Die geostrategische Bedeutung Afghanistans aus Sicht der USA: Kontinuität und Wandel von 1979-2008 Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vorgelegt von Julian Voje aus Mülheim an der Ruhr Bonn 2014 Gedruckt mit der Genehmigung der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Zusammensetzung der Prüfungskommission: Prof. Dr. Volker Kronenberg (Vorsitzender) Prof. Dr. Christian Hacke (Betreuer und Gutachter) Prof. Dr. Tilman Mayer (Gutachter) apl. Prof. Dr. Hans Jürgen Küsters (weiteres prüfungsberechtigtes Mitglied) Tag der mündlichen Prüfung: 9. Mai 2014 Dank Mehreren Personen gilt mein herzlicher Dank für ihre Unterstützung bei der Anfertigung dieser Arbeit: Professor Dr. Christian Hacke bin ich vor allen anderen in besonderer Weise zu Dankbarkeit verpflichtet. Als Betreuer dieser Arbeit half er mir durch seine vertrauensvolle Unterstützung und sein großzügiges Mentoring, die Herausforderungen auf dem Weg zur Promotion zu bewältigen. Dabei beließ er es nicht bei rein akademischen Ratschlägen, sondern gab in den entscheidenden Momenten Impulse, die eine Fertigstellung dieser Dissertation erst ermöglichten. Herzlich danken möchte ich auch Professor Dr. Tilman Mayer, der sich als Zweitgutachter der vorliegenden Arbeit annahm. Mein herzlicher Dank gilt des Weiteren all den fleißigen Lektoren, die sich die Mühe gemacht haben, meine Arbeit gerade in der – mitunter stressigen – Endphase auf Herz und Nieren zu überprüfen: Dustin Dehéz, Peter Gilardoni, Heiko Hilken, Dr. Patrick Keller, Constanze Osei-Becker, Anne Willenberg. Ein besonderer Dank gilt David Petrovic. Als Freund und Kommilitone steht er mir bereits seit über zehn Jahren bei akademischen sowie privaten Fragen stets zur Seite. Meinen weiteren Dank richte an die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Ohne ihr Promotionsstipendium hätte ich diese Dissertation nicht schreiben können – ohne die ideele Förderung viele anregende Gespräche verpasst und interessante Menschen niemals kennengelernt. Abschließend danke ich meiner Familie, die mir in jeglicher Hinsicht den Rücken gestärkt hat. Ohne sie würde diese Arbeit nicht vorliegen. Für ihre tatkräftige Unterstützung (seit nunmehr über drei Jahrzehnten) danke ich deshalb meinen Eltern Heinz und Ute Voje, sowie meiner Großmutter Gisela Voje. - 3 - Inhaltsverzeichnis I. Einführung ........................................................................................................................... 8 1. Relevanz, Ziel und Methode der Arbeit ....................................................................... 10 2. Einordnung des Begriffs der Geostrategie.................................................................... 13 2.1. Der Realismus als theoretische Grundlage ............................................................ 14 2.2. Definition des Begriffs der Geostrategie ............................................................... 17 2.3. Das Drei-Ebenen-Modell der Geostrategie ........................................................... 20 3. Aufbau der Arbeit ......................................................................................................... 23 4. Forschungsstand ........................................................................................................... 30 II. Schulen der Geopolitik .................................................................................................... 35 1. Historische Grundlagen ................................................................................................ 36 2. Klassische Geopolitik ................................................................................................... 44 3. Kritische Geopolitik ..................................................................................................... 47 III. Afghanistans geostrategische Bedeutung im Wandel der Zeit – „Graveyard of Empires“? ............................................................................................................................. 49 1. „Highway of Conquest“: Ein Binnenstaat an strategischer Stelle ................................ 50 1.1. Alexander der Große in Afghanistan ..................................................................... 53 1.2. Afghanistan im Schatten der Großreiche............................................................... 55 2. Die geostrategische Bedeutung Afghanistans im „Great Game“ ................................. 60 2.1. Der Erste Anglo-Afghanische Krieg ..................................................................... 62 2.2. Der Zweite Anglo-Afghanische Krieg .................................................................. 71 2.3. Geostrategische Implikationen .............................................................................. 74 3. Vom „Spielball der Mächte“ zum souveränen Staat Afghanistan ................................ 75 - 4 - 4. Zwischenfazit: Afghanistan als „Graveyard of Empires“? .......................................... 82 IV. Afghanistans geostrategische Bedeutung im Kalten Krieg ............................................ 84 1. 1979 – „Arc of Crisis“ .................................................................................................. 85 1.1. Die Revolution im Iran .......................................................................................... 87 1.2. Saudi-Arabien und Irak ......................................................................................... 94 1.3. Afghanistan ............................................................................................................ 97 2. Geostrategische Implikationen ................................................................................... 109 3. Die Carter-Doktrin II und Afghanistan ...................................................................... 116 3.1. Die Carter-Doktrin II ........................................................................................... 117 3.2. Unterstützung der Mudschahedin ........................................................................ 121 4. Ronald Reagan: Kontinuität und Wandel ................................................................... 127 4.1. „Crusade for democracy“: Wechsel im Weißen Haus ........................................ 128 4.2. Die Reagan-Doktrin ............................................................................................. 130 5. Unterstützung der Widerstandskämpfer ..................................................................... 134 5.1. Die CIA und der afghanische Dschihad .............................................................. 134 5.2. Die Mudschahedin ............................................................................................... 141 5.3. Die „arabischen Afghanen“ ................................................................................. 145 6. „Giving the USSR its Vietnam War“: Der sowjetische Abzug aus Afghanistan ........ 150 7. Zwischenfazit: Vom „arc of crisis“ bis zum Abzug der sowjetischen Truppen ........ 154 V. Afghanistans geostrategische Bedeutung nach 1991 ..................................................... 157 1. „One of those black holes out there “: Afghanistan in Vergessenheit........................ 158 1.1. Afghanistan im Bürgerkrieg ................................................................................ 158 1.2. Entstehung Al-Qaidas .......................................................................................... 162 1.3. Geostrategische Implikationen I .......................................................................... 168 - 5 - 2. „Der Zauberlehrling“: Afghanistan und die Taliban ................................................. 172 2.1. Die Taliban und der ISI ....................................................................................... 173 2.2. Die TAP-Pipeline: Afghanistan als Transitland .................................................. 180 2.3. Geostrategische Implikationen II ........................................................................ 185 3. „Most wanted“: Afghanistan und Osama Bin Laden.................................................. 189 4. Zwischenfazit: Vom „geopolitischen Vakuum“ zur „Bin-Laden-Politik“ .................. 199 VI. Afghanistans geostrategische Bedeutung nach 2001 ................................................... 201 1. war on terror: Geostrategische Implikationen für Afghanistan .................................. 202 1.1. Machtwechsel im Weißen Haus: Von Clinton zu Bush ...................................... 202 1.2. „Hunting down the killers one by one“ – 9/11 und der war on terror ................. 216 1.3. „The World has changed: It’s time to change the world“ – Die Bush-Doktrin ... 230 2. Geostrategische Implikationen I ................................................................................. 241 3. Ein „geostrategisches Erdbeben“: Regionale Veränderungen ................................... 244 3.1. Südasien ............................................................................................................... 249 3.2. Zentralasien ......................................................................................................... 259 3.3. Die Golfregion ..................................................................................................... 267 4. Geostrategische Implikationen II................................................................................ 271 5. The „forgotten war“? Afghanistan im Schatten des Irak-Kriegs ............................... 273 5.1. Wiedererstarken der Taliban und die Einflussnahme Pakistans .......................... 275 5.2. Der Irak-Krieg: Kursänderung zwischen Kabul und Bagdad .............................. 279 6. Zwischenfazit: Vom Sturz der Taliban zum Irak-Krieg ............................................. 290 VII. Schlussbetrachtung ..................................................................................................... 292 1. Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................................. 293 1.1. Phase der Mudschahedin ..................................................................................... 296 - 6 - 1.2. Phase der Vergessenheit ...................................................................................... 298 1.3. Phase der Bin-Laden-Fokussierung ..................................................................... 299 1.4. Phase des war on terror ........................................................................................ 300 1.5. Phase der geostrategischen Abkehr ..................................................................... 301 2. „Not a war of choice“: Bushs Vermächtnis – Obamas Erbe ...................................... 302 3. „A goat between these lions“: Resümee und Ausblick ............................................... 306 3.1. An der Schnittstelle machtpolitischer Einflusssphären ....................................... 306 3.2. Einseitige Unterstützung von „Hilfstruppen“ ...................................................... 307 3.3. Abkehr von Afghanistan ...................................................................................... 308 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................... 310 Quellen und Literaturverzeichnis ....................................................................................... 311 - 7 - I. Einführung „[T]here exist in the world certain places that have for mankind a strange and fatal existence, in that they give directions to his conquests. In these places victories are decisive and defeats mark the consummation of national ruin. These places are the doorways through which nations come and go; sometimes arches of triumph; sometimes those narrow exits through which nations, like men, pass to return no more. Herat is one of these places, Kabul another.“1 - Homer Lea Afghanistan, der „Torbogen“ zwischen Herat und Kabul2, führte Eroberer selten zum Sieg, aber oft in den Ruin. Seit über zweitausend Jahren scheiterten Armeen am Hindukusch. Makedonien, Persien, Großbritannien, Russland – dies sind nur einige Nationen und Reiche, die vergeblich versuchten, sich Afghanistan untertan zu machen. Bedingt durch seine geografische Lage zwischen den östlichen Ausläufern des iranischen Plateaus und dem westlich angrenzenden Himalajagebirge wurde die Region ein „highway of conquest“3. Ziel der Besatzer war dabei nie Afghanistan selbst. Der „Torbogen“ sollte sie zum indischen Subkontinent oder den warmen Gewässern des Arabischen Meeres und des Persischen Golfs führen.4 Knapp hundert Jahre nach der Veröffentlichung Leas rückte der 11. September 2001 Afghanistan in den Fokus des weltweiten medialen Interesses. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center geriet das Land als Rückzugsraum der Terrororganisation Al- Qaida in den Mittelpunkt US-amerikanischer Außenpolitik. Die Taliban weigerten sich, den Drahtzieher der Anschläge, Osama Bin Laden, auszuliefern. Als Antwort darauf rückte erneut eine Armee an den Hindukusch aus – diesmal kam sie aus den USA. Nach dem schnellen Sturz der Taliban wurde im November desselben Jahres auf dem Petersberg in Bonn über das weitere Vorgehen in dem Land beraten. Man einigte sich darauf, eine „International Security Assistance Force“ (ISAF) nach Afghanistan zu 1 Zitiert nach: Lea, Homer: The day of the Saxon, San Diego, CA 2003, (zukünftig: Lea: The day), Seite 198f. 2 Herat liegt im Westen, Kabul im Osten des Landes. Für eine Karte siehe Kapitel III.1. 3 Zit. nach: Tanner, Stephen: Afghanistan. A military history from Alexander the Great to the war against the Taliban, Philadelphia 2009, (zukünftig: Tanner: Afghanistan), S. 2. 4 Vergleiche: Ebenda, S. 2; The Encyclopedia of earth: Afghanistan, online abrufbar unter: http://www.eoearth.org/view/article/149856/, zuletzt abgerufen am: 22.12.2013, (zukünftig: The Encyclopedia of earth: Afghanistan). - 8 - entsenden. Ab 2003 wurde sie unter die Führung der North Atlantic Treaty Organization (NATO) gestellt. Beauftragt von den Vereinten Nationen (VN), sollte ISAF die kommende Regierung Afghanistans bei dem Wiederaufbau des Landes unterstützen. Auch deutsche Soldaten nahmen an der ISAF-Mission teil. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck prägte diesbezüglich 2002 das neue sicherheitspolitische Bonmot, dass „die Sicherheit Deutschlands (…) auch am Hindukusch verteidigt“5 wird. Parallel zu ISAF entsandten die USA, unterstützt von weiteren Nationen, im Zuge der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) zusätzliche Truppen nach Afghanistan. Ihre primäre Aufgabe in dem Land sollte jedoch nicht in der Unterstützung einer neuen Regierung, sondern einzig in der Bekämpfung von Terroristen liegen. Nach 2001 rückte somit Afghanistan, das in den 1990er Jahren in relative Vergessenheit geraten war, wieder in den Mittelpunkt des weltweiten Interesses. Für die USA stellte es allerdings kein Novum dar, sich in dem Land zu engagieren. Bereits in den 1980er Jahren hatte Washington nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen Widerstandskämpfer in Afghanistan unterstützt. Nachdem die Sowjetarmee das Land verlassen hatte, verloren die USA in den 1990er Jahren rasch ihr Interesse an der Region. Erst die Anschläge des 11. September 2001 brachten sie zurück auf die politische Tagesordnung. Mit Blick auf den unterschiedlichen außenpolitischen Stellenwert, den das Land für Washington hatte, geht diese Arbeit den folgenden Fragen nach: Welche geostrategische Bedeutung hatte Afghanistan für die USA von 1979 bis 2008? An welchen Punkten lassen sich Kontinuitäts- und Bruchlinien erkennen? Um aufzuzeigen, welche Relevanz, Methode und welches Ziel dieser Dissertation zugrunde liegen, werden diese Themen im folgenden Abschnitt I.1. ausführlich beleuchtet. Daran anknüpfend stellt Kapitel I.2. den Analysebegriff der Geostrategie vor. Die letzten beiden Teile der Einführung, Kapitel I.3. und I.4. widmen sich dem Aufbau der Arbeit sowie dem Forschungsstand. 5 Zit. nach: Eckert, Dirk: Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt, 13.12.2002, online: http://www.heise.de/tp/artikel/13/13778/1.html, zuletzt: 22.12.2013. - 9 - 1. Relevanz, Ziel und Methode der Arbeit „Geopolitics only tells us what space is destined, because of its location relative to other spaces, to harbor the master of the world. It does not tell us to what particular nation that mastery will fall.“6 - Hans Morgenthau Geostrategie, Afghanistan, USA: Diese drei Begriffe in einem Titel öffnen sogleich das Feld für Spekulationen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist jeder einzelne von ihnen bereits vorgeprägt (sowohl negativ als auch positiv) – zusammengenommen entsteht mitunter ein diffuses Bild. Dabei fällt der Geostrategie, häufig synonym zur Geopolitik verwendet, oft die Rolle der sinistren Taktgeberin zu, sie wird zu einer Ideologie mit „fatalen[n] Folgen“7 erklärt. Auf der Suche nach „politischen Gesetzen der geographischen Räume (…) [begibt sie sich –JV] in einen ideologischen Sumpf, in dem es gefährlich irrlichtert“8. Demzufolge setzen die USA ihre geopolitischen Vorstellungen wie ein „Machiavelli im Weltmaßstab“9 durch und machen bei ihren Planungen auch vor Afghanistan nicht halt. Washington musste folglich nach 2001 – so scheint es geradezu – eine „hidden long-term agenda (..) in Afghanistan“10 gehabt haben. Vermutungen über die geostrategischen Interessen der USA reichen dabei von einer Neuauflage des great game11 im Kampf um Korridore für den Energietransport12 bis hin zur Suche nach eventuellen 6 Morgenthau, Hans J.: Politics among nations. The struggle for power and peace, New York 1961, (zukünftig: Morgenthau: Politics among nations), S. 159. 7 Ritz und Hauke: Die Rückkehr der Geopolitik. Eine Ideologie und ihre fatalen Folgen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 57, (2013), 3, (S. 71–80), (zukünftig: Ritz: Die Rückkehr). 8 Zielcke, Andreas: Amerikas Rückkehr zur Geopolitik, 17.05.2010, online: http://www.sueddeutsche.de/politik/amerikas-rueckkehr-zur-geopolitik-von-wegen-rache-1.163647, zuletzt: 22.12.2013, (zukünftig: Zielcke: Amerikas Rückkehr). 9 Zielcke: Amerikas Rückkehr. 10 Zit. nach: Bhadrakumar, M. K.: Afghanistan: Why NATO cannot win, 30.09.2006, online: http://www.atimes.com/atimes/South_Asia/HI30Df01.html, zuletzt: 09.01.2014. 11 Der Begriff great game bezeichnet die im zentralasiatischen Raum ausgetragene Rivalität zwischen dem russischen Zarenreich und dem British Empire. Dabei rangen beide Großmächte seit dem frühen 19. Jahrhundert um die Vorherschaft über Zentralasien und versuchten, Afghanistan ihrem Einfluss zu unterstellen. Siehe dazu ausführlich Kapitel III.2. 12 Beispielsweise: Cheterian, Vicken: The new great game, Le Monde Diplomatique (Hrsg.), November 2001, online: http://mondediplo.com/2001/11/08game, zuletzt: 22.12.2013, (zukünftig: Cheterian: Great Game); Scholvin, Sören: Ein neues Great Game um Zentralasien?, in: GIGA-Focus, (2009), 2, (S. 1–8). - 10 -
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