiger und zugleich mitreißender Politi- führung der seit 1998 agierenden rot-roten kangebote zwischen radikaler Kritik der Koalition im heftigen Streit gegenüber. extremen Linken, die Gesellschaftsgestal- Unterschiedliche Sichten, Erfahrungen, tung als System stabilisierend nicht zulässt Lernprozesse, Betroffenheiten treffen aufein- und einer angepassten linken sozialdemo- ander. Es geht um das Abrücken von erar- kratischen Variante eines sozial abge- beiteten Positionen wie z. B. der Verkauf der federten Neoliberalismus? Wie kann sich die Wohnungsbaugesellschaft GSW in Berlin Linke in rot-roten Koalitionen dem Druck und die Gemeindegebietsreform in Meck- parlamentarischer Anpassung entziehen? lenburg-Vorpommern, um Geringschätzung Wann ist linke Politik in Regierungsverant- von Erreichtem, auch erkämpften Kompro- wortung erfolgreich? Was sind hierfür ihre missen, um Essentials linker Politik, um Maßstäbe? Gibt es gestaltbare Räume und Kompromisse und die Möglichkeiten eines was sind Voraussetzungen für Gestaltung Ausstiegs, um Fragen des Politikstils. und was heißt es, Prozesse zu gestalten? Dass es sich hierbei auch um Lernprozesse Alle diese Fragen lassen sich nicht auf ein „ja“ oder „nein“ zur Übernahme von Regie- handelt, bei denen alle Beteiligten Lernende, rungsverantwortung reduzieren, zumal hinter auf der Suche nach durchsetzbaren Alterna- dieser Frage die Grundprobleme linker Pro- tiven zu neoliberaler Politik sind, wird selten grammatik und Strategieentwicklung stehen. reflektiert. Rolf Reißig spricht deshalb von Das schließt die Einschätzung von Poten- einem „strategischen Lernprojekt!“1 nicht nur tialen und Entwicklungsszenarien kapitalisti- für die Parteien, ihre Gliederungen, Man- scher Gesellschaften und sich daraus ab- dats- und Amtsträger, sondern darüber leitender Optionen der Durchsetzbarkeit von Transformationsprozessen ein. Was kann die Linke unter den Bedingungen des Fi- nanzmarkt-Kapitalismus tun? Was kann sie als Opposition und was als Partei in Regie- 1 Rolf Reißig: Linkssozialistische Politik in Regie- rungsverantwortung durchsetzen? Ohne rungsverantwortung. Erfahrungswerte und Anre- Analyse der konkreten Kräfteverhältnisse gungspotentiale. In: Utopie Kreativ, Heft 172 und differenzierten Gestaltungspotentiale (02/2005), S. 126. 5 hinaus auch für die gesamte politische, Schwerpunkte der Diskussion soziale und kulturelle Linke2. Das Forum begann zunächst nach den stra- tegischen Aufgaben und Herausforderungen Dabei stehen die bundespolitisch in der der Linken zu fragen und bezog hierbei die Rolle der „Opposition“ Agierenden gleicher- Erfahrungen von Norwegen und Frankreich maßen in der Pflicht, sich den konkreten ein. In Frankreich gingen die Linken in die (Berliner) Verhältnissen zu stellen, wie die Regierung „ohne zu verstehen, in welchem Berliner bzw. die „Regierenden“ in Mecklen- Kampffeld sie sich befanden", erklärte burg-Vorpommern in der Pflicht stehen, die Joachim Bischoff. Aber ohne Analysen programmatischen Aussagen ihrer Partei auf darüber, in welcher Konstellation kapi- die ihrigen Verhältnisse herunter zu brechen talistischer Entwicklung man sich befindet, und ihr Regierungshandeln als ein Wirken lassen sich keine realen Optionen, Stra- zur Schaffung von Voraussetzungen für tegien und Maßstäbe für Regierungshandeln einen politischen Richtungswechsel zu ver- der Linken ableiten. Dabei muss die Linke stehen.3 die verschiedenen Ebenen und Aufgaben politischen Handelns gleichermaßen im Blick haben. Michael Brie spricht deshalb von der Ziel der Diskussion Dreifachstrategie der Linken: (1.) Kampf Das Ziel des gesellschaftspolitischen Fo- gegen jede wirtschaftsliberale autoritäre und rums zur Frage der Regierungsbeteiligung imperiale Politik, (2.) die kritische Unter- der Linken der Rosa-Luxemburg-Stiftung in stützung sozialdemokratischer Formen der Kooperation mit WISSENTransfer, der Re- Bearbeitung der Konflikte des Finanzmarkt- daktion der Zeitschrift »Sozialismus«, Lan- kapitalismus und (3.) praktische Versuche, desstiftungen der RLS und weiteren regiona- die damit verbundenen Widersprüche zum len Partnern war es zunächst, für diese Tanzen zu bringen. Was heißt das konkret? offenen und kontrovers diskutierten Fragen Linke Regierungspolitik kann nur im Bündnis einen offenen Raum gemeinsamen Lernens von Linkspartei, Sozialdemokratie und vor zu schaffen. allem auch den Gewerkschaften und ande- Es geht dabei um Lernprozesse innerhalb ren sozialen Bewegungen wie der Friedens-, von Parteien, Verbänden, Gewerkschaften, Umwelt- und Frauenbewegung durchsetzbar sozialen Bewegungen, die Reflektion dieser und erkennbar sein, erklärte Dag Seierstad Prozesse, um Lernprozesse zwischen den zur norwegischen Situation. Nur so ließ sich verschiedenen politischen und sozialen der Truppenabzug im Irak und Afghanistan, Organisationen – also auch Lernprozesse der Erhöhung des Entwicklungshilfebeitra- zwischen den Parteien, zwischen Parteien ges Norwegens auf 1 % des BIP, die Ableh- und sozialen Bewegungen unter Einbezie- nung von GATS, die Wiedereinführung der hung der europäischen und internationalen Steuern auf Aktiendividenden durchsetzen. Erfahrungen. Anders die Situation in Deutschland. „Man- Der vorliegende Reader möchte die Diskus- chmal sind sie einfach nicht da" – die sion des Forums, die vorliegenden Beiträge sozialen Bewegungen – wie bei der Einfüh- über den Teilnehmerkreis der Veranstaltung rung der Fallpauschalen im Gesundheitsbe- hinaus öffentlich machen und zugleich um reich, erklärte Heidi Knake-Werner, die weitere Beiträge aus Lateinamerika (Urugu- immer wieder Verbündete sucht im Kampf ay, Mexiko und Brasilien) erweitern. Diese gegen die Sparpläne des SPD-Finanz- Beiträge wurden im Rahmen eines Parteien- senators, auch im Kampf gegen die Privati- seminars 2005 in Sao Paulo diskutiert. sierung von Vivantes und dem filetierten Outsourcen „medizinferner“ Einrichtungen auch der Charité. Beide Einrichtungen 2 Rolf Reißig: Mitregieren in Berlin. Die PDS auf müssen als öffentliche Einrichtungen für alle dem Prüfstand. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin zugänglich bleiben, beide müssen aber auch 2005, S. 73 – 83. wirtschaftlich effizient arbeiten, gerade weil 3 Vgl. Michael Benjamin: “Heute und in der sie Eigentum der Stadt sind. Hier wird ein überschaubaren Zukunft sind nur kleine Schritte offenes Problem der Linken nur andiskutiert des gesellschaftlichen Fortschritts möglich. Um – die Frage Definition von Effizienz öffentli- aber die Richtung dieser Schritte bestimmen zu chen Eigentums, die eben nicht Marktan- können, brauchen wir den Sozialismus, nicht als passung zugrunde liegt. unverbindliche Vision, sondern als Maßstab politischen Handelns”. In: ND vom 23. März 2000. 6 Umweltminister Wolfgang Methling hat es Ziel des Forums war ebenso, ein Angebot zu scheinbar einfacher. Er vermag es, seine unterbreiten zu Selbstbefähigung differen- Umweltpolitik mit konkreten Visionen – wie: zierter Aneignung komplexer Prozesse, als 100 Prozent erneuerbare Energie bis 2050 – Voraussetzung für politische Kooperationen zu verbinden und mit den Anliegen der orts- und neue Allianzen. Denn eine Linke, die ansässigen Umweltbewegungen. Dies u.a. den Anspruch erhebt, emanzipativ zu sein, auch erfolgreich, wie sein kritischer Begleiter muss zur soziologischen, politischen und Marko Ferst feststellt – ein Moment linker kulturellen Selbstreflektionen fähig sein. Und Kultur: die souveräne (fachkompetente) dabei gilt auch gerade für sie der Satz Rosa Kritik an der Regierungspolitik auf der einen und der gleichermaßen souveräne Umgang Luxemburgs: Die Freiheit ist immer die Frei- des Ministers mit Kritik und Kritikern auf der heit des Andersdenken anderen Seite. Dennoch haben sich die Cornelia Hildebrandt politischen Aushandlungsprozesse im Lan- desverband der Linkspartei von Mecklen- burg-Vorpommern verändert, ebenso der Politikstil, der in kritischen Beiträgen aus der Linkspartei selbst hinterfragt wird. Peter Ritter antwortet, stellt richtig – auch Kritik muss bei den Fakten bleiben – hört zu. Das Problem sind nicht nur mangelnde Selbst- reflektion und unzureichende Vermittlung, sondern die Widersprüche der Regierungs- beteiligung selbst. Und diese werden sehr unterschiedlich gewichtet und bewertet, auch in der Publikation von Edeltraut Felfe u. a.: "Warum? Für wen? Wohin? 7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung". Einig ist man sich, dass ein breiter gesellschaftlicher Dialog, gesell- schaftliche Bündnisse notwendig sind und dass diese nicht spannungsfrei sein können. Entscheidend für die Linke ist, wie sie mit diesen Spannungsfeldern umgeht – und das gilt gleichermaßen für Kritiker von Regie- rungspolitik wie für jene, die in Regierungs- verantwortung stehen. Und offensichtlich ist es gar nicht so leicht, sich auf die konkrete Situation des anderen, seine Potentiale und Grenzen einzulassen wie das Panel mit Christine Buchholz und Klaus Lederer deutlich werden ließ. Gerade auch deshalb sind Gespräche und Foren wie dieses immer wieder wichtig, denn Linke in Regierungs- verantwortung ist und bleibt ein strategi- sches Lernprojekt der gesamten Linken. Ziel des Forums war es nicht alle Fragen des Regierungshandelns der Linken zu beantworten, auch nicht deren endgültige Bewertung. Ziel war es zunächst einen Raum für sachliche Diskussionen unter- schiedlicher Sichten verschiedener Akteure zu schaffen und die Vermittlung unterschied- licher Politikansätze, Erfahrungen und die Reflektion von Handeln in den realen Wider- sprüchen. 7 Michael Brie Ist sozialistische Politik aus der Regierung heraus mög- lich? Fünf Einwände von Rosa Luxemburg und fünf An- gebote zur Diskussion Balanceakt zwischen der deutlichen Vertre- tung der Arbeiterforderungen und dem Versuch, die „Ordnung“ im Sinne der Regie- rung aufrechtzuerhalten, kostete ihn die Unterstützung der Massen. Schon im Mai 1848 musste er sein Amt verlassen. Mit der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom Juni 1848 wurde auch die Durch- setzung seiner letztlich über den Kapitalis- mus hinauszielenden Reformen unmöglich.2 elender, frommer Wunsch, aber hinter dem Rechte auf Arbeit steht die Gewalt über das Kapital, hinter der Gewalt über das Kapital die Aneignung der Produktionsmittel, ihre Unterwer- fung unter die assoziierte Arbeiterklasse, also die Aufhebung der Lohnarbeit, des Kapitals und ihres Wechselverhältnisses.“ Karl Marx: Klassen- kämpfe in Frankreich. 1848 bis 1850. In: MEW, Bd. 7, S. 42. Das Problem der Beteiligung von Sozialisten 2 Marvin F. Cox bemerkt über Louis Blanc: „From late February until the decisive decline of his und Kommunisten, also jener, deren Ziel die influence in April his standing within the Parisian Überwindung der kapitalistischen Gesell- working class gave him a means for intimidating schaft ist, an bürgerlichen Regierungen geht the moderate majority in the provisional govern- anders, als viele meinen, nicht auf das Jahr ment. Yet rather than use this advantage to force the majority's hand he acquiesced in half- 1899 zurück, als der französische Sozialist measures which maintained the government's Étienne-Alexandre Millerand der bürger- credit among the workers but ultimately worked lichen Regierung in Frankreich unter against the establishment of any kind of social Waldeck-Rousseau beitrat, sondern auf das democracy. He thus renounced his demands for a ministry of progress, which would have given Jahr 1848, als Louis Blanc in die Provisori- him a budget and put functionaries at his dis- sche Regierung eintrat, die in der Februar- posal, and accepted the presidency of the Lux- revolution gebildet wurde. Seine Versuche embourg Commission, which had the circum- der Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse scribed mission of preparing social legislation for the future constituent assembly. More gravely, he (Aufkauf von Bergwerken und Eisenbahnen, continued to serve in the provisional government Zentralisierung des Versicherungswesens, even after it created ‘national workshops’ whose Gründung von Genossenschaften, Abschaf- make-work jobs parodied his plans and discred- fung freier Preise, Nationalwerkstätten zur ited his idea of state-fostered industrial employ- ment. After the assembly convened Blanc failed Arbeitslosenversorgung und Recht auf equally significantly to use his remaining credit Arbeit1) blieben weitgehend erfolglos. Sein with the workers to moderate their militancy and save them, and the republic, from the reprisals which he realized would follow defiance of the 1 Karl Marx schrieb 1850 dazu: “Das Recht auf conservative majority.” Arbeit ist im bürgerlichen Sinn ein Widersinn, ein http://www.ohiou.edu/~Chastain/ac/blanc.htm. 8 Beteiligungen der Linken an Regierungen, einlassen und, entweder über die Erzielung die von anderen Kräften dominiert werden, einer parlamentarischen Mehrheit dann den sind immer umstritten gewesen. Es wurden Sozialismus einführen („Reformisten“) oder vor allem fünf Einwände gegen die Regie- auf der Basis einer derart geeinten „revoluti- rungsbeteiligung der Linken formuliert – (1) onären“ Arbeiterklasse einen Umsturz der Kapitalismus könne nicht wesentlich durchführen, nach dessen Erfolg die Grund- verändert werden; (2) nur eine Revolution lagen für einen demokratischen Sozialismus könne die grundlegenden Probleme lösen, gelegt werden („revolutionäre Sozialdemo- (3) der Staat sei nur das politische Herr- kraten“)4, hat nicht funktioniert.5 Die Behaup- schaftsinstrument der ökonomisch herr- tung, dass Regierungsbeteiligungen die Ur- schenden Klasse; (4) Regierungsbeteiligung sache des Scheiterns der sozialistischen schwäche zwangsläufig die Linke und (5) die und kommunistischen Bewegungen bei der Linke mache durch ihre Regierungsbeteili- progressiven Überwindung des Kapitalismus gung erst die Fortsetzung rechter Politik gewesen seien, ist deshalb nicht zu halten. möglich. Die internationale Linke in ihren verschie- denen Gruppen stellt vor dem Hintergrund 1. Einwand: Der Kapitalismus kann im dieser Erfahrungen mehr und mehr eine Wesen nicht verändert werden Strategie der Transformation in den Vorder- Der erste Einwand gegen Beteiligungen der grund, um konkrete Reformveränderungen Linken an Regierungen ist der, dass sie innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft bisher in keinem Falle zu einer dauerhaften mit einer fundamentalen Veränderung der progressiven Überwindung des Kapitalismus geführt haben. Dies aber gilt auch für alle anderen Formen linker Politik, selbst jene, 4 Leitfaden einer evolutionären Strategie der SPD waren die Bemerkungen des alten Engels in die von den sozialistischen oder kommunisti- seiner Einleitung zu Marxens Schrift „Klassen- schen Parteien kontrolliert wurden – zu- kämpfe in Frankreich“, die er 1895 schrieb: „Was mindest, wenn man, wie der Autor, davon aber auch in anderen Ländern geschehen möge, die deutsche Sozialdemokratie hat eine besonde- ausgeht, dass die im Gefolge der Oktober- re Stellung und damit wenigstens zunächst auch revolution erfolgten Umwälzungen nicht in eine besondere Aufgabe. Die zwei Millionen der Lage waren, eine sozialistische Ordnung Wähler, die sie an die Urnen schickt, nebst den hervorzubringen, die den demokratisch- jungen Männern und den Frauen, die als Nicht- wähler hinter ihnen stehen, bilden die zahlreichs- emanzipatorischen Idealen auch nur annä- te, kompakteste Masse, den entscheidenden hernd gerecht wurde, die Errungenschaften ‘Gewalthaufen’ der internationalen proletarischen der bürgerlichen Gesellschaft bewahrte und Armee. Diese Masse ... nimmt ... unablässig zu. ausbaute und dauerhaft eine gegenüber Ihr Wachstum geht so spontan, so stetig, so unaufhaltsam und gleichzeitig so ruhig vor sich dem Kapitalismus überlegene Entwick- wie ein Naturprozeß. Alle Regierungseingriffe lungsweise erzeugte.3 Die bei Engels sehr haben sich ohnmächtig dagegen erwiesen... ausdrücklich formulierte Vorstellung, man Geht das so voran, so erobern wir bis Ende des müsse – von Wahlerfolg zu Wahlerfolg Jahrhunderts den größeren Teil der Mittelschich- ten der Gesellschaft, Kleinbürger wie Kleinbau- fortschreitend – die Reihe fest geschlossen ern, und wachsen aus zu der entscheidenden halten, dürfe keine wesentlichen Kompro- Macht im Lande, vor der alle andern Mächte sich misse machen, sich nicht mit dem „System“ beugen müssen, sie mögen wollen oder nicht. Dies Wachstum ununterbrochen in Gang zu halten, bis es dem gegenwärtigen Regierungs- system von selbst über den Kopf wächst, <die- 3 Michael Brie: Der sowjetische Staatsparteisozia- sen sich täglich verstärkenden Gewalthaufen lismus im Lichte der Marxschen Theorie „pro- nicht in Vorhutkämpfen aufreiben, sondern ihn gressiver Epochen der ökonomischen Gesell- intakt zu halten bis zum Tag der Entscheidung,> schaftsformation“. In: Kalbe, Ernstgert; Geier, das ist unsere Hauptaufgabe.“ Friedrich Engels: Wolfgang; Politt, Holger (Hrsg.): Aufstieg und Fall Einleitung zu „Die Klassenkämpfe in Frankreich des Staatssozialismus: Ursachen und Wirkun- 1848 bis 1850“ von Karl Marx (Ausgabe 1895). gen. III. Rosa-Luxemburg-Konferenz der Rosa- In: MEW, Bd. 7, S. 511-527, hier S. 524 f. Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig, 19.9 – 20.9.2003. Leipziger Jahrbücher: Osteuropa in 5 Es gehört zu den unerledigten Aufgaben der Tradition und Wandel, Bd. 6, Leipzig 2004, S. neuen Linken, die mit dem Scheitern dieser 197-233. Dies gilt m. E. – ungeachtet vieler beiden Ansätze verbundenen strategischen Erfolge – auch für die VR China, Vietnam oder Diskussion seit den 20er Jahren des 20. Jahr- Kuba. hunderts neu zu analysieren. 9 Eigentums- und Machtverhältnisse zu Lohngesetz nicht umstürzen; sie können im verbinden. Die offene Frage ist, was dies für besten Falle die kapitalistische Ausbeutung die außerparlamentarische und parlamen- in die jeweilig ‚normalen’ Schranken weisen, tarische Arbeit bedeutet und welche Rolle keineswegs aber die Ausbeutung selbst dabei Regierungsbeteiligungen zukommen stufenweise aufheben“8. Gleich danach führt kann oder auch nicht. sie aus: „Jede technische Umwälzung widerstreitet den Interessen der direkt Dies wirft vor allem die alte Frage wieder dadurch berührten Arbeiter und ver- auf, was überhaupt Veränderung des Kapi- schlechtert ihre unmittelbare Lage, indem talismus heißt. Viele Linke beklagen zwar sie die Arbeitskraft entwertet.“9 Dort wo sich ständig die Rücknahme von zivilisatorischen Unternehmer und Gewerkschaften zusam- Errungenschaften in den heutigen Gesell- mentun, um Umfang und Preise der Waren- schaften unter dem Angriff des Neolibera- produktion zu regulieren, sieht sie nichts als lismus und der Durchsetzung des Finanz- den „…solidarische[n] Kampf des Kapitals markt-Kapitalismus6, erklären zugleich aber und der Arbeitskraft gegen die konsumie- den Kapitalismus für reformunfähig. Schlim- rende Gesellschaft“10. mer noch, der Weg der Reformen wird als Ursache des Sieges des Faschismus in Die Fabrikgesetze werden durch Rosa Deutschland gesehen.7 Luxemburg nicht als ein Stück gesellschaftli- cher Kontrolle und damit „ein Stück Sozia- Die klassische Auseinandersetzung mit dem lismus“ angesehen, wie es bei Bernstein und Reformismus geht auf die Debatte zu Konrad Schmidt geschieht, sondern nur als Bernsteins Artikelserie „Probleme des Sozia- „…Kontrolle der Klassenorganisation des lismus“ (1896-1898) und seine Schrift „Die Kapitals über den Produktionsprozess des Voraussetzungen des Sozialismus und die Kapitals“11. Begründung ist, dass der Staat Aufgaben der Sozialdemokratie“ (1899) „…keine ‚Gesellschaft’ im Sinne der ‚auf- zurück. Rosa Luxemburgs Antwort „Sozialre- strebenden Arbeiterklasse’, sondern Vertre- form oder Revolution“, die zuerst in der ter der kapitalistischen Gesellschaft, d. h. Leipziger Volkszeitung veröffentlicht wurde, Klassenstaat“12 sei. Wo Konrad Schmidt geriet zur herausragenden marxistischen eine Trennung von „Obereigentum“ und Antwort. Zugleich offenbarte diese Antwort konkreten Nutznießrechten für möglich hält, auch Grundprobleme des orthodoxen wobei ersteres in den Händen der Gesell- Marxismus. schaft, letzteres auch in den Händen der Bernstein hatte in starken Gewerkschaften, Unternehmer ist, nimmt sie an, dass es im der Durchsetzung sozialer Reformen und Kapitalismus nichts als ein unteilbares Priva- politischer Demokratisierung Bedingungen teigentum gäbe. für eine Veränderung der Qualität der Das hinter solchen Positionen stehende Mo- Gesellschaft gesehen, die über den Kapita- dell einer kapitalistischen Gesellschaft unter- lismus hinausweist. Rosa Luxemburg ver- stellt implizit, dass in diesen Wirtschaften wies nun darauf, dass die Gewerkschaften und in den von ihnen geprägten Gesell- nichts anderes tun könnten, als das „kapita- schaften und vor allem Staaten aus- listische Lohngesetz“ durchzusetzen. Die schließlich kapitalistische Tendenzen wirken Gewerkschaften könnten „…deshalb das (abgesehen von nichtkapitalistischen Sekto- ren der Kleinproduktion) – natürlich bis auf den Fall einer politisch organisierten Arbei- 6 Vgl. dazu: Michael Brie: Die Linke – was kann sie terbewegung, die das ganze System selbst wollen? In: Supplement zu Sozialismus, Heft 3/2006. 7 So heißt es bei Theodor Bergmann: „1918 hatte 8 Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution?. die SPD statt des unnützen Blutvergießens der In: Werke, Bd. 1.1., S. 389. Revolution ein ‚friedliches Hineinwachsen in den Sozialismus’ versprochen. Die blutige Herrschaft 9 Ebenda. des deutschen Faschismus stand am Ende des friedlichen Weges der schrittweisen Reformen.“ 10 Ebenda, S. 390. Theodor Bergmann: Friedliches Hineinwachsen 11 Ebenda, S. 392. in die Kapitulation. In: junge welt, 14./15. Januar 2006, S. 11. 12 Ebenda. 10
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