Svenja Falk · Andrea Römmele Der Markt für Politikberatung Svenja Falk Andrea Römmele Der Markt für Politikberatung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1.Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2009 Lektorat:Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16749-7 Inhaltsverzeichnis I. DER MARKT 7 1 Der „Neue Markt“ in der Politik? 7 2 Was ist Politikberatung? 9 3 Grundzüge der deutschen Politikberatung 11 3.1 Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik 11 3.2 Die Geschichte der Politikberatung in Deutschland 16 3.2.1 Wissenschaftliche Regierungsberatung hinter verschlossenen Türen (1948 - 1969) 16 3.2.2 Regierungs- und Öffentlichkeitsberatung unter zunehmender Einbeziehung der Öffentlichkeit (1969 - 1989) 19 3.2.3 Wählermarktnahe Beratung in der Öffentlichkeit (1989 - heute) 21 3.3 Governance: Die Entwicklung politischer Entscheidungsstrukturen als Chance und Herausforderung für die Politikberatung 22 3.4 Die Mediengesellschaft: Die gestiegene Bedeutung strategischer Kommunikationskompetenz als Chance und Herausforderung für die Politikberatung 25 II. DAS ANGEBOT 29 4 Bereiche der Politikberatung 29 4.1 Politics–Beratung 29 4.2 Policy Beratung 32 4.3 Akteure 34 4.3.1 Ausgewählte Akteure kommerzieller Politikberatung 36 5 4.3.1.1 Public Affairs Agenturen 36 4.3.1.2 Unternehmensberatungen 40 4.3.1.3 Wissenschaftliche Regierungsberatung durch Kommissionen 49 4.3.1.4 Regierungsberatung durch Einzelberater 51 5 Die Ausbildung zum Politikberater – Bewegungen auf dem Bildungssegment 54 5.1 Das Berufsziel Politikberater – zum Ausbildungsangebot in Deutschland. 54 5.2 Sind Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht? 59 III. DIE NACHFRAGE 63 6 Siegeszug der Consultants? 63 6.1 Wie viele Unternehmen mit dem offering „Politikberatung“ gibt es in Deutschland? 64 6.2 Der Beratungsmarkt im öffentlichen Sektor 65 7 Der Markt für Politikberatung 66 7.1 Die Nachfrageseite 69 7.2 Kleine Anfragen: Der Vergleich des Standes 1977 mit der Phase 1998 bis 2003 71 7.3 Worin ließ sich die Bundesregierung beraten? 74 7.4 Zusammenfassung 78 7.5 Die Angebotsseite 81 7.6 Ergebnisse der Primärbefragung 86 IV. DIE INNENANSICHT 87 8 Beratung ist Vertrauenssache 87 8.1 Interviews mit ausgewählten Politikberatern 89 8.2 Schluss 111 Literaturverzeichnis 117 Anhang 121 6 I. DER MARKT 1 Der „Neue Markt“ in der Politik? Mit dem Umzug von Bonn nach Berlin ist ein neuer Markt entstanden. „Public Affairs“ oder Politikberatung sei, so wollen uns manche Experten glauben machen, ein Wachstumsmarkt. „Der Job des politischen Beraters in Deutschland hat Zukunft“, konstatieren etwa Peter Radunski und Axel Wallrabenstein (Radunski/Wallrabenstein 2004). Ein lukrativer Markt also, in dem PR Profis, Wahlkampfexperten und Marketingfachleute Be- dingungen ähnlich den Anfängen des eCommerce vorfinden. Politische Goldgräberstimmung? Tatsächlich scheint mit dem Umzug der Regie- rung von Bonn nach Berlin ein Kulturwandel in der Herstellung, Kom- munikation und Vermittlung von Politik stattgefunden zu haben, der die Rheinmetropole Bonn in der Rückschau wie ein kommunikatives Wol- kenkukucksheim erscheinen lässt. Neben einer häufig in den Partei- oder Gewerkschaftsapparaten groß gewordenen Start-Up Szene ergänzen PR Agenturen, Beratungsunternehmen und Think Tanks ihr Dienstleistungs- portfolio um „Public Policy Beratung“, Public Affairs, Lobbying oder Politikberatung. Damit ist in der Regel ein Spektrum gemeint, das von der Beratung einzelner Politiker im Umgang mit der Öffentlichkeit über die strategische Positionierung von Parteien oder anderen staatlichen Institutionen in der Mediengesellschaft bis hin zur Wahlkampfberatung reicht. Verziert wird diese neue Szene durch eine Eventkultur, in der Konferenzen, Workshops oder Kamingespräche vor allem dem Ausbau der persönlichen Netzwerke gelten. Politikberatung ist wie andere Beratungsdienstleistungen keine ge- schützte Tätigkeit. Bis weit in die neunziger Jahre ausschließlich als wis- senschaftliche Beratungsleistung verstanden, wird der Topos seitdem zunehmend von Beratern aus dem PR- und Lobbyismus-Bereich für ihre 7 S. Falk, A. Römmele, Der Markt für Politikberatung, DOI 10.1007/ 978-3-531-91527-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Dienstleistungen verwandt. Es ist das Ziel unseres Buches, den Markt für Politikberatung aus den unterschiedlichen Perspektiven vorzustellen und vor allem das Wechselspiel der beteiligten Akteure analytisch zu be- leuchten: Welche Spielregeln bestimmen den Markt? Das vorliegende Buch ist wie folgt aufgebaut: Nach der Definition des Begriffs Politikberatung geht es in Kapitel 3 um die Grundzüge der Politikberatung in Deutschland. Wie hat sich die Bewertung des Verhält- nisses von Wissenschaft und Politik innerhalb der wissenschaftlichen De- batte in Deutschland entwickelt? Welche historischen Eckpunkte lassen sich für die Politikberatung in Deutschland festmachen? Wo und in wel- cher Form spielten Berater eine Rolle? Wie wurden sie rekrutiert? In wel- chen Bereichen gab es den größten Beratungsbedarf? Wie haben sich die staatlichen Strukturen, das „Miteinander“ der Institutionen, und die me- dialen Voraussetzungen im historischen Vergleich verändert und welche Implikationen hat dies für Politikberatung in moderner Staatlichkeit? Daran anschließend wird die Angebotsseite systematisiert. Kapitel 4 klärt, wer eigentlich Politikberatung anbietet. Darauf aufbauend beschäf- tigt sich Kapitel 5 mit der Frage wie für dieses Berufsfeld ausgebildet wird. In den Kapiteln 6 und 7 wechseln wir die Perspektive und beleuch- ten die Nachfrageseite. In welchen Bereichen wird Beratung schwer- punktmäßig nachgefragt und von wem? Gibt es Informationen über die Volumina, die für Politikberatung ausgegeben werden? Kapitel 7 zeigt dabei das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Um unserem Anliegen, der lebensechten Abbildung des Marktes für Politikberatung, gerecht werden zu können, sind individuelle Einschät- zungen und Eindrücke von Kennern der Szene ebenso wichtig, wie die zuvor erwähnten Makrostrukturen. Die theoretischen und empirischen Überlegungen des vorliegenden Buches werden daher durch sieben In- terviews mit hochkarätigen Experten angereichert. Hier geben Persön- lichkeiten aus den unterschiedlichsten Bereichen der Politikberatung Einblick in Ihre Tätigkeiten und eröffnen den Lesern die Möglichkeit, den Markt aus der Perspektive der Beratenden zu sehen. Diese Interviews 8 fließen an vielen Stellen punktuell in die Entwicklung unserer Argumen- te ein, vollständige Transskriptionen finden sich zudem in Kapitel 8. 2 Was ist Politikberatung? Politikberatung ist eine komplexe und heterogene Dienstleistung, die je nach Anforderungen und Anwendungsbereich die unterschiedlichsten Formen annehmen kann. Ebenso zahlreich sind die Definitionen des Be- griffes (vgl. Dagger 2004): Traditionell ist mit Politikberatung das institu- tionalisierte Liefern wissenschaftlicher Informationen an politische Ak- teure gemeint. Mittlerweile hat der Begriff allerdings eine Ausweitung und Ausdifferenzierung erfahren. Insbesondere bei den im Umfeld der operativen Politik Tätigen geht die Trennschärfe zwischen den Begriffen Lobbyismus, Public Affairs und Politikberatung häufig verloren. Mitun- ter vermengen sich auch die Begriffe Politikberatung und Politikvermitt- lung (vgl. Bender 2004; Leif/Speth 2003). In den Medien und in der politi- schen Kommunikation gelten alle jene Akteure, die Parteien und Kandi- daten bei Wahlen, Kampagnen oder der Werbung für politische Pro- gramme sowie in der Regierungskommunikation und im politischen Marketing beraten, als Politikberater (vgl. u.a. Althaus/Meier 2004; Karp/ Zolleis 2004; Kreyher 2004). Das Gleiche gilt für Umfrage- und Kommu- nikationsexperten, für Spin Doktoren und selbst für Mäzene und Stiftun- gen. Wieder andere verstehen unter Politikberatung die eher technische Beratung von Verwaltung und Einrichtungen der öffentlichen Hand bei der Umsetzung von Entscheidungen durch kommerzielle Akteure wie Management Consultants. In der wissenschaftlichen Debatte hat der Begriff ebenfalls eine wei- tere Ausdifferenzierung erfahren. So wird gerne die Unterscheidung in Politiker- und Regierungsberatung einerseits, Öffentlichkeits- und Ge- sellschaftsberatung andererseits diskutiert (z.B. Cassel 2001, Priddat/ Theurl 2004). Die Beratungswissenschaft versucht einerseits der Vielfalt in der Begriffsverwendung ein Stück weit entgegenzuwirken, anderer- 9 seits soll nicht der fälschliche Eindruck entstehen, der Variantenreichtum der Materie sei in knappen Sätzen verbindlich definierbar. Politikbera- tung ist und bleibt keine durch Approbationsordnungen oder Staatsex- amina geregelte Tätigkeit, Politikberater ist keine geschützte Berufsbe- zeichnung. Um den Begriff dennoch zu systematisieren ist es hilfreich, an den drei gängigen Dimensionen des modernen Politikbegriffes – Polity (Form), Politics (Prozess) und Policy (Inhalt) – anzusetzen. Diese facet- tenreiche Differenzierung ermöglicht uns Aussagen über die unterschied- lichen Inhalte der Politikberatung. (cid:131) Policyberatung betrifft die Beratung in der materiellen Politik (Poli- tikinhalte in unterschiedlichen Politikfeldern). Im Englischen spricht man hier von policy advice. (cid:131) Politics-Beratung ist im weitesten Sinne das, was als political consul- ting verstanden wird. Hierbei handelt es sich vor allem um kommu- nikativ-strategische Beratung im Bereich des politischen Prozesses. (cid:131) Polity-Beratung, d.h. die Konsultation bei der institutionellen Gestal- tung des politischen Systems, ist in der Regel nur in historischen Umbruchsituationen gefragt (Verfassungsreformen, Wahlrechtsän- derungen) und gehört nicht zum Alltagsgeschäft der Politikbera- tung. In der Literatur findet man auch häufiger die Unterscheidung zwischen Politikberatung und Politikerberatung, die auf der Nachfrageseite ver- schiedene Empfänger unterscheidet. Unter Politikberatung (alternativ gesehen als Bürgerberatung) sind Empfehlungen gemeint, die Auskunft darüber geben, wie die konsensfähigen konstitutionellen und sub-konsti- tutionellen Interessen der Bürger am besten gefördert werden können. Als Letztadressaten solcher Ratschläge können sinnvollerweise nur die Bürger selbst in Frage kommen. Politikerberatung befasst sich dagegen mit solchen Ratschlägen und Expertisen, die darauf abzielen, die Interes- sen der Politiker, d.h. insbesondere das Wiederwahlinteresse zu fördern. Dabei geht es sowohl um die Beratung der Regierungspolitiker als auch 10 um die Beratung der in der Gesetzgebung tätigen politischen Entschei- dungsträger (Cassel 2001: 78). Während Politikberatung nach dieser De- finition relativ transparent ist, erfolgt die Politikerberatung meist diskret und unter Ausschluss der Öffentlichkeit (vgl. Dietze i.E.). Eine weitere Differenzierung des Begriffs Politikberatung ist die in ad-hoc Beratung und institutionelle Beratung (z.B. Becker 2004), die nach dem Institutionalisierungsgrad unterscheidet. Im Gegensatz zu einer ad- hoc-Beratung, bei der ein Einzelgutachter oder ein Gremium ein be- stimmtes Thema auf Zeit betreut und deren Bewertung uneinheitlich ausfallen kann, ist die institutionelle Beratung langfristig angelegt. Zur institutionellen, wissenschaftlichen Beratung in der Bundesrepublik zäh- len beispielsweise der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- samtdeutschen Entwicklung sowie die wissenschaftlichen Beiräte bei den Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen und die Forschungsinsti- tute. Eine weitere mögliche Differenzierung ist die nach wissenschaftli- cher und professioneller Beratung. 3 Grundzüge der deutschen Politikberatung 3.1 Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik Selbstverständlich ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wissen- schaft und Praxis nicht neu. Sie stellt sich, seit sich die Wissenschaft zu Beginn der Neuzeit als eigenständiges gesellschaftliches System mit spe- zifischen Steuerungsmedien und Referenzkriterien herausgebildet und sich damit insbesondere von der Definitionsmacht der Kirche gelöst hat. Burke (2001: 133) etwa weist darauf hin, dass bereits Ende des 17. Jahr- hunderts eine intensive kontroverse Diskussion über das Verhältnis zwi- schen Grundlagenwissen und praktischem Wissen stattgefunden hat. Diese Auseinandersetzung blieb nicht ohne Konsequenzen und führte im 18. Jahrhundert zur Gründung landwirtschaftlicher Gesellschaften, die allein dem Zweck dienten, Landwirten Fachwissen zur Optimierung 11