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Das Problem der Ethikbegründung aus evidenzphilosophischer Sicht: Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Ethik Franz Brentanos PDF

235 Pages·2018·2.09 MB·German
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Christian Reimann Das Problem der Ethikbegründung aus evidenz- philosophischer Sicht Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Ethik Franz Brentanos Das Problem der Ethikbegründung aus evidenzphilosophischer Sicht Christian Reimann Das Problem der Ethikbegründung aus evidenz­ philosophischer Sicht Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Ethik Franz Brentanos Christian Reimann Würselen, Deutschland D82 (Diss. RWTH Aachen University, [2018]) ISBN 978-3-476-04821-9 ISBN 978-3-476-04822-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-476-04822-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J.B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. J.B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................................................. 7 2 Literaturübersicht zu Brentanos Ethik ..................................................................... 21 2.1 Kritik an Einzelaspekten ................................................................................... 22 2.1.1 Sprachkritik.............................................................................................. 22 2.1.2 Kritik an Brentanos Klassifikation der psychischen Phänomene ............. 24 2.1.3 Kritik an der Analogisierung von Urteilen und Emotionen ....................... 26 2.1.4 Kritik an den Kriterien des fundamentalen Moralprinzips ........................ 28 2.1.5 Kritik an Brentanos Begriff des in sich Guten ... ...................................... 28 2.1.6 Kritik an Brentanos Vorzugsaxiomen ...................................................... 29 2.2 Kritische Beiträge zu Brentanos Ethik als solcher ............................................ 32 2.3 Darstellende Beiträge ....................................................................................... 39 3 Brentanos Versuch der Grundlegung der Ethik ...................................................... 41 3.1 Ziel von Brentanos Moralphilosophie ............................................................... 41 3.2 Brentanos deskriptiv-psychologische Methode ................................................ 50 3.3 Epistemologische Vorannahmen ...................................................................... 55 3.3.1 Die Grundstruktur des Bewusstseins ...................................................... 55 3.3.1.1 Physische und psychische Phänomene ...................................... 55 3.3.1.2 Inneres Bewusstsein und äußeres Bewusstsein ......................... 58 3.3.1.3 Primäres Bewusstsein und sekundäres Bewusstsein ................. 65 3.3.2 Die Grundklassen psychischer Tätigkeiten.............................................. 74 3.3.2.1 Vorstellungen .............................................................................. 75 3.3.2.2 Urteile .......................................................................................... 79 3.3.2.3 Gemütsbewegungen ................................................................... 89 3.3.3 Zwischenfazit ........................................................................................... 92 3.4 Brentanos Lehre von den als richtig charakterisierten Gemütsbewegungen .... 98 3.4.1 Vorüberlegungen ..................................................................................... 98 3.4.2 Als richtig charakterisiertes Lieben und Hassen .................................... 102 3.4.3 Als richtig charakterisiertes Vorziehen .................................................. 118 3.5 Brentanos Lehre von der Freiheit des Willens ................................................ 141 4 Kritische Analysen zu Brentanos Versuch der Ethikbegründung .......................... 157 4.1 Allgemeine Kritik ............................................................................................ 158 4.2 Zum inkonsistenten und aporetischen Charakter von Brentanos Ethik .......... 163 4.2.1 Probleme im Kontext von Brentanos Evidenzbegriff ............................. 163 4.2.1.1 Probleme hinsichtlich der Gewinnung der Erkenntnisse des theoretischen Vorziehens .......................................................... 164 VI Inhaltsverzeichnis 4.2.1.2 Probleme hinsichtlich der Gewinnung der Erkenntnisse des praktischen Vorziehens ............................................................. 180 4.2.2 Probleme im Kontext von Brentanos Begriff der Kausalität ................... 184 4.2.2.1 Das Problem der Motivation ...................................................... 185 4.2.2.2 Das Problem der Willensfreiheit ................................................ 192 4.2.3 Probleme im Kontext von Brentanos Subjektivitätsbegriff ..................... 203 5 Schluss ................................................................................................................. 221 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 227 1 Einleitung Die Begründung der normativen Ethik als philosophische Metawissenschaft, deren Urteile1 ungeachtet des Faktums der Pluralität und Diversität moralischer Überzeu- gungen kategorische Geltung besitzen, stellt nach wie vor die wichtigste Aufgabe im Rahmen ethisch-moralischer Reflexionsbestrebungen dar. Solange diese Aufgabe unerfüllt ist, steht die normative Ethik, sofern sie über die Geltungsbedingungen mo- ralischer Urteile reflektiert, vor dem grundlegenden Problem, das für eine streng phi- losophische Metawissenschaft konstitutive Kriterium der absoluten Urteilssicherheit nicht zu erfüllen. Die Forderung nach Erfüllung dieses Kriteriums setzt ein spezielles wissen- schaftstheoretisches Verständnis von Philosophie voraus: Philosophie wird hier in aristotelischer Manier als eine apodiktische Wissenschaft aufgefasst. Eine Wissen- schaft ist genau dann apodiktisch zu nennen, wenn die Urteile dieser Wissenschaft notwendigen Geltungscharakter besitzen. Notwendig gültig ist ein Urteil genau dann, wenn die hypothetische Annahme seines kontradiktorischen Gegenteils einen logi- schen Widerspruch in sich schließt. Das bedeutet, für ein apodiktisch- wissenschaftliches (Meta-) Urteil ist es charakteristisch, dass es denkunmöglich nicht zutreffen kann; was es behauptet, ist notwendigerweise der Fall. Hinsichtlich des Geltungsanspruchs ihrer Urteile unterscheidet sich die apodikti- sche Wissenschaft grundlegend von den sogenannten Erfahrungswissenschaften, seien es nun die deduktiv-(analytisch-)nomologischen Erfahrungswissenschaften, welche typischerweise eine wertungsfreie („objektive“) Forschung für sich beanspru- chen (z. B. Physik, Chemie, Biologie), oder die interpretativen (hermeneutisch- dialektischen) Erfahrungswissenschaften, in denen subjektiv-wertende Inhalte bei der Urteilsbildung figurieren (z. B. Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften). Allen Erfahrungswissenschaften gemeinsam ist, dass ihre Forschungsurteile Anspruch auf kontingente Geltung erheben. Kontingent gültig ist ein Urteil genau dann, wenn die hypothetische Annahme des kontradiktorischen Gegenteils keinen logischen Wider- spruch beinhaltet. Ein kontingent gültiges Urteil zeichnet sich somit im Gegensatz zu den notwendig gültigen, apodiktisch-wissenschaftlichen Urteilen dadurch aus, dass es nicht unbedingt zutreffen muss. Dementsprechend ist es nicht per se auszu- schließen, dass die Negation dessen, was ein erfahrungswissenschaftliches Urteil behauptet, zutrifft. Die Anwendung des beschriebenen Philosophiebegriffs auf den Bereich der nor- mativen Ethik liegt in dem Umstand begründet, dass ethisch-moralische Urteile mit dem Anspruch verbunden sind, eben den erkenntnistheoretisch-logischen Geltungs- rang eines apodiktisch-wissenschaftlichen Urteils zu besitzen. Denn anders als etwa die deskriptiv-empirische Ethik, die lediglich Moral als faktisches System historisch entwickelter Normen zu beschreiben sucht, ist die normative Ethik letztlich darum bemüht, hinreichende Geltungsbedingungen für Moral zu eruieren, indem sie die All- gemeinverbindlichkeit und universelle Geltung bestimmter moralischer Urteile bzw. das absolute praktische Gesolltsein der in den betreffenden Urteilen zum Ausdruck 1 Unter einem Urteil wird in vorliegender Arbeit eine sprachliche Behauptung verstanden, die den Anspruch erhebt, auf den behaupteten Sachverhalt zuzutreffen und in diesem Sinne wahr zu sein. Die Ausdrücke Urteil, Aussage, Behauptung, Satz werden dabei, sofern nicht anders angegeben, synonym gebraucht. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 C. Reimann, Das Problem der Ethikbegründung aus evidenzphilosophischer Sicht, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04822-6_1 8 Einleitung kommenden Handlungsaufforderungen zu begründen beabsichtigt.2 Ob sich die normative Ethik als philosophisch-apodiktische Metawissenschaft begründen lässt, hängt also davon ab, ob ihre Urteile dem Apodiktizitätskriterium genügen können und sich dementsprechend der unbedingte Geltungsanspruch der durch sie begründeten moralischen Urteile als berechtigt erweist. Die Gewährleistung der apodiktisch-philosophischen Dignität der Urteile der nor- mativen Ethik ist daher an den Nachweis geknüpft, dass sich die moralischen Re- geln, Normen oder Werte, auf welche sich die normative Ethik auf der Metaebene in begründender Absicht bezieht, insofern als berechtigt ausweisen lassen, als ein Zweifel an deren universeller Geltung ausgeschlossen ist. Der Versuch eines sol- chen Notwendigkeitsnachweises gilt dann als gescheitert, wenn sich die betreffenden Urteile entweder als kontingent gültig oder aber als kontradiktorisch herausstellen. Im erstgenannten Fall wäre die beanspruchte Allgemeinverbindlichkeit aufgrund des sich ergebenden hypothetischen Geltungscharakters der betreffenden moralischen Urteile prinzipiell in Zweifel gezogen, ohne dass sich die Frage nach dem Zutreffen moralischer Urteile jedoch definitiv bejahen oder verneinen ließe. Sollte Letzteres der Fall sein, so ist die Gültigkeit der Urteile nicht nur in Frage gestellt, sondern sie ist kategorisch verworfen. Denn kontradiktorische Urteile behaupten etwas in sich Wi- dersprüchliches, also etwas, das unmöglich der Fall sein kann. – In der Konsequenz wäre die moralphilosophische Grundlagendiskussion hinfällig und moralischen For- derungen käme bestenfalls der Status von praktischen Handlungsempfehlungen o- der Ratschlägen zu, die zwar eine Orientierungsfunktion haben können, aber nicht normativ verpflichtend sind. In der Frage nach der Begründbarkeit der normativen Ethik sind unterschiedliche Versuche unternommen worden, Geltungsbedingungen für moralische Urteile zu formulieren und so das Begründungsproblem der Ethik zu lösen. Sie reichen von fundamentalistischen3 über kohärentistische bis hin zu reflexiven Begründungsansät- zen.4 Nachstehend seien die einzelnen Ansätze und die mit ihnen verbundenen Probleme knapp umrissen. Im Zuge fundamentalistischer Begründungsversuche erhalten moralische Urteile ihre universelle Geltung dadurch, dass sie auf ein nicht weiter begründbares obers- tes Fundamentalprinzip zurückbezogen sind, das in seiner Funktion als moralische Grundnorm die sichere Begründungsbasis für sämtliche daraus abgeleiteten Normen bilden soll. Prominente Beispiele für ein derartiges Prinzip sind der Grundsatz des Utilitarismus (sinngemäß: „Handle so, dass die absehbaren Folgen deiner Handlung 2 Siehe dazu Düwell/Hübenthal/Werner 2006, S. 21: „Wenn sich die wissenschaftliche Aufgabe der Ethik jedoch darin erschöpfen würde [, Handlungsalternativen zu beschreiben, moralische Begriffe zu analysieren und den moralischen Diskurs unter Kohärenzgesichtspunkten zu kritisieren; Anm. d. Verf.], hätten sich Ethiker/innen im Grunde jeder normativen oder auch nur empfehlenden Äu- ßerung zu enthalten. Sobald eine präskriptive Dimension erreicht wird, muss die/der Ethiker/in die entsprechenden Empfehlungen auf der Grundlage der normativen Theoriebildung legitimieren. Nun will (und kann) kein/e Ethiker/in dieser präskriptiven Dimension entgehen, wenn etwa Auto- nomie, Leidensvermeidung, Lebensschutz, Umweltschutz oder Ähnliches positiv bewertet werden, wenn Autonomie geschützt und Ehrlichkeit eingefordert wird usw. Da es zu den Aufgaben der Ethik gehört, solche moralischen Stellungnahmen mit den theoretischen Mitteln der Disziplin ein- zuholen, besteht in der Disziplin ‚Ethik‘ keine Möglichkeit, sich aus dem Begründungsdiskurs der normativen Ethik herauszuhalten.“ 3 Die mit dem Ausdruck fundamentalistisch einhergehenden weltanschaulichen Konnotationen sind in diesem Kontext nicht von Relevanz. 4 Vgl. Düwell/Hübenthal/Werner 2006, S. 14 f.; Kuhlmann 2006, S. 321–324. Einleitung 9 das Gesamtwohl aller Betroffenen fördern“) sowie Kants kategorischer Imperativ (sinngemäß: „Handle so, dass deine Handlungsmaxime verallgemeinerbar ist“).5 In kohärentistischen Begründungskonzeptionen, welche besonders in den be- reichsspezifischen, sogenannten Angewandten Ethiken vorkommen, reicht es hinge- gen als Rechtfertigung aus, dass die betreffenden Aussagen ein in sich schlüssiges System von sich gegenseitig stützenden moralischen Überzeugungen konstituieren. Im Kohärentismus liegt die Begründungsleistung nicht in einer (logischen) Ableitung, sondern in der Regel in einer prinzipiell revidierbaren „Rekonstruktion moralischer Überzeugungen oder vor-theoretisch geteilter lebensweltlicher Überzeugungen“6 un- ter Konsistenzgesichtspunkten.7 Exemplarisch sei hierbei auf das medizinethische Vier-Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress8 sowie auf das für die Politi- sche Ethik entworfene Konzept des Überlegungsgleichgewichts (reflective equilibri- um) von John Rawls9 verwiesen. Bei reflexiven Begründungen sind präskriptive Sätze genau dann absolut gültig, wenn sie vom Moralsubjekt dahingehend als notwendig akzeptiert werden müssen, dass ihre Leugnung gewissen allgemein akzeptierten Grundnormen widerspricht, insofern deren Anerkennung zwingende Voraussetzung für moralisches Argumentie- ren bzw. für Handeln als solches ist.10 Hierzulande findet die reflexive Begründungs- figur vor allem in der Diskursethik Verwendung. Nach Auffassung von Diskursethi- kern haben ausschließlich jene Normen uneingeschränkten Geltungsanspruch, die das zwangsfreie Einverständnis aller am argumentativen Moraldiskurs Beteiligten erlangen könnten, streng nach dem Prinzip, in Handlungsfragen stets einen rationa- len Konsens zu erzielen und zu diesem Zweck dem „zwanglosen Zwang des besse- ren Argumentes“ (Habermas) zu folgen. Von diskursethischen Ansätzen sind hand- lungsreflexive Begründungsansätze zu unterscheiden. Hierbei ergibt sich das Haupt- kriterium für die Gültigkeit moralischer Urteile nicht aus der Reflexion auf die Bedin- gungen des Verfahrens moralischen Argumentierens, sondern aus der Reflexion auf die notwendigen Bedingungen der Handlungsfähigkeit von Handlungsfähigen als solchen, welche als Grundlage zur Ableitung überindividuell verbindlicher Rechte (bzw. Pflichten) dienen (Recht auf Handlungsfreiheit, Recht auf Unversehrtheit). Keiner der genannten Begründungsarten gelingt es, ihrem Anspruch zu genügen. Die fundamentalistische Methode scheitert daran, dass die gesamte Begründungs- last auf einer Grundnorm liegt, deren eigene Geltung deshalb zweifelhaft bleibt, weil sie sich aufgrund der unüberwindbaren Sein-Sollen-Dichotomie nicht logisch herlei- ten lässt und damit unbegründet ist – können doch normative Urteile nicht aus nicht- normativen Urteilen gewonnen werden. So folgt etwa aus der dem Utilitarismus bzw. Kant an dieser Stelle hypothetisch zugestandenen deskriptiven Feststellung, dass eine Handlung voraussichtlich das Gemeinwohl vermehrt bzw. eine bestimmte Ma- xime universalisierbar ist, nicht die normative Forderung, auch entsprechend handeln zu sollen11. Um den Geltungsanspruch zu begründen, müsste eine zusätzliche Norm 5 Siehe genauer Kapitel 3.1. 6 Düwell/Hübenthal/Werner 2006, S. 20. 7 Vgl. auch Kuhlmann 2006, S. 323 f. 8 Siehe Beauchamp/Childress 2001. 9 Siehe Rawls 1975. 10 Vgl. Kuhlmann 2006, S. 324. 11 Hinsichtlich des Kant’schen Fundamentalprinzips sei allerdings darauf hingewiesen, dass Kant (in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) dessen Sollensanspruch damit begründet, dass es ein Gesetz der selbsttätigen (autonomen) praktischen Vernunft darstelle und als solches Pflichtcharakter besitze. Dennoch bleibt es fraglich, warum Handlungen gemäß dem Vernunftge- 10 Einleitung eingeführt werden, wonach es unbedingt gesollt ist, das Gemeinwohl zu vermehren bzw. nach universalisierbaren Maximen zu handeln. Gelöst wäre das Begründungs- problem aber auch dann nicht, da die Geltung des neuen Moralprinzips ebenfalls ei- ner Begründung durch eine übergeordnete Norm bedürfte usw. ad infinitum. Bei dem kohärentistischen Begründungsmuster besteht das Kardinalproblem da- rin, dass Kohärenz lediglich eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die Geltung moralischer Urteile ist; denn es kann durchaus eine Vielzahl von Mo- ralsystemen geben, die trotz ihrer jeweiligen Kohärenz untereinander unvereinbar sind (z. B. eine christliche Ethik vs. eine nationalsozialistische Ethik).12 Dies erklärt sich daraus, dass die Prinzipien, die jeweils die Kohärenz eines Moralsystems ge- währleisten, unbegründet bleiben und daher nicht von allen Moralsubjekten akzep- tiert werden müssen. Befürworter des reflexiven Begründungstyps sind schließlich dem Einwand aus- gesetzt, dass sie ihre Argumentationen in ähnlicher Form wie die fundamentalisti- schen Konzeptionen auf begründungstheoretisch nicht-neutrale Voraussetzungen stützen. So lässt sich beispielsweise die Verbindlichkeit des ersten Handlungsgrund- satzes der Diskursethik nicht rechtfertigen, ohne dabei eine petitio principii zu bege- hen. Diese Einsicht resultiert aus dem Umstand, dass die Teilnahme am Moraldis- kurs nicht mittels Argumenten erzwungen werden kann, so dass die Möglichkeit be- stehen bleibt, sich einer ernsthaften, auf allgemeine Konsensfähigkeit abzielenden Überlegung über einen bestimmten Handlungsschritt zu widersetzen.13 Zwar mag die Entscheidung, sich in manchen Handlungsfragen nicht am besseren Argument zu orientieren, nicht gut begründbar sein – da man dies in anderen Handlungsfragen in der Regel auch tut –, jedoch impliziert dieses Nicht-Vorhandensein guter Gründe nicht, dass die besagte Weigerung zu unterlassen ist; dies ergäbe sich erst dann, wenn alles Nicht-gut-Begründbare zu unterlassen wäre und also mit anderen Worten jenes Prinzip gälte, das erst noch eines Beweises bedarf, nämlich: der diskursethi- sche Grundsatz, sich in Handlungsfragen stets am besseren Argument zu orientie- ren.14 Der Diskursethiker kann somit keinen zwingenden Grund dafür angeben, wa- rum man sich Handlungssituationen nicht unüberlegt aussetzen sollte. Erschwerend hinzu kommt der Mangel eines Kriteriums, anhand dessen über die Güte eines Ar- gumentes entschieden werden könnte. Ganz gleich, welches Kriterium Diskursethi- ker letzten Endes heranziehen sollten, sie geraten unvermeidlich in die prekäre Lage der „Fundamentalisten“, vor der sie sich gerade in Sicherheit wähnen: die Lage eines infiniten Begründungsregresses. Denn die Geltung des herangezogenen Kriteriums, sofern es nicht dogmatisch festgesetzt werden soll, bleibt solange zweifelhaft, bis ein setz Handlungen aus empirischen Interessen und Neigungen vorzuziehen sind. Vgl. ausführlicher dazu Schönecker/Wood 2007, S. 205–207. 12 Vgl. hierzu die überblicksartige Kritik am Kohärentismus bei Fischer u. a. 2008, S. 118–120. 13 Bemerkenswerterweise räumt Kuhlmann 1992, S. 171 f. in seinem Aufsatz Zur Begründung der Diskursethik selbst ein, dass die Teilnahme am Moraldiskurs nicht zwingend, sondern nur unter einer Bedingung „unvermeidlich“ sei, nämlich wenn man den nächsten Handlungsschritt „nicht nur mit sich geschehen lässt“, d. h. wenn man sich ihn ernsthaft dahingehend überlegt, dass man „wirklich nur wissen will, dabei radikal ist und auch die eigenen Kriterien und Standards nicht dog- matisch sakrosankt setzt“. Die entscheidende Frage, wenn es darum geht, die notwendige Gel- tung der in der Diskursethik begründeten Normen zu rechtfertigen, lautet daher, warum das Hand- lungssubjekt den nächsten Handlungsschritt nicht nur mit sich geschehen lassen soll bzw. seine eigenen Kriterien und Standards nicht dogmatisch sakrosankt setzen soll. 14 Vgl. zu dieser Argumentation Tetens 2010, S. 165–168.

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Der Autor sucht in diesem Buch eine endgültige Antwort auf die bislang als offen geltende metaethische Frage nach der Begründbarkeit normativer Ethik zu geben. Im Zentrum steht die Absicht, die These der Begründbarkeit der Ethik als selbstkontradiktorisch und damit unmöglich zutreffend auszuweis
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