KAHR . DER INOPERABLE KREBSKRANKE DER INOPERABLE KREBSKRANKE MOGLICHKEITEN DER THERAPIE IN KLINIK UND PRAXIS von UNIV.-DOZENT DR. MED. ERNST KAHR Graz Mit 20 Abbildungen und zahlreichen Tabellen 19®66 JOHANN AMBROSIUS BARTH· MDNCHEN Der Verfasser Univ.-Dozent Dr. med. Ernst Kahr Oberarzt an der Radiologischen Universitatsklinik Graz Eine Markenbezeichnung kann warenrechtlich geschiitzt sein, auch wenn in diesem Buch ein Hinweis auf etwa bestehende Schutzrechte fehlt ISBN-13: 978-3-642-86141-3 e-ISBN-13: 978-3-642-86140-6 DOl: 10.1007/978-3-642-86140-6 © 1966 by Johann Ambrosius Barth Munchen Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1966 Aile Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der tJbersetzung, vorbehalten Satz : GroJldruckerei Erich Spandel, N urnberg GELEITWORT Die Erfahrung hat gezeigt, daB der Humanmedizin in der Erkennung und insbesondere in der Behandlung der Krebskrankheit derzeit Grenzen gesetzt sind. Wohl werden durch immer wieder neu entwickelte Methoden, Gerate, Medikamente die Behandlungsergebnisse des "Krebses" gebessert, aber der entscheidende Durchbruch zur Behandlungsmethode der Wahl ist der Medi zin bisher noch nicht gelungen. Solange diese Moglichkeit nicht gegeben ist, darf der Arzt im Kampf mit einer der groBten GeiBeln der Menschheit keine bekannte Methode, die den bedauernswerten Tragern dieser Krankheit nur irgendwelche Aussicht auf Heilung oder temporare Besserung verspricht, unversucht lassen; dies gilt auch fUr diejenigen Krebskranken, denen durch eine ortliche Behandlungsmethode nicht mehr geholfen werden kann und die dann haufig ihrem Schicksal iiberlassen werden. Der Verfasser, ERNST KAHR, hat sich mit dem gewiB nicht leichten Problem durch Jahre hindurch im Zentralrontgeninstitut und der Radiolog. Univ. Klinik Graz eingehend be schaftigt und nunmehr seine Erfahrungen in der Behandlung der inoperablen Krebskranken in diesem Buch niedergelegt. Moge es Anregung sein fiir aIle, diesen Kranken zu helfen! Graz, im Friihjahr 1966 E. VOGLER o. Professor fiir Riintgenologie u. Strahlenheilkunde Vorstand des Zentral-Riintgen·Institutes u. der radiologischen Universitatsklinik Graz INHALT I. DIE STRAHLENBEHANDL UNG 11 1. Einfiihrung in die Strahlenphysik und Strahlenbiologie 11 2. Einfiihrung in die Methodik der Strahlenbehandlung 18 3. Der Bestrahlungsplan 22 4. Aktuelle strahlentherapeutische Behandlungsmethoden 23 A) Telekobalttherapie 23 B) Elektronentherapie 26 C) Therapie mit Radioisotopen. 31 a) Implantationsbehandlung 34 - b) Infiltrationsbehand- lung 35 - c) Instillationsbehandlung 37 - d) Interne Be handlung 37 - e) Lokale Behandlung 38 D) Telerontgentherapie . 39 5. Die Chirurgie inoperabler Krebskranker 41 A) Operative MaBnahmen am Tumor selbst 41 B) Operative MaBnahmen zur Beseitigung tumorbedingter Passagehindernisse 42 a) Umgehungsanastomosen 42 - b) Fisteloperationen 43 C) Operative MaBnahmen zur Beseitigung unstillbarer Schmerzzustande . 44 D) Operative Endokrinotherapie 44 6. Kasuistik . 46 7. Einige Grundbegriffe zur Strahlentherapie 61 II. ZYTOSTATISCHE KREBSBEHANDLUNG. 64 1. Einfiihrung und Allgemeines zur Behandlung mit Zytostaticis 64 2. Aus der Biochemie des Zellstoffwechsels 68 3. Zum Wirkungsmechanismus der Zytostatica 71 4. Einteilung der Zytostatika . 73 A) Zytotoxische Substanzen 74 I. Alkylierende Substanzen. 74 Lostderivate 74 - Sulfonate 77 - Athylenimingruppe78 II. Antimitotisch wirkende Zellgifte 80 Colchizinderivate 80 - Urethanderivate 81 - Arsen 81 - Podophyllinderivate 82 8 Inhalt B) Antiwuchsstoffe (Antimetaboliten) . 83 Folsiiureantagonisten 83 - Purinantagonisten 84 - Glut· aminsiiureantagonisten 85 - Pyrimidinantagonisten 85 C) Onkolytische Antibiotika 86 Aktinomyzine 86 - Mitomyzine 87 5. Die Entkoppler (Co-Faktoren) . 89 6. Die kombinierte zytostatische Therapie 90 7. Die radio-chemische Krebsbehandlung 91 8. Die Perfusionstherapie 93 9. Die lokale Behandlung mit Zytostaticis 94 III. DIE ALLGEMEINBEHANDLUNG . 104 1. Einfiihrung 104 2. Die mesenchymunterstiitzende Therapie 107 A) Priiparate aus tierischen und menschlichen Organen, Geweben und Sera 108 B) Priiparate pflanzlicher Herkunft III C) Die Behandlung mit Frischblut . 113 D) Priiparate nichtorganischer Herkunft 114 3. Die Vitamintherapie . 115 4. Die Hormontherapie . 123 a) Mammakarzinome 124 - b) Prostatakarzinome 127 - c) Weibliche Genitalkarzinome 129 5. Anabole Steroide . 129 6. Behandlung mit Nebennierenrindenhormonen. 130 7. Die Leberschutztherapie . 137 8. Cancer apertus und lokale Strahlenreaktion 139 9. Die Erniihrung 142 10. Die Sanierung der Darmflora 146 11. Behandlung von Begleitkrankheiten und psychische Betreu- ung der Krebskranken 147 12. Physikalische Behandlung 149 13. Homoopathische Krebsbehandlung . 151 14. Medikamentose Schmerzbekiimpfung 153 Sachverzeichnis 157 EINLEITUNG Die unbehandelte Krebskrankheit fiihrt unweigerlich zum Tode. Die ganz geringe Zahl sogenannter Spontanheilungen iindert nichts an dieser Erfah rungstatsache. Bis heute ist eine Heilung nur durch Operation oder Strahlen behandlung zu erzielen. Fiir die Krebsbehandlung werden, abgesehen yom chirurgischen Eingriff und der Strahlenbehandlung, in zunehmendem MaBe die Chemotherapie und Allgemeinbehandlung herangezogen. Die Feststellung der Inoperabilitiit bedeutet den Verlust einer besonders wichtigen Behandlungsmoglichkeit und fUr eine nicht geringe Zahl betroffe ner Krebskranker eine erschreckende Verminderung der Heilchancen. Somit stellen die inoperablen Krebskranken das bedauernswerteste Patientengut und ihre Behandlung das dringlichste und schwierigste Problem der heutigen Medizin dar. Es ist daher kaum verwunderlich, daB schon seit alters die ver schiedensten Behandlungsmethoden zur Anwendung gebracht worden sind und auch heute noch neb en den klassischen Methoden der Schulmedizin eine nicht geringe Zahl von sogenannten AuBenseitermethoden empfohlen werden. Andererseits finden sich immer noch Arzte, deren Reaktion auf die Diagnose "inoperabler Krebskranker" in Resignation und Nihiltherapie besteht, so daB die bedauernswerten Patienten sehr bald das Gefiihl vollkommener Hilflosigkeit befiillt und ihr ohnehin schon schweres Schicksal fast unertriig lich wird. Solange eine zentralgelenkte Krebsfiirsorge und ausreichende Unter bringungsmoglichkeiten in Krankenhiiusern oder speziellen Geschwulstkli niken nicht gegeben sind, lastet die Verantwortung fUr die Behandlung und Betreuung der inoperablen Krebspatienten auf allen Fachdisziplinen und nicht zuletzt auf dem praktisch tiitigen Arzt, der besonders bei terminalen Zustandsbildern die volle Last iirztlicher Verantwortung zu tragen hat. Soweit nicht Aussicht auf ein kuratives Behandlungsergebnis besteht, wird ein mehr oder minder anhaltender Palliativerfolg anzustreben sein, der als Wachstumsstillstand, Tumorverkleinerung, Verminderung oder voll stiindige Beseitigung der subjektiven Beschwerden und Besserung des Allge meinzustandes in Erscheinung tritt. Die zur Anwendung gelangenden therapeutischen MaBnahmen sind kaum iibersehbar und eng miteinander verfiochten, die Wirkungsmechanismen nur teilweise gekliirt. Trotzdem zeichnen sich vier groBe Gruppen von Behand lungsmaBnahmen ab, welchen unterschiedliche Wirkungsmechanismen zu 10 Einleit-ung Grunde liegen und die nach eigener Erfahrung, besonders bei kombinierter Anwendung, ein optimales Behandlungsergebnis erwarten lassen. 1. Die Strahlentherapie 2. Die Chemotherapie 3. Die Allgemeinbehandlung 4. Die Palliativoperationen Durch sinnvolle Ausschopfung aller Behandlungsmoglichkeiten und Koor dinierung der zustandigen Fachdisziplinen werden auch beim inoperablen Krebskranken immer wieder Mittel und Wege gefunden, urn in den schicksal haften Ablauf ihres Leidens helfend einzugreifen, Heilungen zu erzielen oder zumindest den Tod des Patienten urn Monate, wenn nicht oft urn Jahre hinau szuschie ben. Uber der Behandlung eines inoperablen Krebskranken stehen die Worte van Svietens: "Wir sind nie am Ende unserer Mittel". I. DIE STRAHLENBEHANDL UNG 1. Einfuhrung in die Strahlenphysik und Strahlenbiologie Die Hauptlast bei der Behandlung inoperabler Krebskranker hat auch heute noch die Strahlentherapie zu tragen. Es handelt sich, von wenigen Aus nahmen abgesehen, um eine lokale Behandlungsmethode, die es ermoglicht, einen direkten EinfluB auf den Tumor oder seine Metastasen auszuiiben. In folge ihrer engen Beziehungen zur Physik, Biologie, Chemie und auch zur Technik nimmt sie unter den medizinischen Fachern, ja selbst im Rahmen der Radiologie, eine besondere Stellung ein. Zwischen der Entdeckung der Rontgenstrahlenam 8. November 1895 durch Konrad Wilhelm Rontgen und dem heutigen Stand der Kernphysik und Kernchemie liegt eine gewaltige Entwicklung, welche von MAX PLANK als die tiefgreifendste Umwandlung bezeichnet wurde, die jemals in der Ent wicklungsgeschichte einer Wissenschaft stattgefunden hat. Diese gewaltigen Fortschritte der Wissenschaften, aber auch der Technik, und die damit ver bundene Entwicklung immer neuer Bestrahlungsgerate iiben einen direkten EinfluB auf die Strahlenbehandlung des Krebses aus, fUr welche heute eine ganze Reihe hochleistungsfahiger Bestrahlungsgerate und verschiedenste Bestrahlungsmethoden zur Verfiigung stehen. Die verschiedenen Moglichkeiten der Strahlenbehandlung des Krebses 1. Die Rontgentherapie a) Oberflachentherapie b) Halbtiefentherapie c) Tiefentherapie (Orthovolttherapie) d) Hochvolttherapie 2. Die Therapie mit natiirlichen radioaktiven Substanzen a) Radiumkontaktbehandlung b) Radiumspickung c) Radiumfernbestrahlung 3. Die Therapie mit kiinstlichen radioaktiven Substanzen a) Therapie mit umschlossenen Radioisotopen a) Kontaktbestrahlungen 12 Die Strahlenbehandlung (J) Fernbestrahlungen b) Therapie mit offenen Radioisotopen a) parenterale Anwendung (J) Instillationen y) Infiltrationen 4. Die Therapie mit Korpuskularstrahlen, z.B. Elektronenstrahlung der Elektronenschleuder (Betatron) Mit dem heutigen Stand der Entwicklung sind die urspriinglichen Haupt probleme der Strahlentherapie, welche sich mit Fragen der Strahlenqualitat, der ausreichenden Dosierung am Herd bei moglichster Schonung des durch strahlten Gewebes und ahnlichem beschaftigen, weitgehend gelost. Das Interesse der Radiologie hat sich damit von physikalisch-technischen Pro blemen vor aHem strahlenbiologischen Fragen zugewandt, die sich mit der Reaktion des bestrahlten biologischen Objektes und den vielfachen und komplexen Reaktionsablaufen im menschlichen Organismus beschaftigen. Die Beeinflussung des Krebsgewebes sowie des normalen Gewebes durch ionisierende Strahlung erfolgt iiber komplizierte und teilweise noch unge klarte Reaktionsablaufe, die einer kurzen Erlauterung bediirfen. Um den Dberblick iiber die sich vielfach iiberschneidenden und komplizierten Reak tionsvorgange zu erleichtern, werden zweckmaBig 3 Phasen des Reaktions. ablaufes nach Einwirkung einer ionisierenden Strahlung unterschieden: 1. der physikalische Primarvorgang, 2. die radio-chemischen Vorgange, 3. die aus ihnen resultierenden morphologischen Veranderungen. Grundsatzlich ist festzuhalten, daB nur die absorbierte Strahlung eine biologische Wirkung besitzt. Die vom biologischen Objekt registrierte Strah. lung kann nicht mehr riickgangig gemacht werden. Selbst dann, wenn keine ZeH· oder Gewebsveranderungen festzusteHen sind, besteht eine latente Strahlenwirkung, die sich mit weiteren, im Laufe des Lebens eintretenden Strahleninsulten summiert, womit auch die Gefahr einer Spatschadigung ge geben ist. Die primiire Strahlenwirkung besteht in einem physikalischen Elementar. akt, der auch als physikalischer Primarvorgang bezeichnet wird. Es handelt sich um die Anregung oder Ionisation von Atomen und Molekiilen, welche von Elementarteilchen getroffen werden. Der fiir die Krebsbehandlung er forderliche Effekt tritt nur bei sehr kurzwelliger Strahlung mit einer WeI lenlange von 1 Angstrom (1 A) oder weniger ein. 1 Angstrom-Einheit (1 A) = 1 hundertmillionstel-Zentimeter = 1.10-8 em. 1 X -Einheit (XE) = 1/1000 Angstrom, sie findet bei sehr kleinen Wellenlangen Ver-