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Braver Junge — gefüllt mit Gift: Joseph Roth und die Ambivalenz PDF

189 Pages·2001·20.315 MB·German
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Braver Junge - gefüllt mit Gift Sebastian Kiefer Braver Junge - gefüllt mit Gift Joseph Roth und die Ambivalenz Verlag 1. B. Metzler Stuttgart · Weimar Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Kiefer, Sebastian: »Braver Junge -gefüllt mit Gift« : Joseph Roth und die Ambivalenz I Sebastian Kiefer. -Stuttgart ; Weimar: Metzler, 2001 (M -&-P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung) ISBN 978-3-476-45258-0 ISBN 978-3-476-02754-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-02754-2 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. M & P Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung © 2001 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei IB.Metzlersche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2001 ZERWÜRFNISSE AM TOTENBETT - DAS PROGRAMM DIESER ARBEIT ......... 1 ERSTER TEIL: ,ROTHER JOSEPH' ODER OSTJUDE AUF WANDERSCHAFT? .18 AUF DER SUCHE NACH DEM 'WAHREN' ROTH IN DEN 20ER JAHREN ..................... 18 DIE LEGENDE VOM ,ROTHEN JOSEPH' ....................................................... 25 ROTHS BERICHT ÜBER DEN RATHENAU-PROZEß: SOZIALISTISCHES 'ENGAGEMENT' ODER MOKERIE EINES POLITIKVERÄCHTERS ? ...................................................... 27 DIE WAHL HINDENBURGS UND DER ANTISEMITISMUS 1925 -ANLAß ZUR AB WENDUNG VON WEIMAR ? ................................................................................ 30 DAS FLUCHT-UND WENDEJAHR 1925 IM SPIEGEL DER LITERATUR .................... 37 STIL, IDEAL UND JU D ENTUM ...............................•..•.••.•.•••••.••••••.••••....•••...••• 44 ABKEHR VON REpUBLIK UND GEGENWART - EIN RELIGIÖSER ,IDENTITÄTSKONFLIKT'? ....................................................................................... 44 FEUILLETON UND JÜDISCHE IDENTITÄT ................................................................ 48 DIE 'IDYLLE' LEMBERG -ROTHS IDEAL EINER 'DEMOKRATIE' OHNE VERANTWORTUNG UND MODERNE VERFASSUNG ................................................. 53 EXKURS 1: ORDNUNG OHNE VERANTWORTUNG, GELENKSTELLE ZWISCHEN LITERATUR UND POLITIK ....................................................................................... 66 FEUILLETONISTISCHER STIL UND JÜDISCHE IDENTITÄT.. ...................................... 68 AMBIVALENZ UND IDEALER JUDE ......................................................................... 71 J. Mitzwah kontra Kulturkarriere. Der Essay "Juden auf Wanderschaft "71 II. Ideale Juden und Gute Wilde, Schlachträsser im Kampf mit dem Liberalismus .......................................................................................... 78 III Das Motiv vom Ausnahmeindividuum aus dem Osten -prekäre Notlösung des Ambivalenzkonjliktes ....................................................................... 80 ZWEITER TEIL: SCHÜTZENHILFE DURCH FREUD UND ANDERE ................... 87 KLEINE ÄTIOLOGIE DER "HYSTERISCHEN PERSÖNLICHKEIT" ............................... 88 MILITÄRISCHE KOLLEKTIVIT ÄT ALS AMBIVALENTER WUNSCHRAUM ................. 91 EXKURS 2. ZWEIMAL KRENEK. CHARAKTERVARIATIONEN DES "HABSBURGISCHEN MYTHos" ............................................................................................................... 94 MILITÄR, AMBIVALENZ UND DER URSPRUNG DES STILISTEN ............................ 103 VON DER AMBIVALENZ ZUR STILFIGUR .............................................................. 10 5 DER URSPRUNG DER AMBIVALENZ, BIOGRAPHISCH GESEHEN ........................... 10 8 EXKURS 3: FREUD UND DER BEGRIFF DER "AMBIVALENZ" ................................. 111 DRITTER TEIL: AMBIVALENZ IM LITERARISCHEN WERK .......................... 116 DIE LITERARISCHE VORGESCHICHTE EINES EPIKERS .......................................... 116 l Die Schwierigkeit, "Ich" zu sagen: Roths lyrische Anfinge. .............. 116 Il .. 0 Bruder Mensch ": Ambivalenz von Fremde und (letaler) Symbiose116 III. " Wo?" -Ambivalenzen auf dem Weg ins Kinderland ......................... 118 SICHERE DISTANZ: ROTHS FRÜHE ERZÄHLUNGEN ............................................. 119 DIE VERFÜHRUNGEN DER AUTOKRATIE, GEDOPPELT: "DAS SPINNENNETZ" ..... 122 "DIE REBELLION" ................................................................................................ 126 EIN SOZIALISTISCHER HELD, DIE ROLLE DER KOLPORTAGE UND DIE FUSSANGELN DER (HYSTERISCHEN) LIEBE ................................................................................ 128 DAS MOTIV DER "GRENZSCHENKE" -DIE "HELLE MITTE" ZWISCHEN DEN ORDNUNGEN ........................................................................................................ 133 AMBIVALENZ UND LEITMOTIV IM "RADETZKYMARSCH" ................................... 135 "ALLE DEINE GEWICHTE SIND FALSCH, UND ALLE SIND DENNOCH RICHTIG" .... 140 AUSBLICK: AMBIVALENZ, HYSTERIE UND ORDNUNG-STATIONEN EINES SCHÖPFERISCHEN PRINZIPS •...••.••••.•••.......•....•.....•...•••••.•.•••••.••.••••••••••••••.•... 158 BIBLIOGRAPHIE ••..•...••.•.••.••••••••..••.••.....•..........•••••..•••••••.•••••••..•••••.•••••••••.•...• 178 Kleiner Dank vorab Ästhetischer Entwurf, Prolegomenon zu einer Theorie des Stils, historischer Essay, Spekulation über die Natur der Kreativität - was immer die nachfolgen den Blätter darstellen mögen, dereinst trugen sie, in einem noch halb verpupp ten Stadium, dem Urheber (bescheidene) akademische Lorbeeren ein. Daß aus der Last eine Lust wurde, hat mit Dingen zu tun, die heutige Massenbildungs anstalten ruglichst auszutreiben bemüht sind. Gerhard Bauer hat sie in fröhli chem Anachronismus rur sich bewahrt und verschenkt. Daß aus dem Stapel toten Papiers ein veritabel gebundener geworden ist, hat mit der Neugierde von Professor Marlies Janz zu tun. So beredsam trug sie ihre Ansicht zum Wert der hier verhandelten Sache vor, daß sich der Autor nur zu gerne widerspruchslos beugte. Die Schlußgerade wurde leicht dank einer Brotzeit mit Norbert Miller (panegy risch) und den merkurischen Gaben von Sabine Matthes. Manu und Henning haben sich als Cicerones in den Untiefen der Datengespensterautobahnen aufs Netteste bewährt. Ohne Renate und Günter wäre ohnehin, wie sich versteht, alles nichts geworden. Harald und Ute, den Freunden fiirs Leben, zu danken, ist einem Ort im Schatten jener immergrünen Bäume vorbehalten. Berlin, September 2000 ZERWÜRFNISSE AM TOTENBETT - DAS PROGRAMM DIESER ARBEIT Wir schreiben das Jahr 1939, Pfingstsonntag. Joseph Roths Bekanntenkreis, weitläufig, vielgestaltig wie nur je, ist zu guten Teilen im Cafe Tournon ver sammelt und steht vor· einer peinlichen, einer unlösbaren Aufgabe. Der Tod hatte tags zuvor den großen Epiker ereilt, im delirium tremens -nicht ganz un gewöhnlich in den Räumen des Hospital Necker, seiner allerletzten Heimstatt. Doch nicht Gevatter Tod selbst war es, der die Trauergemeinde so rasch ins Zerwürfnis stürzte. Es war die Notwendigkeit, Roth ein erstes Mal auf eines seiner vielen, sich widersprechenden weltanschaulichen Bekenntnisse festzule gen -schließlich kann man nur jüdisch oder katholisch der Ewigkeit übergeben werden. Längst habe er sich der Taufe unterzogen, fiihrten die katholischen Dispu tanten ins Feld. Als allsonntäglicher Kirchgänger sei er ohnedies jedem be kannt, Beichte und Kommunion zuletzt gar etwas wie ein Lebenselixier gewor den. Soma Morgenstern und der ehrwürdige jüdische Gelehrte Josef Gott I farstein schlossen sich in diesem seltsamen Disput der Konfessionen zur Ge gen fraktion zusammen: Kein Zweifel, Roths gebärdenreicher Katholizismus war bloße Konzession ans versprengte Häuflein der Legitimisten um Otto von Habsburg. Sein Herz schlug allemal noch fort in alten jüdischen Tönen - so rein, so heftig, orthodox und eifrig, daß es ihm zu guter Letzt von seiten des Talmudisten den (zweideutigen) Titel eines "Super-Juden" eintrug. Es kam, wie es kommen mußte. Ein Affront gab den nächsten, die Debatte wurde hitzig. Die Eskalation konnte vermieden, ein Rest an Pietät noch eben gewahrt werden, als man sich in der Not den juridisch einwandfreien Ansprü chen anwesender Verwandtschaft beugte. Daß katholisch bestattet wurde, war somit eine Sache der Etikette und beileibe keine tiefere Einigung. Zudem -dem findigen David Bronsen konnte das nicht entgehen2 - war es mit diesen Ein klagbarkeiten nicht gar so weit her, bestand doch die "Verwandtschaft" aus einer einzigen Person -sinnigerweise einer getauften Jüdin. Das Begräbnis selbst fand dann nicht !luf dem Friedhof Montmartre und damit nicht, wie geplant, unweit des von Roth zeitlebens verehrten Heinrich Morgenstern, Roth seit den Wiener Studienjahren bekannt, wurde 1939, als beide Hotelnach I barn waren, einer der engsten Vertrauten. Seine Erinnerungen an Roth sind im Rahmen einer Werkausgabe (LUneburg 1994ff) erschienen. Zitiert nach der Taschenbuchausgabe im Aufbau Verlag. Ich folge hier und in den folgenden Zitaten mehrfach der Darstellung bei Bronsen, S.600-5. 2 2 Zerwürfuisse am Totenbett Heine statt, da war's den wenig solventen Gönnern ganz einfach zu kostspielig. Weil die Taufe sich nicht nachweisen ließ, wurde es auch nur eine 'bedingt' katholische Beerdigung, in der "division catholique" des öffentlichen Fried hofs, zwischen Juden, Mohammedanern und anderen Exotica. Und, der Sym bole nicht genug, die Zeremonie selbst spiegelte in gesteigerter Form das Le ben des zwischen vielen Bekenntnissen changierenden, seit der Rückkehr aus dem Kriege auf Reise oder Flucht umhergetriebenen, von Hotel zu Hotel eilen den Dichters: Eine 'Unmenge' Menschen, "Freunde", von denen sich die meis ten nur dieses eine Mal trafen, folgte dem Sarg - Schriftsteller, schneidige Journalisten, Zufalls- und Kneipenbekanntschaften, Lebensgefahrtinnen, Künstler, Emigranten und fahrende Ritter aus aller Herren Länder. Corpsstu denten, geschniegelt und mit Rapier, kamen neben galizischen Juden, Monar chisten neben Sozialisten, Gossenbekanntschaften neben abgehalfterten Aristo kraten zu stehen. Wie immer man Zerrissenheit zwischen den Ideologien auch für andere Intellektuellenschicksale der 20er-und 30er-Jahre reklamieren mag - die tragikomische Klamotte vom eifersüchtigen Zank um die Zugehörigkeit des frisch Verschiedenen zur eigenen (und nur zur eigenen) Partei, weit übers Kon dolieren im Namen einer Organisation hinaus, die hat es so wohl nur einmal gegeben, und zwar an eben diesem 27. Mai des Jahres 1939. Dabei war es ja keineswegs eine Versammlung (nur) der Kleingeister und Stammtischredner, nein, die Posse am Grab ist Spätfolge jener erstaunlichen Fähigkeit Joseph Roths, sich ausschließende Extreme im Ideologischen wie im Gefühlsleben (auto-) suggestiv und simultan zu verfechten. Dieses Vermögen ist -und damit sind wir beim Thema dieser Studie -der Schlüssel zum Verhält nis von biographischer und literarischer Realität; es ist der Grund dafür, daß es keine Antwort geben konnte auf die Frage, wo denn der 'wahre', der eigentliche Roth zu suchen ist. Von ihr aus betrachtet, konnte die Begräbnisgesellschaft sich gar nicht anders trennen, als eben so, wie sie es tatsächlich tat: Ein jeder trug seinen Glauben, den (einzig) wahren Roth zu Grabe getragen zu haben, getreulich und gründlich unbeirrt wieder mit nach Hause. Heimgekehrt schien dem einen, die offiziöse Einrichtung der Trauerfeier licbkeiten hätte der Gemütsart des Verstorbenen, seinem Faible für Festliches und Formelles wundersam entsprochen ("Genau so würde er es sich erträumt haben. Es fehlte nur der Radetzkymarsch"). Von anderer Seite aber wurden Schwüre laut, für Roth, den abgefeimten "Feind jeglicher Konvention" (!), hät te es kaum etwas Abstoßenderes geben können, als derlei zeremonielles Be kennerturn. Kurzum: Strittig ist den Menschen, die mit Roth in Beziehung tra ten, nicht nur, welchem seiner Bekenntnisse man Glauben schenken könne, sondern vielmehr, ob er letztlich, sei es trotz oder gerade wegen deren Vielzahl, Das Programm dieser Arbeit 3 überhaupt ein Mensch der Parteinahme, ob er ein Mann der Förmlichkeit und Etikette oder das genaue Gegenteil davon gewesen ist. Joseph Roth - ein Mann aufrechter Gesinnung, der klaren Position3, gar ein Mann des Engagements in Religion und Politik, ein Kämpfer für die Entrechte ten dieser Erde oder: Joseph Roth, galizische Ahasver und Konvertit aus sozia lem Kalkül, der weltflüchtige Individualist, der dem Absinth ergebene Bo hemien, der melancholische Gaukler, ein Möchtegemmillionär4, der im Namen ostj üdischer Bedürfnislosigkeit einer ganzen Zivilisation die Rechnung macht, der Tagträumer von den Freuden aristokratischen Daseinss, vom. alt österreichischen Offizier, vom Galan in Wichs und Rapier? • Vorliegende Arbeit gibt auf diese Fragen eine Antwort in Thesenform: Das disparate Ensemble von Rollen -den literarischen wie den außerliterarischen - geht hervor aus einem inneren, strukturellen Dilemma, das einer ,,Ambivalenz im Verhältnis zu Ordnung". "Ordnung" ist dabei zu verstehen als eine endliche oder abzählbar unendliche Menge von Elementen -Dingen, Meinungen, Perso nen, Institutionen, Werten-, die untereinander in einem definit geregelten Ver hältnis stehen und die sich durch die sie verbindenden Regeln als Gruppe oder System von Elementen von ihrer Umwelt abheben. "Ambivalenz" ist die Be ziehung von Personen zu einem solchen System zu nennen, wenn diese keine stabilen Präferenzen im Verhältnis zu ihm ausbilden, wenn sie, anders gesagt, zwischen Zustimmung und Ablehnung alternieren, ohne daß eine Vermittlung erreichbar erscheint6• Diese grundlegende These fußt weder auf einem be stimmten psychologischen Konzept noch auf einer bestimmten Handlungstheo rie. Sie schlägt vielmehr einen Begriff zur systematisierenden Erfassung der Phänomene selbst vor. "Ambivalenz" ist ein deskriptiver Begriff für die Struk tur des ohne theoretische Präformierung Sichtbaren. (Soweit das über-haupt möglich ist.) 3 "Von Roth ging die Strahlung eines ethisch fundierten Menschen aus, der sich nur vom Beg riff der Wahrheit beeinflussen lassen wollte, die bei ihm von fast religiöser Stärke zu sein schien". So ein jugoslawischer Journalist, den der knapp 29-jlihrige Roth, frisch verheiratet und als Feuilletonist schon von beträchtlichem Ruf, in der Literaten-Gesellschaft des Wiener Cafe Herrenhofkennengelernt hatte (vgl. Bronsen, S.230). 4 Siehe 1.517f, I. 702f (Hauptmann von Köpenick). l 1.295, 1.944f. Formal ließe sich der Begriff defmieren als Unmöglichkeit, eine endliche, konsistente Menge 6 von Eigenschaften der Objekte des Systems zu nennen, die in jedem Falle zu einer Zustim mung oder Ablehnung führt.

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