Phaenomenologica 219 Dieter Lohmar Denken ohne Sprache Phänomenologie des nicht-sprachlichen Denkens bei Mensch und Tier im Licht der Evolutionsforschung, Primatologie und Neurologie Denken ohne Sprache PHAENOMENOLOGICA SERIESFOUNDEDBYH.L.VANBREDAANDPUBLISHED UNDERTHEAUSPICESOFTHEHUSSERL-ARCHIVES 219 DIETER LOHMAR DENKEN OHNE SPRACHE EditorialBoard: Director:U.Melle(Husserl-Archief,Leuven)Members:R.Bernet(Husserl-Archief,Leuven), R. Breeur (Husserl-Archief, Leuven), S. IJsseling (Husserl-Archief, Leuven), H. Leonardy (Centred’e´tudesphe´nome´nologiques,Louvain-la-Neuve),D.Lories(CEP/ISP/Colle`geDe´sire´ Mercier,Louvain-la-Neuve),J.Taminiaux(Centred’e´tudesphe´nome´nologiques,Louvain-la- Neuve),R.Visker(CatholicUniversityofLeuven,Leuven) AdvisoryBoard: R. Bernasconi (The Pennsylvania State University), D. Carr (Emory University, Atlanta), E.S. Casey (State University of New York at Stony Brook), R. Cobb- Stevens (Boston College), J.F. Courtine (Archives-Husserl, Paris), F. Dastur (Universite´ de Paris XX), K. Du¨sing (Husserl-Archiv, K€oln), J. Hart (Indiana University, Bloomington), K. Held (Bergische Universita¨t Wuppertal), K.E. Kaehler (Husserl-Archiv, K€oln), D. Lohmar (Husserl-Archiv, K€oln), W.R. McKenna (Miami University, Oxford, USA), J.N. Mohanty (TempleUniversity,Philadelphia),E.W.Orth(Universita¨tTrier),C.Sini(Universit(cid:2)adegli Studi di Milano), R. Sokolowski (Catholic University of America, Washington D.C.), B.Waldenfels(Ruhr-Universita¨t,Bochum) WeitereInformationenzudieserReihefindenSieunter http://www.springer.com/series/6409 Dieter Lohmar Denken ohne Sprache Pha¨nomenologie des nicht-sprachlichen Denkens bei Mensch und Tier im Licht der Evolutionsforschung, Primatologie und Neurologie DieterLohmar Cologne,Deutschland ISSN0079-1350 ISSN2215-0331(electronic) Phaenomenologica ISBN978-3-319-25756-3 ISBN978-3-319-25757-0(eBook) DOI10.1007/978-3-319-25757-0 DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetu¨berhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. Springer ©SpringerInternationalPublishingSwitzerland2016 DasWerkeinschließlichallerseinerTeileisturheberrechtlichgeschu¨tzt.JedeVerwertung,dienicht ausdru¨cklichvomUrheberrechtsgesetzzugelassenist,bedarfdervorherigenZustimmungdesVerlags. Das giltinsbesonderefu¨rVervielfa¨ltigungen,Bearbeitungen,U¨bersetzungen,Mikroverfilmungenund dieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigtauchohnebesondereKennzeichnungnichtzuderAnnahme,dasssolcheNamenimSinneder Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wa¨ren und daher von jeder- mannbenutztwerdendu¨rften. DerVerlag,dieAutorenunddieHerausgebergehendavonaus,dassdieAngabenundInformationenin diesemWerkzumZeitpunktderVero¨ffentlichungvollsta¨ndigundkorrektsind.WederderVerlag,nochdie AutorenoderdieHerausgeberu¨bernehmen,ausdru¨cklichoderimplizit,Gewa¨hrfu¨rdenInhaltdesWerkes, etwaigeFehleroderA¨ußerungen. Gedrucktaufsa¨urefreiemundchlorfreigebleichtemPapier Springer International Publishing AG Switzerland ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+BusinessMedia(www.springer.com) Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 DieprinzipielleM€oglichkeitnicht-sprachlicherRepra¨sentations- Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.1 Repra¨sentations-SystemebeiMenschundTier–Alternativen zurSpracheaufderBasisvonHusserlsTheorieder bedeutunggebendenAkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.2 KategorialeAnschauung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.3 HusserlsTheoriederBedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.4 Grundtypennicht-sprachlicherRepra¨sentation. . . . . . . . . . . . . . 38 2.5 DonaldDavidsonsEinwa¨ndegegendieM€oglichkeiteines DenkensohneSprache(unddesDenkensbeiTieren). . . . . . . . . 44 2.6 DerEinwandausdemfaktischenUnterschieddertechnischen undkulturellenLeistungenvonMenschenundPrimaten. . . . . . . 49 2.7 ZumVerha¨ltnisvonPha¨nomenologieundempirischen Wissenschaften–diepha¨nomenologischenProjekte. . . . . . . . . . 51 3 Argumentefu¨rdierealeExistenznicht-sprachlicher Repra¨sentationssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.1 DasArgumentausderEvolutionsgeschichtedesMenschen. . . . 56 3.2 DasArgumentausdenkognitivenLeistungen hochzerebralisierterTiere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.2.1 IntelligentesVerhaltenbeiTieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.2.2 Selbstbewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.2.3 WissenumdieSozialstrukturundHierarchie. . . . . . . . . 66 3.2.4 TaktischeTa¨uschungen–Lu¨gen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.2.5 WelchegeistigenWerkzeugemu¨ssenwirfu¨rdiese Leistungenannehmen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 75 3.3 DasArgumentausdengeistigenLeistungenvonsprachlosen Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 v vi Inhaltsverzeichnis 4 DiekonkreteAusformungdernicht-sprachlichen Repra¨sentations-SystemeundihrewichtigstenTeilsysteme. Dasszenisch-phantasmatischeSystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.1 Dasbasaleszenisch-phantasmatischeRepra¨sentations-System beimMenschen.DerTagtraumals„alterModus“desDenkens.... 84 4.1.1 WasistdasSPSundwasistesnicht?Abweisung naheliegenderMissversta¨ndnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.1.2 NotwendigeThemendesnicht-sprachlichenDenkens. . . 90 4.1.3 TeilsystemeundDarstellungsformendesszenisch- phantasmatischenSystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.1.4 Gefu¨hleimszenisch-phantasmatischenSystem. . . . . . . . 102 4.1.5 MitAnderenMit-Fu¨hlenundMit-Wollen. . . . . . . . . . . . 110 4.2 Formendernicht-sprachlichenKommunikation,die ebenfallsindasnicht-sprachlicheRepra¨sentationssystem einfließen(dasvolleSPS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4.2.1 DieSprachedesBlicksnachD.Stern. . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2.2 Handlungskommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.2.3 ElementarepantomimischeHand-undFuß- Kommunikation. . . .. . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . .. . 136 4.3 Konventions-SemantikundA¨hnlichkeits-Semantik. . . . . . . . . . . 139 4.4 Gibtesdasszenisch-phantasmatischeSystemauchbei Tieren?–Tagtra¨umebeiRatten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.5 Warummu¨ssenwirzumDenkenvonSachverhalten phantasmatischeSzenenundFolgenvonSzenenvorstellen?. . . . 148 5 WeiterezentraleThemendesnicht-sprachlichenDenkens. . . . . . . 153 5.1 SelbstbezugundSelbstbewusstseininnicht-sprachlichen Modi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.2 SozialeIntelligenzundAbsichtenAnderer. . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.3 KoordinierteundkollektiveKooperation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.4 VerpflichtungenundmoralischesEmpfinden. . . . . . . . . . . . . . . 173 5.5 KausalesSchließenimszenisch-phantasmatischenSystem. . . . . 179 6 Leistungsvergleichvonszenisch-phantasmatischemund sprachlichemDenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.1 GesichtspunktedesVergleichs:Umfang,Leistungstiefeund Fundierungsverha¨ltnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.2 VergleichderLeistungsfa¨higkeitnicht-sprachlicherund sprachlicherDenksysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.2.1 Gegensta¨nde,u¨berdiewirimszenisch-phantasmatischen Systemnichtgutnachdenkenk€onnen (Allgemeinvorstellungen,Gerechtigkeit,Gu¨te,nicht sichtbareGegensta¨nde,Gott,Kausalita¨tusw.). . . . . . . . . 187 6.2.2 DieSta¨rkendesszenisch-phantasmatischenSystems: komplexeKonstellationenundsozialeInteraktionen. . . . 190 6.2.3 EntscheidungeninkomplexenSituationen. . . . . . . . . . . 191 Inhaltsverzeichnis vii 6.2.4 DieGeschwindigkeitdesDenkensimszenisch- phantasmatischenSystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 6.2.5 LogischeOperatorenunddieGeschwindigkeit einfacherEntscheidungenimszenisch-phantasmatischen System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 6.2.6 Dasnicht-symbolische,vorpra¨dikativeSystemder ModifikationunsererTypen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.2.7 Reflexion,Metakognitionundfalsebelief. . . . . . . . . . . . 202 6.2.8 U¨berErkennenohneBegriffesowiedasdenkende ErkennenmitundohneSprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 6.3 WeitereHinweiseaufdieFundierungdessprachlichen Systemsimszenisch-phantasmatischenSystemdesDenkens. . . 210 6.3.1 U¨berdieBewegungvomAllgemeinenzumEinzelnenin derSpracheundimszenisch-phantasmatischenSystem. DerscheinbareGegensatzinder„Dynamik“der DarstellungimVergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6.3.2 DieAbha¨ngigkeitderSprachevomszenisch- phantasmatischenSystem.U¨berEigennamenund eindeutigeKennzeichnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 7 Problemeimszenisch-phantasmatischenSystemundKonflikte desszenisch-phantasmatischenmitdemsprachlichenSystem. . . . . 219 7.1 DasRa¨tselderneurotischenVerschiebung(Negation, Inversion,U¨bertragungusw.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 7.2 Ta¨uschendeU¨berlagerunginEvidenzdarstellendenGefu¨hlen. . . 227 7.3 AntagonismusundU¨berlagerungzwischendemszenisch- phantasmatischenSystemundderErinnerung. . . . . . . . . . . . . . 230 7.4 Erinnerungimnicht-sprachlichenModusdervera¨nderlichen TypenunddieRollevontraumatischenErfahrungen. . . . . . . . . 234 8 AnalogischeRepra¨sentationssystemeintherapeutischen, theoretischenundtechnischenFeldern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 8.1 AnalogischeSemantikbeiMethodenderFamilienaufstellungin systemischenAnsa¨tzen:Woru¨berwirnichtsprechenk€onnen, daru¨bermu¨ssenwirunsmanchmaldochversta¨ndigen. . . . . . . . 243 8.2 AnalogischeMethodeninderWiederherstellung vonKommunikation:AugmentativeandAlternative Communication(AAC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 8.3 AnalogischesDenkeninderMathematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 8.4 AnalogeSemantikimtechnisch-funktionalenDenken. .. . . . . .. 263 9 EinautobiographischesBeispielfu¨rdas„DenkeninBildern“. . . . 265 9.1 ProblemebeimDenkeninBildern:Allgemeinvorstellungen. . . . 267 9.2 Sachverhalt,SchlussfolgerungundEntscheidung. . . . . . . . . . . . 271 9.3 AbstrakteVorstellungenundGefu¨hle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 9.4 Tier-DenkenundTier-Verstehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 viii Inhaltsverzeichnis 10 ZuJose´ LuisBermu´dez’Thinkingwithoutwords. . . . . . . . . . . . . . 279 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Namenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Kapitel 1 Einleitung StellenSiesichvor,dassSieganzungesto¨rtu¨berIhrePla¨nenachdenken.Nehmen wirweiteran,dassdiesePla¨neetwasproblematischsindundnichtvonjedermann akzeptiert wu¨rden. Sie erlangen z.B. durch eine kleine Unwahrhaftigkeit einen großenVorteilzuUngunstenvonjemandanderem.DiesePla¨neko¨nnenaufsprach- licheWeiseausformuliertseinoderinvorgestelltenBildfolgenvorIhremgeistigen Augeerscheinen.Danndra¨ngtsichIhnenplo¨tzlicheinebildhafteVorstellungauf: EinnaherFreundoderihrGroßvaterschautSiebesorgtan.Siewerdensichdadurch bewusst, dass Ihre Pla¨ne zu problematisch sind, und Sie a¨ndern daraufhin Ihre AbsichteninwichtigenPunkten.Wasisthierpassiert?WardasgeseheneBildeine bloßpsychologischinteressanteBegleiterscheinung IhresPla¨neschmiedens? La¨sst sichdieBotschaftdiesesBildesinSprachefassen?Ja,dennessagtsovielwie:Das solltestdunichttun.AberistdasBildselbstsprachlich?Nein,esistnichtsprach- lich,abernatu¨rlichko¨nnenSienachherdaru¨berredenundmitsprachlichenBegrif- fen daru¨ber nachdenken. Dabei trug es eine eindeutige Bedeutung, denn es war Ihnensofortklar,dassessichumIhreproblematischenPla¨nehandelte,diehiervon einem Anderen bewertet werden. In diesem phantasmatischen Sehen dra¨ngte sich eineEinsichtauf:Sozuhandelnistnichtakzeptabel,undauchIhnennahestehende Personen wu¨rden Sie deswegen kritisieren. Ist die A¨nderung Ihrer Pla¨ne durch Denken erreicht worden? Ja und nein, denn wenn Sie glauben, dass man nur mit Hilfe der Sprache denken kann, dann ist dies kein Denken, wenn Sie es aber fu¨r mo¨glichhalten,dassdiesesplo¨tzlichaufscheinendePhantasmaeineBedeutunghat, dass es Sie zu einer Art Schluss bewegt und Ihr Handeln so vera¨ndert, wie es bei gru¨ndlichemU¨berlegen von Konsequenzen gelegentlich der Fall ist, dann handelt essichumDenken. In diesem Buch soll es um genau diese Art des Denkens gehen. Es gibt nicht- sprachlichesDenken,undindiesemDenkenwendenwirunserWissenundunsere Erfahrung aufProjekteinderZukunftan.WeiterhinistdieseArtdesDenkensim menschlichen Bewusstsein immer lebendig, und sie stellt ein voll ausgepra¨gtes System des Denkens dar, das es uns erlaubt, die wichtigsten Angelegenheiten des Alltags zu bewa¨ltigen. Zudem wird hiermit dieses szenisch-phantasmatische ©SpringerInternationalPublishingSwitzerland2016 1 D.Lohmar,DenkenohneSprache,Phaenomenologica219, DOI10.1007/978-3-319-25757-0_1
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