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Die Kunst uber Geld nachzudenken PDF

266 Pages·2001·1.02 MB·English
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André Kostolany Die Kunst über Geld nachzudenken scanned by ScanButcher corrected by tg+any Tips vom Meister der Börsenspekulation: Was bedeutet Geld für mich? Wie wird mein Geld aktiv? Und wie lasse ich das Geld anderer Leute für mich arbeiten? Zu diesen und ähnlichen Fragen nimmt der große Börsenguru André Kostolany in seinem Buch Stellung. Es bietet einen Ausblick auf die Veränderungen und Fehlentwicklungen, die Chancen und Risiken der Börse im 21. Jahrhundert. Der nicht zuletzt wegen seines geistreichen Witzes berühmte Börsenguru starb 1999 93-jährig in Paris. ISBN: 3548700462 Econ Tb Vlg., München Erscheinungsdatum: 2001 Inhalt Inhalt....................................................................................................2 Vorwort ...............................................................................................5 Die Faszination des Geldes ..............................................................11 Geld und Moral...............................................................................11 Geld – der Wertmaßstab der freien Welt........................................13 Wie viel Geld braucht man, um Millionär zu sein?........................17 Das richtige Verhältnis zum Geld ..................................................19 Millionär in kurzer Zeit ..................................................................22 Eine Kunst, und keine Wissenschaft ..............................................23 Spekulant, das bin und bleibe ich...................................................24 Mein Börsenzoo ................................................................................27 Spekulation – so alt wie die Menschheit!.......................................27 Spekulieren oder nicht spekulieren?...............................................31 Makler: Nur der Umsatz zählt ........................................................34 Money-Manager: Herrscher über Milliarden .................................35 Finanziers: Die großen Macher ......................................................36 Arbitrageure: Eine aussterbende Spezies .......................................37 Börsenspieler: Die Hasardeure der Börse.......................................40 Anleger: Die Marathonläufer der Börse .........................................44 Spekulanten: Strategen auf lange Sicht ..........................................46 Spekulieren! aber womit?................................................................51 Eine Frage von Chance und Risiko ................................................51 Anleihen: Ein bedeutenderes Spekulationsobjekt als man denkt ...52 Devisen: Früher interessanter als heute..........................................57 Rohstoffe: Spekulant gegen Spekulant...........................................65 Sachwerte: Sammler oder Spekulant? ............................................69 Immobilien: Nur was für große Spekulanten .................................71 Aktien: Das Spekulationsobjekt an sich .........................................74 Die Börsen – Nervensystem der Marktwirtschaft? .......................76 Die Geburtsstunde ..........................................................................76 Nervensystem des Kapitalismus.....................................................83 Treffpunkt der Börsenteilnehmer ...................................................86 Spiegel der Weltgeschichte ............................................................88 Thermometer der Wirtschaft?.........................................................89 Was die Kurse bewegt......................................................................91 Die Logik der Börse .......................................................................91 Das Postulat von Angebot und Nachfrage......................................93 Die langfristigen Einflussfaktoren ..................................................95 Moll oder Dur? ...............................................................................95 Der Friede ist das Wichtigste..........................................................96 Die wirtschaftliche Entwicklung auf lange Sicht ...........................98 Die mittelfristigen Einflussfaktoren..............................................108 Geld plus Psychologie gleich Tendenz.........................................108 Die Konjunktur: Unwichtig für die mittelfristige Börsentendenz 111 Inflation: Nur der Kampf gegen sie ist schädlich.........................114 Deflation: Die größte Katastrophe für die Börse..........................117 Notenbanken: Die Diktatoren der Zinsen.....................................118 Anleihen: Die Konkurrenten der Aktie ........................................124 Devisen: Und was macht der Dollar?...........................................127 Die Psychologie der Massen ........................................................130 Die Börsenpsychologie....................................................................132 Zittrig oder Hartgesotten? – das ist hier die Frage .......................132 Geld ..............................................................................................133 Gedanken......................................................................................136 Geduld ..........................................................................................140 Glück ............................................................................................142 Das Ei des Kostolany....................................................................144 Boom und Krach: Ein unzertrennliches Gespann.........................161 Die Tulpenkatastrophe im 17. Jahrhundert...................................162 Mathematik brach Frankreich das Genick....................................166 1929: Der Inbegriff des Börsenkrachs..........................................170 »Antizyklisch« lautet das Erfolgsrezept.......................................179 Eine Frage der Charakterstärke ....................................................183 Haussier oder Baissier? – Keine Prinzipienfrage .........................186 Im Informationsdschungel.............................................................201 Informationen: Das Handwerkszeug des Spekulanten .................201 Das Phänomen des Fait accompli ................................................203 Die Informationsgesellschaft........................................................211 Tipps, Empfehlungen und Gerüchte.............................................213 Börsengurus: Vom Wunderrabbiner bis zum Mathematiker........216 Insider-Informationen...................................................................223 Stockpicking....................................................................................226 Von der Aktienbörse zur Börse von Aktien .................................226 Wachstumsbranchen: Die Chance, reich zu werden.....................228 Der faire Preis einer Aktie............................................................230 Turnaround-Werte: Der Phönix aus der Asche ............................232 Das unsinnige Vokabular der Analysten ......................................234 Charts: Gewinnen kann man, verlieren muß man ........................236 Die Geldverwalter...........................................................................241 Spekulanten auf fremde Rechnung...............................................241 Investmentfonds: Der Autobus für viele Anleger.........................243 Hedge-Fonds: Bereits der Name ist Betrug..................................245 Anlageberater: Ihre Freud ist des Kunden Leid............................248 Vermögensverwalter: Die Maßschneider unter den Geldverwaltern ......................................................................................................250 An den, der es wagen will...............................................................251 Verlieren gehört dazu ...................................................................251 Keine Frage der Zeit.....................................................................254 Der Nimbus hat Folgen ................................................................255 Börse und Liebe und die Liebe zur Börse ....................................257 ZEHN GEBOTE...........................................................................265 ZEHN VERBOTE........................................................................266 Vorwort Als André Kostolany und ich im Februar diesen Jahres an dem vorliegenden Buch zu arbeiten begannen, wussten wir beide, daß es sein letztes Buch sein würde. Dass mein Vorwort aber zugleich ein Nachruf sein würde, ahnte ich nicht. Am 14. September starb André Kostolany im Alter von 94 Jahren in Paris. Die Folgekrankheiten eines Beinbruchs hatte sein geschwächter Körper nicht mehr verkraftet. Doch in seinen Werken lebt er weiter. Dreizehn Bücher, einschließlich des vor Ihnen liegenden, hat er geschrieben. Sie wurden weltweit rund drei Millionen Mal verkauft. 44 Mal erschien seine Kolumne in Capital – die erste in der März- Ausgabe 1962 unter dem Titel Bekenntnisse eines Spekulanten und die letzte in der Oktober-Ausgabe diesen Jahres. Sein größter Wunsch war es, die Kolumne für die Januar-Ausgabe 2000 noch zu schreiben. »Capital hat es mir garantiert, aber wer garantiert für Capital«, hatte er in seiner gewohnt humorvollen Art gesagt. Unzählige Vorträge und Fernsehauftritte absolvierte er in den vergangenen 35 Jahren. Doch egal wo Kostolany auftrat, ob auf dem Wirtschaftsforum in Davos oder bei der Volksbank Jever, ob in der Telebörse oder in der Harald Schmidt Show, er war immer der gewohnt humorvolle, geistreiche und streitbare Kämpfer für einen sauberen Kapitalismus. Er wurde zum Altmeister der Börse. Wer auf heiße Tipps vom Börsenguru Kostolany wartete, wurde jedoch enttäuscht. »Erwarten Sie keine Tipps«, begann er jeden seiner Vorträge. Tipps gebe es nicht, sie seien stets der Versuch einer Bank oder einer anderen Interessengruppe, irgendeine Aktie beim Publikum abzuladen. Ratschläge gab er in den Jahren seines journalistischen Wirkens hingegen viele. -5- Der berühmteste war wohl, in die Apotheke zu gehen, Schlafmittel zu kaufen, einzunehmen, dann eine Palette internationaler Standardwerte zu kaufen und ein paar Jahre zu schlafen. Wer diesen Rat beherzigte, erlebte die von ihm zuvor prophezeite angenehme Überraschung. Den weisesten seiner Ratschläge gab er jungen Eltern: »Investieren Sie in die Ausbildung ihrer Kinder!« Was aus dem Munde eines anderen wie ein pathetischer Allgemeinplatz geklungen hätte, erhielt durch Kostolanys eigene Erfahrung Gewicht. Seine Eltern hatten ihn im Alter von achtzehn Jahren zu einem befreundeten Börsenmakler nach Paris in die Lehre geschickt. Dank dieser Ausbildung konnte ihr jüngster Sohn André ihnen später, nachdem sie durch den Krieg und den Kommunismus alles verloren hatten, einen angenehmen Ruhestand in der Schweiz finanzieren. »Genießen Sie das Leben«, lautete der Rat, den er seinem Publikum aus dem durch Budapest fahrenden Audi A8 gab. Ein Grundsatz, den er beherzigt und (fast) bis zum Schluss gelebt hat. André Kostolany genoss das Leben in vollen Zügen. Er liebte die klassische Musik. Über 100 Mal sah er Wagners Meistersinger von Nürnberg und den Rosenkavalier von Richard Strauss, den er zu seiner großen Freude noch persönlich kennen lernen durfte. Klassische Musik zu hören, eine gute Zigarre zu rauchen und über die Börse nachzudenken, bereitete ihm größtes Vergnügen. Nur die Zigarre ließ er aus gesundheitlichen Gründen später weg. Kosto, wie wir Freunde ihn nennen, genoss aber nicht nur das angenehme Leben, sondern auch seine »Arbeit«. So wie sein Publikum ihn brauchte, so brauchte er sein Publikum. Es gab ihm die Bestätigung und hielt ihn jung. »Geistige Gymnastik« war seine Antwort auf die immer wieder in Interviews und Diskussionen gestellte Frage nach seiner Vitalität. Doch er wusste, daß mit zunehmendem Alter Musik hören und nachdenken im Kampf gegen die Senilität nicht mehr -6- ausreichten. Er forderte sich, hielt 1998 noch über dreißig Vorträge, trat in verschiedenen Fernsehsendungen auf und gab diverse Interviews. Zwar wurde die Anreise per Flugzeug, Bahn oder Auto, einschließlich des letzen Fußweges auf die Bühne, immer beschwerlicher, doch die bequemen Sessel, die ihm die Vortragsveranstalter stets zur Verfügung stellten, nahm der »Herr« Kostolany bis zuletzt nicht in Anspruch. Hatte er mit beiden Händen das Rednerpult fest im Griff, blühte er auf, und es folgten 60 bis 90 mitreißende, spannende und witzige Minuten. Immer häufiger gab es anschließend Standing Ovations. André Kostolany ist zur Kultfigur zweier Börsianer- Generationen in Deutschland geworden. Star-Allüren blieben ihm trotzdem fremd. Auf die Autogrammwünsche junger Leute entgegnete er ungläubig: »Ich bin doch kein Rockstar«, bevor er dem Wunsch nachkam und auf Eintrittskarte, Geldschein oder T-Shirt unterschrieb. War er nicht als Wanderprediger der Börse, wie er sich selbst nannte, unterwegs, lebte er in Paris bei seiner Frau oder in seiner zweiten Heimat München. Dort angekommen führte ihn sein Weg mittags ins Café in der Hypo-Passage. Abends ging es zu seinem Stammitaliener ROMA auf der Maximilianstraße oder in den Austernkeller. Die seiner Ansicht nach beste Küche aber fand er – wie soll es anders sein – in Paris. Mittags bei Chez André auf der Rue Marbœuf. In diesem Bistro gebe es die besten Austern der Stadt, sagte er. Als Dessert die Tarte Chocolade oder Millefeulle. Anschließend führte ihn sein Weg in das berühmte Café Fouquet’s auf den Champs-Élysées, wo er abgesehen von den Kriegsjahren seit 1924 Stammgast war. Nachmittags hielt er regelmäßig Siesta, bevor es am Abend in eine der berühmten Brasserien der Stadt ging. Besonders liebte er das La Coupole im Stadtteil Montparnasse, dessen berühmte heiße Tage er in den Dreißigerjahren noch miterlebt hatte. André Kostolany hat sich seit 1917 ununterbrochen mit Geld -7- und Börse beschäftigt und war dennoch kein Materialist. Nicht das Geld, das er bei Spekulationen einstrich, sondern mit seiner Überlegung Recht bekommen zu haben, bereitete ihm das Vergnügen. Er bezeichnete sich selbstbewusst als Spekulant. Für ihn war Spekulation eine intellektuelle Herausforderung. Er hatte zu Geld einen gesunden Abstand, seiner Ansicht nach die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Spekulanten. Kosto war weder geizig noch schmiss oder protzte er mit dem Geld herum. Geld war für ihn Mittel zum Zweck. Es bot ihm Hilfe in jener Notsituation, als er vor den Nazis aus Paris flüchten mußte, die beste medizinische Versorgung, was er besonders in seinen letzten Monaten zu schätzten wusste, und die Möglichkeit, ein angenehmes Leben zu führen. Reizte den Musiknarren Kostolany eine Oper oder ein Konzert besonders, flog er auch für nur einen Abend nach Mailand in die Scala. Konnte man ohne große Mühe etwas sparen, war er auch dabei. So tauschte er regelmäßig die First-Class-Tickets, die ihm manche Vortragsveranstalter schickten (als es die First-Class noch auf allen Flügen gab), in zwei Economy-Tickets um und zweigte so einen Privatflug ab. Er sei so schlank, daß er die breiten Sitze ohnehin nicht ausfüllen könne, pflegte er dann zu sagen. Vor allem aber genoss der Weltbürger Kostolany die finanzielle Unabhängigkeit, die ihm das Geld gab. Sie war für ihn nach der Gesundheit das wichtigste Gut und der größte Luxus: die Unabhängigkeit, (fast) alles tun und alles sagen zu können, was man will, und nichts tun und sagen zu müssen, was man nicht will. Vor allem der Kolumnist Kostolany liebte seine Unabhängigkeit – im Kampf gegen die Schwindelfonds der IOS in den 70er-Jahren, gegen die Goldlobby in den 80er-Jahren und die Bundesbank und den Neuen Markt in den 90er-Jahren. Welchen Kampf er auch immer führte, er war stets »Überzeugungstäter«. Die von manchen seiner Kritiker geäußerte Vermutung, er baue sich Feindbilder auf, um seine -8- Popularität zu erhöhen, war abwegig. Wer ihn wie ich persönlich gut kannte, weiß, daß er auch im Dialog mit gleicher Vehemenz für seine Überzeugung stritt wie in seinen Kolumnen und Vorträgen. Auf die Frage einer Journalistin, ob er noch einmal zwanzig Jahre alt sein wolle, entgegnete er: »Zwanzig? Machen sie Witze? Achtzig Jahre möchte ich sein, dann hätte ich noch zehn Jahre, um gegen die Bundesbank zu kämpfen.« Lange vor Oskar Lafontaine bekannte Kostolany: »Mein Herz schlägt links«, doch der Satz ging bei ihm weiter: »Doch mein Kopf ist rechts und meine Brieftasche schon längst in Amerika.« Seine jahrzehntelange Börsenerfahrung hatte ihn gelehrt, daß in der Wirtschaft Praxis und Theorie weit auseinander liegen. Die Kunst über Geld nachzudenken ist das letztes Vermächtnis André Kostolanys. Vom Beginn des Jahres 1999 bis zu seinem Tod bildete die Arbeit an diesem Buch das Zentrum seines Schaffens. An seine Pariser Wohnung gefesselt, konzentrierte er alle Kräfte auf dieses Projekt. Nur das Vorwort, das jeder Autor kurioserweise zum Schluss schreibt, blieb er dem Leser schuldig. Besonders die neue, durch den Börsengang der Deutschen Telekom geschaffene Börsianer-Generation lag ihm am Herzen. Ausdrücklich begrüßte er die zunehmende Akzeptanz der Aktienanlage in Deutschland, doch besorgte ihn zugleich die sich ausbreitende Spielwut. Mit dem vorliegenden Buch wollte Kostolany für sein Verständnis von Anlage und Spekulation werben, das sich für ihn nicht in Daytrading, Echtzeit, Realtime oder Stop-loss erschöpfte. In der Einführung seines Buches Bilanz der Zukunft gestand er, daß er seit einigen Jahren nicht mehr zur Börse gehe, weil er Angst habe, der Allmächtige könne ihn dort entdecken und denken: »Was, der alte Kosto ist immer noch da? Er soll heraufkommen, ich kann ihn hier auch gut brauchen. Seine alten -9- Kollegen warten schon auf ihn, und sein Platz am Stammtisch ist noch frei.« Wenn ihn der Herr aber irgendwann zu sich hole, dann würde es ihn mit Glück erfüllen, wenn er seine Freunde, Schüler und Leser sagen höre: »Der Kosto hat doch Recht gehabt!« Lieber André, ich hoffe, du hast bereits Platz genommen und wirfst dieser Tage einen Blick auf die Börsen. Dann wirst du sehen, daß sie deinem Optimismus, den Schwarzsehern zum Trotz, weiter Recht geben. Bremen, im Dezember 1999 Stefan Riße* * Stefan Riße war enger Freund und häufiger Begleiter André Kostolanys. Er ist freier Finanzjournalist und schreibt eine Kolumne für das Printmagazin Die Telebörse. -10- Die Faszination des Geldes Geld und Moral Von Aristoteles über Franz von Assisi (dem Apostel der Armut) und Marx bis Johannes Paul II. haben die Denker eine Frage immer wieder leidenschaftlich erörtert: Ist der Drang nach Geld moralisch vertretbar und gerechtfertigt? Einig wurden sie sich freilich nie, doch waren alle gleichermaßen vom Geld und seiner Wirkung fasziniert. Die einen fühlten sich abgestoßen, die anderen angezogen. Sophokles sieht im Geld die Verkörperung des Bösen, während Emile Zola in seinem von mir so geliebten Roman Das Geld die Frage stellt: »Warum sollte das Geld an allen Unsauberkeiten, die es verursacht, schuld sein?« Ein objektives Urteil ist und bleibt unmöglich. Es hängt von der philosophischen Einstellung und auch der materiellen Situation jedes Einzelnen ab. Denn die Motivation, den Drang nach Geld für unmoralisch zu erklären, erwächst bei vielen aus Neid und nicht aus dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Doch unabhängig von der Beantwortung der Frage ist eines wohl unbestritten: Der Drang nach Geld ist die Triebfeder des wirtschaftlichen Fortschritts. Die Chance, Geld zu verdienen, setzt die Kreativität, den Fleiß und die Risikobereitschaft jedes Einzelnen frei. Der Philosoph mag fragen, ob uns das Geld oder das, was wir damit erwerben können, denn wirklich glücklicher macht. Sind wir aufgrund von Computern, Fernsehern, Autos etc. glücklicher als die Menschen vor 500 Jahren, die all dies nicht hatten? Vielleicht nicht, weil man nicht vermissen kann, was man nicht kennt. Eines aber ist sicher: Ohne den wirtschaftlichen Fortschritt, der auch verantwortlich für den Fortschritt in der Medizin ist, säße ich heute nicht hier und -11- würde mit 93 Jahren an meinem dreizehnten Buch schreiben, ein Umstand der mich außerordentlich glücklich macht. Ich will nicht behaupten, das kapitalistische Wirtschaftssystem, das auf dem Drang nach Geld aufgebaut ist, sei gerecht. Nein, es ist ein Betrug, aber geben wir zu – ein verdammt guter Betrug. Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist einfach erklärt: ein großer Kuchen, der ungerecht, oder ein kleiner Kuchen, der gerecht geteilt wird; mit dem Ergebnis, daß die gerechten Stücke des kleinen Kuchens viel winziger sind als die kleinsten Stücke des großen Kuchens. Jeder kann für sich entscheiden, welches System besser ist. Die Welt hat sich bis auf weiteres für den großen Kuchen entschieden. Wahrscheinlich, weil das kapitalistische Wirtschaftssystem dem menschlichen Naturell viel näher ist. Denn auch der Sozialismus hat den Drang nach Geld nicht beseitigen können. Ich erinnere mich noch, als ich 1946 nach dem Krieg nach Budapest fuhr. In Amerika herrschte ein aufgeheizter übersteigerter Kapitalismus. Auf Partys ging es nur um ein Thema: Geld. Nicht was jemand war, sondern nur was man verdiente und besaß war von Bedeutung. Und dann erlebte ich den krassen Gegensatz in Budapest. Dort sprach man nur über das, was die Leute machten und mit welchem Erfolg sie es taten. Der eine komponierte erfolgreich, der andere hatte einen Bestseller geschrieben. Der Nächste war anerkannter Wissenschaftler etc. Dieses Klima gefiel mir deutlich besser, doch ein Freund klärte mich auf: »Niemand spricht über Geld, doch alle denken daran.« Da aber wenig Hoffnung bestand, in den begehrten Besitz zu kommen, sprach man lieber nicht darüber. -12- Geld – der Wertmaßstab der freien Welt Es besteht natürlich ein Unterschied zwischen dem Drang, Geld zu besitzen, und dem, Geld zu verdienen. Der Besitz von Geld bereitet die verschiedensten Freuden. Es gibt die, die bereits das Geld an sich glücklich macht. Ich kannte einen Mann, dessen Lieblingszeitvertreib es war, auf seinen Bankauszügen die Zahlen zu addieren. Dann gibt es auch diejenigen, die zwar vieles Schönes und Teures erwerben könnten, es aber nicht tun, weil ihnen der Gedanke genügt, es tun zu können. Sie spüren die Radioaktivität des Geldes – und das macht sie schon glücklich. Ich hatte einen Freund, der, wenn er das Wort Geld aussprach, seine Brieftasche durch den Stoff des Jacketts streichelte, mit dem Gefühl, daß alle Genüsse des Lebens im Scheckbuch kondensiert seien. Ein anderer erzählte mir, daß er jedesmal, wenn er Kasse machte und sie sehr positiv war, seine Libido spürte. Glücklicherweise gibt es aber auch Leute, die nicht nur schätzen, daß sie mit ihrem Geld etwas kaufen können, sondern es auch tun. Sie wollen das Leben genießen. Sie begnügen sich nicht mit dem Studium einer Speisekarte, sondern wollen essen. Gäbe es diese Spezies nicht, müsste man sie erfinden, denn sonst würden wir in einer permanenten Deflation leben. Einer ihrer Vertreter war der Poet Josef Kiss, ein wahrer Intellektueller und für mich der ungarische Heinrich Heine. Folgende Anekdote wurde über ihn erzählt: Auf dem Weg in die Bank, wo Kiss üblicherweise seine Unterstützung erhielt, sah er im Schaufenster eines luxuriösen Lebensmittelgeschäfts eine wunderbare Ananas. »Was kostet sie«, fragte er zögernd. »Hundert Forint, Herr Poet.« Das kann ich mir nicht leisten, denkt Kiss und geht in die -13- Bank. Auf dem Rückweg kommt er wieder an dem Geschäft vorbei und dieses Mal erliegt er der Verlockung und kauft die Ananas. Auch der Geheimrat Leo Lanczy, Generaldirektor des Bankhauses, hatte am Vormittag die Ananas im Schaufenster gesehen. Nachmittags geht er hin und möchte sie kaufen. »Wir haben sie nicht mehr, der Herr Kiss war da und hat sie gekauft.« »Ach so«, meint der Generaldirektor und geht davon. Bei der nächsten Gelegenheit, als Kiss wieder einmal in der Bank seine Unterstützung abholt, kommt der Geheimrat und mosert ihn an: »Sagen Sie, Herr Poet, Sie schnorren bei uns hundert Forint und dann gehen Sie hin und kaufen sich gleich eine Ananas dafür?« »Aber Herr Generaldirektor«, antwortete Kiss, »habe ich keine hundert Forint, kann ich keine Ananas kaufen. Habe ich hundert Forint, darf ich keine Ananas kaufen. Wann soll ich mir denn dann eine Ananas kaufen?« Diese Frage stelle ich auch den deutschen Politikern, die den Amerikaner vorwerfen, Champagner statt Coca-Cola zu trinken. Für viele bedeutet Geld auch Macht und Statussymbol: Es bringt ihnen Freunde, Heuchler, Neider, Komplimente und zieht Schmarotzer an. Sie sind vom Geld fasziniert, weil sie wissen, daß es viele andere fasziniert. Geld kann aber auch eine Entschädigung für Miseren sein, zum Beispiel physische Behinderung, Hässlichkeit und so weiter. Oder es tröstet einen, der gesellschaftliche Ambitionen hat, seiner bescheidenen Herkunft wegen aber daran gehindert ist. Geld kann ihm die Ahnen ersetzen. Elsa Maxwell machte in den heroischen Jahren des amerikanischen Aufschwungs dadurch eine glänzende Karriere, daß sie die neuen amerikanischen Millionäre irischer Abstammung, die von den superfeinen »Mayflower«- Amerikanern nicht akzeptiert wurden, mit verarmten englischen -14- Aristokraten zusammenbrachte. Diese neuen Millionäre fühlten sich plötzlich durch ihren Umgang mit den Earls und Dukes dem steifen amerikanischen Geldadel ebenbürtig, und die Millionen der Neureichen faszinierten gleichzeitig den Adel, der kein Geld mehr hatte. Für andere bedeutet Geld medizinische Versorgung, Gesundheit und ein längeres Leben. Mit fortschreitendem Alter weiß ich diesen Vorteil des Geldes zunehmend mehr zu schätzen. Vor allem aber verschafft Geld Unabhängigkeit, für mich neben der Gesundheit das größte Privileg. Wer kein Geld besitzt, muß welches verdienen. Die meisten Menschen tun es, um ihr tägliches Auskommen zu haben, andere, um in den Besitz von Geld zu kommen oder diesen zu vergrößern. Schopenhauer sagte: »Geld ist wie Meerwasser, je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man.« Für viele aber macht nicht der Besitz, sondern das Verdienen des Geldes den eigentlichen Reiz aus. Wenn mir eine Spekulation glückt, dann freue ich mich in erster Linie nicht über das Geld, das ich dabei einstreiche, sondern über die Tatsache, mit meiner Idee gegen die Meinung der anderen Recht bekommen zu haben. Auch der Roulettespieler genießt das Gewinnen. Aber schon sein zweitgrößter Genuss ist das Verlieren, denn sein Vergnügen ist der Nervenkitzel, nicht das Geld. Für Intellektuelle und Künstler bedeutet Geld verdienen neben den praktischen Vorteilen die Anerkennung ihrer Leistung. Es gibt Maler, Schriftsteller und Musiker, die reich zur Welt kamen. Dennoch werden sie versuchen, für ihre Bilder, Bücher oder Kompositionen den maximalen Betrag zu erzielen. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Wenn meine Bücher sich gut verkaufen, freue ich mich weniger über das zehnprozentige Autorenhonorar sondern über den zehnfachen Preis, den die -15-

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