Birgit Reißig Biographien jenseits von Erwerbsarbeit Birgit Reißig Biographien jenseits von Erwerbsarbeit Prozesse sozialer Exklusion und ihre Bewältigung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Priska Schorlemmer VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. 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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17561-4 Inhaltsverzeichnis (cid:2) 1 Einleitung..................................................................................................... 7 (cid:2) (cid:2) 2 Theorie der sozialen Exklusion ................................................................ 17 (cid:2) (cid:2) 2.1 Soziale Exklusion – kein neues Phänomen im Kapitalismus .................. 17 (cid:2) (cid:2) 2.2 Einblick in den internationalen Diskurs – eine Begriffsgeschichte ......... 20 (cid:2) (cid:2) 2.2.1 Frankreich – die Ansätze von PAUGAM und CASTEL ............................... 20 (cid:2) (cid:2) 2.2.2 Die angloamerikanische Debatte – der Underclass-Begriff ........................... 25 (cid:2) (cid:2) 2.3 Der Diskurs in Deutschland – die Hauptlinien ........................................ 28 (cid:2) (cid:2) 2.3.1 Soziale Ungleichheit, Zentrum-Peripherie und die „Überflüssigen“ ............. 28 (cid:2) 2.3.2 Konzept der sozialen Exklusion nach KRONAUER ..................................... 34 (cid:2) (cid:2) 3 Institutionalisierung des Lebenslaufs – biographische Verläufe .......... 45 (cid:2) (cid:2) 3.1 Institutionalisierung des Lebenslaufs und Normalbiographie ................. 45 (cid:2) 3.2 Biographische Verläufe ........................................................................... 48 (cid:2) (cid:2) 4 Copingstrategien im Lebenslauf .............................................................. 55 (cid:2) (cid:2) 4.1 Kritische Lebensereignisse und allgemeine Bewältigungsstrategien ...... 55 (cid:2) (cid:2) 4.2 Bewältigungskonzepte im Jugendalter .................................................... 59 (cid:2) 4.3 Der Copingansatz von BRANDSTÄDTER und GREVE ....................... 61 (cid:2) 5 Annahmen der Untersuchung .................................................................. 67 (cid:2) (cid:2) 6 Untersuchungsdesign und Methoden ...................................................... 71 (cid:2) (cid:2) 6.1 Grundlagen des qualitativen Untersuchungsdesigns ............................... 71 (cid:2) (cid:2) 6.2 Datenerhebung ......................................................................................... 72 (cid:2) (cid:2) 6.2.1 Das erste Interview: biographische Erzählung ............................................... 72 (cid:2) (cid:2) 6.2.2 Das zweite Interview: Aspekte sozialer Exklusion und ihre Bewältigung ..... 75 (cid:2) 6.3 Datenauswertung – qualitative Inhaltsanalyse ......................................... 78 (cid:2) 7 Untersuchungssample ............................................................................... 83 (cid:2) (cid:2) 8 Ergebnisse .................................................................................................. 87 (cid:2) (cid:2) 8.1 Soziodemographische Beschreibung des Untersuchungssamples ........... 87 (cid:2) 8.2 Ausbildungs- und Erwerbsverläufe der jungen Erwachsenen ................. 89 (cid:2) (cid:2) 8.3 Erfahrungen mit sozialer Exklusion ........................................................ 96 (cid:2) (cid:2) 8.3.1 Erfahrungen sozialer Exklusion neben der Arbeitsmarktexklusion ............... 96 (cid:2) 8.3.2 Verteilung von Erfahrungen sozialer Exklusion im Untersuchungssample . 119 6 (cid:2) (cid:2) 8.4 Copingstrategien .................................................................................... 122 (cid:2) (cid:2) 8.4.1 Bewältigung auf der Einstellungsebene ....................................................... 122 (cid:2) (cid:2) 8.4.2 Bewältigung auf der Ebene des Handelns .................................................... 128 (cid:2) 8.4.3 Copingstrategien auf der Einstellungs- und Handlungsebene in beiden (cid:2) Erfahrungsgruppen mit sozialer Exklusion ................................................. 131 (cid:2) (cid:2) 8.5 Verlaufstypen ........................................................................................ 133 (cid:2) (cid:2) 8.5.1 Verlaufstyp I: Verschärfung sozialer Exklusion .......................................... 135 (cid:2) (cid:2) 8.5.2 Verlaufstyp II: gleichbleibendes Ausmaß sozialer Exklusion ...................... 153 (cid:2) (cid:2) 8.5.3 Verlaufstyp III: Verringerung sozialer Exklusion ........................................ 175 (cid:2) 8.5.4 Fazit zu den Verlaufstypen .......................................................................... 193 (cid:2) 9 Zusammenfassung .................................................................................. 197 (cid:2) (cid:2) 10 Literatur .................................................................................................. 207 1 Einleitung Zunehmend sieht sich auch die Mittelschicht von Prozessen sozialer Ausgren- zung bedroht und befindet sich u. U. bereits in einer Zone der Verwundbarkeit (Castel 2000a). Das hat das Gefühl eines Unbehagens hervorgebracht, welches dazu führt, dass in den letzten Jahren die Diskussion um Exklusion und Inklusi- on, um Überflüssige, um Entkopplung und Prekarität angefacht wurde. Erst mit der Angst, dass gesellschaftliche Strukturprozesse auch die Welt der Mittel- schicht erschüttern können, scheint ein verstärktes Nachdenken über Fragen sozialer Ungleichheit, die sich jenseits horizontaler Ungleichheitsaspekte abspie- len, auf die Tagesordnung gebracht zu haben. Das gilt insbesondere für Deutsch- land, wo der sich in anderen europäischen Ländern bereits intensiv abspielende Diskurs um soziale Exklusion und soziale Ungleichheit, lange Zeit weithin unbe- achtet blieb (Kronauer 2006). Doch auch in Deutschland scheint, wenn auch noch wenig empirisch er- forscht und belegt, Unbehagen darüber zu existieren, dass zu Beginn des neuen Jahrtausends die Gefahren sozialen Ausschlusses sich für eine wachsende An- zahl von Menschen vergrößert haben (Bude 2004). Dabei wird vielfach betont, dass die „Schockwellen“ (Castel 2000a) einer neuen Furcht vor sozialem Aus- schluss insbesondere aus der Mittelschicht herrühren (Vogel 2004; Barthelheimer 2002; Castel 2000a, 2000b; Kronauer 2002, 2006; Newman 2000). Mit der Fokussierung auf die Mittelschicht besteht jedoch die Gefahr, dass diejenigen, die bereits seit langem und massiv von sozialer Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind, aus dem Blickfeld geraten und als Überflüssige oder Underclass gelabelt werden, die zuletzt doch selbst für ihre prekäre Lage verant- wortlich sind. Das widerspiegelt sich zunehmend auch in der Ausrichtung wohl- fahrtsstaatlichen Handelns. Es wird auf die Ausbildung eines „Arbeitskraftunter- nehmers“ (Voß, Pongratz 1998) orientiert. Somit wird der neue Wohlfahrtsstaat „zum Generator in Individualisierungsprozessen“ (Bude, Willisch 2006). Vor allem von den Medien wird das Leben an den Rändern der Gesellschaft in düsteren Farben als Horrorszenario geschildert, insbesondere, wenn sich so- ziale Konflikte in gewalttätigen Auseinandersetzungen entladen wie vor einigen Jahren in den Pariser banlieues. Die Politik, insbesondere auf der europäischen Ebene, hat sich des Themas sozialer Exklusion seit Ende der 1980er/Anfang der B. Reißig, Biographien jenseits von Erwerbsarbeit, DOI 10.1007/978-3-531-92541-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 8 1 Einleitung 1990er Jahre angenommen. Die Europäische Union stellte ihre Bemühungen im Kampf gegen Armut nun in den Kontext sozialer Exklusion (Commission of the European Communities 1993). Die Forschungsprogramme der EU führten das Thema soziale Exklusion explizit auf (vgl. das 7. Rahmenprogramm der EU, in dem das Thema „Jugend und soziale Exklusion“ zu einem Schwerpunkt gemacht wurde) und beförderten damit einen Boom des Begriffes auf politischer, prakti- scher und wissenschaftlicher Ebene (Steinert 1999; Littlewood, Herkommer 2000; Steinert, Pilgram 2003). Die sozialwissenschaftliche Diskussion reagiert teilweise sehr diffus auf die beobachtbaren gesellschaftlichen Entwicklungen von Exklusion am Beginn des 21. Jahrhunderts. Insbesondere um die begriffliche Erfassung dieser gesellschaft- lichen Entwicklungen wird in Deutschland (aber nicht nur hier) gerungen. So wird, wenn der Begriff der sozialen Exklusion (oftmals auch soziale Ausgren- zung) benutzt wird, nicht unbedingt über das Gleiche gesprochen (Luhmann 1997; Nassehi 1997; Kronauer 1998, 2002). Es wird vom Phänomen der Über- flüssigen gesprochen (Bude 1998). Andere Autoren sehen, insbesondere in den neuen Bundesländern, einen „sekundären Integrationsmodus“ vorliegen (Land, Willisch 2006). In Anlehnung an Castel (2000b: 14) wird auch immer wieder von Entkopplung des Randes vom Zentrum der Gesellschaft gesprochen und in der jüngeren Debatte findet sich die Kategorie der Prekarität1 (Dörre 2006). Dabei wird jeweils versucht, ein Phänomen zu beschreiben, das Fragen nach den Bedingungen und Erfahrungen sozialer Ungleichheitsentwicklungen auf- wirft. Vor allem Länder wie Frankreich, die USA und Großbritannien, in denen die gesellschaftlichen Auswirkungen sozialer Ausgrenzungsprozesse bereits eher als in Deutschland sichtbar wurden, haben das Nachdenken über „Exclusion sociale“ oder die „Underclass“ vorangetrieben (z. B. Wilson 1987; Castel 2000a). Das gilt für die genannten Länder mit ihren Problemen in den banlieues und den Ghettos (Jargowsky 2004; Waquant 2004). Mit den Diskussionen rückt gleichzeitig eine räumliche Komponente in das Blickfeld der Fragestellungen um die soziale Ausgrenzung. Sozial-räumliche Ausgrenzung schien für Deutschland lange Zeit keine Aktualität zu besitzen. Verglichen mit den Erfahrungen in Frankreich, den USA und auch Großbritannien trifft das für die meisten Städte hierzulande nach wie vor zu. Dennoch haben Studien in den letzten Jahren ge- zeigt, dass in Deutschland – insbesondere in Großstädten – Tendenzen räumli- cher Segregation virulent wurden (u. a. Dangschat 1995; Häußermann 1997; Häußermann, Kapphan 2000; Farwick 2004). Aber auch jenseits räumlicher Segregation, werden immer stärker Tendenzen sozialen Ausschlusses sichtbar 1 Zum Beispiel wurde am 4.5.2007 von der Universität Jena eine Tagung mit dem Titel „Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts - Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung“ durchgeführt, an der u. a. Robert Castel zu diesem Thema referierte. 1 Einleitung 9 oder zumindest erahnbar (vgl. z. B. der dauerhafte Ausschluss von Erwerbsar- beit). Anhaltende Marginalisierung am Arbeitsmarkt bis hin zum dauerhaften Ausschluss von Erwerbsarbeit bilden den Kern der Debatte über soziale Aus- grenzung. Die damit einhergehenden Konsequenzen wie beispielsweise Armut, Verminderung von gesellschaftlichen Teilhabechancen, das sukzessive Heraus- fallen aus institutionellen Bezügen scheinen den „kurzen Traum immerwähren- der Prosperität“ (Lutz 1984) endgültig zu begraben. Die Auswirkungen sozialer Exklusion sind jedoch auch dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen immer stärker sozial isoliert sind oder werden. Das bedeutet neben der Vereinzelung auch das Zurückgeworfensein auf ein soziales Umfeld, das sich aus ähnlich mar- ginalisierten Personen zusammensetzt. Damit werden auch jene Unterstützungs- netzwerke brüchig, die einen Zugang zu Institutionen oder zum Arbeitsmarkt befördern könnten. Die Realisierung eines Normallebensverlaufs, zu dem vor allem die institu- tionalisierte Abfolge eines Bildungs- und Erwerbsverlaufs gehört (Kohli 1985), in dessen Zentrum ein möglichst ununterbrochenes Vollzeiterwerbsarbeitsver- hältnis steht (Mückenberger 1985), scheint immer weniger zu den selbstver- ständlichen Bedingungen heutiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gehören. Kürzere aber auch lange Phasen von Arbeitslosigkeit bestimmen eine Reihe von Erwerbsverläufen. Prekäre Beschäftigungsformen (z. B. Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge) werden für eine wachsende Anzahl von Frauen und Männern zur Normalität (Mutz et al. 1995; Oschmiansky, Oschmiansky 2003). Selbst denjenigen, die in scheinbar gesicherten Arbeitsverhältnissen stehen, geht häufig der Glaube an die Beständigkeit des eigenen Arbeitsplatzes verloren. Auch für Jugendliche und junge Erwachsene erhöhen sich die Probleme bei der Bewältigung der ersten Schwelle (von der Schule in Ausbildung) und zwei- ten Schwelle (von der Ausbildung in Erwerbsarbeit). Trotz der jahrelang im europäischen Vergleich geringeren Arbeitslosenzahlen der unter 25-Jährigen steigen in der Bundesrepublik auch in diesem Alterssegment die Arbeitslosen- quoten in den letzten Jahren kontinuierlich an oder verbleiben auf hohem Ni- veau. So stiegen die Arbeitslosenzahlen der unter 25-Jährigen von 2001 443.888 bis 2003 auf 516.131. Auch im Januar 2008 lagen die Arbeitslosenzahlen noch immer über einer halben Million (ca. 540.000). Das entspricht einem Anteil von 10,5 %. Besonders gravierend ist dabei der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern. In letzteren betrug die Arbeitslosenquote der unter 25- Jährigen 2004 18,3 % und war damit doppelt so hoch wie in den alten Bundes- ländern (9 %). In den neuen Bundesländern kommen die Probleme, wie vorste- hend aufgezeigt, besonders an der zweiten Schwelle zum Tragen (Lutz 2001), da im Ausbildungssektor der außerbetriebliche Anteil eine höhere Quote der Aus- 10 1 Einleitung bildungslosigkeit verhindert. Dennoch kann sowohl im Osten als auch im Wes- ten Deutschlands nicht von einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage an Ausbildungsplätzen gesprochen werden. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen überstieg auch im Jahr 2006 das Angebot (Bundesministeri- um für Bildung und Forschung 2007). Dazu kommen diejenigen Jugendlichen, die in den Vorjahren unversorgt geblieben waren und jeweils mit den aktuellen Schulabgängern um die begrenzte Anzahl der Ausbildungsplätze konkurrieren. Mit diesen schlechten Aussichten für eine erfolgreiche Platzierung inner- halb des Ausbildungs- und Übergangssystem werden formale Bildungsabschlüs- se die entscheidenden Zugangsvoraussetzungen (Solga 2005, 2006). War das schulische Bildungssystem vor Jahrzehnten so aufgebaut, dass mit einem Haupt- schulabschluss der Weg in eine duale Berufsausbildung ermöglicht wurde, ist dieser Abschluss in den letzten Jahren einer immer stärkeren Entwertung unter- legen (Braun, Lex, Rademacker 2001; Reißig et al. 2006). Laut Berufsbildungs- bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind es aber gerade Schülerinnen und Schüler der Hauptschulen, die am stärksten den Wunsch (zu 71 %) nach Ausbildung in einem anerkannten Beruf äußern (BMBF 2005). Ge- genüber Jugendlichen mit Realschulabschlüssen oder gar dem Abitur, die eine Berufsausbildung aufnehmen wollen, haben Absolventen von Hauptschulen häufig das Nachsehen. Führt man sich vor Augen, dass das Einmünden in Haupt- oder Realschule oder Gymnasium gerade hierzulande stark von der sozialen Herkunft dominiert wird, werden soziale Unterschiede bei der Möglichkeit der Erlangung bestimmter sozialer Positionen bereits sehr früh determiniert (vgl. PISA-Untersuchungen 2000 und 2003 Baumert et al. 2001; Prenzel et al. 2004). Direkte Übergänge von Schule in Ausbildung und Ausbildung in den ersten Arbeitsmarkt werden also für einen Teil der Jugendlichen immer weniger realis- tisch. Dabei nutzen eine Reihe von ihnen die notwendig werdenden oder bewusst gewählten Zwischenstationen als Chance, sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln oder die eigenen Bildungsvoraussetzungen zu verbessern (z. B. Aus- landsaufenthalt, Freiwilliges soziales Jahr). Für andere Jugendliche und junge Erwachsene jedoch erweisen sich diese Zwischenstationen zumindest als Um- wege, manchmal sogar als Sackgassen. Sie werden in Maßnahmen vermittelt, die ihnen kaum den Weg in Ausbildung und Arbeit ebnen, die zuweilen die Stigma- tisierung auf Seiten der ausbildenden Betriebe und Einrichtungen erhöhen (Lex 1997). Diese, mit dem Etikett „benachteiligt“ versehenen, jungen Frauen und Männer mit so genannten Maßnahmekarrieren werden von den zuständigen Insti- tutionen oftmals als ausgefördert betrachtet. Eine rigide Auslegung des so ge- nannten Hartz IV-Gesetzes des SGB II für die unter 25-Jährigen sieht die Kür- zung oder Streichung der finanziellen Unterstützung vor, wenn diese jungen Erwachsenen ihnen angebotene Maßnahmen ablehnen. Auch wenn dazu noch 1 Einleitung 11 keine empirischen Daten vorliegen, steht zu vermuten, dass dies eine Tendenz stärkt, die bisher in Einzelfällen zu beobachten war2. Benachteiligte und mehr- fach an der ersten und/oder zweiten Schwelle gescheiterte Jugendliche und junge Erwachsene ziehen sich aus institutionalisierten Bezügen zurück. Sie sind bei- spielsweise nicht mehr in den Arbeitsagenturen gemeldet. Die Vermutung liegt nahe, dass auch hierzulande eine Gruppe (wie umfang- reich sie auch immer sein mag) existiert, für die sich soziale Exklusion als reales Thema in ihrer Lebenswelt darstellt. Eine Gruppe, die entweder bereits von sozi- alem Ausschluss betroffen oder aber davon massiv bedroht ist. Trotz der sich offenbar ausweitenden Angst vor sozialem Ausschluss auch in bisher traditionell davor verschonten Schichten der Gesellschaft, sind tatsächlich nicht alle Gesell- schaftsmitglieder gleichermaßen davon berührt. Es sind vor allem diejenigen, die aufgrund schlechter oder fehlender Bildungsabschlüsse, aufgrund des Ge- schlechts, der sozialen oder regionalen Herkunft oder aufgrund eines vorhande- nen Migrationshintergrundes einem höheren Risiko der sozialen Exklusion aus- gesetzt sind. Sie gehören nicht selten einer vulnerablen Gruppe an, die verstärkt Strategien anwendet (anwenden muss), einen (weiteren) Prozess der sozialen Ausgrenzung zu verhindern. Soziale Exklusion wird als ein Prozess gedacht, der in beide Richtungen (Inklusion – Exklusion) offen ist (Castel 2000a; Kronauer 2002). Diese mögli- chen Entwicklungsrichtungen sozialer Exklusion öffnen forschungspraktisch den Blick auf die Deutungen und das Handeln der Betroffenen. Soziale Exklusion kann nicht als eine Einbahnstraße betrachtet werden, die in einem unveränderba- ren Exklusionszustand als „biographischer Endstation“ mündet (Vobruba 2000: 107). Bezogen auf die Erwartungen und Pläne von Jugendlichen und jungen Er- wachsenen, die mit schlechten Startbedingungen versuchen, sich im Ausbil- dungs- und Erwerbssystem erfolgreich zu platzieren, haben eine Reihe von Un- tersuchungen ergeben, dass gerade sie, unabhängig vom Gelingen, stark am Normalitätsprinzip von Biographien ausgerichtet sind (Gaupp et al. 2004; Wal- ther 2004; Förster et al. 2006). Diese Ausrichtung kann jedoch in den meisten Fällen als eine Reaktion der wahrgenommenen Erwartungen seitens der Instituti- onen gedeutet werden, mit denen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommunizieren. 2 Die hier ausgewerteten Interviews wurden 2002 und 2003 geführt. Zu diesem Zeitpunkt war das SGB II, das die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe regelt, noch nicht in Kraft getreten.