Friedrich Bergdolt • Ahmed Zeki Velidi Togan ISLAMKUN DLICH E UNTERSUCHUNGEN BAND herausgegeben von Klaus Schwarz K L A US S C H W A RZ V E R L AG B E R L IN ISLAMKUNDLICH E UNTERSUCHUNGEN • BAND 59 Friedrich Bergdolt Der geistige Hintergrund des türkischen Historikers Ahmed Zeki Velidi Togan nach seinen Memoiren K KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN • 1981 S Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk oder einzelne Teile daraus nachzudrucken oder zu vervielfältigen. © Klaus Schwarz, Berlin 1981. ISBN 3-922968-00-7 Druck: T.QM.-Druck, Lützowstraße 102-104, 1000 Berlin 30, Telefon: 2624077 Vorwort Unter den Historikern der Türkischen Republik nimmt Ahmed Zeki Velidi Togan (1890-1970) allein auf Grund seiner basch- kirischen Herkunft eine Sonderstellung ein. In seinen Memoiren, den Hätiralar, hat er die ersten fünfunddreißig Jahre sei- nes Lebens aufgezeichnet. Das Werk enthält zu einem großen Teil Aufzeichnungen Uber die nationalen Befreiungskämpfe der Turkvölker Zentralasiens, die als ein Gegenstück zu den Unabhängigkeitsbewegungen in Nordafrika und Vorderasien an- gesehen werden können. Die Weltanschauung des Autors wurde durch diese Zeit der Auseinandersetzungen geprägt, an denen er selbst maßgeblich beteiligt war. Im bescheidenen Rahmen dieser Arbeit soll versucht werden, an Hand der umfangreichen Autobiographie den geistigen Werdegang des Politikers und Historikers Ahmed Zeki Velidi Togan darzustellen. Die Angaben, die Togans Memoiren zu entnehmen sind, werden durch eine Anzahl wertvoller Hinweise ergänzt, die ich ei- nem persönlichen Gespräch mit der Witwe Zeki Velidis, Frau Nazmiye Togan, entnehmen konnte. Dieses Gespräch fand am 13. August 1979 in der türkischen Hauptstadt statt. Grund- lage dafür war eine Liste mit siebzehn vorbereiteten, ins Türkische übersetzten Fragen, die Frau Nazmiye Togan im Ver- lauf des einstündigen Gesprächs beantwortete. Dieses Inter- view wurde auf ein Tonband aufgezeichnet und später zur Aus- wertung und weiteren Bearbeitung im türkischen Wortlaut und_in deutscher Ubersetzung schriftlich niedergelegt. Der Text der deutschen Ubersetzung ist dieser Arbeit als Anlage beigefügt. Frau Nazmiye Togan gebührt mein Dank für ihre liebenswürdige Bereitschaft zu diesem aufschlußreichen Gespräch. » An dieser Stelle möchte ich allen danken, die in irgendeiner Weise zum Entstehen dieser Arbeit beitrugen. Zu besonderem Dank bin ich Herrn Professor Hans R. Roemer verpflichtet, der die Bearbeitung des Themas anregte und sie mit Rat und Tat förderte. Frau Privatdozentin Dr. Erika Glassen und Herrn Privatdozent Dr. Bert Fragner danke ich für viel- fältige Hinweise, Anregungen und Gespräche. Daneben auch ein herzliches "sag ol!" meinem türkischen Kommilitonen Bayrain Can für die Hilfe hei der Bearbeitung des Interviews. Freiburg i. Br., im Mai 1980 Friedrich Bergdolt Inhalt A Die Memoiren Togans: Das autobiographische Werk eines türkischen Historikers des 20. Jahrhunderts 1 B Der geistige Hintergrund Togans I. Die Kontinuität in seiner geistigen Entwicklung 15 II. Seine Kindheit und Jugend in Baschkirien Das Milieu als prägende Kraft 18 1) Das Elternhaus 20 2) Die Welt von Ütek 25 3) Die Klasse der Molla 31 4) ländliches Leben und Volks- bräuche 39 III. Weitere Stationen der Ausbildung 1) Orenburg 46 2) Universität Kazan 50 IV. Vertiefung der ideologisch-kultu- rellen Weltanschauung 1) Das religiöse Weltbild (a) Der Islam 55 (b) Das Christentum 69 (c) ITaturreligionen 71 2) Das politische Weltbild 72 (a) Sozialismus und Kommunismus 77 (b) Panturkismus und Panislamis- HU5 87 C Zusammenfassung 107 D Anlagen I. Interview 110 II. Karte von Zentralasien 121 III. Literaturverzeichnis 122 IV. Indices 129 A Die Memoiren Togans: Das autobiographische Werk eines türkischen Historikers des 20. Jahrhunderts nie Togan bereits im Vorwort seiner Memoiren, der Hätiralar, bemerkt, bestand das Material, desaen er sich bei der Nie- derschrift seines Werkes bediente (bu hätiralara kaynak olan malzeme), aus unterlagen verschiedener Art. Dazu gehörten eine Reihe von Notizbüchern, Dokumente, die Korrespondenz mit seinen Eltern und Freunden in Rußland, sowie Zeitschrif- tenmaterial, das damals in Russisch-Turkestan erschienen war (Interview Frage 2). Anfang 1923, bevor Zeki Velidi mit sei- nem Freund und Mitkämpfer Fethülkadir Süleyman (jetzt Pro- fessor Abdülkadir Inan in Ankara) von Turkestan nach Afgha- nistan flüchtete, wurde ein beträchtlicher Teil dieses Ma- terials verschlüsselt und durch die Vermittlung der Gesandt- schaft Bucharas in Kabul und von Kaufleuten, die nach Muljam- madäbäd"'" fuhren, außer Landes gebracht. Im gleichen Jahr ge- langte eine Anzahl wichtiger Dokumente durch Togans Landsmann 2 Osman Tokumbet nach Finnland . Später wurde das Material er- gänzt und vervollständigt anhand verschiedener russischer Veröffentlichungen, die Zeki Velidi 1957 während seines Amerikaaufenthalts in den Sammlungen der Stanford-Universität in Palo Alto (California) und in Seattle vorfand. Daneben bediente er sich auch der umfangreichen russischen Zeitschrif- tensammlung der Hooverschen Kriegsbibliothek zu Palo Alto (Hoover Institution on War, Revolution and Peace), die von F.A. Kerensky angelegt worden war und der Mikrofilmsammlung von Zeitungen Turkestans, die er an der Berkeley-Universität vorfand (Interview Frage 5, H "Vorwort"). Zu den wichtigsten Arbeitsunterlagen gehörten die oben er- wähnten Notizbücher. Jedes Jahr legte Zeki Velidi ein sol- ches Heft an, dem Umfang nach eher eine Art Notizbuch, in 1) Der Ort liegt an der iranisch-russischen Grenze, nord- westlich von Mashad (s. Karte). 2) Ein Teil von Togans Unterlagen, der damals abhanden ge- kommen war, befindet sich heute an der Universität; Ir- lcut sk (H 235). - 2 - das er regelmäßig seine Eintragungen machte (Interview Frage 5). Diese Art, wichtige Ereignisse und Gedanken nie- derzuschreiben, hat er bis in die letzten Jahre seines Le- bens beibehalten. Den ersten Entwurf seiner Memoiren beendete Zeki Velidi bereits 1924, in der Zeit eines vierzehnmonatigen Aufent- halts in Berlin. Doch selbst als er im Frühjahr 1925 in die Türkei zurückkehrte und dort die folgenden sieben Jahre blieb, kam es noch nicht zur Publikation seiner Memoiren. Als Grund dafür gibt Zeki Velidi im Vorwort an, daß er damals einen "geeigneten Verleger" nicht finden konnte. Der wahre Grund war aber wohl, daß es in der Türkei kein Interesse an den Turkvölkern außerhalb des eigenen Landes gab. An dieser Hal- tung hat sich bis heute nicht viel geändert (interview Fra- ge 6, ebenso das Folgende). Natürlich wollte Zeki Velidi auch vermeiden, durch eine Publikation des Werkes die Namen einer großen Zahl in Rußland verbliebener Mitkämpfer preis- zugeben und zu gefährden. Hätten nämlich die Sowjets erfah- ren, daß bestimmte Persönlichkeiten mit Zeki Velidi in Ver- bindung gestanden hatten, wäre mit Verfolgungen zu rechnen gewesen. Später, etwa von 1925 an, stellte Zeki Velidi die Arbeit an seinen Erinnerungen weitgehend ein, führte seine Notizbücher aber nach wie vor laufend weiter, für jedes Jahr ein neues. Erst 1957 entschloß er sich auf das Drängen eines Amerika- ners hin, seine Memoiren abzuschließen (Interview Frage 6). Daraufhin nahm er die Arbeit wieder auf und beschäftigte sich damit sieben oder acht Jahre hindurch, mit besonderer Intensität aber nur im letzten Jahr dieses Zeitraums. Zu- vor hatte er nur insoweit daran arbeiten können, wie ihm seihe Lehrverpflichtungen an der Universität und die Teil- nahme an zahlreichen Fachkongressen Muße ließen. Ein festes Programm hatte er für seine Memoiren nicht aufgestellt, auch keine speziellen Pläne, nach denen er hätte vorgehen wollen.