9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE This is Google's cache of https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-berlins-queerer-community-das-geheimnis- das-keins-war. It is a snapshot of the page as it appeared on 11 Sep 2019 03:45:54 GMT. The current page could have changed in the meantime. Learn more. Full version Text-only version View source Tip: To quickly find your search term on this page, press Ctrl+F or ⌘-F (Mac) and use the find bar. VICE I-D Menschen Das Geheimnis, das keins war Seit den 90ern soll der HIV-Arzt Dr. Heiko J. Patienten missbraucht haben. Seit Jahren wissen Beratungsstellen und Staatsanwaltschaft https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 1/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE Bescheid. Warum darf er bis heute praktizieren? Von Thomas Vorreyer und Juliane Löffler 07 September 2019, 10:00am ILLUSTRATION: RUSSLAN Im Büro der Berliner Schwulenberatung sitzen drei Männer, die beschlossen haben auszupacken. In den folgenden anderthalb Stunden werden sie alles erzählen, was sie seit mehr als 20 Jahren über Dr. Heiko J. wissen. Über einen Arzt, der mutmaßlich seine Patienten missbraucht. Etliche andere Beratungsstellen und Behörden wollen, können oder dürfen laut eigenen Angaben nicht mit uns sprechen. Aber die Männer in der Schwulenberatung sagen: Es reicht. Sie sagen, Mitarbeiter der Beratungsstelle seien bei der Ärztekammer gewesen, im Gespräch mit anderen HIV-Organisationen und sogar in der Praxis J. selbst, um den Arzt mit den Vorwürfen gegen ihn zu konfrontieren. Doch gebracht hat das offenbar wenig. Einer dieser drei Männer ist ein langjähriger Mitarbeiter, ein anderer eine hochrangige Leitungsperson. Seit 25 Jahren gibt es die Praxis J. und fast genau so lange schon, erzählen sie, würden Klienten der Schwulenberatung von sexuellen Übergriffen berichten. Die drei Mitarbeiter wollen, dass endlich etwas passiert. Sie wollen, dass der Arzt mit den mutmaßlichen Übergriffen aufhört. Sie wollen, dass diese Geschichte an die Öffentlichkeit kommt. VICE und Buzzfeed News haben Heiko J. mit einem umfangreichen Fragenkatalog konfrontiert, den er nicht beantwortet hat. Über seinen https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 2/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE Rechtsanwalt lässt er mitteilen, er könne aus den Schilderungen keinen konkreten Patienten erkennen, "unbeschadet der Tatsache, daß diese Schilderungen unzutreffend sein müssen". Heiko J. lasse sich nicht von wirtschaftlichen oder rassischen Gesichtspunkten bei der Behandlung, deren Geschwindigkeit oder deren Ausstattung leiten. Er richte die Behandlung seiner Patienten zudem nicht nach eigenen Vorlieben aus. VICE und Buzzfeed News haben in den vergangenen Wochen mit etlichen Menschen gesprochen, die dem Arzt sexualisierte Gewalt vorwerfen. Es geht um übergrif�ge Kommentare über die Genitalien der Patienten, um Kussversuche, um anale Penetration. Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sagen: Eine medizinische Notwendigkeit gab es dafür nicht. Am gestrigen Freitag haben wir die umfangreichen Vorwürfe gegen Dr. Heiko J. erstmals öffentlich gemacht. Seit Jahren wissen hunderte, vielleicht sogar tausende Menschen in Berlin von diesen Vorwürfen. Auf Facebook schreibt ein mutmaßlicher Betroffener vor Monaten: "It’s Berlin’s worst kept secret." Trotzdem hat niemand Heiko J. gestoppt. Wie kann das sein? Die Suche nach einer Antwort führt zu einer Geschichte über Angst und Mut, über Stigma und Macht, über Behörden und Beratungsstellen. Wenn du eigene Erlebnisse oder Informationen zu dieser Recherche beitragen möchtest, dann erreichst du unseren Redakteur Thomas Vorreyer per E-Mail oder Twitter-DM. Hast auch du sexualisierte Gewalt erlebt? Am Ende des Artikels haben wir Hilfs- und Beratungsangebote zusammengestellt. https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 3/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE PROTEST VON AIDS-AKTIVISTEN 1989 IN WEST-BERLIN | FOTO: IMAGO | MICHAEL HUGHES Frühe 90er Jahre, Berlin: Aids und HIV sind lebensbedrohlich und stigmatisiert. Der Spiegel titelt in dieser Zeit über "Das große Sterben" und die "Aids-Angst". Die HIV-Prävention per Pille, die PrEP, gibt es noch nicht. 1993 tagt der Internationale Aids-Kongress in der Stadt und hinterlässt wenig Hoffnung, dass die Epidemie noch eingedämmt werden kann. Der Paragraf 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt, wird erst ein Jahr später vollständig abgeschafft, Lebenspartnerschaften und das Recht zu Heiraten sind für Homosexuelle weit entfernt. In Europas ältestem Schwulenkiez im Berliner Westen eröffnet Heiko J. in dieser Zeit seine Praxis. Sie erstreckt sich über zwei Altbauetagen und �ndet schnell ihr Publikum. Schon wenige Jahre nach der Öffnung behandelt J. laut eines Medienberichts 400 Aids-Patienten. Im Oktober 1994 initiiert er die Gründung eines Vereins, um Geld für Aids-Projekte zu sammeln, der Verein organisiert Bene�z-Wochen an Theatern und in Berliner Clubs. Während sich J. einen Ruf als HIV-Spezialist und Wohltäter aufbaut, erhalten Aids-Aktivisten bereits Informationen darüber, dass er Patienten gegenüber übergrif�g werde. Sie sprechen im Rückblick von "sexuellen Grenzverletzungen", von Patienten, die sich hätten ausziehen müssen, "ohne https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 4/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE dass es notwendig gewesen wäre" und von unnötigen "Genital- und Analuntersuchungen" bei HIV-Patienten. Aids-Aktivisten sagen, sie kennen die Vorwürfe seit den 90er Jahren Anfang der 1990er Jahre gründen rund ein Dutzend Berliner Aids-Projekte einen eigenen Landesverband, den LABAS. Mitglieder sind unter anderem die Berliner Aidshilfe, die Schwulenberatung und die Prostituiertenvertretung Hydra. Die Gruppen sammeln schon in der zweiten Hälfte der 90er Jahre Vorwürfe gegen Heiko J. – in einem Arbeitskreis des Verbandes, der sich mit der medizinischen Versorgung HIV-positiver Menschen beschäftigt. Das bestätigen uns zwei Teilnehmer des Arbeitskreises. "Jede Beratungsstelle hatte Fälle von ihm", sagt einer der beiden. "Ich alleine in meiner Tätigkeit bis zu fünf im Jahr." Der Queere Senioren erzählen von ihren Coming-outs MARIA CHRISTOPH Arbeitskreis habe damals in einer Sitzung über Heiko J. diskutiert. In welchem Jahr das war, sagen beide Gesprächspartner, daran können sie sich rund 20 Jahre später nicht mehr genau erinnern. "Schwulsein war in den 90ern zum Teil sehr verpönt und sehr mit HIV verbunden", sagt einer der beiden. Man habe damals nie Protokoll geführt, um Betroffene zu schützen. Im Auftrag des Arbeitskreises und in der Hoffnung, dass die mutmaßlichen Übergriffe sich so stoppen lassen, will sich einer der beiden Männer aber zwei Wochen später mit Heiko J. in dessen Praxis getroffen haben. Der Arzt habe alles abgestritten, sagt unser Gesprächspartner. Weil damals keiner der Betroffenen an die Öffentlichkeit habe gehen wollen, sei es auch nicht zu of�ziellen Ermittlungen gegen Heiko J. gekommen. Zwei Beratungsstellen, so sagen es uns mehrere damals involvierte Personen, hätten J. informell vorerst nicht weiterempfohlen. Der LABAS, der später in LABAHS umbenannt wurde, und der Arbeitskreis zur medizinischen Versorgung HIV-positiver Menschen existieren heute nicht mehr. https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 5/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE "Wir konnten nicht länger schweigen" Doch die mutmaßlichen Übergriffe gehen offenbar weiter. Ein langjähriger Mitarbeiter der Schwulenberatung sagt, in seiner Abteilung seien bis heute mindestens 100 Beschwerden aufgrund "sexueller Grenzverletzungen" gegen Heiko J. bekannt. Weil Klienten immer wieder von Übergriffen erzählen, entscheiden einige Mitarbeiter der Schwulenberatung, J. mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Am 14. Mai 2014 �ndet ein Treffen zwischen Beratern der Schwulenberatung, J. und dessen Bruder, der Mitbetreiber und ebenfalls Arzt in der Praxis ist, statt. VICE liegt der Brief vor, in dem die Schwulenberatung um ein solches Treffen bittet. "Wir konnten nicht länger schweigen", sagt ein Mitarbeiter, der bei dem Treffen dabei war. J. hätte Maßnahmen versprochen: etwa, dass Patienten künftig besser aufgeklärt würden, die Tür zum Behandlungsraum bei Genitaluntersuchungen nicht mehr abgeschlossen werde. Auf eine Anfrage von VICE und BuzzFeed News wollte sich J.s Bruder nicht äußern. Zu diesem Zeitpunkt, im Frühsommer 2014, ermittelt bereits die Berliner Ärztekammer gegen Heiko J. wegen mutmaßlicher Übergriffe auf Patienten. Das Untersuchungsverfahren der Berliner Ärztekammer wird einige Jahre später in einer Anklage der Staatsanwaltschaft wegen "sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses" münden. Sollte das Gericht J. für schuldig be�nden, droht ihm ein Berufsverbot, eventuell sogar eine Haftstrafe. In Projekte der Deutschen Aidshilfe wurde Dr. J. nur noch "in Ausnahmefällen" einbezogen Doch im Sommer 2014 wird es noch Jahre bis zu einem Gerichtsverfahren dauern. Bis die Vorwürfe an die Öffentlichkeit kommen, wird es noch Jahre dauern. Unsere Recherchen zeigen allerdings, dass viele Aidshilfe- und queere Organisationen in Berlin seit Jahren über die Vorwürfe Bescheid wissen. Wir haben etliche vertrauliche Gespräche mit diesen Organisationen geführt, doch öffentlich will sich zu J. kaum jemand äußern. Außer der Schwulenberatung und dem Verein "HILFE-FÜR-JUNGS". "HILFE-FÜR-JUNGS" vermittelt seit etwa 15 Jahren keine Personen mehr an Dr. J., da es vermehrt zu Beschwerden über den Arzt gekommen sei. Das https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 6/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE sagt der langjährige Geschäftsführer Ralf Rötten, der auch das Projekt "subway" leitet, gegenüber VICE. Die Beratungsstelle bietet Hilfe für Jugendliche und junge Männer, die anschaffen. Das Projekt "subway" legt einen besonderen Fokus darauf, die Jugendlichen und Männer darin zu stärken, sich gegen sexuelle Ausbeutung und sexualisierte Gewalt zu wehren. Die fünf Berater des Projekts arbeiten nach eigenen Angaben mit "mehreren vertrauenswürdigen" HIV- Schwerpunktpraxen zusammen. Die Praxis J. sei jedoch nicht darunter, sagt Rötten. Die Personen, die in die Beratungsstelle kommen, sind meist unter 27 Jahre alt, haben häu�g keine Krankenversicherung und keinen legalen Aufenthaltsstatus. Viele von ihnen kommen aus Mittel- und Südamerika, sagt Rötten. Die anderen Beratungsorganisationen, mit denen wir gesprochen haben, berufen sich auf den Datenschutz. So auch die Berliner Aidshilfe. Auf eine of�zielle Anfrage per E-Mail antwortet die Pressestelle, man werde über interne Abläufe aus datenschutzrechtlichen Vorgaben keine Auskunft geben. Eingehende Beschwerden nehme man sehr ernst. Die Berliner Aidshilfe informiere die Polizei aber nie eigenständig – egal wie schwer die Vorwürfe seien. Das zerstöre das Vertrauen zu den Klienten. In einem Telefongespräch fragen wir, ob es nicht die P�icht der Berliner Aidshilfe sei, potentielle Betroffene über die mutmaßlichen Vorwürfe zu informieren. "Wir sind kein Richter, wir sind eine Beratungsstelle", antwortet der Pressesprecher. Zu Gerüchten könne man keine Stellung nehmen. Der Dachverband Deutsche Aidshilfe hingegen wird gegenüber VICE deutlicher. "Die Gerüchte kursieren in Berlin seit vielen Jahren und sind auch uns bekannt", schreibt die Deutsche Aidshilfe auf Anfrage, "auch der Geschäftsführung und einzelnen Mitgliedern des Vorstands." Zwar hätten sich die Hinweise im Laufe der Jahre verdichtet, aber auch der Dachverband habe keine Handhabe gesehen, um of�zielle Schritte einzuleiten: Man habe nie of�zielle Beschwerden oder Mitteilungen von Klienten erhalten. Man habe aber gewusst, dass Berliner Aidshilfe und Schwulenberatung tätig geworden seien. https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 7/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE "Prinzipiell besteht in solchen Fällen ein Dilemma", schreibt die Deutsche Aidshilfe weiter. "Es gilt die Unschuldsvermutung. Aber man möchte auch Aufklärung und gegebenenfalls Schutz für potenzielle Opfer erwirken." Dr. J. sei in der deutschen HIV-Szene sehr präsent, immer wieder habe es zwangsläu�g Begegnungen in verschiedenen Zusammenhängen gegeben. "In Projekte der Deutschen Aidshilfe haben wir ihn in den letzten Jahren aber nur in Ausnahmefällen einbezogen." Während sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten mutmaßlich Betroffene immer wieder mit Vorwürfen an Beratungsstellen wenden, baut J. seinen Ruf als HIV-Experte aus. Das Bundesgesundheitsministerium fördert zwischen 2006 und 2008 ein Forschungsprojekt in J.s Praxis mit 150.000 Euro. Die Praxis J. bildet Mediziner für die Charité aus. 2015 wird J. Mitglied im Vorstand des Arbeitskreis Aids in Berlin. Jahrelang schaltet die Praxis J. Anzeigen im Szene-Magazin Siegessäule. In der Januar-Ausgabe 2013 erscheint eine Anzeige der Praxis auf der Rückseite, der teuersten Seite im Heft, um junge Männer zwischen 16 und 26 Jahren als Teilnehmer für eine Studie zu gewinnen. "Es geht auch um deinen Arsch" steht dort in großen Lettern. Darunter ist ein nackter Männerpo zu sehen. Um Teilnehmer für die Studie zu �nden, soll J.s Bruder, der mit ihm die Praxis betreibt, persönlich zur Schwulenberatung gekommen sein und für Vermittlungen geworben haben. Das sagt ein langjähriger Mitarbeiter der Schwulenberatung im Gespräch mit VICE. Dem Team sei klar gewesen, dass die Studie zu weiteren Analuntersuchungen junger, "vulnerabler" Menschen durch Heiko J. führen würde. "Auf keinen Fall lassen wir diese Praxis unseren Klienten am Arsch rumfummeln", erinnert sich der Mitarbeiter heute an das, was er damals gedacht habe. Der Mitarbeiter sagt, die Schwulenberatung habe die Anfrage unbeantwortet gelassen. Auf eine Anfrage von VICE und BuzzFeed News wollte sich J.s Bruder nicht äußern. Die Ärztekammer leitet 2013 ein Untersuchungsverfahren gegen Dr. J. ein Während die Beratungsstellen nach Wegen suchen, um mit dem mutmaßlich übergrif�gen Arzt zurechtzukommen, erreicht der Fall J. auch https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 8/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE die Behörden. Im September 2012 bekommt die Ärztekammer einen Anruf aus einem Zentrum für sexuelle Gesundheit eines Berliner Bezirksamts: Männliche Personen hätten in einem Jugendhilfeangebot vom sexuell übergrif�gen Verhalten des Arztes J. erzählt, darunter auch Minderjährige. Das Gespräch ist in Unterlagen dokumentiert, die VICE einsehen konnte. Gehen Beschwerden bei der Ärztekammer Berlin ein, kann sie gegen Ärzte ermitteln: In Berlin gibt es laut Auskunft der Pressestelle dafür ein Team aus 13 Personen. Die Kammer kann außerdem Rügen aussprechen, Strafgelder, Maßnahmen oder Fortbildungen verordnen, die Kassenärztliche Vereinigung, die Approbationsbehörden und die Gesundheitsämter informieren. Bei besonders schweren Verstößen kann der Vorstand ein berufsgerichtliches Verfahren einleiten. Zum Fall J. wollte sich die Ärztekammer auf Anfrage nicht äußern, da die Behörde der Datenschutzgrundverordnung unterliege. Wie viele Beschwerden es dort über die Jahre gegen J. gegeben hat, teilt die Ärztekammer deshalb nicht mit. Auch die Approbationsbehörde gibt aus diesem Grund keine Auskunft zu Dr. J.. Ein Dokument, das VICE vorliegt, zeigt, dass bei der Ärztekammer seit 2002 mindestens zehn Vorgänge angelegt sind, die J. betreffen. In mindestens zwei dieser Vorgänge geht es unseren Informationen nach um mutmaßliche sexuelle Übergriffe. Im Juni 2013 beschließt der Kammervorstand einstimmig, ein Untersuchungsverfahren gegen Heiko J. einzuleiten. Es bestehe der Verdacht, dass er seine Berufsp�ichten verletzt habe. J. habe an mehreren Patienten sexuelle Handlungen vorgenommen und anzügliche Bemerkungen gemacht. Diese Vorwürfe stammen aus den Jahren 2008 bis 2013 und wurden von der Ärztekammer in aufgezeichneten Gesprächen dokumentiert. Sie sind in ihrer Masse und Brutalität so schwer zu ertragen, dass sie kaum durchzulesen sind, ohne Pausen zu machen. Und sie entsprechen in weiten Teilen den Erlebnissen, die andere mutmaßlich Betroffene gegenüber VICE schildern. https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-ber… 9/15 9/13/2019 Vorwürfe gegen Berliner HIV-Arzt: Das Geheimnis, das keins war - VICE Welche Motive dabei eine Rolle gespielt haben mögen, macht keinen Unterschied, wenn es darum geht, ob ein Arzt seine Berufsp�icht verletzt hat. "Wegen der Asymmetrie im Arzt-Patienten-Verhältnis" kommt es nicht darauf an, "ob der Patient oder die Patientin sich auf sexuelle Avancen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses eingelassen hat", schreibt die Ärztekammer Berlin auf Anfrage. Ein Arzt verletzt also immer die Berufsp�icht, sobald er sexuelle Handlungen an einem Patienten bei einer Behandlung vornimmt. Das ergibt sich aus der Berufsordnung der Landesärztekammer und ist auch strafrechtlich verboten. Ohnehin gilt: "Jede körperliche Berührung im Behandlungsverhältnis ist rechtfertigungsbedürftig", schreibt die Ärztekammer auf Anfrage, und sei ohne triftigen Grund unzulässig – auch ohne, dass dem Arzt eine sexuelle Motivation nachgewiesen wird. Ein Ermittlungsverfahren, das sich über Jahre hinzieht Noch im Dezember 2013 hört die Ärztekammer die ersten Zeugen an. Bei den Terminen sind auch eine Anwältin und ein Anwalt von J. dabei. Eine Person, die einen Zeugen zum Gespräch begleitet hat, beschreibt ihr Erlebnis im Gespräch mit VICE: "Ich habe dort authentisch erlebt, wie der mutmaßlich Betroffene von J.s Verteidigern auseinandergenommen wurde. Im Sinne von: Du bist ein schwuler Mann, er ist ein schwuler Mann, da ist doch sicher Begehren gewesen." J.s Anwälte streiten damals alle Vorwürfe gegen ihren Mandanten ab. In einer Stellungnahme von 2013 wird suggeriert, die Zeugen seien möglicherweise nicht glaubwürdig, weil es sein könne, dass sie sich prostituierten, Rauschmittel konsumierten oder bereits Opfer sexueller Übergriffe geworden seien. Bei einem der Betroffenen seien die angeblichen Vorwürfe möglicherweise auf seinen Drogenkonsum zurückzuführen. Womöglich habe er sich diese nur eingebildet oder die sexuellen Handlungen selbst initiiert. Über hundert Seiten wissenschaftlicher Artikel im Anhang sollen diese angeblichen Folgen von Drogenkonsum erklären. Die Personen, die uns gegenüber Vorwürfe gegen J. erheben, kommen meist aus Wissensberufen, Akademikermilieus und dem Kunst- und Kulturbetrieb. https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:lS4rQuPvjv0J:https://www.vice.com/de/article/3kxdm9/metoo-in-b… 10/15