© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Linzer biol. Beitr. 33/1 257-261 29.6.2001 Das Weibchen von Leptochilus aegineticus GUSENLEITNER 1970, bisher als Microdynerus globosus GUSENLEITNER 1997 fehlgedeutet (Hymenoptera, Eumenidae) W. ARENS Abstract: The hitherto unknown female of Leptochilus aeginetus GUSENLEITNER, a rare euminid species found in Southern Greece and Turkey, is identified as a wasp recently described as Microdynerus globosus GUSENLEITNER. Some additional information on its morphological characters, the phenology and the habitat of the species is given. The erroneous classification of the female as a member of the genus Microdynerus is cause for a discussion whether the present systematics should be changed, for example by fusing the two genera. Einleitung Die kleine Faltenwespe Leptochilus aegineticus GUSENLEITNER gilt als selten, da seit ihrer Erstbeschreibung (BLUTHGEN & GUSENLEITNER 1970) nur einige wenige Funde aus dem südlichen Griechenland sowie ein einziger Nachweis aus der Türkei bekannt ge- worden sind (GUICHARD 1980, GUSENLEITNER 1993). Bei allen bisher vorliegenden Ex- emplaren handelte es sich um 6 6, die gegenüber den übrigen Leptochilus-6 6 des grie- chischen Festlandes durch einen schwarzgefärbten Clypeus ausgezeichnet sind. Das $> von L. aegineticus war bisher unbekannt (GUSENLEITNER 1993). Zwei eigene Fänge von L. aeginetus-6 6 auf der Peloponnes veranlaßten mich daher, dieser Art während einer erneuten Griechenlandreise im zurückliegenden Frühjahr besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Neben dem Fang weiterer 6 6 gelang hierbei erstmals auch die Identifikation des 5 von Leptochilus aeginetus, was allerdings mit eineT Überraschung verbunden war. Denn es zeigte sich, daß zwei Exemplare der gesuchten 5 5 bereits seit längerem in meiner Peloponnes-Sammlung stecken, von Herrn Dr. J. GusenleitneT jedoch fehlgedeutet und als neue Microdynerus-Art, nämlich M. globosus, beschrieben worden waren (GUSENLEITNER 1997). Diesen Irrtum kann ich nun korrigieren, zugleich aber auch einige Details zur bereits vorliegenden Beschreibung ergänzen. Darüber hinaus geben meine Funddaten Hinweise auf Phänologie und Habitat der wenig bekannten Art auf der Pelo- ponnes. Die bisherige Zuordnung des L. aegineticus- 9 zur Gattung Microdynerus ist Veran- lassung, die Berechtigung der Trennung dieser beiden Gattungen in Frage zu stellen. © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 258 Ergänzungen zu den Erstbescbreibungen der 6 3 und 5 9 Die sehr genauen und ausführlichen Beschreibungen beider Geschlechter von L. aegine- ticus (BLÜTHGEN & GUSENLEITNER 1970; GUSENLEITNER 1997) bedürfen aufgrund der nun zusätzlich vorliegenden Exemplare nur in einigen wenigen Punkten einer Modifika- tion: 6: Clypeus ganz schwarz odeT, allerdings selten, mit winzigem gelben Fleck; ebenso Schläfen entweder ganz schwarz oder mit winziger Makel; Schiene II bei allen meinen Exemplaren mit schwarzbrauner Zeichnung auf der Innenseite, also wie beim Paratypus aus Delphi gefärbt; entgegen der Erstbeschreibung nur Fühlerendglied auf der Unterseite heller weißlich gefärbt, Rest der Fühlergeißel unten + ausgedehnt düster-rötlich verfärbt; Punktierung der Stirn nur im unteren Bereich dicht gedrängt, weiter oben und auf dem Scheitel ähnlich zerstreut wie auf dem Thorax und ausge- prägt doppelt, d.h. aus einer kräftigen Grundpunktierung sowie einer feinen Punktu- lierung auf charigniertem Untergrund bestehend; 1. Abdominaltergit vor der End- binde mit flachem rundlichen Eindruck; Körperlänge 4,7-5,3 mm, meist knapp unter 5 mm. 5: Pronotum bei den beiden zusätzlich gefangenen § 5 entgegen der Erstbeschreibung mit kleinen hellen Makeln, die weit voneinander getrennt sind und die Pronotumkante nicht erfassen. Punktierung des Körpers ganz entsprechend wie beim 6; Körperlänge 5,5-6,0 mm. Die Körperproportionen und das gesamte Erscheinungsbild beider Geschlechter sind sehr ähnlich wie bei L. hermon, L. josephi und L. mimulus, allerdings ist das 1. Abdominal- tergit im Vergleich zur letzteren Art geringfügig schlanker und im Profil schwächer ge- wölbt. Man möchte deshalb an enge Verwandtschaftsbeziehungen glauben. Der wesent- lichste Unterschied von L. aegineticus zu diesen Arten ist freilich die Morphologie der Endpartie der ersten beiden Abdominaltergite, die nahezu identisch ist zu derjenigen einiger Microdynerus-Arten, insbesondere M. nugdunensis. Die systematische Stellung von L. aegineticus bleibt daher zunächst etwas unklar (siehe auch unten). Angaben zu Phänologie und Habitat von L. aegineticus auf der Peloponnes Im Rahmen meiner Erfassung der Aculeatenfauna der Peloponnes, der mittlerweile eine summarische Sammeldauer von mehr als einem Jahr zugrunde liegt, konnte ich unter ca. 600 Vertretern der Gattung Leptochilus bisher 12 Exemplare von Leptochilus aeginetus fangen, darunter 555 und 166. Die Art ist auf der Peloponnes offensichtlich selten, allerdings weit verbreitet und nicht auf einen bestimmten Habitattyp festgelegt. Neben Fundorten im Flachland (Olympia, Mykene, Epidauros) konnte ich die Art auch an mehreren Orten in Mittelgebirgslagen bis in Höhen von ca. 1400m nachweisen (Lykaion-, AdheTes- und Erymanthos-Gebirge). Küstennahe Funde fehlen bisher, sind aber sicherlich noch zu erwarten. Landschaftlich sind meine Fundorte sehr unterschiedlich. Ein Teil der Exemplare wurde an Wegrändern und anderen sonnigen Stellen in waldreichem Gebiet gefangen (z.B. tiefere Lagen im Adheres- und Erymanthos-Gebirge), andere auf vegeta- tionsreichen Felsfluren (z.B. Mykene und Lykaion-Gebirge) oder in der Nähe von Kulturland (z.B. Olympia und Epidauros). Bemerkenswert ist der Fang von gleich drei 6 6 dieser seltenen Art an einem unscheinbaren Gipfelpunkt im Adheres-Gebirge, wo © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 259 sich inmitten einer stark überweideten, spärlich bebuschten Hochfläche zahlreiche Aculeata und andere Insekten an Gesträuch und eineT Geröllhalde versammelt hatten, also offensichtlich ein „hill-topping"-Phänomen vorlag. Wie bei der Mehrzahl der Leptochilus-Arten erscheint auch L. aegineticus bereits im Frühjahr; das Ende der Aktivitätsphase dürfte etwa mit dem Sommerbeginn zusammen- fallen. Hierauf deuten jedenfalls meine Funddaten hin, die im Tiefland zwischen Mitte April und Mitte Mai, im Mittelgebirge zwischen Ende April und Ende Mai liegen: 33: Gipfelregion des Lykaion-Gebirge, 13.5.1996; AdheTes-Gebirge südlich von Troizen, 8.5.1996 und 29.4.2000 (ca. 500m); Gipfelpunkt im Adheres-Gebirge südlich von Troizen, 29.4.2000 (ca. 700m; 3 Exemplare); antikes Epidauros, 13.4.2000. 9 9: Erymanthos-Gebirge südlich von Michas, 24.5.1996 (900-1300m) und 12.6.1997 (1300-1700m); Olympia, 17.5.1993; antikes Epidauros, 13.4.2000; antikes Mykene, 27.4.2000. Die bisher durch BLÜTHGEN & GUSENLEITNER (1970) publizierten Funddaten von Enslin (Aegina, 30.4.33; Delphi 1.5.33) und Schwarz (Chelmos-Gebirge 2.6.62) passen gut in dieses Bild. Hinweise zur Nistweise der 9 9 liegen nicht vor. Wie bei anderen Leptochilus-Arten dürften auf der Peloponnes Kamillen beim Blütenbesuch bevorzugt werden. Konkrete Beobachtungen dazu gibt es aber noch nicht, da die kleineren Leptochilus-Arten im Gelände nicht auseinanderzuhalten sind. Zur bisherigen Definition der Gattungen Leptochilus und Microdynerus Die gängigen Bestimmungsschlüssel für Eumeniden (BLÜTHGEN 1961, GUICHARD 1980, SCHMID-EGGER 1994, GUSENLEITNER 2000) sind bei der Unterscheidung der Gattungen Leptochilus und Microdynerus problematisch. Wie unscharf die derzeitigen Gattungs- definitionen sind, belegt die irrtümliche Beschreibung der 3 3 und § 9 von L. aegineticus als Vertreter jeweils einer dieser beiden Gattungen durch den führenden Eumenidenexperten in Europa. Eine gründliche Überprüfung der derzeitigen Systematik erscheint mir daher angebracht, für die mir allerdings der nötige taxonomische und biogeographische Überblick fehlt. Ich möchte hier aber zumindest auf den derzeitigen Mißstand aufmerksam machen, der historisch bedingt sein mag. Das in Schlüsseln europäischer Eumeniden üblicherweise zur Trennung der beiden Gat- tungen verwendete Merkmal, d.h. die Gestaltung des Endsaumes am 2. Abdominaltergit, ist nämlich durchaus hinreichend für die wenigen mitteleuropäischen Species (z.B. SCHMID-EGGER 1994) bzw. für das Artenspektrum, das BLÜTHGEN (1961) bekannt ge- wesen ist. Bei Leptochilus soll demnach dieser Endsaum breiter als die helle Endbinde sein und außerdem stufenartig vom Rest des Tergits abgesetzt sein, während Micro- dynerus sich durch eine schmale, allenfalls oberflächlich eingedrückte Endbinde aus- zeichnen soll. Als ungeeignet erweist sich diese Definition jedoch leider im Hinblick auf die artenreichere südeuropäische Fauna, da hieT die Ausprägung dieses Merkmals inner- halb der beiden Gattungen uneinheitlich ist. Anhand griechischer Arten läßt sich dies gut dokumentieren. © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 260 So besitzen zwar Microdynerus nugdunensis, M. appenninicus und M. interruptus wie auch M. (Alastorynerus) microdynerus und Eumicrodynerus europaeus tatsächlich ziem- lich schmale, flache Endsäume am 2. Tergit. Nicht aber trifft dies für Microdynerus mirandus zu, dessen Endsaum zwar linienformig dünn, zugleich jedoch ausgeprägt stufig vom Rest des Tergits abgesetzt ist. Microdynerus (Pseudomicrodynerus) eurasius schließlich nimmt eine Mittelstellung ein, indem hier der Endsaum leicht eingedrückt und durch eine Reihe feiner Grübchen von der Endbinde abgegrenzt ist, wodurch sich ein Erscheinungsbild ergibt, das sehr den Verhältnissen bei den meisten Leptochilus-Arten entspricht, beispielsweise L. mimulus, L. limbiferus, L. alpestris, L. hermon und L. jose- phi. Aber auch innerhalb der Gattung Leptochilus ist der Bau des Endsaumes keineswegs einheitlich. Das Spektrum reicht hier von Arten mit sehr breiten, ausgeprägt abgestuften Endsäumen (z.B. L. regulus und L. membranaceus) bis hin zu Species wie L. aeginetus, deren Endsaum ebenso schmal und flach ist wie bei den erstgenannten Microdynerus- Arten, also überhaupt nicht der Definition entspricht. Im aktuellen Leptochilus-Schlüsse] (GUSENLEITNER 1993) ist dies zwar bereits berücksichtigt, jedoch nicht weiter diskutiert. Die Unzulänglichkeit des Kriteriums „Endsaum" dürfte der Grund dafür gewesen sein, weshalb GuiCHARD (1980) in seinem europaweit geltenden Bestimmungsschlüssel auf die Verwendung dieses Merkmals verzichtete, sondern die beiden Gattungen anhand unterschiedlicher Körperproportionen zu trennen versuchte. Doch auch dieser Ansatz, den GUSENLEITNER (2000) in seinem ganz aktuellen Gattungsschlüssel wieder aufge- griffen hat, kann nicht überzeugen, da vor allem innerhalb der Gattung Leptochilus der Habitus keineswegs so einheitlich ist, wie Guichard dies suggeriert. Leptochilus regulus beispielsweise würde in dieser Hinsicht mit seinem gestreckten Körperbau, dem läng- lichen Mesonotum, den spitzen Schulterecken und einem schlanken 1. Abdominal- segment besser zu Microdynerus passen als zu „typischen" Leptochilus-Arten, die sich durch einen gedrungenen Habitus mit breitem Thorax, kurzem Abdomen und abgerunde- ten Schultern auszeichnen. Andere Kriterien, anhand derer sich eine klare Gattungsgrenze zwischen Microdynerus und Leptochilus ziehen ließe, sind nicht erkennbar, so daß es bis zu einer Klärung der wirklichen Verwandtschaftsverhältnisse wohl besser wäre, alle betreffenden Arten vorerst in einem Genus zusammenzufassen. Abzuwarten bleibt dann, ob sich Gruppen offen- sichtlich nahverwandter Arten, wie beispielsweise Microdynerus-Arten mit krallenartig gestalteten Fühlerendgliedem beim ö*, als eigenständige systematische Einheiten erweisen werden. In diesem Zusammenhang wäre es wünschenswert, manche Merkmale phylogenetisch bewerten zu können, beispielsweise die Gestaltung des Endsaumes am 2. Abdominal- tergit. Was mag funktionell hinter der basalen Porenreihe dieses Endsaumes stecken, die bei manchen Leptochilus zu auffälligen Gruben erweitert sind? Ein Drüsenorgan viel- leicht? Oder handelt es sich nur um eine mechanisch stabilisierende Anpassung? Es wäre denkbar, daß Leptochilus aegineticus hinsichtlich dieses Merkmals eine relativ ursprüng- liche Art ist und die jetzige Gattung Leptochilus ein paraphyletisches Taxon darstellt. Es könnte lohnen, diesen Fragen eingehender nachzugehen. © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 261 Zusammenfassung Von Leptochilus aegineticus GUSENLEITNER, einer im östlichen Mittelmeergebiet vorkommenden Faltenwespe, war bisher nur das 6 bekannt. Das 5 wurde erstmals 1995 gefangen, jedoch zunächst irrtümlich als neue Art der Gattung Microdynerus beschrieben. Die Korrektur dieser Fehldeutung gelang nun dank weiterer Nachweise, die zugleich auch erste Hinweise auf die Phänologie und die Habitatansprüche dieser seltenen Eumenide geben. Demnach handelt es sich um eine früh fliegende Art mit Aktivitätszeit im südlichen Griechenland zwischen Mitte April und Ende Mai. Bevorzugter Lebensraum sind offenbar vegationsreiche Biotope in der Phrygana und in Kulturland. Auf der Pelo- ponnes ist L aegineticus ebenso in tiefen Lagen anzutreffen wie im Bergland bis mindestens 1300m üNN. Die irrtümliche Zuordnung der L. aegineticus- 5 $> zur Gattung Microdynerus sowie Un- stimmigkeiten in den gängigen Gattungsschlüsseln der Eumeniden zeigen, daß die Gren- zen zwischen diesen beiden Gattungen unscharf sind und daher erwogen werden sollte, die entsprechenden Arten bis zur Klärung der tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse in einem Genus zusammenzufassen. Literatur BLÜTHGEN P. (1961): Die Faltenwespen Mitteleuropas (Hymenoptera, Diploptera). — Abh. dt. Akad. Wiss. Berlin, Klasse Chem. Geol. und Biol. (2): 1-152. BLÜTHGEN P. & J. GUSENLEITNER (1970): Faltenwespen aus Griechenland (Hym., Diploptera). — Mitt. zool. Mus. Berl. 46: 277-299. GUICHARD K.M. (1980): Greek wasps of the family Eumenidae (Hymenoptera) with a key to the European genera. — Entomologist's Gazette 31: 39-59. GUSENLEITNER J. (1993): Bestimmungstabellen mittel- und südeuropäischer Eumeniden (Vespoidea, Hymenoptera). Teil 1: Die Gattung Leptochilus SAUSSURE 1852. — Linzer biol. Beirr. 25: 745-769. GUSENLEITNER J. (1997): Bestimmungstabellen mittel- und südeuropäischer Eumeniden (Vespoidea, Hymenoptera) Teil 7: Die Gattungen Microdynerus THOMPSON 1874 und Eumicrodynerus GUSENLEITNER 1972. — Linzer biol. Beitr. 29: 779-797. GUSENLEITNER J. (2000): Bestimmungstabellen mittel- und südeuropäischer Eumeniden (Vespoidea, Hymenoptera) Teil 14: Der Gattungsschlüssel und die bisher in dieser Reihe nicht behandelten Gattungen und Arten. — Linzer biol. Beitr. 32: 43-65. SCHMID-EGGER C. (1994): Bestimmungsschlüssel für die deutschen Arten der solitären Faltenwespen (Hymenoptera: Eumenidae). — DJN-Bestimmungsschlüssel, S. 54-90; Hamburg. Anschrift des Verfassers: Dr. Werner ARENS Falkenblick 10 D-36251 Bad Hersfeld, Deutschland e-mail: [email protected]