Rudolf Bultmann Martin Heidegger Briefwechsel 1925- 1975 Rudolf Bultmann/Martin Heidegger Briefwechsel 1925-1975 Herausgegeben von Andreas Großmann und Christof Landmesser Mit einem Geleitwort von Eberhard Jüngel Vittorio Klostermann ·Frankfurt am Main Mohr Siebeck · Tübingen © der Rudolf Bultmann Briefe: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG, Tübingen · 2009 © der Martin Heidegger Briefe: Vittorio Klostermann GmbH, Frankfurt am Main · 2009 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Satz: Mirjam Loch, Frankfurt am Main Druck: VVilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf Alster Werkdruck der Firma Geese, Hamburg, e alterungsbeständig IS09706 und PEFC-zertifiziert ~. ISBN 978-3-465-03602-9 kt ·ISBN 978-3-465-03603-6 Ln GELEITWORT »Alles Große steht im Sturm.« Mit diesem Satz aus Platons Poli teia (497 d 9) hatte Martin Heidegger am 27. Mai 1933 seine -viel zitierte, gewiß nicht unproblematische, aber auch vielfach (sei es unabsichtlich, sei es absichtlich) mißverstandene- Frei burger Rektoratsrede beendet. Echte Freundschaften bewähren sich im Sturm. Das zeigt der in diesem Band der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Briefwechsel zwischen dem Theologen Rudolf Bultmann und dem Philosophen Martin Heidegger. Bei de sind nachdenkliche Denker gewesen: nachdenklich in dem Sinne, daß sie einem unvordenklichen Anspruch nachdachten, um offen für die Zukunft zu werden. Aber der eine dachte dem Anspruch des Seins nach, der andere dem des Wortes Gottes. Und deshalb bezeugte der Theologe dem Philosophen seine Freund schaft, indem er dessen Rektoratsrede sofort-und nicht erst nach 1945!-mit kritischen Rückfragen konfrontierte, die zwar höflich formuliert waren, aber aufs Ganze-oder sollte man sagen: dem Ganzen auf den Grund? - gingen. Heideggers Satz »Wir wol len uns selbst« wurde von Bultmann gründlich in Frage gestellt. Und geradezu wie ein Gegenstück zur Freiburger Rektoratsrede wirkt die bereits drei Wochen vorher von Bultmann am Anfang des Sommersemesters 1933 im Hörsaal abgegebene Erklärung über »Die Aufgabe der Theologie in der gegenwärtigen Situa tion«, die im Anhang dieses Bandes wiedergegeben wird. In den nächsten Jahren scheint der Briefwechsel weniger intensiv fort gesetzt worden zu sein. Doch die Freundschaft zerbrach nicht. Als Bultmann den 1933 in erster Auflage erschienenen Aufsatzband »Glauben und Verstehen«, den er dem Freund gewidmet hatte, 1954 in zweiter Auflage nachdrucken ließ, änderte er die Wid mung, indem er sie bestärkte: »MARTIN HEIDEGGER bleibt(!) V dieses Buch gewidmet ... « Ehrliche Freundschaft bewährt sich im Sturm. Die freundschaftliche Beziehung zwischen dem Philosophen und dem Theologen begann schon bald, nachdem der 1923 nach Marburg berufene Heidegger als »außerordentliches :\1itglied« an Bultmanns Seminar über die paulinische Ethik teilgenom men hatte, in dem er über das Problem der Sünde bei Luther referierte (ebenfalls im Anhang abgedruckt). 1 Zwei Jahre spä ter beginnt der in diesem Band dokumentierte Briefwechsel mit einer Karte an den »lieben Freund«. Geändert hat sich in dem fünf Jahrzehnte umspannenden Austausch in dieser Hinsicht nur der Wechsel (ab 1928) vom distanzierten »Sie« zum vertrau licheren »Du«, das aber den gegenseitigen Respekt nicht über deckt. Diese Freundschaft war von Anfang an bis zum Schluß von einem zwar herzlichen, aber bemerkenswerten gegensei tigen Respekt erfüllt. Von Seiten Heideggers galt er wohl vor allem der unbestechlichen Urteilskraft des Marburger Freundes. Von Seiten Bultmanns drückte er sich in dem bis ins hohe Alter andauernden Bemühen aus, das tiefgründige Denken des ale mannischen Freundes angemessen zu verstehen und für die eige ne theologische Arbeit fruchtbar zu machen. Karl Barth notierte nicht ohne eine gewisse Ironie, Bultmann habe ein Treffen in der Nähe Göttingens dazu genutzt, ihm »stundenlang aus den ... mitgeschriebenen Vorlesungen ... Heideggers vorzulesen«2• Und noch der alte Bultmann gab dem alten Heidegger, als dieser 1 Im Anhang findet man auch das Protokoll der zwei letzten Sitzungen des Systematischen Seminars Gerhard Ebelings aus dem Wintersemester 1960/61, an denen Heidegger teilgenommen und sich-so Ebeling-»lebhaft<< beteiligt hatte. Das Protokoll ist geeignet, Heideggers im Zusammenhang seiner Kritik an der neuzeitlichen Transformation der Wahrheitsfrage in die Frage nach der Gewiß heit entstandene Distanzierung von der anfänglich positiv rezipierten Theologie Luthers zu relativieren. 2 KAR!. B.\RTH: Nachwort, in: HEINZ Bm.u (Hg.), Schleiermacher-AuswahL Mit einem :\achwort von Kar! Barth, Gütersloh '1983, 290-312: 299. Vgl. auch EBER· fL\RU B1·scH: Kar! Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, München '1978, unveränderte Neuauflage Zürich 2005, 170. VI ihm einen bereits 1927 in Tübingen gehaltenen, aber erst 1969 in Frankreich und ein Jahr später in Deutschland- unter dem Titel »Phänomenologie und Theologie« mit einer Widmung für Bultmann - veröffentlichten Vortrag zugeschickt hatte, pünkt lich Rechenschaft über sein Verständnis dieses Textes, auch dies mal selbstverständlich nicht ohne kritische Rückfragen. Man kann diesem Briefwechsel allerdings auch allerlei aka demischen Klatsch entnehmen. Und allerlei anderes durchaus Nebensächliches. Freundschaftlicher Austausch bezieht sich nun einmal auch auf das, was uns nicht unbedingt angeht. Man kann dem Briefwechsel auch überaus harte Urteile über unbestreit bar bedeutende Zeitgenossen entnehmen: über Erich Przywara zum Beispiel und - allerdings mit der Bereitschaft zur Selbst korrektur- über Karl Barth.'~ Und über die eigenen »Schüler«, von denen zumindest einige ihren »Lehrern« treugeblieben und zu deren Wirkungsgeschichte nicht nur marginal beigetragen haben. Doch gerade im Verhältnis zu den »Schülern« zeigt sich, was Bultmann und Heidegger - jedenfalls auch - verbunden hat: nämlich ein intellektueller Eros, der sich vor allem dadurch bemerkbar macht, daß er den Studierenden die Strenge des eige nen Nachdenkens zumutet. Bemerkenswert an dieser Freundschaft ist nicht zuletzt die dem Theologen und dem Philosophen gemeinsame entschiede ne Absage an jedwede »Mixophilosophicotheologia«. Nur gründ liche Unterscheidung der Aufgaben, der sich die Philosophie einerseits und die christliche Theologie andererseits zu stellen haben, kann nach dem Urteil beider Freunde eine fruchtbare Relation zwischen Theologie und Philosophie freisetzen. Dabei war Heidegger unverkennbar stärker auf Abgrenzung bedacht ' Für die Leser und Leserinnen dieses Briefwechsels wäre es lohnend, ihn mit den bereits publizierten Briefen, die Barth und Bultmann einander haben zukommen lassen, aber auch mit dem ebenfalls bereits publizierten Briefwechsel zwischen Heidegger und Kar! Jaspers und dem zwischen Heidegger und Hannah Arendt zu vergleichen. VII als Buhmann. So weigerte er sich beharrlich, in einer theologi schen Zeitschrift philosophisch mitzuarbeiten - vielleicht eine Folge seines problembesetzten Verhältnisses zu seinem einstma ligen Studium der katholischen Theologie? Doch daß die Theologie nicht erneut auf Abwege gerate, daran war der alte Heidegger noch immer genauso interessiert wie der junge Buhmann: »Die heutige Theologie sucht, so weit ich sehe, auf Irrwegen eine wenig verläßliche Zuflucht bei der Soziologie, Politologie und der Psychoanalyse. Aber diese Mode wird rasch in sich zerfallen« (so in einem Schreiben vom 2. Janu ar 1975). Und so zeigt sich, daß die beiden Freunde auch im hohen Alter noch auf dasselbe bedacht sind, was sie einst zusam men brachte: leidenschaftliches, aber autochthones Denken auf Seiten der Philosophie und leidenschaftliches, aber wiederum autochthones Denken auf Seiten der Theologie. Und gerade so eine 1tUAt Vtp07t0~ apJJ.OVt "fl. Das mag denn auch erklären, daß diese Freundschaft - so Heidegger an Bultmann - sowohl eine »stille« als auch eine »öffentliche Auswirkung« gehabt hat, die freilich »eine stets neue, sich prüfende Vergegenwärtigung« verlange (Brief vom 17. August 1974). Doch- so im selben Brief, in dem der altge wordene Freiburger dem altgewordenen Marburger mit einem Satz des alten Goethe grüßt - »auch in verschiedenen Gärten fallen Früchte zu gleicher Zeit vom Baum«. Andreas Großmann und Christof Landmesser haben den Briefwechsel Bultmann - Heidegger sorgfältig ediert und mit wohltuender Kargheit kommentiert. Am Ende des Briefwech sels der beiden Freunde kommt immer öfter der Dank zur Spra che. Nach Heidegger bringt er die Dankenden zurück vor »die Gegenwart des Unzugangbaren« (Dankesbrief Heideggers nach seinem 85. Geburtstag). Doch Dank gebührt auch den Herausge bern, die uns diese Briefe zugänglich gemacht haben. Eberhard Jüngel VIII VORWORT Als der Freiburger Privatdozent Martin Heidegger 1923 an die Universität Marburg berufen wurde, bedeutete dies den Beginn einer Liaison, die weniger mit der hessischen Provinzstadt zu tun hatte (in der Heidegger nie recht heimisch werden sollte) als mit dem damals und über Jahrzehnte das Gesicht der Uni versität prägenden Theologen Rudolf Buhmann. Sich fragend, was Marburg sei, bekannte der Romanist Leo Spitzer anläßlich seines Abschieds von Marburg 1930: Rudolf Bultmann-»das ist Marburg!« Hans-Georg Gadamer, der diese Äußerung Spitzers in seinen Erinnerungen an die Marburger Studenten- und Dozen tenzeit festgehalten hat\ hat freilich auch bezeugt, wie geradezu umwerfend die Begegnung mit Heidegger war. Gadamer nennt sie ein »elementares Ereignis« nicht nur für ihn persönlich, »sondern für das Marburg jener Tage, eine so zusammengefaßte geistige Energie, dabei von einer. solchen schlichten Kraft des sprachlichen Ausdrucks und von einer solchen radikalen Ein fachheit im Fragen, daß einem wie mir das gewohnte und mehr oder minder gekonnte Scharfsinnsspiel mit den Kategorien oder Modalitäten verging«2• Heidegger galt, wie es ein Gerücht sagte, das auch die junge Hannah Arendt nach Marburg lockte, als »der heimliche König ... im Reich des Denkens«3. Marburg-das war ' HA:oo;S-GEORt~ GADA~IER: Philosophische Lehrjahre. Eine Rückschau, Frankfurt am Main 1977,21995, 14. ' G.•nntER: Philosophische Lehrjahre, 30. ' V gl. HAN:\AH ARENDT: Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt, in: Antwort. 'Vlartin Heidegger im Gespräch, hg. von Gü>.:THEI\ NESKE und E:~<IJL KETI'ERI'o;G, Pfullingen 1988, 232-246: 235.-Arendt gehörte während ihrer Marburger Stu dienzeit auch zu Bultmanns Schülerkreis und war dem Theologen später freund schaftlich verbunden. Noch nach dem Krieg bekennt sie gegenüber Kar! Jaspers, sie habe »bei Bultmann vieles gelernt und verdanke ihm manches, was ich nicht vergessen möchte« (Bw. ARE:"DT-hSPEI\S, Nr. 145, S. 257). IX einmal, in der evangelischen Theologie wie in der Philosophie, ein von »geistige[r] Revolutionsstimmung«4 bestimmter Ort. Heideggers Ankunft dort und sein Zusammentreffen mit Bult mann markieren den Auftakt zu einem im zwanzigsten Jahrhun dert (und vielleicht sogar darüber hinaus) einzigartigen, eminent produktiven Gespräch zwischen Philosophie und Theologie. Heidegger und Bultmann verstehen sich auf Anhieb gut, das Interesse an anderen Anfängen in Philosophie und Theologie verbindet beide, die je auf ihre Weise entschlossene Einzelgän ger sind. »Gar nicht muffig«, urteilt Heidegger in einem Brief an Karl Jaspers vom 18. Juni 1924 über den neuen theologischen Kol legen, mit dem er jede Woche zusammenkomme;. Man kann die Intensität des intellektuellen und persönlichen Austauschs in der Tat kaum überschätzen: Sonnabends treffen sich Heidegger und Bultmann regelmäßig zu gemeinsamer Lektüre des Johannes evangeliums, Heidegger wird nicht nur Mitglied in Bultmanns legendärer »Graeca« und geschätzter, bisweilen auch gefürch teter Mitdiskutant bei den »theologischen Schlachtfesten«, wie Gadamer die Diskussionsveranstaltungen mit berühmten exter nen Gästen (wie etwa Eduard Thurneysen) genannt hat6. Kaum in Marburg angekommen, nimmt Heidegger am Seminar Bult manns über die Ethik des Apostels Paulus teil und hält im Febru ar 1924 ein Referat über-Luther! Bultmann zeigt sich sogleich überaus beglückt. »Das Seminar«, schreibt er an den Freund Hans von Soden, »ist diesmal besonders lehrreich, weil unser neu er Philosoph Heidegger, ein Schüler Husserls, daran teilnimmt. Er kommt aus dem Katholizismus, ist aber ganz Protestant, was er neulich, in der Debatte nach einem Vortrag Hermelinks über Luther und das Mittelalter bewies. Er hat nicht nur eine vortreff liche Kenntnis der Scholastik, sondern auch Luthers, und brachte Hermelink einigermaßen in Verlegenheit; er hatte offenbar die ' G.\fl.\\IEII: Philosophische Lehrjahre, 37. R". HEIJ.JF.c;c;m.J.\SI'EI\S: 1\r. 22. S. 49. " GAD\\IEI\: Philosophische Lehrjahre, 37. X
Description: