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Carl Schmitt als Literaturkritiker Eine metakritische Untersuchung PDF

199 Pages·2013·1.84 MB·German
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Carl Schmitt als Literaturkritiker Eine metakritische Untersuchung Zur Erlangung der Doktorwürde der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Vorgelegt von Linjing Jiang 2013 Betreut von: Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer Prof. Dr. Reinhard Mehring 1 Mein herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer für wertvolle Anregungen und eine fördernde Betreuung. Herrn Prof. Reinhard Mehring für anregende Gespräche. Der Friedrich-Naumann-Stiftung bin ich für die dreijährige Förderung meines Promotionsstudiums aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu großen Dank verpflichtet. Für die stetige Unterstützung und hohes Engagement bin ich meinem Vater Jiang Yuanlai, meiner Mutter Xu Xueqin, meiner Großmutter Jiang Wanhua sowie meinem Freund Usui Hiroki sehr dankbar. 2 Inhaltsverzeichnis Vorwort -------------------------------------------------------------------------------------------7 Carl Schmitts Kritik an der Romantik -------------------------------------------------------10 Die Aktualität der Kritik an der Romantik -------------------------------------------------------------------10 Das allgemeine Verständnis des Begriffs „Romantik“ ------------------------------------------------------13 Das „Romantisieren“ — das „Romantische“ — die „Romantik“ -----------------------------------------15 Schmitts Klärung und Verneinung der verschiedenen Definitionen der Romantik ---------------------17 Schmitts Kritik an der romantischen „Universalpoesie“/ „Universalkunst“ -----------------------------21 Schmitts Definition der „Romantik“ --------------------------------------------------------------------------23 Die Beziehung zwischen „romantischem Subjekt“ und „romantischem Objekt“ -----------------------25 Der christliche Glaube hinter Schmitts Kritik an der Romantik -------------------------------------------30 Carl Schmitts Däubler-Deutung --------------------------------------------------------------32 Eine kurze Biographie von Theodor Däubler ----------------------------------------------------------------32 Die Freundschaft zwischen Carl Schmitt und Theodor Däubler ------------------------------------------34 Transzendente Natur der Sprache. Schmitts Nordlicht-Forschung (1) -----------------------------------39 Betrachtung — Bild — Poesie. Schmitts Nordlicht-Forschung (2) ---------------------------------------44 Überwindung der Moderne. Schmitts Nordlicht-Forschung (3) -------------------------------------------49 Das Epos mit „ultimate concern“. Schmitts Nordlicht-Forschung (4) ------------------------------------57 Der gnostische Prometheus oder der christliche Epimetheus? Der Wandel der Däubler-Deutung von Schmitt ------------------------------------------------------------------------------------------------------------61 Carl Schmitts Hamlet-Deutung --------------------------------------------------------------66 Das Hamlet-Buch von Lilian Winstanley — der Startpunkt von Schmitts Hamlet-Studie ------------67 Schmitts Kritik an der psychoanalytischen Hamlet-Deutung ----------------------------------------------69 Schmitts Kritik an der wissenschaftlichen Spezialisierung. Die erste Schwierigkeit der objektiven Hamlet-Betrachtung ---------------------------------------------------------------------------------------------72 Schmitts Kritik an der Kunstphilosophie des 19. Jahrhunderts. Die zweite Schwierigkeit der objektiven Hamlet-Betrachtung --------------------------------------------------------------------------------73 Die Relevanz der Einbrüche der Zeitgeschichte in die Tragödie Hamlet --------------------------------79 3 Hamlet — Ein Vergleich mit den griechischen Tragödien -------------------------------------------------86 Trauerspiel und Tragödie — Ursprung des Tragischen -----------------------------------------------------92 Das Tragische, das aus der Geschichte entspringt und doch über die Geschichte hinausragt ------------ ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------98 Die transzendente Erlösung in der geschichtlichen Realität ----------------------------------------------102 Carl Schmitts Melville-Deutung ------------------------------------------------------------111 Der Gegensatz von Land und Meer bei Carl Schmitt -----------------------------------------------------111 Die Freund-Feind-Beziehung zwischen Land und Meer in Moby Dick ---------------------------------114 Carl Schmitt und Benito Cereno -----------------------------------------------------------------------------118 Der über die Wirklichkeit herausragende Benito Cereno -------------------------------------------------120 Europa — ein bloß treibendes Schiff ------------------------------------------------------------------------123 Die Spiegelung der europäischen Elite in Benito Cereno -------------------------------------------------124 Selbstdeutung oder Selbstrechtfertigung --------------------------------------------------------------------126 Carl Schmitts Weiß-Deutung ---------------------------------------------------------------130 Konrad Weiß oder Theodor Däubler — Wort oder Sprache ----------------------------------------------131 Der „christliche Epimetheus“ ---------------------------------------------------------------------------------134 Das unwiderlegliche „Vorgebot“ des „christlichen Epimetheus“ ----------------------------------------140 Betrachtung der Schmittschen Geschichtsauffassung durch den „christlichen Epimetheus“ ------------ ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------141 Die eigentliche katholische Verschärfung -------------------------------------------------------------------147 Der „christliche Epimetheus“ und die „eigentliche katholische Verschärfung“ — von der Abirrung zur Entfremdung ------------------------------------------------------------------------------------------------153 Carl Schmitt und der Großinquisitor -------------------------------------------------------156 Das Poem Der Großinquisitor von Dostojewski -----------------------------------------------------------157 Diskrepanz im „anthropologischen Ausgangspunkt“ -----------------------------------------------------159 Die menschliche Bedürfnisse und der heilige Ruf Gottes ------------------------------------------------162 Die Ablehnung der Freiheit — von „der eigentlichen katholischen Verschärfung“ zur Entfremdung von der Erlösung -----------------------------------------------------------------------------------------------165 „Politische Theologie“ oder „Theologische Politik“ ------------------------------------------------------169 Das Plädoyer des die Geschichte aufhaltenden „Märtyrers“ ---------------------------------------------172 4 Die Antworten von Schmitt und Dostojewski --------------------------------------------------------------175 Literaturverzeichnis --------------------------------------------------------------------------184 Namenverzeichnis ----------------------------------------------------------------------------196 5 Vorwort Carl Schmitt ist einer der umstrittensten Juristen des 20. Jahrhunderts. Immer noch wird er wegen seines Engagements für das NS-Regime als „Kronjurist des Dritten Reiches“1 verurteilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Schmitt verhaftet und in den Nürnberger Prozessen verhört, jedoch nicht unter Anklage gestellt. Danach zog er sich in seine Heimatstadt Plettenberg zurück, wo er weiter publizierte und 1985 95-jährig starb. Trotz seines mehrmaligen Aufstiegs und Falls wird er als eine charismatische Figur in der politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts angesehen. Bis heute bleibt es schwer, über Schmitt ein klares Urteil zu fällen: trotz seiner Tabuisierung wegen seiner „Mitläuferschaft“ im Dritten Reich sind seine Wirkungen nachhaltig geblieben. Die Diskussion um Schmitt verlagert sich von der Rechtswissenschaft und der Politikwissenschaft auf breitere Geisteswissenschaften wie Theologie und Literaturwissenschaft. Viele Begriffe wie derjenige Freund-Feind-Unterscheidung, der Großraumpolitik usw. haben bis heute überdauert und geradezu ein Carl-Schmitt-Fieber im Ausland hervorgerufen. Das gilt zumal seit Anfang des 21. Jahrhunderts für China. Die wesentliche Primär- und Sekundärliteratur wird seit Jahren ins Chinesische übersetzt (leider zum großen Teil aus englischen Übersetzungen). Der Grund, warum Schmitt in China von großer Aktualität ist, liegt darin, dass der heutige China, ein Staat unter mehr als 60jähriger autoritärer Führung, ebenfalls gerade einen gewaltigen und besonders schwierigen Modernisierungsschub erlebt. Schmitts Kritik an der Technik, der Modernität und dem Zeitalter der „Geistlosigkeit“ aufgrund der Vorherrschaft eines rein „ökonomischen Denkens“ ist im heutigen China besonders aktuell. Der unaufhörliche Versuch, alle religiösen Bindungen abzuschütteln und sie durch absoluten Subjektivismus zu ersetzen, ist heute allgemeiner Trend in China. Vor diesem Hintergrund spielt die Auseinandersetzung mit Schmitt und seiner Modernitätskritik eine wichtige Rolle. 1 So Schmitts ehemaliger Freund und späterer Kritiker Waldemar Gurian (1902 — 1954). 6 Auch weltweit scheint die Faszination Carl Schmitts nicht abzuflauen. Das Interesse zeigt sich in den zahlreichen Neuausgaben seiner Werke und der kaum mehr zu überblickenden Sekundärliteratur gerade aus jüngster Zeit. Als Jurist, Philosoph und Politiker wurde Schmitt schon breit diskutiert. Die Schmitt-Forschung hat in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass er sein Denken auch im Spiegel der Dichtung erläutert und illustriert. Deshalb haben auch seine literarischen Auseinandersetzungen große Aufmerksamkeit erweckt, wie etwa die Editionen seiner Korrespondenz mit zeitgenössischen Denkern und Schriftstellern belegen. Eine ganze Reihe solcher Korrespondenzen sind bereits veröffentlicht worden, vor allem der Briefwechsel mit Ernst Jünger. Obwohl Schmitts literarische Auseinandersetzungen immer wieder erwähnt werden, fehlt jedoch bislang eine systematische Untersuchung über den Zusammenhang zwischen seiner Literaturkritik und seinem Denken. Bereits in Schmitts Jugend zeigte sich sein weitreichendes Interesse an Kunst und Literatur. Seine Literaturkritik beschränkte sich nicht auf deutschsprachige Schriftsteller wie Johann Wolfgang von Goethe (1749 — 1832), Friedrich von Schiller (1759 — 1805), Friedrich Hölderlin (1770 — 1843), Rainer Maria Rilke (1875 — 1926) und vor allem auch die heute weithin fast vergessenen Dichter Theodor Däubler (1876 — 1934) und Konrad Weiß (1880 — 1940); er beschäftigte sich auch intensiv mit William Shakespeare (1564 — 1616), Vergil (70 v. Chr. — 19 v. Chr.), Herman Melville (1819 — 1891) und sogar noch Mao Tse-tung (1893 — 1976) und anderen Autoren der Weltliteratur. Schmitts Literaturkritik ist auf den Angelpunkt seiner politischen Theologie bezogen. Seine Literaturkritik präsentiert nicht nur die Beziehung zwischen Dichtung und Rechtswissenschaft, sondern auch im weiteren Sinne das Verhältnis zwischen Dichtung und christlicher Religion. Außerdem ist seine Literaturkritik eher politisch und philosophisch, weniger literarisch und ästhetisch ausgerichtet. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen weniger seine politischen und juristischen Arbeiten als vielmehr sein Verhältnis zur Literatur sowie seine Bedeutung als Literaturkritiker im weiteren Sinne zur Diskussion. Eigentlich wiederentdeckt wurde Schmitt in seinen späten Jahren ausgerechnet von 7 der Linken, weil seine Liberalismus-Kritik, seine Kritik des bürgerlichen Rechtsstaates und schließlich seine Kritik an der Technikgläubigkeit sich — bewusst oder unbewusst — mit den Grundideen der von Schmitt als Gegner betrachtenden „Neuen Linken“ verknüpfen ließen; das zeigt sich besonders deutlich in seiner Kritik an der Romantik, die zu Hauptthemen seiner frühen Werke gehört. Für ihn ist die Romantik nicht nur eine literarische und philosophische, sondern auch eine politische und gesellschaftliche Erscheinung. Zuerst gehen wir auf Schmitts Kritik an der Romantik als Startpunkt der Untersuchung über Schmitts Rolle als Literaturkritiker, ein. 8 Carl Schmitts Kritik an der Romantik Lieb und Leid im leichten Leben Sich erheben, abwärts schweben, Alles will das Herz umfangen, Nur Verlangen, nie erlangen, In dem Spiegel all ihr Bilder, Blicket milder, blicket wilder, Kann doch Jugend nichts versäumen Fort zu träumen, fort zu schäumen. Clemens Brentano (1778 — 1842) Die Aktualität der Kritik an der Romantik Als eine Kulturepoche ist die Romantik schon lange vorbei, aber als eine geistige Strömung hat sie an Interesse und Aktualität bis heute nichts eingebüßt, wenngleich man sagen muss, dass es sich um ein heikles Thema handelt. In unserem Zeitgeist ist die Romantik — gewollt oder ungewollt — nach wie vor zugegen. Wir haben zum einen Abstand zu dieser Kulturepoche, zum anderen fehlt uns dieser Abstand, weil sie immanent das Denken und Tun der Menschheit durchzieht. Gibt man den Begriff Romantik bei Google ein, wirft die Suchmaschine bis zu 45 Millionen Ergebnisse aus — viele davon scheinen miteinander unvereinbar zu sein. Der Begriff ist derart popularisiert und entwidmet worden, dass man unter dem Begriff sowohl das Gemälde Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich (1774 — 1840) als auch die Bezeichnung Romantik-Hotel einordnet, obwohl diese beiden Eckpunkte reichlich wenig miteinander zu tun haben. Die Bedeutsamkeit und Aktualität des Themas wird in diesem Jahr von der heftigen öffentlichen Debatte hervorgehoben, in der es darum geht, ob ein Deutsches Romantik-Museum in Frankfurt ins Leben gerufen werden soll oder nicht. Es wird hinterfragt, ob das romantische Gedankengut, das bis in unsere Zeit strahlt und bis in die Gegenwart nachwirkt, einer antimodernen Bewegung gleichkommt, oder ob gerade im umgekehrten Sinne zu sehen ist, dass Modernität und Romantik sich treffen. 9 Im Zuge der Modernisierung und Globalisierung unserer Welt gerät die Existenz des Menschen in ihrem Vollzug zunehmend in eine Krise. Diese Krise der Moderne betrifft alle Nationen und alle Bevölkerungsschichten. Sie begann zuerst im Abendland; aber mit dem unvermeidlichen Globalisierungsprozess auf allen Gebieten dehnte sich diese Krise auch auf die Entwicklungsländer und Schwellenländer aus. Einer der Kernpunkte der Krise der Moderne zeigt sich in dem unaufhörlichen Versuch des Menschen, die Göttlichkeit abzuschütteln, sein Leben auf der Grundlage eines absoluten Subjektivismus zu führen und die Welt unter diesen Bedingungen von sich aus zu formen. Wenn der moderne Mensch das Gefühl hat, sich durch die Erhebung zu demokratischen Gesellschaftsformen und individueller Freiheit von der von außen aufgezwungenen Unterdrückung und der Kontrolle durch eine äußere Macht zu befreien, übersieht er absichtlich oder unabsichtlich neue Gefahren, die viel schwerwiegender und ernster für die Menschen einer modernen Gesellschaft sein können. Eine Gefahr in dieser Hinsicht besteht darin, sich in neue Formen der Kontrolle und Manipulation zu verlieben, oder auch unbemerkt hineinzugleiten und die modernen Technologien, die ihre unabhängige Denkfähigkeit einschränken, anzubeten. Neil Postman (1931 — 2003), der amerikanische Medienwissenschaftler und insbesondere ein scharfer Kritiker des Mediums Fernsehen, schildert im Vorwort seines erfolgreichen Buchs Amusing Ourselves to Death (Wir amüsieren uns zu Tode) sehr präzise die neue Gefahr, die die Krise der Moderne mit sich bringt, indem er die beiden Romane 1984 von George Orwell (1903 — 1950) und Schöne neue Welt von Aldous Huxley (1894 — 1963) einander gegenüberstellt: „Orwell fürchtete diejenigen, die Bücher verbieten. Huxley befürchtete, daß es eines Tages keinen Grund mehr geben könnte, Bücher zu verbieten, weil keiner mehr da ist, der Bücher lesen will. Orwell fürchtete jene, die uns Informationen vorenthalten. Huxley fürchtete jene, die uns mit Informationen so sehr überhäufen, daß wir uns vor ihnen nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können. Orwell befürchtete, daß die die Wahrheit vor uns verheimlicht werden könnte. Huxley befürchtete, daß die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen könnte. Orwell fürchtete die Entstehung einer Trivialkultur, in deren Mittelpunkt Fühlfilme, Rutschiputschi, Zentrifugalbrummball und dergleichen stehen. Wie Huxley in Dreißig Jahre danach der Wiedersehen mit der >Schönen neuen Welt< (Brave New World Revisited) schreibt, haben die Verfechter der bürgerlichen Freiheiten und die Rationalisten, die stets auf dem Posten sind, wenn es gilt, sich der Tyrannei zu widersetzen‚ nicht berücksichtigt, daß das Verlangen des Menschen nach Zerstreuungen fast grenzenlos ist. In 1984, so fügt Huxley hinzu, werden die Menschen kontrolliert, indem 10

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Aldous Huxley (1894 — 1963) einander gegenüberstellt: „Orwell fürchtete diejenigen Versen von Brentano, „nur Verlangen, nie erlangen“ wollen:.
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