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Das Autistisch-Undisziplinierte Denken in der Medizin und Seine Überwindung PDF

201 Pages·1922·13.595 MB·German
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DAS UNDISZIPLINIERTE AUTISTISCH~ DENKEN IN DER MEDIZIN UND SEINE ÜBERWINDUNG VON E. BLEULER PROFESSOR DER PSYCHIATRIE IN ZORICH DRITTE AUI-'LAGE <MANULDRUCK) Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1922 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. ISBN 978-3-662-35821-4 ISBN 978-3-662-36651-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-36651-6 Copyright by Springer-Verlag Berlin Heide1berg Ursprünglich erschienen bei Julius Springer in Berlin 1992. Vorwort zur ersten Auflage. Das Bedürfnis, diese Arbeit zu schreiben, stammt aus der Studienzeit, da ich mich ärgerte über manche unnütz oder gar schädlich scheinende, jedenfalls ungenügend begründete ärztliche Vorschrift in Praxis und Unterricht, und da ich u. a. versuchen wollte, den üblichen unkontrollierten und deswegen ganz be deutungslosen Statistiken über die Heredität bei Geisteskrank heiten eine Untersuchung über das Vorkommen von Nerven- und Geisteskrankheiten in den Familien geistig Gesunder an die Seite zu stellen. Ich hielt mich aber viele Jahre lang nicht kompetent zur lauten Kritik und hoffte, daß Erfahrenere die Sache anpacken würden. Leider geschah das nicht, und vielleicht geben mir nun vierzig Jahre weiterer Beobachtung der nämlichen Unvollkommen heiten das Recht oder gar die Pflicht, etwas davon zu sagen. Ich vermute, es sei nicht ungünstig, daß gerade ein Psychiater sich an die Aufgabe macht, weil er außer der praktischen Konkurrenz steht, und nicht zum wenigsten, weil er das Bestehende nicht nur negativ kritisieren mag, sondern es wie jede andere Naturerschei nung zu verstehen und zu erklären sucht. Natürlich hoffe ich mit einer Kritik unserer Fehler etwas zu nützen, wenn ich auch weiß, daß man solche Dinge nicht von heute auf morgen gründ lich ändern kann, und daß Taten besser wären als Worte. Jeden falls aber kann es ohne bewußte Unzufriedenheit mit den jetzigen Zuständen nicht besser kommen. Es ist deshalb nötig, die Fehler hervorzuheben; mit all dem Guten in der Medizin kann sich die Arbeit nicht beschäftigen. Dabei weiß ich, daß wir nicht nur mit der allgemein menschlichen Unvollkommenheit einer Wissenschaft zu tun haben, sondern daß eben die Forderungen, die an die Medizin gestellt werden, zum Teil unmögliche sind. Es ist mir auch bewußt, daß ich vielen nur Selbstverständliches sage. Ich konstatiere ferner, daß ich nicht der Erste bin, der die zu rügenden Mängel empfindet1), ja daß auf einzelnen Gebieten sehr schöne Anfänge gemacht worden sind, um wissenschaftlicher zu werden, und daß recht viele Arbeiten nichts zu wünschen übrig lassen. Aber ich muß hinzufügen, daß die selbstverständlichen 1) Bei der Korrektur werde ich auf ein hübsches Büchlein von B o ur g e t aufmerksam gemacht, das die jetzigen Verhältnisse in der Therapie ausge zeichnet beleu~htet. (Quelques erreurs et tromperies de Ia science med moderne. 4· Ed. 1915. Paris. Payot.) IV Vorwort. Forderungen nach möglichster Exaktheit bis jetzt trotzdem einen ungenügenden Einfluß auf das Denken und namentlich das Handeln der Ärzte haben. Natürlich hatte es keinen Sinn, etwas Erschöpfen des zu schreiben; es war auch gleichgültig, aus welchen Kapiteln mir die Beispiele einfielen. Immerhin betrifft unser Aberglaube am meisten die Therapie, und diese ist denn auch zu einem viel zu großen Teil noch eine autistische, d. h. sie gründet sich zu sehr noch auf den uralten Boden der Wünsche und Einbildungen statt auf den der Wirklichkeit und strenger logischer Schlußfolgerung (s. Ab schnitt A). Wenn ich einige Aussprüche von Ärzten anführe, so sind sie nicht immer gleich nachstenographiert worden; aber in jedem Falle habe ich gute Gründe, das in meinem Gedächtnis Gebliebene oder mir Referierte für wahr zu halten, namentlich deshalb, weil jeder der Aussprüche ein Typus ist, für den man beliebig viele andere Beispiele geben könnte. Mit dem Ton bin ich selber nicht recht zufrieden; aber die menschliche Natur erlaubt nicht, solche Mißbräuche ohne Satire und Ironie zu behandeln. Und vielleicht hat die Natur hier recht; denn auf dem Gebiete des autistischen Denkens sind die schärfsten wissenschaftlichen Beweise unverdau liche Fremdkörper, während ein bißchen Hohn die Sekretion der psychischen Verdauungssäfte anregt und dadurch liebe Vorurteile und eingeübte falsche Denkformen zu zersetzen vermag und Besseres an deren Stelle treten lassen kann. Viel freundliches Entgegen kommen erwarte ich nicht, und ich weiß auch, daß es leicht ist, meine Forderungen durch Übertreibung lächerlich zu machen. So wie sie gestellt sind, enthalten sie zwar manches Unbequeme, aber nichts Unmögliches, und deshalb erscheint es mir strenge Pflicht, alles zu tun, um sie zu erfüllen, soweit es die Umstände erlauben; und die würden einen hübschen Fortschritt gestatten, wenn sich nicht die psychische Inertie der Gewohnheit allzusehr dagegen stemmt, Daß ich a\,lch die Ursachen der Fehler in der Physiologie unseres Denkensaufzudecken suchte, geschah nicht nur aus wissen schaftlichem Interesse. Nur wenn man einsieht, woher die Fehler kommen, kann man sie verstehen, und nur dann weiß man, was und in wiefern und wie man bessern kann, und wo man sich mit den Schwierigkeiten auf andere Weise abzufinden hat. Im Hinblick auf möglichen Mißbrauch und Verdrehungen wäre es wohl angebracht gewesen, Latein zu schreiben. Es geht aber heutzutage nicht mehr. Vielleicht ist es auch besser so. Es kann ja dem Ansehen der Medizin nur nützen, wenn man sieht, daß sie ihre eigenen Fehler zu erkennen und zu verbessern trachtet, und nicht so lange fortwurstelt, bis ihre Rückständigkeit auch von außen auffällt. Zürich, Juli 1919. Vorwort zur zweiten Auflage. Aus den Rezensionen konnte ich leider weniger lernen, als ich erhofft. Wertvoller als die gedruckten Besprechungen waren mir eine Anzahl persönlicher Urteile, für die ich hier bestens danke. Im ganzen fehlte die Übereinstimmung in den Ansichten der Kritiker vollständig. Was der eine verurteilt, findet häufig ein anderer besonders gut. Einige Einwätlde sind schöne Beispiele des autistischen Denkens und der Erfahrung, daß man den Autismus mit Logik nicht direkt bekämpfen kann. Eine nicht kleine Zahl anderer hätte am ein fachsten dadurch erledigt werden können, daß der Autor das Büch lein genauer gelesen hätte. Mehrfach habe ich z. B. meine Achtung vor der Ethik der Kollegen hervorgehoben und auch geschrieben von dem "sonst ethisch so hoch stehenden Ärztestand". Ein Kritiker aber will gefunden haben, daß ich "auf die Moral der meisten Ärzte nicht g~t zu sprechen sei". Ich glaube, ich kann sogar erklären, warum der Ärztestand relativ hoch stehen muß: schon das Maß von Arbeit, das vom Medizin Studierenden und nachher wieder vom Arzt verlangt wird, gewährt einen gewissen Schutz gegen das Eindringen von mancherlei unerwünschten Charakteren. Außer dem wird das Bedürfnis zu helfen doch bei einem großen Teil der Ärzte mitbestimmend bei der Wahl des Berufes gewesen sein, und die beständige Richtung des Denkens in Studium und Praxis auf das gleiche Ziel hin, muß einen gewissen heilsamen Einfluß ausüben. - Man wirft mir vor, ich übersähe, daß die Ärzte oft zwar wissen schaftlich denken, aber trotzdem notgedrungen autistisch handeln müssen, was ich doch selber gesagt habe; oder ähnlich, ich vergesse, daß die Medizin nicht bloße Wissenschaft, sondern auch eine Kunst sei. Auch daß, und in wie fern das letztere der Fall ist, glaube ich selber deutlich, wenn auch kurz, gesagt zu haben. Wenn man aber aus diesem Kunstbegriff ableiten will, daß das ärztliche Handeln sich weitgehend der logischen Nachprüfung entziehe, dann möchte ich energisch protestieren. Ebenso scharf möchte ich der Meinung entgegentreten, daß "nun jeder Faulpelz U denotherapie nach Bleuler treiben werde". Ich führe ja im Gegenteil aus, wie sie daran scheitern könnte, daß sie dem Arzt zu viel zu beobachten und zu überwachen gäbe. Es ist auch nicht richtig, daß auf meiner "Einteilung" des Denkens der größte Teil meiner Argumente basiere. Man könnte diese "Einteilung" ganz weglassen, ohne dem, was ich sagen will, den geringsten Halt zu entziehen. Ich stütze mich rein auf die Tatsachen. Das Kapitel über die Denkformen hat keine begründende Bedeutung, sondern erklärende. Betrüblich ist mir. daß der Ausdruck .. autistisch" auch hier mißdeutet worden ist. Ich werde in Zukunft statt dessen von dereierendem Denken reden (reor. ratio, res). In dieser Broschüre, VI Vorwort. deren Titel einmal gegeben ist, wird der alte Name bleiben müssen. Vielleicht genügt es, an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, daß ich damit nichts meine, als das, was ich sage, und daß vor allem "autistisch" auch gar nichts mit "egoistisch" zu tun hat. Im übrigen haben mir die Angriffe noch mehr als die Zu stimmungen, obschon letztere zahlreicher und gewichtiger waren, als ich erwartete, gezeigt, daß ich nicht auf falschem Wege bin. Und wenn das Büchlein auch da und dort jemanden ungewollter weise ärgert, ich habe jetzt noch mehr Hoffnung, als da ich es schrieb, daß es doch etwas nützen könnte. Zürich, März 1921, Vorwort zur dritten Auflage. Die Auflage ist im wesentlichen unverändert geblieben. Sie enthält einige wenige Antworten auf kritische Bemerkungen. An dieser Stelle sei nur die Behauptung korrigiert, ich kenne bloß zwei Arten von Denken, das disziplinierte und das w1disziplinierte, und mein Ziel sei der Nachweis, daß das autistisch-undisziplinierte Denken nicht etwa vielfach unrichtig, sondern daß es krankhaft sei. Da diese Auflage durch Manuldruck reproduziert wird, finden sich die Zusätze auf Seite VIII zusammengestellt. Z ü r i c h , Mai I 922. Inhaltsverzeichnis. Seite Vorwort zur ersten Auflage lil 0 Vorwort zur zweiten Auflage V 0 Vorwort zur dritten Auflage VI 0 Zusätze o VIII 0 0 0 0 0 Ao Worum es sich handelt Bo Vom Autismus in Behandlung und Vorbeugung 7 C. Vom Autismus in Begriffsbildung, Ätiologie und Pathologie o 52 Do Vom medizinischen Autismus in der Alkoholfrage 70 E. Von verschiedenen Arten des Denkens o o o o 77 F. Forderungen fOr die Zukunft o o o 104 0 Go Von den Wahrscheinlichkeilen der psychologischen Erkenntnis 132 Ho Mediziner und Quacksalber o o o o o o o 149 0 0 0 0 I. Die Präzision in der Praxis o o o o o o o o o o 154 Ko Von den Schwierigkeiten der ausschließlichen Anwendung des diso ziplinierten Denkens o o o o o 159 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Lo Vom disziplinierten Denken im medizinischen Unterricht 168 0 0 0 Mo Von der Denkdisziplin in den wissenschaftlichen Publikationen 179 Zusammenfassung o o o o o o 185 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 • 0 Zusätze. Zu Seite 2. a) Mehrere Kollegen anderer Fakultäten meinten, es Wäre in ihrer Spezialdisziplin noch schlimmer. Zu Seite 24. b) "Antiseptische Pinselungen wandten wir (bei Diphtheritis) anfangs häufig an; wir überzeugten uns aber, daß sie nicht nur nutzlos waren, sondern auch die bazillenpositive Zeit der Rekonvaleszenz bedeutend ver längerten." Bericht der Zürcher Heilstätte in Wald. 1920. S. 5· Zu Seite 34· c) Ein Rezensent behauptet, das sei geprüft und stehe in den Lehrbüchern der letzten 20 Jahre. Ich bin so unbescheiden, mit diesen Unter suchungen gar nicht zufrieden zu sein und konstatiere, daß Eier heute noch allgemein ohne genügende Indikation verschrieben werden wie früher. Zu Seite 34· d) So sehr die Kenntnis der Vitamine in den letzten Jahren Fortschritte gemacht hat, für die allgemeine Diätik ist sie noch nicht zu ver wenden. Zu Seite 62. e) Seit der letzten Auflage hat sich die Bedeutung der als Vitamine bezeichneten Fermente (He ß) als unangreifbar erwiesen. Zu Seite 169. f! Nach meiner Erfahrung an kleinem Material möchte ich allerdings einen Einwand, der, wie mir scheint, bis jetzt ganz ungenügend berücksichtigt worden ist, als besonders wichtig herausheben. Ein großer Teil wenigstens der schweizerischen allgemeinen und Realgymnasien haben den Lateinunterricht so beschränkt, daß er diese Aufgabe in keiner Weise erfüllen kann. Noch wichtiger ist die Stellung, die der moderne Lehrer der römischen Frühgeschichte gegenüber einnimmt: Die markantesten Einzelheiten SolltenBegeisterung für die virtus der Väter erwecken, und sie sind so be· arbeitet, daß zu diesem Zwecke der Glaube an ihre Realität nicht entbehrt werden kann. Der Lehrer berichtet aber jetzt seinen Schülern, sie seien bloß erfunden und stempelt sie damit zu wertlosen Prahlereien des römischen Volkes oder seiner Schriftsteller. A. Worum es sich handelt. Der Wissens- und Verständnistrieb des Menschen hat sich seit den ältesten Zeiten Theorien über die Entstehung der Welt, den Zweck des menschlichen Daseins, die Entstehung der kosmischen Erscheinungen, die Bedeutung des Bösen und über tausend andere für ihn wichtige Dinge gemacht, Theorien, die keinen Realitäts wert haben. Die Menschheit hat in Zauber und Gebet das Schicksal zu wenden gesucht, sie hat mit Mitteln, denen keine Wirkung zu kommt, Krankheiten bekämpft und auf viele andre Weise ihre Kräfte unnütz und schädlich angewendet. Die Primitiven haben Tabuvorschriften ausgeheckt, die für unser Empfinden unerträgliche Ansprüche an ihre geistige und körperliche Energie, ihre Zeit und ihre Bequemlichkeit stellen, und die nicht nur unnütz, sondern oft auch geradezu schädlich sind. All das ist Resultat eines Denkens, das keine Rücksicht nimmt auf die Grenzen der Erfahrung, und das auf eine Kontrolle der Re sultate an der Wirklichkeit und eine logische Kritik verzichtet, d. h. analog und in gewissem Sinne geradezu identisch ist mit dem Denken im Traume und dem des autistischen Schizophrenen, der, sich um die Wirklichkeit möglichst wenig kümmernd, im Größenwahn seine Wünsche erfüllt und im Verfolgungswahn seine eigene Unfähigkeit in die Umgebung projiziert. Es ist deshalb das autistische Denken genannt worden. Dieses hat seine besonderen von der (realistischen) Logik abweichenden Gesetze, es sucht nicht Wahrheit, sondern Erfüllung von Wünschen; zufällige Ideenverbindungen, vage Analogien, vor allem aber affektive Be dürfnisse ersetzen ihm an vielen Orten die im strengen realistisch logischen Denken zu verwendenden Erfahrungsassoziationen1), und wo diese zugezogen werden, geschieht es doch in ungenügender, nachlässiger Weise. Je mehr sich unsere Kenntnisse erweitern, um so kleiner wird beim Gesunden ganz von selbst das Gebiet des autistischen Denkens; unsere heutigen Vorstellungen vom Weltall, seiner Geschichte und seiner Einrichtungen sind, wenn auch noch vielfach hypothetisch, 1) BI e u I er, Autist. Denken. Jahrbuch für psychoanalytische und psycho pathologische Forschungen. Band 1V . 1912. R I e ul rr, Autistisch-undiszipliniertes Denken. 3. Aufl.

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