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Die CSU: Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei PDF

575 Pages·2010·3.471 MB·German
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Gerhard Hopp · Martin Sebaldt · Benjamin Zeitler (Hrsg.) Die CSU Gerhard Hopp · Martin Sebaldt Benjamin Zeitler (Hrsg.) Die CSU Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag fur Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag fur Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson dere für Ver - vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sin- ne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17275-0 Inhalt Einführung Gerhard Hopp, Martin Sebaldt, Benjamin Zeitler Die CSU als Volkspartei im Wandel: Zur Einführung in den Gegenstand 11 Deutschlands Gesellschaft im Wandel: Die Rahmenbedingungen in Theorie und Praxis Herbert Maier Das Kreuz mit dem Wähler: Erhöhte Komplexität der Wählermärkte als gesamtdeutsche und bayerische Herausforderung 29 Nina Huthöfer Die Entwicklung der deutschen Verbändelandschaft: Bayern im nationalen Kontext 47 Alexander Straßner Sozialer Wandel und die CSU: Parallelen und Bezüge im Überblick 61 Die CSU in der bayerischen Verbändelandschaft Marcus Gerngroß (K)eine Bindung auf ewig – die CSU und die Kirchen 77 Hans Hinterberger Die CSU als Gralshüter landwirtschaftlicher Interessen? CSU und Landwirtschaft unter spezieller Beachtung des Bayerischen Bauernverbandes 99 Andreas Friedel Die Gewerkschaften und die CSU: Auf ewig in Frontstellung? 121 Gerhard Hopp Machtfaktor auch ohne Machtbasis? Die Sudetendeutsche Landsmannschaft und die CSU 146 Konstanz und Wandel der politischen Programmatik Susanne Schäfer Konstanz und Wandel: Die CSU-Programme im dokumentarischen Vergleich 173 6 Inhalt Johannes Wörle Wirtschaftspolitik zwischen Agrarstaat und industrieller Modernisierung: Die Rolle der CSU 194 Julia Egleder Umweltpolitik aus Verantwortung für die Schöpfung? CSU und Ökologie zwischen Programmatik, Publicity und Praxis 207 Martina Schöfbeck Eine Bastion konservativer Grundideen? Die programmatischen Entwicklungslinien der CSU-Europapolitik 219 Die Machttektonik der CSU Lutz Korndörfer Die Staatskanzlei als heimliche Parteizentrale? Die Staatskanzlei in Zeiten des Zusammenfalls von Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt 241 Alexandra Bürger Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag – treuer Erfüllungsgehilfe des Ministerpräsidenten oder eigenständige Denkfabrik? 261 Yvonne Hempel Statthalter einer bundespolitischen Partei oder Juniorpartner der Union? Die Stellung der CSU-Landesgruppe in Berlin 287 Christian Schramek Als Regionalpartei in Brüssel und Straßburg: Die europapolitischen Akteure der CSU 309 Daniel Kerscher Parteipräsidium und Parteivorstand der CSU: Trotz Regierungsverantwortung nur beschränkter Einfluss auf die bayerische Politik? 335 Gerhard Hopp Herzstück der CSU? Die Landesleitung zwischen Serviceagentur, Denkfabrik und Motor der Parteimodernisierung 351 Benjamin Zeitler Die CSU als Partei der Bezirksverbände: Zur Sonderstellung der CSU- Bezirksorganisationen 375 Tobias Nerl Auf Stimmen- und Mitgliederfang im vorpolitischen Raum – die Rolle der Arbeitsgemeinschaften 393 Inhalt 7 Politische Führung in der CSU Henrik Gast, Uwe Kranenpohl Politische Führung in der CSU nach Strauß: Rolleninszenierungen und Rollenkonflikte in Führungspositionen der Partei 419 Ilona Steiler Führung einer konservativen Volkspartei: Charismatiker Strauß und Bürokrat Stoiber 440 Stefan Jungbauer Politische Führung in der CSU: Die CSU-Fraktionsvorsitzenden als Königsmacher oder zahnlose Tiger? 459 Andreas K. Gruber Auf dem Weg zur politischen Führung: Die Junge Union als Kaderschmiede der CSU 479 Wahlkampf und Regierungspraxis: Alte und neue Herausforderungen Benjamin Zeitler Störfaktor CSU? Die Organisation der Unionskampagnen zu den Bundestagswahlen 2002, 2005 und 2009 501 Tobias Nerb Landtagswahl 2008: Mit einem evangelischen Franken in den Wahlkampf 520 Martin Schechner, Frank Zeller Die Bedeutung der Europawahl 2009 für die CSU 534 Cornelia Lautner Seit fast 50 Jahren erstmals in unbekannten Gewässern: Ein Jahr Koalitionsregierung in Bayern aus journalistischer Sicht 544 Folgerungen Martin Sebaldt Erfolgreiche Volkspartei – Volkspartei mit Zukunft? Entwicklungslinien, Leistungen und aktuelle Herausforderungen der CSU 559 Anhang Die Herausgeber 583 Die Autoren 585 Einführung Die CSU als Volkspartei im Wandel: Zur Einführung in den Gegenstand Gerhard Hopp, Martin Sebaldt, Benjamin Zeitler 1 Die CSU – Ende einer Volkspartei? Zur Fragestellung Mit „Servus, Volkspartei CSU“ betitelte der SZ-Redakteur Kurt Kister nach der bayeri- schen Landtagswahl 2008 seinen ausgesprochen kritischen Kommentar zum Abschneiden der bayerischen Christsozialen: Vorbei seien die Zeiten, „als die bayerischen Lodenmachos gelegentlich sogar ihre große Schwesterpartei überholten“, und übrig bleibe von der CSU am Ende nur ein „CDU-Landesverband in Dirndl und Lederhose“ (Kister 2008). Auch schon im Vorfeld der Wahlen war von einer ‚dräuenden’ „Götterdämmerung“ (Auer/ Hägler/ Krügel 2008) und einer „Lethargie im Stoiberland“ (Effern 2008) die Rede. Selbst CSU-Parteichef Erwin Huber trug im Vorfeld der Wahl zur Mutlosigkeit bei, indem er in einem Interview nüchtern konstatierte: „Keine Partei hat eine Ewigkeitsgarantie“ (zit. nach Ramelsberger 2008). Man muss nicht nur leichtfertig überzogene Journalistenkommentare bemühen, um die weit reichende öffentliche Infragestellung der überkommenen CSU-Dominanz dokumentie- ren zu können. Denn auch in seriöse wissenschaftliche Untersuchungen haben Abgesangs- Assoziationen seither Einzug gehalten: So diagnostizieren Stephan Klecha und Clemens Wirries 2009 bei den Christsozialen bereits einen „lange[n] Abschied von einem Mythos“ (Klecha/ Wirries 2009), und Gerd Strohmeier fragt in seiner Analyse der Landtagswahl 2008 mit „Quo vadis CSU?“ (Strohmeier 2009) ebenfalls schicksalsschwanger genug, um derlei Verfalls-Rhetorik ins Bewusstsein zu rufen. Doch welche Berechtigung besitzen solch harsche Urteile? Sind sie der publizistischen Effekthascherei in günstig erscheinenden Momenten geschuldet, um eine Partei öffentlich abzustrafen, die dafür bisher wenig Angriffsfläche bot? Oder sind sie als Spitze des Eis- bergs kritisch-konstruktiver Diagnosen zu werten, die auch nach Ausscheidung sprachlicher Entgleisungen auf systematische Strukturschwächen der CSU verweisen? Schon ein erster Blick auf die faktischen Verhältnisse mahnt ja zur Zurückhaltung: Die bayerischen Christsozialen haben sowohl bei der besonders kritisch beurteilten Landtags- wahl 2008 als auch bei der Bundestagswahl 2009 jeweils Stimmenanteile von über 40 Pro- zent eingefahren, was in allen anderen Bundesländern sowie für alle übrigen Parteien als gutes Ergebnis gewertet worden wäre – keinesfalls aber als Indikator für den Verlust des Volksparteienstatus. Ein Maßstabproblem ist also schon zu Anfang unverkennbar: Die CSU wird hinsichtlich ihrer Volksparteienqualität oft an anderen Hürden gemessen als CDU und SPD, die im Übrigen selbst unter deutlichen Erosionserscheinungen leiden, und dies auf noch geringerem elektoralen Niveau. G. Hopp et al., (Hrsg.), Die CSU, DOI 10.1007/978-3-531-92521-9_1, © VS Verlag fur Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 12 Gerhard Hopp, Martin Sebaldt, Benjamin Zeitler Das vorliegende Sammelwerk will dem komplexen Sachverhalt mit einer Reihe the- matisch breit gestreuter und doch systematisch aufeinander bezogener Einzelanalysen bes- ser gerecht werden als viele bisherige Schnellschussanalysen. Der zunächst ebenfalls plaka- tive Titel „Die CSU – Ende einer Volkspartei?“ ist daher ohne jeden finsteren Hintergedan- ken als offene Frage zu verstehen, und erst die Zusammenschau der Einzelbefunde soll beantworten, ob die derzeit populären publizistischen Abgesänge auf Bayerns CSU wirk- lich gerechtfertigt sind. Kurzfristig angelegte Wahlanalysen sind für diesen Zweck natürlich ungeeignet, und schon deshalb unterscheidet sich die vorliegende Studie von den meisten aktuellen Publika- tionen: Sie möchte dem Phänomen CSU grundsätzlicher gerecht werden und alle Facetten der bayerischen Christsozialen und ihrer Entwicklung gleichermaßen untersuchen. Insoweit wird es nötig sein, nicht nur die strukturellen, inhaltlichen und strategisch-handlungs- orientierten Kennzeichen der CSU selbst genauer zu beleuchten, sondern auch ihre Einbet- tung in die sich stark wandelnde gesamtdeutsche bzw. bayerische Gesellschaft. Gerade mit letzterem soll der Gefahr vorgebeugt werden, Wandlungsprozesse und insbesondere Kri- senerscheinungen allzu vorschnell der Partei selbst zuzuschreiben. In welchem Maße die CSU selbst aktiv Entwicklungen angestoßen hat bzw. auf gesellschaftlichen Druck ledig- lich reagierte, kann damit besser erfasst werden. Aus dieser Herangehensweise resultieren die zentralen Leitfragen der vorliegenden Studie, die damit auch deren gesamte Struktur vorgeben: 1. Welche langfristigen Wandlungsprozesse sind in der gesamtdeutschen bzw. in der bayerischen Gesellschaft fassbar, und wie wirken diese auf die CSU ein? 2. Wie ist die CSU in der bayerischen Verbändelandschaft verankert, die als organisato- rische Spitze dieser sich wandelnden Gesellschaft zu begreifen ist? 3. Welche programmatischen Entwicklungen zur Erfassung bzw. Berücksichtigung die- ser sozialen Wandlungsprozesse sind bei Bayerns Christsozialen feststellbar? 4. Welche Strukturen hat die CSU aufgebaut bzw. angepasst, um sowohl ihre organisato- rische Verankerung in Bayerns Gesellschaft als auch effektives Regieren zu ermögli- chen? 5. Welche Muster politischer Führung haben sich im Rahmen dieser Strukturen ausgebil- det, und inwieweit sind sie als zeitgemäße politische Handlungsstile zu werten? 6. In welchem Maße können die letzten Wahlkämpfe sowie die jüngere Regierungspraxis als Belege für eine erfolgreiche oder aber unglückliche Führung der CSU gewertet werden? Gerade mit der letzten Leitfrage wird dann wieder der Bezug zum aktuellen Szenario her- gestellt. Der gesamte Fragenkatalog soll aber verdeutlichen, dass dies eben nur ein Aspekt ist, der in eine seriöse Beurteilung des Volksparteienstatus der CSU einzugehen hat. Alle Einzelbefunde werden am Ende eine differenzierte Gesamtantwort ermöglichen und ein Urteil darüber zulassen, wie die bayerischen Christsozialen im Sinne des Untertitels der Studie „Strukturwandel, politische Modernisierung und aktuelle Herausforderungen“ wirk- lich bewältigen. Die CSU als Volkspartei im Wandel: Zur Einführung in den Gegenstand 13 2 Was ist eine typische Volkspartei? Der thematische Kontext Es fehlt an dieser Stelle der Raum, um der Volksparteienthematik detailliert gerecht zu werden. Alf Mintzel hat dieser Fragestellung schon 1984 ein fast 400 Seiten starkes Lehr- buch gewidmet, in dem „Typus und Wirklichkeit“ der Volkspartei und insbesondere die hochkontroversen wissenschaftlichen und politisch-praktischen Debatten darüber, was denn eine ‚typische’ Volkspartei kennzeichne, seit Beginn des 20. Jahrhunderts analysiert wer- den (Mintzel 1984). Quintessenz seiner Erkenntnis, die bis heute nichts an Aktualität verlo- ren hat: Einen allgemein akzeptierten Volksparteienbegriff gibt es nicht, und damit besitzt jede wissenschaftliche Analyse einer Partei auf ihren Volksparteienstatus von vornherein einen systematischen Schwachpunkt: Wo kein verbindlicher Maßstab, da kein abschließen- des Urteil. Das gilt auch für die vorliegende Studie. Gleichwohl darf dies nicht dazu führen, die Analyse einer Partei ohne jegliche syste- matische Grundierung zu betreiben, zumal es durchaus seriöse Versuche gibt, dem Phäno- men Volkspartei wenigstens ein grobes typologisches Gesicht zu verleihen. Otto Kirchhei- mer hat diesen Parteitypus sinngemäß schon 1965 so zu fassen und zu begründen versucht (vgl. Kirchheimer 1965): 1. Das Verschwimmen sozialer Milieugrenzen und die immer stärkere Orientierung am Nutzenmaximierungsprinzip zur Gewinnung elektoraler Mehrheiten hat nach dem Zweiten Weltkrieg zur Entwicklung der „Allerweltspartei“ (catch all party) geführt, die hier sinngemäß als Volkspartei zu verstehen ist. 2. Deren funktionale Merkmale sind: Breites, alle gesellschaftlichen Gruppen anspre- chendes Programm; Selbstverständnis als Träger von Gemeinwohlinteressen und als gesamtgesellschaftlicher Schlichter zwischen Einzelinteressen; Sozialisationsagentur für nachwachsende politische Eliten. 3. Ihre strukturellen Merkmale sind: Nur lose Bindung an die Wählerschaft; breite, we- nig loyale bzw. mobilisierte Mitgliedschaft; starkes, weitgehend autonom handelndes Funktionärskorps, das für seine Handlungszwecke eine differenzierte Parteiorganisati- on aufbaut. 4. Damit verliert die Partei ihre traditionellen Funktionen als Klientelorganisation und als Träger einer spezifischen Ideologie; sie mutiert zur Wahlkampfmaschine und zum zwischen vielfältigen Interessen und dem Staat vermittelnden Verhandlungssystem. Kirchheimers Auffassung zufolge sind diese neuen Volksparteien also strukturell und pro- grammatisch als Produkt gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozesse aufzufassen, die westliche Demokratien nach dem Zweiten Weltkrieg kennzeichnen. Die am Stimmenmaxi- mierungsprinzip orientierten Allerweltsparteien sind daher aus dieser Perspektive nicht als Krisensymptom zu werten, sondern als Indikator für einen bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstand, dem ein spezifisches Parteiorganisationsmuster angemessen ist. Die nachfolgende Forschung ist bei dieser Charakterisierung nicht stehen geblieben: Schon Alf Mintzel wies in seinem Lehrbuch auf systematische „Blindstellen“ der Kirch- heimer-Typologie hin, insbesondere hinsichtlich der Ausblendung parteiinterner Subkultu- ren, und kritisiert zu Recht auch den sehr pauschalen Zugriff, der „Regionalität“ und „Tra- ditionalität“ nicht angemessen Rechnung trage (Mintzel 1984: 104-106). Unter Berücksich- tigung dieser Kritikpunkte plädiert er selbst in Anlehnung an Sigmund Neumann für den

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