2 Gliederung: 1. Die abstraktiv-resolutive Denkmethode...........................................................4 2. Die distinctio formalis........................................................................................12 3. Die univocatio entis............................................................................................21 4. Das Wesen der Freiheit und ihr Primat vor der Notwendigkeit.................27 5. Vernunftkritik und Primatumkehr. Das Allgemeine und das Individuelle33 6. Schluß: Scotus, Schöpfer origineller Synthesen..............................................41 Der Denkansatz des Johannes Duns Scotus von Dr. Axel Schmidt Juli 2006 3 4 Der große Philosophiehistoriker Etienne Gilson bemerkt in seinem Opus magnum welt. Die besondere Denkmethode des geistvollen Franziskanertheologen begreift über Johannes Duns Scotus, bei der wiederholten Lektüre sei es ihm immer un- gewisse inhaltliche Auffassungen in sich, die zum besonderen Ansatz des Duns möglicher erschienen, „ihm [Scotus] ein philosophisches oder auch theologisches Scotus und der auf ihn zurückgehenden neuen Denkrichtung gehören. Die Anhän- Lehrsystem zuzuschreiben, in das sich … alles nach einheitlichen Gesichtspunkten ger derselben wurden nämlich später „Formalisten“ (formalistae) genannt. „Forma- einordnen ließe; denn damit würde man Scotus nicht gerecht werden.“1 Obwohl es list“ ist Scotus insofern, als er stets auf der Suche ist nach letzten Formalgründen, außer Frage steht, daß der Denkansatz des großen Schotten Epoche gemacht hat – in die sich eine Sache begrifflich zergliedern läßt. Freilich gibt es andererseits kaum in ähnlicher Weise wie z.B. Immanuel Kant oder Edmund Husserl –, gibt es für ihn eine mißverständlichere Bezeichnung für das scotische Denken, haben doch offen- keine charakteristische Titulierung, aus der kurz und bündig hervorgeht, was es bar schon die frühesten Skotisten einen höchst einseitigen Gebrauch von der denn nun eigentlich ist, was dieses Denken ausmacht und über seine Zeit hinaus- zugrundeliegenden Lehre gemacht und sich deshalb immer wieder den Vorwurf hebt. zugezogen, die Wirklichkeit in eine Vielzahl isolierter Formalitäten zu zerlegen und Wenn die Suche nach einem System zwar aussichtslos erscheint, so doch nicht die dabei die ursprüngliche Einheit der Dinge aus dem Blick zu verlieren. Der Fehler, nach Grundstrukturen seines Denkens. Auf zwei Forschungsbeiträge in dieser der zu einem solchen „Formalismus“ oder „Essentialismus“ führt, ist immer wie- Richtung sei eingangs kurz hingewiesen. Walter Hoeres stellt in seinem bedeuten- der derselbe: man denkt sich das Wirkliche nach dem Maß des Begrifflichen. Doch den Buch „Der Wille als reine Vollkommenheit“ die besondere Betonung der geistigen so naiv ist Scotus nicht gewesen; vielmehr war er sich immer höchst bewußt, daß Anschauung heraus, die wir bei Scotus finden und die in mancher Hinsicht der die Wirklichkeit im begrifflichen Zugang nur gebrochen und unvollkommen er- kannt werden kann. phänomenologischen Wesensschau ähnelt.2 Alle Suche nach Erkenntnis gipfelt bei ihm in der ruhigen Betrachtung des Objekts in seiner leibhaften Gegenwart, in 1. Die abstraktiv-resolutive Denkmethode welcher der Verstand nicht mehr vergleichend hin und her gehen muß, sondern in Vorblick. Wir haben es mit einem ganzen Kranz von Einzellehren zu tun, die einer einfachen, ungeteilten Hinnahme des jeweils Gegebenen verweilt. Um z.B. zu jeweils einen eigenen Aspekt eines in sich geschlossenen, konsequenten Denkan- verstehen, was der Mensch ist, genügt es nicht, ihn mit etwas anderem zu verglei- satzes ausbilden. Die Denkform wird häufig als abstraktiv-resolutive Methode be- chen; die spezifische Eigenheit des Menschen gegenüber dem Tier wird vielmehr zeichnet (Abschnitt 1); deren Gelingen setzt den sog. noetisch-noematischen Paral- erst dann wirklich eingesehen, wenn das menschliche Wesen in sich selbst erfaßt lelismus voraus, und aus diesem folgen die Lehren von der distinctio formalis (Ab- ist, also vor allem seine Geistigkeit. Jeder Vergleich setzt bereits die Einsicht in die schnitt 2) und der univocatio entis (Abschnitt 3). Unabhängig vom formalen Ansatz, Besonderheit des Verglichenen voraus.3 Mit anderen Worten: Duns Scotus ist in all aber um so typischer für den existentiellen Denker Scotus ist seine radikale Frei- seinem Denken stets auf der Suche nach Gegebenheiten, bei denen das Denken heitslehre (Abschnitt 4), die ebenso wie seine Lehre von der Individualität mit einer betrachtend stehenbleiben kann, also bei letzten und irreduziblen Sachverhalten. tiefgründigen Vernunftkritik einhergeht (Abschnitt 5). Von einer anderen Seite konstatiert Ludger Honnefelder die „von Scotus neu ent- Duns Scotus ist mit Aristoteles einig, daß alle Erkenntnis mit den Sinnen anfängt5; wickelte formale Betrachtungsweise“4, d.h. die Verwendung der logischen Struktu- ein Wissen aufgrund einer irgendwie gearteten übersinnlichen Wahrnehmung gibt ren der Begriffswelt als Leitfaden für die ontologische Analyse der Gegenstands- es nicht.6 Freilich schränkt Scotus diese Gebundenheit an die Sinneswahrnehmung 1 Etienne GILSON: Johannes Duns Scotus. Einführung in die Grundgedanken seiner Lehre. Düssel- dorf: Schwann, 1959, 8. 5 Vgl. ARISTOTELES: De anima III c. 4; 429b30 - 430a20; Anal. post. I c. 18. Vgl. auch THOMAS 2 Walter HOERES: Der Wille als reine Vollkommenheit nach Duns Scotus, München: Anton Pustet, 1962, VON AQUIN: QD de ver. II,3,19. 17-24; vgl. DERS.: Platonismus und Gegebenheit bei Duns Scotus, in: De Doctrina Ioannis Duns Scoti, Bd. 1 6 Vgl. Met. I q. 4 n. 14 (OP III 99f): „Igitur nullo actu intellectus cognoscitur aliquid a nobis nisi (= Studia Scholastico-Scotistica, I), Rom 1968, 139-168, 141-155. praecesserit cognitio sensibilium in sensu.” – Ord. I d. 3 p. 1 q. 1-2 n. 35 (Vat. III 21): „Nullus 3 Vgl. Ord. Prol. p. 3. q. 3 n. 158 (Vat. I 105): „Sed perfectissima notitia de homine non potest esse conceptus realis causatur in intellectu viatoris naturaliter nisi ab his quae sunt naturaliter motiva in respectu ad aliud, quia respectus praesupponit notitiam absoluti“. intellectus nostri; sed illa sunt phantasma, vel obiectum relucens in phantasmate, et intellectus 4 Ludger HONNEFELDER: Johannes Duns Scotus. München: C.H. Beck, 2005, 43. agens...” – Ord. III d. 14 q. 3 n. 9 (Viv. XIV 529): „... pro statu isto intellectus noster nihil 5 6 auf den gegenwärtigen Zustand ein und will somit die menschliche Erkenntnisfä- Den Nachbarshund bald als bellendes, bald als schwanzwedelndes, dann wieder als higkeit nicht prinzipiell auf das Sinnenfällige begrenzen.7 Daß der Mensch sich vierbeiniges Tier und schließlich als Hund zu erfassen, heißt, ihn abstraktiv zu er- nicht mit der sinnlichen Erscheinung begnügt, sondern immer schon darüber hi- kennen. Abstraktion bedeutet also, von einer sinnenfälligen Sache einen begriffli- nausgeht, liegt auf der Hand, denn die Frage nach dem Wesen der Dinge ist für den chen Gehalt herausfiltern und die Sache so durch diesen Begriff bestimmen. Die Menschen charakteristisch. Die Sinne gewahren nur das Gegenwärtige und geben abstraktive Aufnahme von begrifflichen Gehalten ist für unseren Verstand etwas mithin keine Kenntnis über Andauerndes8, und sie gewähren lediglich Erkenntnis Ursprüngliches, im Vergleich zu dem alle weiteren Verstandesoperationen sekundär des Einzelnen, nicht jedoch vom Allgemeinen.9 Wenn der Mensch also nach dem sind, wie z.B. die Bildung des Urteils (»Dieses Tier hat vier Beine«) oder die Kom- Wesen fragt, das unabhängig von subjektiver Wahrnehmung bleibt und das mehre- bination mehrerer Gehalte zu komplexeren Vorstellungen11, das Ausdenken von ren Einzelnen gemeinsam ist, dann ist er den Dingen nicht nur mit seinen Sinnen, Geschichten und Theorien wie auch das Aufstellen logischer Schlußfolgerungen. sondern zugleich auch mit seiner geistigen Erkenntniskraft zugewandt. Reale und irreale Begriffe. Kennzeichnend für Scotus ist sein konsequenter Rea- Abstraktion als erste Tätigkeit des Intellekts. Diese geistige Kraft ermöglicht es lismus bezüglich der ursprünglichen Bildung von Begriffen. Nur ein Gehalt, der ihm, am einzelnen sinnlich Wahrgenommenen etwas Wesentliches und Allgemei- wirklich in der Sache grundgelegt ist, kann zu einem Begriff führen, der mehr ist als nes zu erfassen. Wie dieser geheimnisvolle Vorgang auch immer zugehen mag, eine bloße Fiktion; ein solcher Gehalt muß aber entdeckt und kann nicht spontan diese als „Abstraktion“ bezeichnete geistige Tätigkeit ist für den Menschen der erzeugt werden. Scotus macht dies am Beispiel derjenigen Begriffe deutlich, durch Anfang und die Quelle aller weiteren geistigen Erkenntnis, und sie wurde deshalb die eine Art definiert wird, d.h. durch Gattung und spezifische Differenz. Wenn ich von Aristoteles zu Recht als die erste Tätigkeit des Verstandes angesehen. Scotus, zu einem gegebenen Wesen, etwa einem Hund, den Gattungsbegriff (Raubtier) der ihm hierin gefolgt ist, sagt dazu: bilde, dann wird durch diesen entweder etwas erkannt, was wirklich zum Artwesen „Die Tätigkeit des Intellekts ist dreifach; die eine heißt (geistige) Erfassung der un- gehört, oder es wird nichts erkannt. Dasselbe Dilemma gilt für den Begriff der teilbaren Gehalte; ihr gemäß wird vom Intellekt gesagt, daß er einfache Begriffe bil- spezifischen Differenz (Hundeartigkeit). Wenn aber die fraglichen Begriffe nichts det.“10 Reales in der Sache meinten, dann wäre durch sie eine Definition der Sache nicht möglich.12 Einfache und zusammengesetzte Begriffe. Natürlich ist nicht jeder Begriff im cognoscit, nisi quod potest gignere phantasma, quia non immutatur immediate nisi a phantasmate vel a phantasiabili; ...“ - Ord. I d. 3 p. 3 q. 1 n. 392 (Vat. III 239): „...nihil besagten Sinne real. Manche Begriffe haben nur in der Märchenwelt eine Entspre- intelligimus in universali nisi cuius singulare phantasiamur...” chung, z.B. Hexen, Zauberer und Feen, andere beziehen sich zwar auf die Wirk- 7 Ord. I d. 3 p. 1 q. 3 n. 187 (Vat. III 113f): „…intellectus noster non intelligat pro statu isto nisi illa quorum species relucent in phantasmate, et hoc sive propter poenam peccati originalis, sive lichkeit, entstammen aber einer bloßen Konvention, wie z.B. die Maßeinheiten propter naturalem concordantiam potentiarum animae in operando... Et de facto ita est in nobis, quod quodcumque universale intelligimus, eius singulare actu phantasiamur. Ista tamen concordantia, quae est de facto pro statu isto, non est de natura intellectus unde intellectus est...“ – Vgl. weiter Ord. II d. 3 p. 2 q. 1 n. 288-290 (Vat. VII 535-537). – Vgl. hierzu Ludger men oder hält auseinander. Zu diesen beiden Tätigkeiten kommt eine dritte hinzu, nämlich das HONNEFELDER: Ens in quantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik diskursive Denken, z.B. wenn er vom Bekannten zum Unbekannten voranschreitet.) – Vgl. Met. nach der Lehre des Johannes Duns Scotus (BGPhMA NF Bd. 16), Münster 21989, 63-74. 78-82; I q. 4 n. 12 (OP III, 99). Vgl. ARISTOTELES: De anima III c. 5; 430 a 26-30; THOMAS VON AQUIN: Hoeres: Der Wille (s. Anm. 2), 184f. Periherm. prooem. (ein Text, der Scotus für sein Vorwort als Vorlage gedient hat, wie die 8 Vgl. Met I q. 4 n. 47. 99 (OP III 110f. 125). Herausgeber der philosophischen Werke annehmen; vgl. OP II, 35). 9 Vgl. Met. II q. 2-3 n. 74 (OP III 222): „… licet universale sit propria passio obiecti intellectus, 11 Vgl. Met. I q. 4 n. 14 (OP III 100): „Ille [scil intellectus] igitur sic, conceptis simplicibus, potest non tamen est obiectum, sicut nec visibile visus, .… in hoc excedit intellectus sensum.” virtute propria ipsa componere vel dividere.“ – Vgl. auch Met. V q. 11 n. 39. 41f (OP III 579f): 10 Quaest. in duos libros Periherm., prooemium (OP II, 135): „Sicut dicit Philosophus III De anima, Hier vergleicht Scotus die Fiktion eines goldenen Bergs mit der Auffassung eines einfachen triplex est operatio intellectus: una quae dicitur indivisibilium intelligentia secundum quam Gehalts, der kein „fictum ex speciebus multorum“ sein kann, sondern irgendwann durch eine dicitur intellectus formare conceptus simplices.“ Die Fortsetzung lautet: „… alia est operatio Erfahrung von etwas Wirklichem abstrahiert worden sein muß. Vgl. weiter Met. II q. 2-3 n. 80. intellectus, secundum quam componit, et dividit; et dicitur compositio, vel divisio; istis duabus 85. 109; q. 4-6 n. 140 (OP III 224f. 230f. 275). operationibus additur tertia, quae est discurrere ab uno in aliud, ut a noto ad ignota.” (Die andere 12 Met. VII q. 19 n. 24 (OP IV 364): „…quia concipiendo genus, aut concipitur aliquid rei in specie Tätigkeit des Intellekts wird Zusammenstellung bzw. Teilung genannt, denn da stellt er zusam- aut nihil; similiter de differentia. Si nihil: isti conceptus videntur fictitii, non reales”. 7 8 Meter und Sekunde. Was unterscheidet aber die realen von den konventionellen ist, das wird im Begriff in eine Pluralität von Bestimmungen (A, B, C …) zerlegt. und den irrealen Begriffen? Woran erkenne ich, ob ein Begriff mehr als nur eine Um zur wirklichen Sache zurückzukommen, muß diese zweifache Entfremdung Meinung über Wirkliches enthält? Die Antwort auf diese zentrale Frage ist in der von der Wirklichkeit also wieder aufgehoben werden, und das geschehe gerade im scotischen Lehre von der Analyse (resolutio) der Begriffe enthalten. Diese originelle Urteil, welches von einem gegebenen X aussagt, daß es die Eigenschaften A, B und Lehre basiert auf folgender Grundlage: Nicht alle Begriffe sind einfach, manche C wirklich besitzt (»X ist A, B, C«).17 Dieser Argumentation würde Scotus jedoch sind ganz offenkundig aus zwei oder mehr Begriffsteilen zusammengesetzt (vgl. entgegenhalten: Es ist zuzugeben, daß der Begriff unvermeidlich eine Abstraktion Kants Beispiel von der Schiffsuhr13), andere enthalten solche Teile virtuell in sich bedeutet und insofern niemals derart adäquat sein kann, daß er die gemeinte Sache und sind mithin in diese auflösbar. Das gilt z.B. für alle Begriffe natürlicher Arten. genau und in jeder Hinsicht trifft. Aber woher sollte das Urteil die Kraft haben, Diese werden durch die gewöhnliche Artbezeichnung, wie Scotus sagt, nur „kon- diese Unvollkommenheit der begrifflichen Erkenntnis wieder aufzuheben? Wenn fus“ erkannt; erst wenn alle Begriffsmomente bewußt wären, wäre die Sache auch bereits der Begriff die Sache verfehlt, dann kann das Urteil diese Verfehlung nicht in ihren unterschiedlichen Eigenschaften, d.h. distinkt begriffen.14 rückgängig machen. Wenn es also wahr wäre, daß der abstrakte Begriff schlechthin „Distinkt wird etwas nur erkannt, wenn alles, was zum Wesensgehalt der Sache ge- von der Wirklichkeit entfernt, dann könnte auch das Urteil nicht zu dieser zurück- hört, (im einzelnen deutlich) erfaßt ist.“15 führen. Doch die Voraussetzung ist schon falsch: Der Begriff entfernt nicht Eine solche vollkommene Erkenntnis (notitia perfecta) steht aber nicht am Anfang, schlechthin von der Wirklichkeit, vielmehr trifft er sie, freilich nur aspekthaft, unter sondern erst am Ende einer langen (wissenschaftlichen) Erforschung der Wirklich- einer ganz bestimmten Hinsicht. Doch dieser im Begriff erfaßte Aspekt muß ein keit.16 Die Auflösung der Begriffe in ihre Momente ist also keineswegs eine Frage solcher in der wirklichen Sache sein, er muß dort ein reales Fundament besitzen, der logischen Analyse, sondern das Forschungsprogramm empirischer Wissen- sonst wäre der Begriff leer. Nur die Begriffe, die kein solches Fundament haben, schaft. verfehlen die Sache schlechthin; ihre Unangemessenheit könnte allenfalls dadurch aufgehoben werden, daß sie von der Sache verneint werden: »Dieses Ding ist nicht Begriff und Urteil. Für Scotus wird das Wirkliche bereits im Begriff erkannt, nicht A, B, C.« Hat der Begriff aber ein fundamentum in re, dann ist das Urteil (»Dieses erst im Urteil. In diesem Punkt hat er eine nicht unbeträchtliche Tradition gegen Ding ist A, B, C«) keine tiefere oder treffendere Erkenntnis, sondern schlicht die sich, zu der auch Thomas von Aquin gehört. Nach dieser konkurrierenden Sicht- sprachliche Entfaltung dessen, was schon in der Abstraktion erkannt wurde. weise vervollkommnet sich die Erkenntnis erst im Urteil, weil wir uns erst im Urteil auf die Wirklichkeit beziehen, wohingegen uns die begriffliche Abstraktion von den Unverfälschte Erkenntnis im einfachen Begriff. Wodurch aber ist garantiert, begriffenen Dingen wegführt, und zwar auf zweifache Weise: Die Dinge sind näm- daß ein Begriff etwas Wirkliches zu erkennen gibt? Welchen Begriffen dürfen wir lich im Unterschied zu den allgemeinen Begriffen singulär, und was in ihnen eins sozusagen vertrauen? Nach dem Dargelegten können wir nun die Antwort geben: zunächst und ganz gewiß solchen Begriffen, die derart einfach sind, daß sie nicht in weitere Momente auflösbar sind. Dann nämlich ist es unmöglich, die angezielte 13 Immanuel KANT: Kritik der reinen Vernunft B 755-757. Sache nur teilweise zu erfassen, kann doch der je begriffene Gehalt nur entweder 14 Vgl. Lect. I d. 3 p. 1 q. 1-2 n. 69 (Vat. XVI 250; ed. HOFFMANN, Göttingen 2002, 42). 15 Ord. I d. 3 p. 1 q. 1-2 n. 80 (Vat. III 54): „… nihil concipitur distincte nisi quando concipiuntur ganz oder gar nicht aufgefaßt werden. Der ungeteilte und unteilbare Begriffsinhalt omnia quae sunt in ratione eius essentiali.” – Vgl. Ludger HONNEFELDER: Ens in quantum ens (s. ist dann das untrügliche Zeichen für einen unverfälschten geistigen Besitz des Ge- Anm. 7), 147. 16 Vgl. Ord. I d. 27 q. 1-3 n. 74f (Vat. VI 92): „… intellectus noster non statim habet notitiam perfectam obiecti, quia secundum Philosophum I Physicorum innata est nobis via procedendi a confuso ad distinctum; et ideo primo, ordine originis, imprimitur nobis notitia obiecti confusa, 17 Vgl. Thomas VON AQUIN: De Trin. q. 6 a. 2 in corp. (Leon. L 164): „Dicendum quod in qualibet prius quam distincta, et ideo est inquisitio necessaria ad hoc ut intellectus noster veniat ad cognitione duo est considerare, scilicet principium et terminum. Principium quidem ad distinctam notiam. apprehensionem pertinet, terminus autem ad iudicium; ibi enim cognitio perficitur.” – Vgl. Sic ergo intelligendum est quod cognito aliquo obiecto confuse, sequitur inquisitio – per viam weiter In Peri hermeneias I lect. 3 (Leon. I* 14-16); S.th. I q. 85 a. 1 ad 1. – Vgl. Axel SCHMIDT: divisionis – differentiarum convenientium illi; et inventis omnibuis illis differentiis, cognitio Natur und Geheimnis. Kritik des Naturalismus durch moderne Physik und scotische Metaphysik. Freiburg- definitiva illius obiecti est actualis notitia perfecta…“ München: Alber, 2003 (Symposion 119), 136. 9 10 gebenen. Da nämlich der endliche Verstand die schlechthin einfachen Denkinhalte nicht selbst zu erschaffen kann, sondern sie aus der Erfahrung entgegennehmen muß und da er etwas schlechthin Einfaches nur ganz oder gar nicht besitzen kann, geben die entsprechenden Begriffe eine unverfälschte Erkenntnis des gegebenen Sachgehalts.18 Wir haben es in diesem Fall also mit einer wesenhaften Korrelation von Erkenntnisakt und erfaßtem Gehalt zu tun; sie ist durch die schlicht hinneh- mende Einstellung des Subjekts einerseits und die Einfachheit des Objekts ande- rerseits verbürgt. Die resolutio der einfachen Begriffe. Was aber ist mit denjenigen Begriffsgehal- ten, die nicht derart einfach sind? Hier sind in erster Linie jene Begriffe zu behan- Baum des Porphyrios deln, die nach Scotus einfach, wenn auch nicht schlechthin einfach sind. Ihre Ein- nach Albert Menne fachheit äußert sich darin, daß sie in einem einzigen Erkenntnisakt aufgefaßt wer- Baum des Porphyrios den können, also keine diskursive Denktätigkeit zur Voraussetzung haben. Stan- nach Petrus Hispanus dardbeispiel ist der Artbegriff. Obwohl eine jede Art eine wesenhafte Einheit be- (auf dem Kopf und mit Differenzen) sitzt und genau deshalb in einem einfachen Erkenntnisakt erfaßt werden kann, enthält sie doch eine Anzahl von Teilbestimmungen, die begrifflich an ihr unter- Vorbild ist die sog. arbor Porphyriana20, die logische Ordnung von Begriffen ver- schieden werden müssen.19 Die Teilmomente stehen freilich nicht ungeordnet ne- schiedenen Umfangs, nach deren Methode bis heute viele Wissenschaften ihre beneinander, sondern lassen sich auf verschiedenen Stufen zu Paaren von je einem Gegenstände klassifizieren. Die Gattung bildet dabei auf jeder Stufe das bestimm- bestimmbaren Moment (Gattung) und einem bestimmenden (Differenz) einander bare oder potentielle, die Differenz das bestimmende oder aktuierende Moment.21 zuordnen. Genau deshalb können sie sich zur Einheit des Wesens zusammen- Weil die resolutio auf jeder Stufe neu durchgeführt werden kann und muß, haben wir schließen. Die resolutio der Artbegriffe sucht also nach realen Teilbestimmungen es mit einer Hierarchie von Vollkommenheiten zu tun; hierbei setzt die jeweils anhand des Gattung-Differenz-Schemas. höhere Vollkommenheit die geringere voraus, indem sie ein neues vervollkomm- nendes Differenzmerkmal hinzufügt. Übereinkunft in einer Differenzbestimmung setzt darum notwendig die Übereinkunft in der Gattung voraus (sonst wäre keine Veranschaulichung mittels eines Baumes möglich).22 Die derart hierarchisch geord- 18 Met. VI q. 3 n. 32 (OP IV 68): „Una quod primae [sc. veritati simplicis apprehensionis] falsitas non opponitur, sed ignorantia tantum. Et sic intelligitur illud, De anima, quod intellectus circa 20 Vgl. dazu Albert MENNE: Einführung in die Logik. Tübingen: Francke, 41986, 29; PETRUS ‘quod quid est’ semper est verus, sicut sensus circa proprium sensibile. Et hoc est intelligendum HISPANUS: Tractatus (Summule logicales) II n. 11, hrsg. von L. M. DE RIJK, Assen: Van Gorcum & praecise circa conceptum simpliciter simplicem.” – Ord. I d. 3 p. 1 q. 3 n. 147 (Vat. III 91f): Comp., 1972, 20. Die unterschiedlichen Skizzen lassen schon gewisse Vorentscheidungen erken- „Quod autem est simpliciter simplex, … circa ipsum non est deceptio: vel enim totaliter nen. Vgl. den Kommentar von Duns Scotus zur Isagoge des PORPHYRIUS: In librum Porphyrii Isagoge attingitur, vel non attingitur, et tunc omnino ignoratur“. – Scotus bezieht sich auf ARISTOTELES: (OP I 3-235) und hierzu wiederum Eberhardt WÖLFEL: Seinsstruktur und Trinitätsproblem. De anima III c. 6, 430b27-28; Met. X c. 10, 1051b13-15. 25-28. Untersuchungen zur Grundlegung der natürlichen Theologie bei Johannes Duns Scotus (BGPhMA Bd. XL), 19 Ord. I d. 3 p.1 q. 1-2 n. 71 (Vat. III 49): „... conceptus ‚simpliciter simplex‘ est qui non est Münster: Aschendorff, 1965, 155-159. resolubilis in plures conceptus, ut conceptus entis vel ultimae differentiae. Conceptum vero 21 Ord. I d. 3 p. 1 q. 3 n. 160 (Vat. III 99): „… semper illud a quo sumitur conceptus generis, simplicem sed ‚non-simpliciter simplicem‘ voco, quicumque potest concipi ab intellectu actu secundum se est potentiale ad illam realitatem a qua accipitur conceptus differentiae”. – Vgl. Ord. simplicis intelligentiae, licet possit resolvi in plures conceptus, seorsim conceptibiles.“ Vgl. I d. 8 p. 1 q. 3 n. 106f (Vat. IV 201f; s.u. Anm. 49-50). Theoremata p. 3 A n. 8-10 (OP II 610). – Vgl. hierzu HOERES: Der Wille (s. Anm. 2), 25f ; ders.: 22 De pr. pr. c. 4 n. 75 (ed. Kluxen 98): „...quae conveniunt in ratione formali, a qua accipitur Platonismus (s. Anm. 2), 148-151. Eine gute Übersicht bietet Ludger HONNEFELDER: Johannes differentia, conveniunt in genere ...” – Oder umgekehrt: „… quae differunt genere, differunt in Duns Scotus (s. Anm. 4), 56-59. quolibet posteriore…” (Super praed. Arist. q. 10 n. 9; OP I 335). 11 12 neten partiellen Bestimmungen finden erst in und mit der spezifischen Differenz „Jener rein bestimmbare Begriff ist der Begriff des Seienden, und der rein bestim- zur Einheit zusammen. Sie ist die letzte unter den bestimmenden Wesenseigen- mende Begriff ist der Begriff der letzten Differenz.“26 schaften.23 Beim Menschen wird diese durch die geistige Seele gegeben, denn dank Bevor wir die Konsequenzen dieser Begriffsresolution für die Frage nach Analogie ihrer ist der Mensch ein „animal rationale“.24 oder Univokation des Seins erörtern (Abschnitt 3), halten wir für den bisherigen Gedankengang vorerst fest: Die erste geistige Tätigkeit, die Abstraktion, führt zu Zwei Arten schlechthin einfacher Begriffe. Die resolutio kann nicht ins Unendli- einfachen Begriffen, deren Gehalt sich jedoch in einer weiteren Analyse in Teil- che fortgehen, d.h. die Hierarchie ist nach oben und unten begrenzt: nach oben momente auflösen läßt. durch die Subsumtion unter eine oberste Gattung, die Substanz, nach unten durch den Abschluß des essentiellen Gehalts in der differentia specifica. Haben wir aber mit 2. Die distinctio formalis den Begriffen der obersten Gattung und der untersten Differenz den Artbegriff Noetisch-noematischer Parallelismus. Scotus hat jeden Begriff einfach genannt, bereits in schlechthin einfache Momente aufgelöst, nämlich in ein rein bestimmba- der in einem einfachen Erkenntnisakt gewonnen werden kann.27 In dieser Definiti- res und ein rein bestimmendes Moment?25 Das ist offenbar nicht der Fall, denn der on steckt eine Voraussetzung, die man den noetisch-noematischen Parallelismus Begriff der spezifischen Differenz hat mit dem Gattungsbegriff noch etwas ge- genannt hat, d.h. eine viel später von Edmund Husserl ausgearbeitete Lehre, wo- meinsam, nämlich das Sein. Erst eine weitere und nun wirklich letzte resolutio trennt nach der Erkenntnisakt die Struktur seines Gegenstands widerspiegelt.28 D.h. wenn auch noch dieses gemeinsame Moment vom jeweils Eigentümlichen, indem nun der Gegenstand eine geschlossene Einheit besitzt, dann kann er auch mit einem (an der Gattung) das reine Bestimmtwerden und (an der Differenz) das reine Diffe- einzigen Erkenntnisblick erfaßt werden.29 Und umgekehrt: Wenn ein Gegenstand renzieren festgehalten werden, womit sich zwei schlechthin einfache Begriffe gege- durch verschiedene Akte einfachen Begreifens erfaßt und zergliedert werden kann, nüberstehen, das reine bestimmbare Sein einerseits und die letzte Differenz ande- dann müssen auch in ihm selbst entsprechende Aspekte oder Momente unterschie- rerseits: den werden können. Wenn also ein und derselbe Gegenstand z.B. als Lebewesen und als Hund, d.h. mittels des Gattungs- oder mittels des Artbegriffs erkannt wer- den kann, dann müssen diese Aspekte dem Gegenstand auch objektiv zugehören 23 Vgl. Met. VII q. 19 n. 21. (OP IV 363.): „In specie autem non sunt nisi duae primae partes und an ihm selbst unterschieden werden können.30 essentiales, scilicet actus ultimus quo species est id quod est, et proprium potentiale respectu Der Parallelismus besagt, daß man an der Struktur des Erkenntnisaktes selbst die illius actus ultimi – quotcumque ordinata includat illud potentiale, sive ordinata realiter naturaliter sive aliter, de quo dicetur in quarto articulo. Differentia ultima, quae est innere Struktur des erkannten Objekts ablesen kann. So gilt: Wo es unmöglich ist, specifica, a qua est unitas rei et definitionis, includit praecise de suo per se intellectu actum ultimum in re, qui est causa unitatis completa; et genus proximum praecise per se includit proprium potentiale respectu illius actus. ...” 26 Vgl. Ord. I d. 3. p. 1 q. 3 n. 133 (Vat. III 82f; Fortsetzung des Zitats von Anm. 25): „Ille 24 Ord. I d. 3 p. 1 q. 3 n. 159 (Vat. III 97): „… aliqua [differentia] potest sumi a parte essentiali conceptus ‚tantum determinabilis’ est conceptus entis, et ‚determinans tantum’ est conceptus ultima, quae est res alia et natura alia ab illo a quo sumitur conceptus generis, sicut si ponatur ultimae differentiae. Ergo isti erunt primo diversi, ita quod unum nihil includet alterius.” Vgl. pluralitas formarum, et genus dicatur sumi a parte essentiali priori et differentia specifica a forma auch Ord. I d. 3 p. 1 q. 3 n. 159-161 (Vat. III 97-100). ultima.” 27 S.o. Anm. 19. 25 Vgl. Ord. I d. 3. p. 1 q. 3 n. 133 (Vat. III 82): ... sicut ens compositum componitur ex actu et 28 Vgl. Hoeres: Der Wille (s. Anm. 2), 18ff; Axel SCHMIDT: Staunen und Verstehen. Die Problematik potentia in re, ita conceptus compositus per se unus componitur ex conceptu potentiali et intentionaler Repräsentation. Von Scotus über Husserl zu Levinas. In: ThGl 89 (1999) 514-537. actuali, sive ex conceptu determinabili et determinante. Sicut ergo resolutio entium 29 Met. VII q. 19 n. 26 (OP IV 364): „… una res nata est formare conceptum unum sibi compositorum stat ultimo ad simpliciter simplicia, scilicet ad actum adaequatum, quia alias non esset cognoscibile unum, quia nec unico actu cognoscibile.“ ultimum et ad potentiam ultimam, quae sunt primo diversa, ita quod nihil unius 30 Ebd. n. 28 (OP IV 365): „Nam species, formando duos conceptus generis et differentiae, non includit aliquid alterius ... ita oportet in conceptibus omnem conceptum non-simpliciter tantum causat duos actus in intellectu distinctos numero, sed causat duas notitias actuales vel simplicem, et tamen per se unum, resolvi in conceptum determinabilem et determinantem, ita habituales, habentes obiecta propria distincta, et hoc ita distincta sicut si illa duo obiecta essent quod resolutio stet ad conceptus simpliciter simplices, videlicet ad duae res extra.“ Vgl. auch Ord. I d. 2 p.2 q. 1-4 n. 392 (Vat. II 351): „… alia distinctio, maior, est conceptum determinabilem tantum, ita quod nihil determinans includat, et ad in intellectu, concipiendo duobus actibus duo obiecta formalia, et hoc sive illis correpondeant conceptum determinantem tantum, qui non includat aliquem conceptum diversae res, ut intelligendo hominem et asinum, sive una res extra, ut intelligendo colorem et determinabilem.” disgregativum.“ 13 14 ein Gegebenes mit einem einzigen Erkenntnisakt zu erfassen, da ist das Gegebene Identisches in seinem formalen, washeitlichen Gehalt per se und im streng analyti- nichts in sich Einiges.31 Wenn sich aber die subjektive Erkenntnis eines Gegens- schen Sinn einschließt.“33 tands sowohl in einem einzigen Akt als auch durch eine Abfolge zweier Akte voll- Für unser Thema sind die drei ersten der genannten sechs Einheitsstufen nicht ziehen kann, dann muß das Objekt eine entsprechende innere Gliederung aufwei- weiter von Interesse, sondern lediglich die zuletzt genannten höheren Einheitsstu- sen, eine Einheit von mehreren Momenten bilden. Scotus erläutert dies am Beispiel fen. Ein Beispiel für die Einheit der 4. Stufe ist die Leib-Seele-Einheit des Men- der Erkenntnis einer Art und ihrer Teilbestimmungen. Diese sind im Artbegriff, schen, eines für die 5. Stufe die einfache Ganzheit der Geistseele selbst. Leib und wie er sagt, „virtuell“ enthalten. Sie sind nicht das primär Eingesehene (primum Seele bilden beim Menschen ein einziges Suppositum, indem die Seele den Leib intellectum), weil sie kein geschlossenes Ganzes bilden. Nur ein Ganzes läßt den durchformt, aber gleichwohl real von diesem verschieden ist.34 Was auf der je nie- Intellekt zur Ruhe kommen (terminans intellectionem). Was nur als Teil eines Ganzen deren Stufe eins ist, das ist, von der nächst höheren Stufe gesehen, durchaus nicht- begriffen wird, das weist zurück auf einen Erkenntnisakt, der dieses Ganze in ei- eins: Leib und Seele bilden auf Stufe 4 eine innige Einheit, je für sich sind je jedoch nem Blick erfaßt. So ist es gerade mit den Begriffen von Gattung und Differenz im (Stufe 5) zwei voneinander durchaus verschiedene Einheiten. Anders gesagt: Die Verhältnis zum Artbegriff. Allein letzterer erfüllt die der Erkenntnisintention ge- Seele ist in sich mehr eins als die Leib-Seele-Einheit des Menschen. Die bei aller mäße Ganzheit und Abgeschlossenheit. Dem entspricht die Struktur des Objekts, Einheit bestehende Differenz ist eine reale, denn die Seele kann gegebenenfalls dessen Artwesenheit unbeschadet ihrer ganzheitlichen Einheit sich in eine Mehr- vom Leib getrennt werden. Eine derartige reale Verschiedenheit ist indessen mit zahl von Vollkommenheitsaspekten gliedert.32 dem wahrhaft Einfachen von Stufe 5 nicht mehr zu vereinen, denn die Seele hat keine trennbaren Teile. Und doch lassen sich auch an ihr verschiedene Sachgehalte Stufen der Einheit. Offenbar gibt es also Einheit in verschiedenem Maße, neben unterscheiden, z.B. die Vermögen der Selbstbewegung, der Sinneswahrnehmung der Arteinheit sind sowohl höhere als auch geringere Grade von Einheit zu konsta- sowie der geistigen Erkenntnis und des freien Willens.35 Diese Vermögen sind frei- tieren: lich nur Vollkommenheitsaspekte eines Ganzen, die sich zwar begrifflich differen- „Wir können viele Grade der Einheit feststellen: 1. die geringste ist die Einheit des zieren, aber nicht mehr real trennen lassen. Die Einheit und Identität, die sie in (bloß) Zusammengehäuften; 2. die Einheit der Ordnung, die etwas über die Zu- sich besitzen, ist die höchst denkbare, eben die formale Identität der 6. Stufe. sammenhäufung hinaus hinzufügt; 3. die akzidentelle Einheit, wo zwei nicht nur einander zugeordnet, sondern dadurch eins sind, daß eines das andere informiert, Solange etwas noch in Teilmomente analysierbar ist, mag es zwar unteilbares Gan- wenn auch nur akzidentell; 4. die substantielle Einheit des Zusammengesetzten aus zes im Sinne der 5. Stufe der Einheit sein, aber kein formal Identisches, sind doch wesentlichen Prinzipien, und zwar eines aktuellen und eines potentiellen; 5. die Ein- die Teilmomente untereinander formal different. Wenn es keine Möglichkeit mehr heit der Einfachheit, welche wahrhaft Identität besagt (was auch immer dort ist, ist gibt, ein Einfaches in verschiedene Wesensmomente zu zerlegen, dann liegt forma- mit einem jeden (dort) real identisch, und das so Eine ist nicht nur aufgrund einer le Identität vor. Genau diese Identität ist dem eindeutigen (univoken) Begriff eigen: Einheit der Vereinigung eines, wie in den zuvor genannten Weisen); darüber hinaus gilt (6.): nicht jede Identität ist eine formale. Ich nenne nämlich dasjenige eine for- 33 Ord. I d. 2 p. 2 q. 1-4 n. 403 (Vat. II 356f): „Vel, ut propriissime, dicatur: sicut possumus invenire male Identität, wo jenes, was derart identisch genannt wird, ein anderes mit ihm so in unitate multos gradus – primo, minima est aggregationis; in secundo gradu est unitas ordinis, quae aliquid addit supra aggregationem; in tertio est unitas per accidens, ubi ultra ordinem est informatio, licet accidentalis, unius ab altero eorum quae sunt sic unum; in quarto est per se unitas compositi ex principiis essentialibus per se actu et per se potentia; in quinto est unitas simplicitatis, quae est vere identitas (quidquid enim est ibi, est realiter idem cuilibet, et non 31 Lect. I d. 8 p. 1 q. 3 n. 77 (Vat. XVII 26): „… plura ut plura non possunt terminare unum actum tantum est unum illi unitate unionis, sicut in aliis modis) – ita, adhuc ultra, non omnis identitas intelligendi.“ – Ebd. n. 78: „Quaecumque duo ut duo terminant actum intelligendi, terminant est formalis. Voco autem identitatem formalem, ubi illud, quod dicitur sic idem, includit cui sic duos actus.“ est idem, in ratione sua formali quiditativa et per se primo modo.” 32 Ord. I d. 3 q. 1-2 n. 93 (Vat. III 60): „’Virtualem’ [notitiam] voco quando aliquid intelligitur in 34 Vgl. Met VII q. 19 n. 44 (OP IV 370): „Sed realis differentia ponitur habere gradus. Est enim aliquo ut pars intellecti primi, non autem ut primum intellectum, sicut cum intelligitur ‘homo’, maxima naturarum et suppositorum; media naturarum in uno supposito; minima diversarum intelligitur ‘animal’ in homine ut pars intellecti, non autem ut primum intellectum sive ut totale, perfectionum sive rationum perfectionalium unitive contentarum in una natura.” terminans intellectionem.“ 35 Vgl. Met. VII q. 19 n. 49 (OP IV 371). 15 16 „Ich nenne einen Begriff univok, der derart eins ist, daß seine Einheit zum Wider- erscheint die radikale Trennung von Begriff und Wirklichkeit im sog. Nominalis- spruch hinreicht, wenn er von demselben bejaht und verneint wird; er ist auch hin- mus plausibel. Dieser geht davon aus, daß das Begriffliche nichts mit dem Wirkli- reichend als Mittelbegriff im Syllogismus, so daß es ohne äquivokationsbedingten chen zu tun hat und daß es zwischen beiden nichts Vermittelndes gibt. Hieraus Fehlschluß möglich ist, auf die [wahre] Verbindung der Außenglieder, die über den schließt er konsequent, daß unsere Begriffe die wirklichen Dinge (bzw. deren ver- derart identischen Mittelbegriff geeint sind, zu schließen.“36 meintliches Wesen) nicht zu erkennen geben, sondern sie lediglich zu Klassen zu- Begriff und Wirklichkeit. Stringentes logisches Denken erfordert Begriffe, deren sammenstellen, was eine Frage der beliebigen Konvention sei. Bedeutung derart festgelegt ist, daß ihnen keinerlei Mehrdeutigkeit anhaftet. Wir Ähnlichkeit als partielle Identität. Ein Denker wie Duns Scotus kann sich indes- wollen freilich nicht mit logischen Formen spielen, sondern die Wirklichkeit begrei- sen mit einer solchen Radikallösung nicht anfreunden, weil ihm sogleich die Frage fen. Warum können wir auf diese die Regeln der Logik anwenden? Die Frage be- kommt, woran wir denn am Einzelding erkennen, daß es unter diesen oder jenen trifft die Bedingung der Möglichkeit von univoken Begriffen, genauer gesagt, die Begriff fällt (in diese oder jene Klasse gehört). Wird darauf geantwortet, das sei Möglichkeit, mit univoken Begriffen auf die Dinge der Wirklichkeit Bezug zu neh- doch klar, weil die Dinge einander unterschiedlich ähnlich sind, so daß jeder sehen men. Offenbar gehört es zu den erfragten Bedingungen, daß die formalen Begriffs- könne, ob etwas ein Hund oder eine Katze ist, dann fragt Scotus zurück: Und wor- gehalte ein Fundament in der Sache (fundamentum in re) besitzen. Daraus folgt, daß in sind die einen ähnlich, die anderen aber nicht? Die erfragte Hinsicht der Ähn- den in der Begriffsresolution aufgefundenen Teilbestimmungen (den Gattungs- lichkeit zielt auf ein Gemeinsames und Gleiches, während die Unähnlichkeit von und Differenzbegriffen) etwas Reales in den Dingen entspricht und somit auch die etwas Differentem und Ungleichem stammt. Zwei Dinge sind ähnlich, wenn sie formale Differenz der Begriffsgehalte eine solche a parte rei ist (oder jedenfalls sein etwas gemeinsam haben, und sind in dem Maße ähnlich, in dem sie mehr oder kann). Denn nur dasjenige, was die soeben definierte formale Identität besitzt, weniger gemeinsam haben. Zwei Arten sind aufgrund ihrer gemeinsamen Gattung taugt als univoker Begriff. Jede schwächere Einheit führt dagegen eine gewisse ähnlich, sie sind jedoch verschieden durch ihre jeweilige spezifische Differenz. Die Vagheit in der Bedeutung mit sich, eine nur unscharfe Abgrenzung, so daß Raum Ähnlichkeit zweier Gattungen ist im Vergleich dazu geringer, weil sie nur noch in für den Zweifel bleibt, ob ein bestimmtes Begriffsmoment nun vorliegt oder nicht. einer höheren Gattung übereinkommen und entsprechend weniger gemeinsam Während aber die der Logik angemessene Eindeutigkeit auf der Begriffsebene im- haben. Müßte man alle Gemeinsamkeit für etwas bloß Fiktives halten, dann gäbe es mer leicht herstellbar ist, scheint sie dem Bereich des Wirklichen fremd zu sein, wo in der Wirklichkeit nur noch reine Andersheit und schlechthinnige Differenz. Alle vielmehr nachgerade alles fließend und uneindeutig ist. Kein Ding ist einem Dinge wären in gleicher Weise verschieden, das Phänomen der gestuften Ähnlich- anderen völlig gleich, und alles scheint im fortwährenden Flusse zu sein, so daß es keit bliebe unerklärt.37 eher willkürlich anmutet, die Dinge begrifflich zu fixieren, auf eindeutige Katego- Wir haben hier ein charakteristisches Beispiel für die Denkweise des Doctor subti- rien festzulegen bzw. sie nach einer unbeweglichen Idee zu benennen. Von daher lis und zugleich für die Unvermeidlichkeit der distinctio formalis38, sofern man sich auf dieses Denken einläßt und sich nicht damit begnügt, Ähnlichkeit als ein irredu- zibles Urphänomen anzusehen. Die distinctio formalis kommt ins Spiel, besser gesagt, 36 Ord. I d. 3 p. 1 q. 1-2 n. 26 (Vat. III 18): „...univocum conceptum dico, qui ita est unus quod eius unitas sufficit ad contradictionem, affirmando et negando ipsum de eodem; sufficit etiam pro sie ist schon im Spiel, insofern der Blick auf die Gemeinsamkeit als Fundament der medio syllogistico, ut extrema unita in medio sic uno sine fallacia aequivocationis concludantur inter se uniri.” – Dieser Definition liegt die traditionelle Syllogistik zugrunde, der gemäß im Schlußsatz zwei Begriffe (die extrema) logisch verbunden werden können, die jeweils im Ober- und im Untersatz mit dem Mittelbegriff verbunden sind. Beispiel: „Jedes Lebewesen ist eine 37 Ord. II d. 3 q. 1 n. 23 (Vat. VII 400f): „Si omnis unitas realis est numeralis, ergo omnis diversitas Substanz. – Jeder Mensch ist ein Lebewesen. – Also ist jeder Mensch eine Substanz.“ – realis est numeralis. Sed consequens est falsum, quia omnis diversitas numeralis inquantum Notwendige Bedingung ist die Identität des Mittelbegriffs. Der Schluß ist ungültig, wenn der numeralis, est aequalis, – et ita omnia essent aeque distincta; et tunc sequitur quod non plus Mittelbegriff äquivok ist, so daß wir es dann mit vier statt mit nur drei Begriffen zu tun haben posset intellectus a Socrate et Platone abstrahere aliquid commune, quam a Socrate et linea, et (quaternio terminorum); Beispiel: „Nur Männer dienen in der Armee. – Kein Mann ist ein Feigling. esset quodlibet universale purum figmentum intellectus.“ – Also gibt es in der Armee keinen Feigling“. Hier ist das Wort „Mann“ äquivok, weil es im 38 Vgl. Axel SCHMIDT: Die Unvermeidlichkeit der distinctio formalis. Naturphilosophische Reflexionen zu einem Obersatz deskriptiv, im Untersatz aber präskriptiv verwendet wird. zentralen Lehrstück des Johannes Duns Scotus. In: Wissenschaft und Weisheit 67 (2004) 96-118. 17 18 Ähnlichkeit ein Erfordernis des Begrifflichen, nämlich die formale Identität, auf die bereits bei beiden Dingen eine Eigenschaft entdeckt haben, die sich beim Vergleich Sache überträgt bzw. dort aufzufinden trachtet. Denn die erfragte Hinsicht der als übereinstimmend herausstellt. Ähnlichkeit meint ja ein Gleiches und Identisches, und zwar nicht allein im univo- „Obwohl Ähnlichkeit, ontologisch betrachtet, eine Beziehung ist, sagt man von ihr ken Begriff, sondern vor allem auch in oder an der Sache. Scotus drückt diese Ein- nicht, daß sie schlechthin in der Beziehung besteht, sondern in etwas Absolutem, in sicht durch das Postulat aus, daß die Dinge zwei Identitäts- oder Einheitsstufen dem der Begriffsgehalt der Ähnlichkeit grundgelegt ist.“41 besitzen, eine, kraft welcher sie sich von allen anderen Dingen unterscheiden – die Zerspaltung der Wirklichkeit? Gegen die scotische Analyse konkreter Dinge Einheit der individuellen oder numerischen Identität –, sowie eine weitere, kraft nach Maßgabe univoker Begriffe wird oft eingewandt, daß dabei ein Pluralismus welcher sie mit anderen Dingen verbunden, d.h. artgleich sind: die Einheit der disparater Formen an die Stelle der Einheit und Einfachheit der Dinge tritt. Nähme spezifischen Identität. Letztere Einheit ist „geringer“ als die der individuellen Iden- man nämlich mit AVICEBRON an, daß die (Denk)Formen der hierarchisch geglie- tität, weil sie nach außen weniger stark abgrenzend ist; gegenüber der individuellen derten Gattungen im Individuum real vorhanden wären (z.B. beim Menschen Le- Verschiedenheit ist sie indifferent. Sie ist die Einheit der gemeinsamen Natur bewesen, Sinneswesen und Geistwesen), dann würde diese Vielheit die substantielle (natura communis), welche das fundamentum in re der spezifischen und generischen Einheit des Individuums zerstören; denn wodurch sollte das Viele geeint sein? Als Begriffe bildet.39 Einheitsgrund käme nun ja nicht mehr die einzige und darum einheitsstiftende Fundierung des Relativen im Absoluten. Die Rückführung der Ähnlichkeit auf Form in Frage, es bliebe also nur das Subjekt, das die vielen Formen (zufälligerwei- ein univokes Fundament, das im angesprochenen Beispiel eine partielle Identität se) trägt. Doch genügt eine solche Einheit nicht, denn sie geht nicht über die ak- begründet, kann auch durch folgende Überlegung gezeigt werden, die wiederum zidentelle Einung von Eigenschaften in einem Subjekt hinaus.42 Um dieser dem Denkstil des Scotus zutiefst entspricht: Ähnlichkeit ist eine Relation zwischen Konsequenz zu entgehen, scheint es also unabdingbar zu sein, einer einzigen Form zwei Gliedern. Nun setzt aber die Erkenntnis einer Relation immer diejenige der die Rolle der Einheitsstiftung zuzuweisen und alle anderen Sachgehalte als bloße absoluten Glieder voraus, denn die Absoluta sind ontologisch früher als die durch Denkformen anzusehen, d.h. als vom Intellekt erzeugte, aber nicht a parte rei vorlie- sie konstituierte Beziehung.40 So ist auch die vergleichende Denktätigkeit immer gende Realitäten. Wenn also der Mensch als animal rationale definiert sei, dann dürfe schon sekundär gegenüber der einfachen Erfassung eines Gegenstands, und somit man daraus nicht schließen, daß im Menschen animalitas und rationalitas als a parte rei auch der denkerische Nachvollzug der Ähnlichkeit von zwei Dingen ein Akt, der unterschiedene Formen vorliegen.43 die Einsicht in das jeweilige Sosein der Gegenstände notwendigerweise voraussetzt. Dieses Argument beweist indessen gar nichts gegen die distinctio formalis, sondern Um also zwischen zwei Dingen Ähnlichkeit konstatieren zu können, müssen wir nur gegen ein verdinglichendes Mißverständnis derselben. Scotus meint nicht, daß der Mensch zwei Seelen besitze, eine sinnliche und eine geistige, oder daß er ein Sinneswesen sei, dem zufälligerweise noch die Rationalität hinzugefügt sei. Was er 39 Ord. II d. 3 p. 1 q. 1 n. 30 (Vat. VII 402): „...Aliqua est unitas in re realis absque omni vielmehr meint, ist, daß es sinnvoll und angemessen ist, zu sagen, der Mensch be- operatione intellectus, minor unitate numerali sive unitate propria singularis, quae sitze einige Vollkommenheiten, die er mit dem Tier gemeinsam hat, und andere, die ‚unitas’ est naturae secundum se, – et secundum istam ‚unitatem propriam’ naturae ut natura est, natura est indifferens ad unitatem singularitatis...“ – Vgl. Ludger HONNEFELDER: „Natura ihm allein eigen sind, und daß diese Vollkommenheiten tatsächlich in einer Stufen- communis”. In: HWP VI (1984) 494-504. Vgl. auch in diesem Buch meinen Kommentar zur scotischen Individuationslehre. 40 Vgl. Lect. I d. 8 p. 1 q. 3 n. 64. 65 (Vat. XVII 21f): „Impossibile est concipere relationem nisi 41 Ord. I d. 3 p. 2 q. un. n. 295 (Vat. III 179): „… quemadmodum similitudo realiter est respectus, prius natura concipitur eius terminus. … impossibile est cognoscere relationem nisi prius sit tamen sicut non dicitur similitudo esse in respectu praecise sed in aliquo absoluto, in quo cognitum suum fundamentum: omne enim prius cognoscitur secundum quod est aliquid fundetur ratio similitudinis…“ absolutum quam respectivum, unde prius concipitur necessario aliquid sub ratione absoluti quam 42 Vgl. THOMAS VON AQUIN: De subst. sep. c. 6 sowie S.th. I q. 76 a. 1. 3. 4 und dazu Schmidt: Natur sub ratione partis.“ – Vgl. zu dieser grundlegenden Einsicht Tobias HOFFMANN: Creatura und Geheimnis (s. Anm. 17), 149ff. intellecta. Die Ideen und Possibilien bei Duns Scotus mit Ausblick auf Franz von Mayronis, Poncius und 43 Vgl. THOMAS VON AQUIN: S.th. I q. 50 a. 2: „Non est autem necessarium quod ea quae Mastrius. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Neue Folge 60). Münster: distinguuntur secundum intellectum, sint distincta in rebus: quia intellectus non apprehendit res Aschendorff, 2002, 85-89. secundum modum rerum, sed secundum modum suum.“ – Vgl. ebd. I q. 76 a. 3 ad 4. 19 20 ordnung verwirklicht sind, die dem Gattung-Art-Schema entspricht, und daß ren.46 Auch wenn sie ein inhaltlich neues Moment hinzufügt, ist sie doch untrenn- schließlich diese Vollkommenheiten durch univoke Begriffe ausgedrückt werden bar eins mit dem, was sie qualifizierend bestimmt. Scotus nennt diesen Einschluß können, weil das mit ihnen Gemeinte identisch bleibt, ganz gleich ob es in dieser „unitive Kontinenz“47: Die spezifische Differenz enthält alle Formbestimmungen oder jener Art verwirklicht ist. Dieser letzte Punkt vermag zu erklären, warum es der oberen Gattungen in sich, schließt sie zusammen, nimmt ihnen dabei aber verschieden abstrakte Wissenschaften gibt, z.B. Physik, Biologie und Anthropolo- nichts von deren je eigener Vollkommenheit und Wirkmöglichkeit.48 gie, die ein und dieselben Dinge unter verschiedenem Gesichtspunkt untersuchen, Höchste Einheit. Aufgrund ihrer Untrennbarkeit nennt Scotus die als genus und ohne daß sie miteinander in Konflikt geraten. Dies ist nämlich nur möglich, weil differentia specifica unterschiedenen Gehalte nicht res wie die Akzidentien, sondern z.B. die Körpereigenschaften gegenüber dem Unterschied von Belebtsein und Un- realitates oder perfectiones reales.49 Wenn zwei Formalgehalte sich wie Akt und Potenz belebtsein indifferent sind, unabhängig davon, ob der jeweilige Körper belebt oder zueinander verhalten, dann führt ihre Zusammensetzung zu einer höchst mögli- unbelebt ist. Ebenso sind auch die biologischen Wesensmerkmale gegenüber dem chen Einheit, die nur noch durch die Einheit des Unendlichen überboten werden Unterschied von Mensch und Tier indifferent. kann, die keinerlei Zusammensetzung mehr zuläßt.50 Eine unendliche Realität kann Das Konzept der distinctio formalis sichert im Grunde nur ontologisch ab, was der nämlich niemals der Ergänzung durch eine andere bedürftig sein; darum scheidet in Mensch, wenn er die Dingwelt fortschreitend erforscht, immer schon voraussetzt: Gott eine Differenz von Potenz und Akt völlig aus.51 Damit ist schon erwiesen, daß er dabei immer wieder, wenn auch keineswegs irrtumslos, Wesenszüge findet, daß Gott nicht unter einer Gattung steht. Das heißt, es kann keine oberste Gattung die einer Sache zutiefst innerlich sind, und die im besten Fall sogar alle bis dahin gefundenen Eigenschaften zu einer Wesensganzheit zusammenschließen. Daß wir 46 Ord. I d. 7 q. 1 n. 64 (Vat. IV 134): „Posita enim limitatione creaturarum, non potest esse tota dabei jedoch stets auf eine Komplexität von Sachgehalten stoßen, die sogar noch perfectio in creaturis absque distinctione specifica, ... In creaturis ergo differentia specifica est perfectio supplens imperfectionem...“ – Met. VII q. 13 n. 146 (OP IV 268): „Si dicatur alia opinio weiter wächst, ist für Scotus nicht verwunderlich, weil damit ein Grundzug des [sc. Ioannis PECHAM u.a.] de formis, potest dici quod unus gradus perfectionis determinat omnes Endlichen zum Ausdruck kommt, denn das besagt ja Endlichkeit: Mangel an Seins- praecedentes ad ultimam unitatem, sicut una differentia specifica determinat omnes perfectiones praecedentes ad unitatem speciei, quam nec ex fülle und mithin Ergänzbarkeit.44 se habent nec aliunde quam ab illa differentia.” Komplexität des Endlichen. Anschaulich wird die Ergänzbarkeit des Endlichen 47 Vgl. dazu Met. VII q. 13 n. 131 (OP IV 263f); Lect. II d. 1 q. 4-5 n. 194-197 (Vat. XVIII 64f); Ord. III d. 1 q. 1 n. 4 (Viv. XIV 11f). an der Potentialität der Gattung in bezug auf eine sie ergänzende Differenz: Der 48 Vgl. Met. VII q. 19 n. 50 (OP IV 372): „Et per hoc potest forma specifica unitive continens reine formale Gehalt der animalitas verlangt eine nähere Bestimmung, für sich allein formas generum intermediorum esse principium multarum operationum illis contentis correspondentium, si illa intermedia ex se sint activa. Nihil enim tali perfectioni deficit quando ist er nicht existenzfähig, und darin zeigt sich seine Endlichkeit. Ähnlich ist es mit continetur, sed limitatio tollitur a continente, quia non tantum illam continet sed istam continet der Gattung Farbe: Was farbig ist, kann rot oder gelb sein; eine unbestimmte Farbe ac si non illam, et e converso.” 49 Ord. I d. 8 p. 1 q. 3 n. 106 (Vat. IV 201f): „Aliquando, quando non sunt ibi res et res (sicut in kann hingegen nicht für sich bestehen.45 Die differentia specifica muß die fehlende accidentibus), saltem in una re est aliqua propria realitas a qua sumitur genus et alia realitas a qua Perfektion hinzubringen und damit die Einheit der Art abschließend konstituie- sumitur differentia; dicatur prima a et secunda b: a secundum se est potentiale ad b, ita quod praecise intelligendo a et praecise intelligendo b, a ut intelligitur in primo instanti naturae – in quo praecise est ipsum – ipsum est perfectibile per b (sicut si res esset alia), sed quod non 44 Ord. I d. 8 p. 1 q. 2 n. 32: (Vat. IV 165): „Concedo ergo quod aliqua creatura est simplex, hoc est perficitur realiter per b, hoc est propter identitem a et b ad aliquod totum, cui realiter primo sunt non composita ex rebus. Tamen nulla creatura est perfecte simplex, quia aliquo modo composita idem, quod quidem totum primo producitur et in ipso toto ambae istae realitates producuntur...” est et componibilis. Quomodo composita, declaro sic, quia habet entitatem cum privatione – Vgl. Met. IV q. 2 n. 143 (OP III 354f). alicuius gradus entitatis.“ 50 Ord. I d. 8 p. 1 q. 3 n. 107 (Vat. IV 202): „Ista compositio realitatum – potentialis et actualis – 45 Met. VII q. 19 n. 51. 54 (OP IV 372. 373): „... sic potentialis quod, quantum est ex per se ratione minima est, quae sufficit ad rationem generis et differentiae, et ista non stat cum hoc, quod eius in re, non repugnaret sibi esse sub opposito actu. Sicut perfectio coloreitatis non tantum est quaelibet realitas sit infinita: realitas enim si esset de se infinita, quantumcumque praecise perfectibilis per gradum perfectionis proprium albedini, sed etiam quantum est ex propria ratione sumpta, non esset in potentia ad aliquam realitatem.” coloreitatis illius non repugnaret sibi subesse gradui proprio nigredinis. (...) Haec differentia, et 51 Vgl. Anm. 50 sowie Met. VII q. 19 n. 52 (OP IV 372): „Condicio prima [sc. continentia compositio sibi correspondens, quando perfectiones contentae sunt limitatae, generalis est omni perfectionis quae potentialis est respectu alterius perfectionis] excludit Deum a genere, si ponatur creaturae. Et secundum hanc faciliter salvatur quomodo omnis creatura componitur ex potentia in ipso talis differentia, sive attributorum sive idearum. Nullum enim perfectibile est per alterum. et actu. Non enim ibi accipitur potentia pro illa quae est ad esse, quia illa non manet in creatura.” Specialiter de attributis, quia quodlibet est infinitum; ...”
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