1 Peter Scholl-Latour Die Angst des weißen Mannes Ein Abgesang Propyläen 2 Aus Gründen der Diskretion habe ich die Namen meiner Gesprächspartner gelegentlich geändert. Das gilt nicht für Personen des öffentlichen Lebens und deren Aussagen, die exakt wiedergegeben werden. Bei der Transkription von Ausdrücken aus fremden Sprachen habe ich mich an die übliche, allgemein verständliche Schreibweise gehalten. Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. Propyläen ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH ISBN 978-3-549-92001-5 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009 Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Cornelia Laqua Karten: Thomas Hammer Satz und eBook: LVD GmbH, Berlin 3 INHALT Präludium 5 Wachablösung Canto primeiro: Ost-Timor 16 Portugals letzter Gesang Canto segundo: Bali 92 Im Vorfeld des Fünften Kontinents Canto terceiro: Ozeanien 135 Das andere Ende der Welt Canto quarto: Java 217 Indonesische Schattenspiele Canto quinto: Philippinen 259 Die Inseln des Magellan Canto sexto: China 297 »Zittere und gehorche!« Canto sétimo: Kasachstan 357 Die Macht der Steppe Canto oitavo: Kirgistan 417 Die Enttäuschung der »Tulpen-Revolution« Epilog 457 Der Nachlaß Personenregister 477 4 PRÄLUDIUM Wachablösung Vor seinem Besuch im Konzentrationslager Buchenwald am 5. Juni 2009, so wird berichtet, hat Barack Obama einen politischen Dialog mit Angela Merkel geführt. Eine herzliche Atmosphäre sei dabei nicht aufgekommen. Es heißt, der amerikanische Präsi- dent habe die Kanzlerin am Ende mit einem Thema überrascht, das im vereinbarten Austausch nicht vorgesehen war. »Warum sind Sie gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Uni- on?« soll Obama abrupt gefragt haben. Relata refero. Es fällt nicht schwer, sich die Argumente der deutschen Kanzlerin vor- zustellen, mit der sie ihre Ablehnung und die der meisten Euro- päer begründete. Die Türkei, so mag sie entgegengehalten haben, weise noch erhebliche Defizite in Sachen Demokratie und Men- schenrechte auf. Der Zypern-Disput sei nicht bereinigt. Die Tür- kei verhalte sich repressiv gegenüber ihren ethnischen und kon- fessionellen Minderheiten. Für das Kurdenproblem sei trotz eini- ger dürftiger Zugeständnisse keine wirkliche Regelung in Sicht. Die Europäische Union sei zudem keineswegs begeistert von der Perspektive, im Fall eines türkischen Beitritts unmittelbarer Nachbar des Kaukasus, Irans sowie Mesopotamiens zu werden und unweigerlich in deren Querelen verwickelt zu sein. Es wäre taktlos gewesen, einem amerikanischen Partner gege- nüber, dessen Vater unter dem britischen Kolonialismus gelitten hatte und dessen Frau die Nachfahrin westafrikanischer Sklaven ist, die kulturelle oder gar ethnische Einzigartigkeit des Abend- landes zu betonen, die es gegenüber einer massiven turanischen Zuwanderung aus Anatolien zu bewahren gelte. Selbst ein Ver- weis auf die Unvereinbarkeit zwischen der christlichen Ursubs- 5 tanz Europas –die die Kanzlerin, obwohl sie Vorsitzende einer christlichen Partei ist, ohnehin kaum erwähnt – und der spektaku- lären Rückwendung der post-kemalistischen Türkei zur Lehre des Propheten Mohammed wäre unangebracht gewesen. Barack Obama bekennt sich zwar in aller Form zum christlichen Glau- ben, doch die muslimische Religionszugehörigkeit seines Vaters reiht ihn laut koranischem Gesetz unwiderruflich in die Reihen der islamischen Umma ein. Nach dem Sturm der Begeisterung, den die Wahl Barack Hus- sein Obamas zum mächtigsten Mann der Welt in Europa, mehr noch als in Amerika, ausgelöst hat, kommen wir nicht umhin festzustellen, daß die Beziehungen zwischen der Alten und der Neuen Welt nicht mehr die gleichen sein werden. An infamen Angriffen, an tückischen Verleumdungen wird es in Zukunft nicht fehlen. Es gibt zu viele reaktionäre US Citizens, die sich mit der Präsenz eines schwarzen Mannes im Weißen Haus nicht ab- finden. Die rassistischen Vorurteile, die William Faulkner vor gar nicht so langer Zeit in der abgrundtiefen Düsternis seiner Romane aus dem »tiefen Süden« schilderte, sind vielerorts noch präsent. Die Dämonen warten auf ihre Entfesselung. Schon melden sich Stimmen zu Wort, die die amerikanische Staatsangehörigkeit Obamas in Frage stellen und mit der Behauptung auftreten, er sei in Indonesien als Muslim aufgewachsen. Selbst in europäischen Gazetten kommt plötzlich – vermutlich als Reaktion auf die grandiose Rede, die er in Kairo hielt – der Vorwurf auf, dieser »Commander-in-Chief« gehe nicht mit der gebotenen militärischen Gewalt gegen die Islamische Republik Iran vor, er habe durch seinen Verzicht auf den Ausbau eines Ra- ketenschirms in Polen den Westen der nuklearen Bedrohung durch Schurkenstaaten des Orients ausgeliefert, und gegenüber Israel neige er einer propalästinensischen Haltung zu. Das Schicksal Martin Luther Kings hängt als düstere Mah- nung über diesem Mann, der endgültig der Erkenntnis zum Durchbruch verhalf, daß die politische Ausrichtung der USA 6 nicht mehr durch eine Bevölkerungsminderheit definiert wird, die sich rühmte, »White, Anglo-Saxon and Protestant« zu sein. Wel- ches auch immer das Schicksal des jetzigen Präsidenten sein mag, hier ist ein Deich gebrochen. Das Antlitz der Vereinigten Staaten wird zunehmend von der Masse der Latinos – in der Mehrheit spanisch-indianische Mestizen –, der Afro-Americans und einer wachsenden Zahl von Asiaten gestaltet werden. Die einst mißach- teten Katholiken bilden bereits die bei weitem stärkste christliche Konfession. * Es soll nicht der Irrtum aufkommen, das vorliegende Buch be- schäftige sich vorrangig mit Amerika. Auch die Probleme der Eu- ropäischen Union sind nicht das Thema. Dieser Reisebericht ist der intensiven persönlichen Erfahrung des Autors gewidmet, dass die dominante Ära des »weißen Mannes«, der sich um 1900 die ganze Welt untertan gemacht hatte, ihren Endpunkt erreicht hat. Genau ein halbes Jahrtausend hat diese phänomenale Expansion und ihre zähe Beharrung gedauert. Die einseitige Vorrangstellung Europas wurde im zwanzigsten Jahrhundert durch die Vereinig- ten Staaten von Amerika – von de Gaulle als »Tochter Europas – fille de l’Europe« bezeichnet – abgelöst und amplifiziert. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sieht sich diese transatlantische Allianz globalen Machtverschiebungen ausgesetzt, denen sie schon aus demographischen Gründen nicht gewachsen ist. Dem »weißen Mann« ist ja nicht nur das Monopol industrieller und mi- litärischer Überlegenheit abhanden gekommen. Ihm fehlen heute vor allem das Sendungsbewußtsein, die Lust am Abenteuer sowie die Bereitschaft zur Selbstaufopferung, auf die sich sein imperia- ler Anspruch gründete. Literarisch eingeleitet wurde die Epoche des europäischen Im perialismus durch die mythischen Navigato- ren-Gesänge des Portugiesen Luís Vaz de Camões. Ihr Ende wur- de symbolisch angedeutet in Rudyard Kiplings Legende von dem 7 »Mann, der König sein wollte« und der in den Schluchten von Kafiristan – so nannte man damals die afghanische Provinz Nu- ristan – in einen bodenlosen Abgrund stürzte. Dieser »Abgesang« ist weder eine pathetische Prophezeiung noch eine nostalgische Klage. Die Zusammenstellung der sehr unterschiedlichen Kapitel habe ich dem Zufall meiner Reiseroute überlassen. In diesem Punkt fühlte ich mich den Weltumseglern der Entdeckerzeit ver- bunden, die in ozeanische und terrestrische Weiten vorstießen, ohne sich ihrer präzisen Zielsetzung bewußt zu sein. Die geogra- phische Dimension dieser Saga des Niedergangs ist zwangsläufig unvollständig und müßte durch weitere Regionen ergänzt und be- stätigt werden. Das Projekt steht uns ja noch bevor. Man mag mir entgegenhalten, die »Angst des weißen Mannes« sei ein Produkt meiner Phantasie, und es lebe sich doch weiterhin recht bequem in dieser »Brave New World«, die sich dem Multi- kulturalismus und der Multiethnizität ergeben hat. Ich bin so alt, daß ich die Stunde einer akuten Bedrohung wohl nicht mehr er leben werde. Doch schon die kommende Generation wird sich mit der schmerzlichen Anpassung an eine inferiore Rolle im glo- balen Kräftespiel, an geschwundenes Prestige abfinden müssen und mit dem tragischen Fatum leben, daß den weißen Herren von gestern das sachte Abgleiten in Resignation und Bedeutungslo- sigkeit bevorsteht. Der Ausdruck »White Man« ist heute ja schon verpönt und mit dem Odium des Rassendünkels behaftet. * Zunächst stellt sich die Frage: Wer ist überhaupt ein Weißer? So weit liegt der kollektive Wahnwitz ja nicht zurück, der sich in Alfred Rosenbergs Mythos des 20. Jahrhunderts offenbarte und zum Religionsersatz des Dritten Reiches wurde. Die Einwande- rungsbehörden der USA, die über strenge ethnische Quoten wachten, hatten für die weißen Europäer den Ausdruck »Cauca- sian« gefunden. Ich will mich hier nicht in die verschiedenen 8 Rassentheorien verirren, die von Gobineau, Houston Stewart Chamberlain und manch anderen in die Welt gesetzt wurden, um schließlich mit dem Arier-Begriff der Nationalsozialisten in grauenhafter Menschenverachtung, in mörderischer Selektion zu gipfeln. Schon sehr früh gab es den Begriff »Indoeuropäer«, der in Deutschland zur Wortbildung »Indogermanen« führte. Eine deutlich erkennbare lingui stische Verwandtschaft spannte ja tat- sächlich einen Riesenbogen verwandter Idiome vom Atlantik bis zum Ganges in den Ebenen Indiens. Sogar die Völker Afghanis- tans – Paschtunen und Tadschiken – reihten sich in diese Katego- rie ein. Bei keinem Begrüßungsgespräch, das ich in den entle- gensten Ortschaften am Hindukusch führte, hatte der Dorfälteste es versäumt, auf die enge Verbundenheit zwischen Afghanen und Deutschen zu verweisen, weil sie ja beide Arier seien. Das Wort selbst stammt wohl ursprünglich aus Persien, wo der Kulturkreis »Iran« sich in beinahe manichäischer Strenge von den Nomaden- stämmen »Turans« absonderte. Der Schah-in-Schah Persiens trug bis zuletzt den Titel »Aria Mehr« – Leuchte der Arier. In Teheran bin ich zu Zeiten Mohammed Reza Pahlevis mit dem Oberpriester der Zarathustra-Gemeinde zusammengetroffen, dem »Zarduschti«, wie man dort sagt. Diese Gruppe von etwa 30 000 Menschen wurde von der Pahlevi-Dynastie besonders geför- dert, aber auch von der Khomeini-Revolution in die Kategorie der »Familie des Buches« aufgenommen. Sie ist in der Majlis – dem Parlament – von Teheran durch einen Abgeordneten vertreten. Der zoroastrische »Magi«, der sich seinerzeit ohne Scheu vor un- serer Kamera äußerte, war ein glühender Prediger der Reinheit der arischen Rasse, die zu bewahren sein höchstes Anliegen war. »Wenn eine unserer Frauen einen Mann heiratet, der an unserem Feuerkult nicht teilnimmt, dann verdient sie den Tod.« Man dürfe doch nicht edle, in heller Pracht blühende Pflanzen mit dem Wüs- tengestrüpp des Urwaldes vermischen. Die Darstellung Zarathust- ras in den Tempeln dieser einst allmächtigen Religion der altper- sischen Reiche der Achämeniden bis zu den Sassaniden war stets 9 identisch. Der Prophet, der Friedrich Nietzsche zur Ankündigung des »Übermenschen« anregen sollte, erschien unter den Zügen eines blonden, blauäugigen Helden. In der schnöden Wirklichkeit der Gegenwart präsentierte sich der hohe Offiziant, dem ich in Teheran gegenübersaß, allerdings als schmächtige, dunkelhaarige Erscheinung. Seine Gesichtszüge hätten sich sogar für jene ab- scheulichen Karikaturen geeignet, mit denen im Dritten Reich das antisemitische HetzblattDer Stürmer seine widerliche Kampagne gegen die Juden anheizte. Es konnte nicht ausbleiben, daß die rassische Mythologie, der die Nationalsozialisten huldigten, ihre Aufmerksamkeit auf den indischen Subkontinent richtete, wo seit Urzeiten das Hakenkreuz als Symbol des Glücks und der Kraft verehrt wurde und die hin- duistische Kastengesellschaft in mancher Hinsicht den krausen Vorstellungen des Reichsführers SS entsprach. Im Zuge der ari- schen Völkerwanderungen, die vor viertausend Jahren aus den Steppen Zentralasiens über den Subkontinent hereinbrachen, hat- te der Kontakt mit einer ungewohnten, tropisch wuchernden Kul- tur, mit exotischen, dunkelhäutigen Urbevölkerungen eine einma- lige rassisch-religiöse Überlagerung bewirkt, aus der am Ende – auf die Epen des Maha baratha und des Ramayana gestützt – die noch heute gültige Sozialordnung des Hinduismus hervorgegan- gen ist. Alles Leugnen gewisser Schöngeister oder schwärmeri- scher Indien-Fans, alle Verweise auf erstaunliche Modernisie- rungserfolge und oberflächliche Anpassungsreflexe der Gegen- wart ändern nichts an der Tatsache, daß das Kastensystem – der übernatürlichen Ordnung des Dharma entsprechend – die religiö- se und soziologische Basisstruktur Indiens geblieben ist, aus der sich kein Hindu lösen kann. Eine raffinierte, unerbittliche Herr- schaftspyramide war hier entstanden, die sich in letzter Analyse auf rassische Zugehörigkeit zurückführen ließe. Ich will hier nicht die diversen Schichten – Brahmanen oder Priester, Kshatriya oder Krieger, Vaishya oder Händler als kol- lektive Oberschicht, dann die verachtete, niedere Dienstleistungs- 10