Schriften der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Nr. 14 (2004) Willi Jager Susanne Kr6mker . Eike Wolgast Herausgeber Der Heidelberger Karl-Theodor-Globus von 1751 bis 2000 Vergangenes mit gegenwiirtigen Methoden fur die Zukunft bewahren Mit 91, davon 26 farbigen Abbildungen ~ Springer Prof. Dr. Dres. h.c. Willi Jager Dr. Susanne Kromker Interdiszipliniires Zentrum flir Wissenschaftliches Rechnen der Universitat Heidelberg 1m Neuenheimer Feld 368, 69120 Heidelberg, Germany [email protected] [email protected] Prof. Dr. Eike Wolgast Historisches Seminar der Universitat Heidelberg Grabengasse 3-5, 69117 Heidelberg, Germany [email protected] ISBN-13: 978-3-540-21875-3 e-ISBN-13: 978-3-642-59303-1 DOl: 10.1007/978-3-642-59303-1 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Uber setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der VervielfaItigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenver arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf<iltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zuliissig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer. de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2004 Reprint of the original edition 2004 Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg Satz und Umbruch durch PublicationService Gisela Koch, Wiesenbach mit einem modifizierten Springer IbT]3X -Makropaket Gedruckt auf saurefreiem Papier 08/3150 hs 5 4 3 2 1 0 Inhaltsverzeichnis 1 Zur EinfUhrung: Interdisziplinaritat - und ein Erdglobus des 18. Jahrhunderts Eike Wolgast .................................................... 1 Literatur ........................................................ 3 2 Paris, Mannheim, Heidelberg: Der Weg zweier Globenpaare durch die Kurpfalz Jens Dannehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Herstellung und Vertrieb der Globen in Paris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Kurfiirst Karl Theodor von der Pfalz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.3 Die Belagerung Mannheims und der Ubergang an Baden ........... 10 2.4 Die Globen des Heidelberger Physikalischen Kabinetts . . . . . . . . . . . .. 14 2.5 Die Globen aus der Mannheimer Hofbibliothek ................... 17 2.5.1 Nachweis der Globen in der Universitatsbibliothek .......... 23 2.5.2 Auslagerung und Riickfiihrung ........................... 23 2.5.3 Wiederauffindung ...................................... 25 Literatur ........................................................ 28 3 Zur kunstgeschichtlichen Bedeutung des Gestells Carl Ludwig Fuchs ............................................... 31 3.1 Die Wappenkartusche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 32 3.2 Die Gestaltung als Tripod. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 34 Literatur ........................................................ 36 4 Die Restaurierung des Globus Jens Dannehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 37 4.1 Die Konstruktion eines Globus ................................. 38 4.2 Finanzierung und Sponsoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 43 4.3 Zustandsdokumentation und Restaurierungskonzeption . . . . . . . . . . . .. 44 4.3.1 Die Kugel ............................................. 44 4.3.2 Die Papiersegmente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49 4.3.3 Das Untergestell ....................................... 58 Literatur ........................................................ 66 VI Inhaltsverzeichnis 5 Map Projection versus Image Processing - the Role of Mathematics in the Restoration Process Susanne Kromker and Willi Jager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 69 5.1 Globes and Maps ............................................. 69 5.2 Historical Development. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 69 5.3 Projection Methods. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75 5.3.1 Cylindrical, Conical, and Azimuthal Projections. . . . . . . . . . . .. 76 5.3.2 Gnomonic, Stereographic, and Orthographic Projections. . . . .. 78 5.3.3 The Mercator Projection. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 78 5.4 Remarks on Differential Geometry. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 81 5.5 Photogrammetric Uptake. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 83 5.6 Image Processing and Filtering Techniques ................... '. . .. 85 5.6.1 Linear Isotropic Filters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 87 5.6.2 Nonlinear Anisotropic Filters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 88 5.7 Multigrid Algorithm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 5.8 Postprocessing............................................... 94 5.9 Virtual Globe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 96 Literatur ........................................................ 100 6 Historische Bedeutung Patrick Lehn ..................................................... 101 6.1 Ein Blick auf die Welt des 18. Jahrhunderts ....................... 101 6.2 Die Vorgeschichte - Traditionen und VorHiufer .................... 101 6.3 Der Erdglobus des Didier Robert de Vaugondy ................... 105 6.4 Die kartographische Abbildung der Welt ......................... 107 6.5 Die vermerkten Entdeckungsreisen .............................. 110 6.6 Karteninformationen - Historische und politische Aspekte .......... 115 6.7 Schlussbemerkung ........................................... 119 Literatur ........................................................ 120 A Faksimiles ..................................................... 121 A.! Segmente der Nordhalbkugel ................................... 123 ALl Nordliche Polkappe ..................................... 137 A.2 Segmente der Siidhalbkugel .................................... 141 A2.1 Siidliche Polkappe ...................................... 155 A3 Achtteiliger Horizontring ...................................... 159 Abbildungsnachweis ............................................. 169 Sachverzeichnis .................................................. 173 1 Zur EinfGhrung: Interdisziplinaritat - und ein Erdglobus des 18.Jahrhunderts Eike Wolgast Historisches Seminar der UniversitiH Heidelberg, Grabengasse 3-5, 69117 Heidelberg, Germany - [email protected] Der BegriffInterdisziplinarWit ist erst Anfang der sechziger Jahren des 20. Jahrhun derts in die deutsche Wissenschaftssprache bzw. Methodologie eingefuhrt worden; 1 schon zehn Jahre spater wurde festgestellt, dass "interdiszipliniire Zusammenarbeit in jedermanns Munde" sei. Damit verbunden, wurde auch gleich die "gesellschafts politische Relevanz interdiszipliniirer Zusammenarbeit" angemahnt.2 Hinter dem Postulat der Interdisziplinaritat stand und steht letztlich die Sehnsucht nach und die Vorstellung von der einen Wissenschaft sowie das Unbehagen an der progredierenden Aufgliederung der scientia universalis in sehr unterschiedliche Einzeldisziplinen seit Beginn der modernen Wissenschaftsentwicklung. Interdisziplinaritat solI, ideal ver standen, ein Stuck dieser verlorenen Einheit zUrUckgewinnen, die Utopie wenigstens partiell realisieren. In der wissenschaftlichen Praxis geht es bei der Forderung nach Interdisziplina ritat freilich sehr viel nuchterner darum - die Grenzen der Einzelwissenschaften durchlassig zu machen, - die hermetischen Zirkel aufzubrechen, - die Spezialisten zu ermutigen, auch vermeintlich fachfremde Erwagungen in ihre Fragehorizonte einzubeziehen, - das Spektrum der Herangehensweisen an ein Problem zu erweitern, - die Einzeldisziplinen in Kommunikation zueinander zu setzen. Dabei behiilt jede Einzelwissenschaft durchaus ihr Eigenrecht und ihre autochthone Bedeutung. Sie solI sich aber herausgefordert sehen, wieder etwas von der Einheit der Wissenschaft zu erfahren, sich im Bemuhen urn das Problem der "Wissenschaft als so1che"3 als Teil eines Ganzen zu verstehen. Wilhelm von Humboldt forderte in seinem bahnbrechenden Reformentwurf 1809/10, bei der "inneren Organisation der h6heren wissenschaftlichen Anstalten" das "Princip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten 1 HOLZHEY (1976), Sp. 476-478. 2 JOCHIMSEN (1974), S. 9. 3 HUMBOLDT (1903), S. 254. 2 Eike Wolgast und unablassig sie als solche zu suchen".4 Durch interdisziplinare Zusammenarbeit lasst sich diese Suche effektiver und facettenreicher gestalten - Erkenntnisgewinne ganz unterschiedlicher Provenienz biindeln sich. 1m allgemeinen wird Interdisziplinaritat auf die universale Dimension verzichten und sich auf die Zusammenarbeit ausgewahlter Einzelwissenschaften begrenzen. Fiir die Formen, in denen diese Zusammenarbeit geschehen kann, hat sich eine ganze Kasuistik von Begriffiichkeit entwickelt: Multidisziplinaritat als Untersuchung eines Problems durch mehrere Einzelwissenschaften, die unabhangig voneinander arbei ten; Intradisziplinaritat, wobei eine Wissenschaftsdisziplin Konzepte und Methoden anderer Disziplinen iibemimmt; echte Interdisziplinaritat als gemeinsame Untersu chung eines Problems durch mehrere Wissenschaftsdisziplinen.5 Bei der Arbeit am Heidelberger "Karl-Theodor-Globus" hat es sich gewisserma Ben urn eine Mischform von Multi-und Interdisziplinaritat gehandelt. Verschiedene Einzelwissenschaften haben sich mit demselben Untersuchungs-und Forschungsge genstand je von ihrer Fragestellung aus und mit ihren Methoden beschaftigt, haben aber gleichwohl in dieser Beschaftigung mit dem Objekt auch befruchtend aufein ander eingewirkt bis zu dem Punkt, dass die Fragestellung der einen Disziplin ohne das Antwortenangebot der anderen gar nicht einge10st werden konnte. Das gemeinsame Objekt ist ein Erdglobus aus der beriihmten Werkstatt von Di dier Robert de Vaugondy, den Karl Theodor von der Pfalz erworben hatte und der in hochst unvollkommenem Zustand 1995 in der Heidelberger Universitatsbibliothek wieder entdeckt wurde. Wozu brauchte ein Kurfiirst des Heiligen Romischen Reiches Deutscher Nation einen Globus? Karl Theodor, den sein beriihmterer Zeitgenosse Friedrich der GroBe das "Gliicksschwein" nannte, weil ihm alles zufiel, ohne dass er sich im Gegensatz zum PreuBenkonig urn etwas zu bemiihen brauchte - vom nachgeborenen Pfalzgrafen des Zwergterritoriums Neuburg-Sulzbach stieg er zum Kurfiirsten von der Pfalz und Herzog von Jiilich-Berg auf, urn schlieBlich auch noch Bayem zu erben -, stand auf der Hohe der Bildung seiner Zeit. Ein englischer Di plomat gab seinen Eindruck von ihm in dieser Weise wieder: "Wenige jetzt lebende Fiirsten, ausgenommen der Konig von PreuBen, haben ihren Geist fteiBiger und mit groBerem Erfolge ausgebildet. Seine Belesenheit ist auBerordentlich."6 Zur Reprasentation seines Ranges gehorte es fiir den spatbarocken Herrscher, sich als Mazen der Kiinste und als Forderer der Wissenschaften zu profilieren. Bibliothek, Naturalienkabinett, Gemaldegalerie und Miinzsammlung dienten - mindestens auch - als Statussymbol, ebenso eine modeme wissenschaftliche Gesellschaft, wie die 1763 in Mannheim gegriindete KurpfalzischeAkademie der Wissenschaften mit einer historischen und einer naturwissenschaftlichen Klasse (seit 1780 als dritte noch die meteorologische Klasse). Ein Erd-und ein Himmelsglobus - Karl Theodor verfiigte in seiner Bibliothek iiber je ein Exemplar - assoziierte Neugier, Informationslust und We1tlaufigkeit. Aber Karl Theodor besaB offenkundig auch ein genuines Interesse an 4 Ebd., S. 253. 5 Zusammenfassend METTE (1996), Sp. 557f. - In "Religion in Geschichte und Gegenwart", 4. Aufi., Bd. 4 (Tiibingen 2001) fehlt das Stichwort. 6 Zitiert nach DOEBERL (1928), S. 339 (ohne Beleg). I Zur Einfiiluung: Interdisziplinaritat - und ein Erdglobus des 18. lahrhunderts 3 Wissenschaften, vor allem an Physik und Astronomie. Die von ihm erworbenen Globen befanden sich daher nicht nur als Schaustiicke in seiner Privatbibliothek, sondem auch in der Mannheimer Stemwarte sowie im Heidelberger "Physikalischen Museum" der Universitat fur Lehrzwecke. Das vemachlassigte und ramponierte Heidelberger Exemplar des Erdglobus ist auf Initiative von Dr. Hermann Josef Dorpinghaus, damaligem Direktor der Uni versitatsbibliothek Heidelberg, mit Hilfe von Mazenen nahezu in seinen alten Zu stand zuriickversetzt worden. Wie die Beitrage des Bandes zeigen, waren an diesem Werk der Wiederherstellung und der Bewusstmachung der Bedeutung des Objekts sehr unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen beteiligt: Mathematik und wissen schaftliches Rechnen, Geschichte und Kunstgeschichte, Restaurierungskenntnis und -technik sowie das zur Materialisierung aller Berechnungen und Uberlegungyn er forderliche handwerkliche Geschick. Dass sich mit dem konkreten Projekt "Kall Theodor-Globus" weiterreichende, auch grundsatzliche Fragen verbinden lieBen, wird in allen Aufsatzen erkennbar. Ein Beitrag ist in englischer Sprache abgefasst, da sie heute im Gegensatz zur Karl-Theodor-Zeit die lingua franca der Naturwissen schaften ist. Wilhelm von Humboldt unterschied Universitat und Akademie nach dem Grad der Verbindlichkeit wissenschaftlicher Kommunikativitat: "Die Lehrer der Univer sitat stehen unter einander in bloss allgemeiner Verbindung iiber Punkte der ausseren und inneren Ordnung der Disciplin; allein iiber ihr eigentliches Geschaft theilen sie sich gegenseitig nur, insofem sie eigene Neigung dazu fiihret, mit; indem sonstjeder seinen eigenen Weg geht. Die Akademie dagegen ist eine Gesellschaft, wahrhaft dazu bestimmt, die Arbeit eines Jeden der Beurtheilung Aller zu unterwerfen."7 Diesem Verstiindnis entsprechend, sind die Schriften der Heidelberger Akademie der Wissen schaften der geeignete Ort fiir die Veroffentlichung der Studien zum Karl-Theodor Globus von 1751. Der Dank aller Beteiligten gebiihrt den beiden Klassen der Akade mie, dass sie der Aufnahme in die Schriftenreihe zugestimmt haben. Dem Zweck der Akademie als "die hochste und letzte Freistatte der Wissenschaft" 8 entsprache es, wenn sich die Zusammenarbeit von in der Akademie vertretenen wissenschaftlichen Disziplinen zukiinftig auch an anderen Themen bewiihrte. Literatur [DOEBERL (1928)] Doeberl, Michael: Entwicklungsgeschichte Bayems, Bd.2, 3. Auft. (Miinchen 1928). [HOLZHEY (1976)] Holzhey, Helmut: Interdisziplinar. In: Historisches W6rterbuch der Phi losophie, Bd. 4 (Basel 1976), Sp. 476-478. [HUMBOLDT (1903)] Humboldt, Wilhelm von: Uber die innere und aussere Organisation der h6heren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin (1810). In: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10 (Berlin 1903), S. 250-260. 7 HUMBOLDT (1903), S. 258. 8 Ebd. 4 Eike Wolgast [JOCHIMSEN (1974)] Jochimsen, Reimut: Zur gesellschaftspolitischen Re1evanz interdiszi pliniirer Zusammenarbeit. In: Helmut Ho1zhey (Hg.), Phi1osophie aktuell: interdiszipliniir (Basel/Stuttgart 1974), S. 9-35. [METTE (1996)] Mette, Norbert: Interdiszip1inaritat. In: Lexikon fiir Theo1ogie und Kirche, 3. Autl., Bd. 5 (Freiburg-Base1-Rom-Wien 1996), Sp. 557f.