Ottilie Wildermuth Bilder und Geschichten aus Schwaben Die große eBook-Bibliothek der Weltliteratur Ottilie Wildermuth Bilder und Geschichten aus Schwaben Genrebilder aus einer kleinen Stadt 1. Eine alte Jungfer In der Vorstadt des Städtchens, wo ich meine Jugend verlebt, stand ein gar freundliches Häuschen, das aus seinen vier Fenstern recht hell in die Welt hinausschaute; daneben ein Garten, nicht eben kunstvoll angelegt noch zierlich gepflegt, sondern zum Teil mit Küchengewächsen, zum größeren aber mit lustigem Gras und mit Obstbäumen bestanden. Dicht neben dem Häuschen breitete ein stattlicher Nußbaum seine dunkelgrünen Zweige aus und warf seinen Schatten und zur Herbstzeit seine Früchte gastlich weit in die Straße hinein, ein geschätzter Sammelplatz für die liebe Jugend der ganzen Vorstadt. Minder freundlich und einladend erschien ein Paar kleiner fetter Möpse, die sich abwechselnd oder gemeinsam auf der Gartenmauer sehen ließen und die obbemeldete Jugend und die Vorübergehenden beharrlich anbellten, ohne jedoch die mindeste Furcht zu erregen, da ihre beschwerliche Leibesbeschaffenheit ihnen nicht gestattet hätte, ihre Drohungen auszuführen. Wer nun erwartet, an den Fenstern des Häuschens einen lockigen Mädchenkopf zu erblicken, wie das in ländlichen Novellen der Fall zu sein pflegt, der täuscht sich. Nein, so oft die Hausglocke gezogen wurde, und das geschah sehr oft, erschien am Fenster das allzeit freundliche, aber sehr runzelvolle Angesicht der Jungfer Mine, der unumschränkten Herrin und Besitzerin des Häuschens. Und doch wurde dieses gealterte Antlitz von jung und alt so gern gesehen wie nur je eine blühende Mädchenrose, und ihre Beliebtheit stieg noch von Jahr zu Jahr, was bei jungen Schönheiten gar selten der Fall ist. Die Jungfer Mine war der hilfreiche Genius des Städtchens. Wie die Glocke begleitete sie »des Lebens wechselvolles Spiel«, aber nicht herzlos, sondern mit dem allerherzlichsten Mitgefühl. Wo Kindtaufe war, da durfte Jungfer Mine nicht fehlen; geschäftig und eifrig, aber leise, leise, um die Wöchnerin nicht zu stören, schaffte und waltete sie in Küche und Vorzimmer, um alles zu besorgen, was an Speise und Trank zur Erhöhung der Festlichkeit gehörte. Ins Zimmer ging sie nicht, auf kein Bitten: »Behüte, laßt mich gehen, Kinder! Ich kann nicht, ich habe zu schaffen.« Sie glich den Erdleutlein, die den Menschenkindern mit emsigen Händen ihre Arbeit verrichten und vor Tag verschwinden. – Ein Hochzeitsmahl war vollends ihr Element; da konnte man tagelang zuvor in allen Räumen des Hauses ihre etwas singende Stimme, ihr geschäftiges Hin- und Hertrippeln hören. Sie war unentbehrlich; denn wer hätte solche Torten gebacken, solche Braten gewürzt, wer vor allem solche Nudeln geschnitten wie die Jungfer Mine? – Wo der Tod in einem Hause eingekehrt war, da war sie die erste, die mit bescheidener, aufrichtiger Teilnahme nahte und mit geschickter Hand den Leidtragenden die leiblichen Mühen und Sorgen abzunehmen wußte, die betrübten Herzen so schwer werden. Alle Kinder lachten ihr schon von weitem entgegen, denn allen hatte sie schon eine Freude gemacht. Wie fröhlich stürmte das junge Volk zur Osterzeit in den Garten der Jungfer Mine, wo eine lange Reihe von Nestchen bereit stand, mit bunten Eiern und Backwerk gefüllt, mehr, als die kinderreichste Mutter zu spenden hatte! Und wie manchen Bissen hatte sich die gute Seele am Munde abgespart, bis sie um Weihnachten die Hanne, ihre treue Dienerin, von Haus zu Haus senden konnte, wo befreundete Kinder waren, um allen eine kleine Weihnachtsfreude zu spenden! Eine Geschichte hat sie nicht gehabt, die Jungfer Mine. So mitteilend und gesprächig sie war, so hat doch nie eine Seele etwas von ihr gehört über die Zeit, wo ihr Herz jung war; niemand weiß, ob sie auch einmal geliebt, gehofft und geträumt; ob sie eben als ein vergessenes Blümchen stehen geblieben, oder ob die Schuld eines Ungetreuen sie betrogen um des Weibes schönstes Lebensziel. Ihr einfacher Lebensgang lag offen vor aller Augen; ihr Vater war Bürgermeister des Städtchens gewesen, in dem sie ihre Tage verlebte, und sie hatte eine harmlose fröhliche Jugendzeit unter günstigen Verhältnissen verbracht. Ein paar alte Herren der Gegend, die sie noch fleißig heimsuchten, versicherten, daß sie ein recht hübsches Mädchen und eine flinke Tänzerin gewesen sei, welche Bemerkung sie immer recht günstig, wenn auch mit niedergeschlagenen Augen und vielen Verwahrungen aufnahm. Zur Zeit, wo ich sie kannte, zeigte ihr Äußeres nun eben keine Spuren ehemaliger Reize mehr; aber auf das eingefallene Gesicht mit den freundlichen Äuglein hatte die Herzensgüte ihre unsichtbaren, aber fühlbaren Züge geschrieben, so daß man doch gern hineinsehen mußte. Auf ihren Putz konnte sie vollends ganz und gar nichts verwenden, dazu war sie immer viel zu sehr beschäftigt, und wenn ihre Freundinnen sie mit einem modernen Putzartikel versahen, so hatte er gar bald seine feine Form verloren; zumal die Hauben, mit denen sie ihr spärliches graues Haar bedeckte, saßen immer schief, da sie im Geschäftseifer sich hinter den Ohren zu kratzen pflegte. Ihre Eltern verlor sie ziemlich frühe, auch die einzige Schwester, die im Orte verheiratet war. Die Hand des Witwers derselben wies sie entschieden zurück. Das Erbe der Eltern war klein; ein Hauptbestandteil desselben war ein gelähmter, gichtkranker Bruder. Doch gelang es ihr mit großen sonstigen Opfern und Einschränkungen, das höchste Ziel ihrer Wünsche, ein eigenes kleines Häuschen nebst Garten zu erringen. Das bezog sie mit den zwei Möpsen, mit Hanne, ihrer getreuen Dienerin, und dem Bruder, den sie lange Jahre mit klageloser Geduld, mit unermüdeter Liebe, mit unerschütterter Freundlichkeit pflegte bis zu seinem Tode. Die Jungfer Mine sah man allzeit zufrieden und wohlgemut. Wie groß auch oft ihr Mangel, ihre Entbehrungen sein mochten, niemand hörte sie klagen; sie hatte immer einen Grund zu besonderer Dankbarkeit. Sie hatte auch genug zu tun, bis sie sich freute mit allen Fröhlichen und weinte mit allen Traurigen; wie hätte sie noch Zeit gefunden, an sich zu denken? Sie war immer in Eile, stets rastlos tätig für andre, und es kann sich niemand denken, sie in Ruhe gesehen zu haben. Die Hanne war gerade durch ihre Verschiedenheit die unentbehrliche Gehilfin der Jungfer Mine. So bescheiden, schüchtern und rücksichtsvoll diese, so rasch, keck und entschlossen war jene im Verkehr mit den Leuten. Sie verteidigte mit Löwenmut den Garten ihrer Jungfer gegen diebische Gassenjungen, ihren Brunnen gegen schmutzige Viehtreiber, ihre schmalen Einkünfte gegen säumige Zinszahler. Sie hing ihr mit unerschütterlicher Treue an und hätte sich eher zerreißen als ihrer Jungfer ein Härchen krümmen lassen. Als ganz junges Mädchen von ihr aufgenommen, diente sie ihr ohne allen Lohn; sie wußte aus dem kleinen Garten einen fast fabelhaften Gewinn zu ziehen und verwandte den Überschuß ihrer rüstigen Kräfte zum Waschen und andern Arbeiten um Taglohn. Den Lohn lieferte sie pflichtmäßig ihrer Jungfer ab, diese bestritt dagegen ihre einfachen Bedürfnisse. Jungfer Mine war eine ganz besondere Gönnerin der Jugend, vom wilden Knaben bis zum Studenten, vom spielenden Kinde bis zum aufgeblühten Mädchen. Deshalb war ihr Häuschen auch gar oft der Sammelplatz der fröhlichen Jugend, und die Verschiedenheit ihrer Besucher gab oft zu komischen Szenen Anlaß. – Einmal wußte man, wie man in kleinen Städten alles weiß, daß Jungfer Mine den Besuch von zwei Damen des Ortes erwartete, die sich durch strenge Frömmigkeit und entschiedene Weltverachtung auszeichneten; sogleich ward sämtliche anwesende männliche Jugend aufgeboten: Schreiber, Kommis, Apothekergehilfen, ein langer Zug leichtfertig aussehender Leute begab sich vor das Haus der Jungfer Mine und schellte gewaltig, um sich zum Kaffee anzusagen. Den Schluß des Zugs bildete das Malerle, ein zwerghaftes Männlein, das sich eine Zeitlang im Städtchen aufhielt und die ganze Gegend abkonterfeite. Was für ein Schreck befiel die gute Jungfer, als sie die Freischar da unten erblickte und an ihr Zusammentreffen mit den gestrengen Damen dachte! Trotz aller Gastlichkeit öffnete sie das Haus nicht, sondern unterhandelte zum Fenster hinaus, bis auf das Versprechen eines guten Kaffees unter dem Nußbaum für den nächsten Tag der Haufe lachend abzog. Ein andermal saß ein Trupp lustiger Studenten, die ihre Ferienzeit verjubelten, an einem Sonntag am runden Tisch in ihrem behaglichen Stübchen und hatte soeben trotz der bescheidenen Einreden der Jungfer Mine ein Kartenspiel begonnen, als es am Hause läutete. Siehe da, es war der Herr Diakonus, ein besonders hochverehrter Freund der Jungfer Mine! Nun war er zwar ein sehr freundlicher, duldsamer Mann, aber der Tisch voll rauchender Studenten, das Kartenspiel am Sonntag – das war denn doch zu arg! »O ihr lieben Herren! Ich kann euch nicht mehr brauchen: – der Herr Helfer! – Geht doch in den Garten! – Hanne, führ sie hinten hinaus!« rief sie, in großem Eifer hin und her rennend. Lachend zog die junge Schar ab ins Nebenzimmer, die fatalen Karten jedoch schob sie eilig unter die Tischdecke und empfing nun den Herrn Diakonus. Aber, o weh! Während des Gesprächs zupfte dieser unwillkürlich an der Decke, und die Karten fielen ihm in Masse auf den Schoß. Daneben streckte das junge Volk die Köpfe durch die Wandöffnung über dem Ofen und brachte durch komisches Gesichterschneiden die ehrbare Jungfrau dermaßen außer Fassung, daß es am Ende das beste war, die Frevler zu verraten, worauf die Szene mit allgemeinem Lachen schloß. Sie wurde von der Jugend auch jederzeit in Ehren gehalten. Während der Herbstferien wurde alljährlich ein sogenannter »allgemeiner Herbst« gehalten, von dem man singend und schießend im Fackelzug heimkehrte. Jungfer Mine nahm nie Anteil an so großartigen und geräuschvollen Festen, wo man ihrer Hilfe ja doch nicht bedurfte. Vor ihrem Häuschen aber hielt jedesmal der fröhliche Zug bei der Heimkehr und brachte ihr ein Ständchen, ohne besondere Auswahl der Musikstücke; Jungfer Mine stand dann freundlich am Fenster und dankte mit züchtigem Verneigen. Ich erinnere mich wohl, wie die Studenten ihr einmal jubelnd zusangen: »Ach wie bald, ach wie bald Schwindet Schönheit und Gestalt« usw. und wie sie dann lächelnd mit dem Finger drohte: »Ei, ihr Schelmenherrn!« Niemand hat besser einen Spaß verstanden als die Jungfer Mine, sogar über ihr Alter, und das will viel sagen bei einem ledigen Frauenzimmer. Ihre allerhöchste Freude war aber, wenn sie einem liebenden Pärchen irgendwie Vorschub tun konnte; ihr ganzes Herz lachte, wenn sie junge Herzen gegeneinander aufgehen sah, und manch glückliche Verbindung ist durch ihre so anspruchslos geleistete Beihilfe zustande gekommen. Wie erfinderisch war sie in Wendungen, mit denen sie liebende Herzen durch das Lob des Geliebten zu erfreuen wußte! Wie unermüdet, Liebende bei ungünstigen Aussichten zur Treue und Ausdauer zu ermahnen! »Liebs Kind, ich koch' Ihnen einmal das Hochzeitsessen!« war stets der Dank, mit dem sie jungen Mädchen kleine Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten vergütete. – In einer Schublade, in der viele Briefpäckchen aus ihren vergangenen Tagen pünktlich geordnet aufbewahrt lagen, vielleicht auch ein eigenes Herzensgeheimnis der guten Jungfer darunter, bewahrte sie mit besonderer Sorgfalt ein Paket Briefe mit schwarzen Bändern umbunden. Es war die Korrespondenz eines jungen Paares, das auch einst unter ihrem Schutz sich geliebt hatte und durch Elternhärte getrennt worden war, und dessen Andenken sie mit immer neuer Wehmut erfüllte. Nie aber hätte eine unerlaubte Liebe auch nur im entferntesten auf ihren Schutz rechnen dürfen. Behüte! die Jungfer Mine war eine streng rechtliche Person, Gott und der Obrigkeit untertan, und sprach trotz aller Sanftmut eine sehr entschiedene Entrüstung aus gegen alles, was gegen göttliche Ordnung und die heilige Sitte verstieß. »Laß mich mit jedermann in Fried' und Freundschaft leben!« war ihr tägliches Gebet zu Gott, und der liebe Gott hat es erhört, indem er ihr ein fromm und freundlich Gemüt gegeben, das allen diente und es mit keinem verderben konnte. Durch alle Spaltungen, die in kleinen Städten am tiefsten eingreifen, durch alle Zänkereien und öffentliche wie Privatstreitigkeiten ging sie unberührt und unangefochten und wußte mit den Häuptern kriegführender Mächte Freundschaft zu bewahren, ohne Achselträgerei und Zweizüngigkeit. Sie tat allen zulieb, was sie vermochte, redete keinem Anwesenden zu Gefallen, keinem Abwesenden zuleid und meinte es mit jedem so von Herzen wohl, daß ihr jeder gut bleiben mußte; und so war es ihr vergönnt, mitten in vielem Unfrieden ihre Tage in Frieden zu verleben und zu beschließen. Ihr Besitztum war beinahe Gemeingut; das Gras in ihrem Garten war immer zertreten, weil es den Kindern als Spielplatz diente; ihre Obstbäume kamen nicht zum Gedeihen, weil die ganze Stadt Waschseile daran aufzog, um den sonnigen Platz zum Trocknen zu benützen. Die Hanne eiferte oft gewaltig gegen diese Duldsamkeit, und die gute Jungfer hatte alle ihre Beredsamkeit aufzuwenden, um sie wieder zu beschwichtigen. Auch der Unterschied der Stände, der in kleinen Städten so scharf abgegrenzt ist, war für Jungfer Mine aufgehoben. Obgleich sie ihrem bescheidenen Anzug wie ihrer Herkunft nach zum Honoratiorenstande gehörte, war sie doch daheim und befreundet in allen ehrbaren Bürgerhäusern, wo man ihres Beistandes bedurfte, und ihre »Weiblein«, wie sie ihre Freundinnen aus dem Bürgerstande nannte, wurden jederzeit mit derselben Rücksicht und Freundlichkeit aufgenommen wie die ersten Frauen der Stadt. Ihr besonders guter Freund war Nachbar David, ein alter Hufschmied. Er besorgte ihr die Holzeinkäufe und nahm sich ihrer überall treuherzig an, wo ihre Güte und ihre Schutzlosigkeit mißbraucht werden konnten. Er war ihr Wetterprophet, dessen Meinung immer entschied, wenn es zweifelhaft war, ob die Wäsche ins Freie gehängt werden könne. Sobald ein Ungewitter am Himmel aufstieg, warf der ehrliche Meister sein Schurzfell ab und begab sich zur Jungfer Mine, die große Furcht vor Gewittern hatte; sie bewirtete ihn dann mit einem Kelche selbstfabrizierten Likörs, und sie trösteten einander mit Gesprächen über die Zeitläufte und mit Vorlesungen aus Arnds »Wahrem Christentum« und aus dem »Schatzkästlein«, bis das Gewitter vorüber war. Das ehrwürdige Paar Möpse spielte keine kleine Rolle im Hause, und ein guter Teil der Sorgfalt der Jungfer Mine war ihnen zugewendet. Die Katze und der Kanarienvogel waren nur untergeordnete Subjekte. Die Katze hatte zwar ein Kissen unter dem Ofen, die beiden Möpse aber, Mopper und Weible genannt, nahmen ihre eigenen gepolsterten Stühle daneben ein, wenn sie es nicht vorzogen, bei gutem Wetter im Garten zu promenieren und die Leute zu insultieren. »Es muß das Herz an etwas hangen,« sagte sie zur Entschuldigung ihrer Vorliebe für die garstigen Tiere. Der Tod der Möpse betrübte sie tief; doch nahm sie mit gutem Humor den Beileidsbesuch auf, den ihr einige Freundinnen in tiefer Trauerkleidung abstatteten. Mit Lektüre hat sich Jungfer Mine nie viel befaßt, weder mit sentimentaler noch mit gelehrter. Ein gescheites Wort konnte man aber doch mit ihr reden, und niemand hat je Langeweile bei ihr gehabt. Deshalb waren auch ihre Kaffeevisiten, der einzige Luxus, den sich die Jungfer erlaubte, sehr gern besucht; nicht nur weil sie den besten Kaffee und die gelungensten Kuchen bereitete, sondern weil in dem kleinen Stübchen mit den geflickten Gardinen und dem verblichenen Sofa ein guter Geist wehte, der das Gespräch lebendig machte und die Herzen fröhlich. In Klatschereien stimmte sie nie mit ein; es war ihr unmöglich, von einem Menschen Böses zu sagen. Auch für das mütterliche Gefühl, das in jedem weiblichen Busen schlummert, sollte es nicht an einem Gegenstand für sie fehlen, obgleich es ein altes Kind war, das man ihrer treuen Fürsorge übergab. Ein ehemaliger Kaufmann aus guter Familie, dem in seinen jungen Jahren die südamerikanische Sonne das Gehirn ausgebrannt, lebte als harmloser Narr in der kleinen Stadt. Er war der zufriedenste Mensch, den man sehen konnte, stets vergnügt, stets aufgeräumt, und, obschon bei Jahren, hüpfte und sprang er mehr, als er ging. Der Fritz nun wurde in die freundliche Obhut der Jungfer Mine befohlen. Sie räumte ihm das Stübchen ein, das seither ihre Heiligtümer verwahrt hatte: den »Papa« und die »Mama«, lebensgroße Kinderbilder in hölzernen Röckchen, an denen ein Hündlein hinaufsprang, und eine spanische Wand, darauf die sieben Bitten des Vaterunser bildlich dargestellt waren; sie behütete und pflegte ihn mit mütterlicher Sorgfalt. In dem netten Hause und dem freundlichen Garten war der Fritz ganz in seinem Element; er schenkte sein Herz abwechslungsweise bald der Jungfer, die er aber daneben sehr respektierte; bald der Hanne, der es zum erstenmal in ihrem Leben begegnete, daß jemand ihre Reize bewunderte. »Hübsch, Hanna, hübsch!« rief er ihr ermunternd zu, so oft er sie erblickte, setzte auch von Zeit zu Zeit den Hochzeitstag fest, ohne sich zu grämen, wenn der Termin immer wieder hinausgeschoben wurde. Ein verwandter Beamter war so freundlich, den Fritz in seiner Kanzlei zu beschäftigen, obgleich seine schriftlichen Arbeiten unbrauchbar waren, da allzeit seine krausen Ideen sich darein mischten. Aber er fühlte sich dadurch so beschäftigt, so wichtig! Er eilte mit einer so glücklichen Amtsmiene auf sein Büro, während Jungfer Mine und die Hanne daheim sein Stübchen ordneten und sein Mahl bereiteten. Nur ein Leiden hatte der arme Fritz, das zugleich eine Plage für die Jungfer war: die Hexen, von denen er nach seiner Meinung jede Nacht heimgesucht wurde. Er schnitt sich Stöcke und Stöckchen von jeder Größe, um die Hexen damit durchzuklopfen, und das gab oft einen wahren Hexentanz in seiner Stube, bis ihn die sanftmütige Stimme der Jungfer Mine aus der andern Stube her wieder beruhigte. Da der Fritz bei der Küche der Jungfer Mine so wohl gedieh, meldeten sich auch vernünftige Leute, anständige junge Männer vom Schreibereifach um Kost und Wohnung bei ihr; der Holzstall wurde noch zu einem Stübchen eingerichtet, und der Pflichten-und Geschäftskreis der Jungfer hatte sich bedeutend erweitert. Wie eilig hatte sie nun, um von ihren sonstigen »Expeditionen« rechtzeitig heimzukommen! Sogar »Offertenmacher«, wie sie die Kommis Voyageurs nannte, wurden nun hie und da als Kaffeegäste zu ihr gebracht, und noch sehe ich sie, wie sie einst in höchster Eile über die Straße rannte und allen Bekannten, die sie zum Spaß aufzuhalten suchten, zurief: »Kann nicht, muß heim, hab' vier Herren und eine Gans!« Alles geht hienieden dem Ende zu, und der guten Jungfer Mine, die in Ehren und bei vollen Kräften ein schönes Alter erreicht hatte, wollte der liebe Gott die Leiden eines langen Lagers und die Beschwerden des hilflosen Alters ersparen. Sie erkrankte bei der treuen Pflege ihrer Dienerin, die ein Fieber befallen hatte; sie mußte sich legen, um nicht wieder aufzustehen. Verlassen war sie nicht in ihren letzten Tagen: sie, die so vielen gedient, wurde von freundlichen Händen treulich gepflegt, und sie entschlief in ihrem Gott mit frohem und dankbarem Herzen, von vielen aufrichtig betrauert. Nach ihrem Tode fand sich, daß ihr Vermögen außer dem Häuschen so gering war, daß niemand begreifen konnte, wie es ihr möglich gewesen, davon zu leben. Und doch war sie so reich gewesen an Freuden für andere. Die Hanne blieb zum Lohn ihrer langen treuen Dienste als alleinige Erbin des Häuschens und Gartens zurück; für ein armes Mädchen ihres Standes ein beneidenswerter Besitz! Aber sie hat sich dessen nicht mehr lange gefreut, obgleich sie von der Krankheit, in der sie noch die letzte Pflege ihrer Herrin genossen hatte, wiederhergestellt war. Man hörte ihre laute, scharfe Stimme nicht mehr, mit der sie sonst so eifrig die Rechte ihrer Jungfer verfochten hatte; still und bleich schlich sie umher, es schien ihr Lebensnerv gebrochen, und nach einem halben Jahr folgte sie ihrer Herrin nach zur letzten Ruhestatt. Wenige der alten Freunde der Jungfer Mine leben nun noch in dem Städtchen, und so ist auch ihr Grab verlassen und vergessen; von den schönen Levkojen und Reseden, die wir aus ihrem Garten dorthin verpflanzt hatten, ist nichts mehr zu sehen, aber ein Fruchtbäumlein hat darauf Wurzel gefaßt und beschattet es mit seinen grünen Zweigen. – Leicht sie ihr die Erde, der guten Jungfer Mine, und sanft ihre Ruhe, ihr, die sich hienieden keine Ruhe gegönnt hat! 2. Der Engländer Es sind wohl je und je Geschichten geschrieben worden, deren Schauplatz eine kleine Stadt war. Die Pointe dabei, wenn ich mich recht erinnere, war dann allzeit ein geheimnisvoller oder wenigstens interessanter Fremder, der die Zungen der Frau Basen und die Herzen der jungen Mädchen in Bewegung setzte. Nun mag ich mich aber besinnen, wie ich will, so hat sich in unsrer kleinen Stadt nichts derart gezeigt. Wurde zwar eines Tages ein bleicher Jüngling mit Gendarmen eingeliefert, der sich als einen verkannten Edeln und Professor aus Lyon zu erkennen gab; aber es stellte sich binnen kurzem heraus, daß besagter Professor ein Betrüger und Schelm, also mit vollem Recht transportiert war. Ferner erschien einmal abends auf der sehr besuchten Kegelbahn ein ältlicher, steifer Herr mit ganz feinen Manieren, dessen Andeutungen ihn etwa als einen russischen General außer Dienst oder Diplomaten erscheinen ließen, und die Herren wußten bei ihrer Nachhausekunft gar viel zu rühmen von seinem feinen adligen Benehmen und seiner würdevollen Zurückhaltung. Am folgenden Morgen aber war derselbige Diplomat so herablassend, daß er von Haus zu Haus ging mit dem Anerbieten, die etwaigen Hühneraugen auszuschneiden; führte auch eine grüne Korduanmappe mit sich, voll von Zeugnissen von hohen und höchsten Herrschaften über seine Gewandtheit in dieser edlen Kunst. Vielleicht, das nahm man zum Troste an, war er heimlicherweise doch ein Spion, der's nur nicht sagte; er hätte auch in solcher Eigenschaft schlechte Geschäfte gemacht, es gab blutwenig zu spionieren im Städtchen Marbach. Einmal aber, ja einmal fuhr dennoch in einem sonderbar gestalteten Einspänner ein unbekannter Herr mit einem anständig aussehenden, noch jugendlichen Frauenzimmer am ersten Gasthof in Marbach vor und erkundigte sich alsobald nach freistehenden Wohnungen. Derselbige war auffallend lang und mager, trug einen Rock, Beinkleider und Gamaschen von Lederfarbe, einen ebensolchen Hut und ein Gesicht von derselben Couleur; es schien, er habe seine ganze Person am Stück in diesen dauerhaften Farbstoff tunken lassen. Seine lange Figur wurde durch seinen turmhohen Hut noch vergrößert, sowie sich seine fabelhaft langen Arme durch die Ärmel, die eine Viertelelle länger waren als erforderlich, fast bis zur Erde zogen. Die Dame bei ihm schien nicht seine Frau zu sein und sich nicht besonders behaglich zu fühlen. Nach genossenem Imbiß schickten sie sich an, die wenigen freien Wohnungen des Städtchens zu besehen, und der lederfarbene Herr fand sogleich, was er suchte, in ein paar hübschen Zimmern im vierten Stock, mit freundlicher Aussicht auf die Apotheke und eine neue Metzig. Er versicherte den Hausbesitzer, daß ihm besonders lieb sei, eine so hochgelegene Wohnung zu finden, da das Steigen seiner Brust sehr zusage. Der Hausknecht, der ihm als Führer vom Gasthof mitgegeben war, bemerkte bescheiden, daß auf dem Turm auch noch ein Stübchen zu vermieten wäre, womit sogar das Benefiz des Hochwächterdienstes verbunden. Das lehnte der Lederfarbene höflich ab, da in solcher Höhe die Luft nicht gesund sei, namentlich weil sich alle Dünste in die Höhe ziehen. Der Unbekannte beabsichtigte gar nicht als solcher fortzuexistieren; er war, nach seiner Mitteilung, ein Engländer, der sich aber schon seit langen Jahren in Deutschland heimisch gemacht und der einen stillen, freundlich gelegenen Ort suchte, wo er seine Tage beschließen könne. Diesen Ort hatte er nun in dem Städtchen Marbach entdeckt, fragte nach dem Kirchhof, wo er sich ein Plätzchen für sein Grab erkiesen wolle, und bestellte den Notar, um sein Testament aufzusetzen. Nun sah der Engländer aber gar nicht aus, als ob er seinem Ende so nahe wäre; er gehörte überhaupt zu der Klasse von Leuten, bei denen man nie beurteilen kann, ob sie jung oder alt sind; er kam einem auch nicht vor, als ob er jemals klein gewesen und groß gewachsen sei, vielmehr glich er einem Stück, das in einer Versteigerung nicht verkauft worden ist und nur so herumfährt. Aus seinen Papieren aber, die er dem Notar vorwies, ergab sich, daß er wirklich schon ziemlich bejahrt war. Als Zeuge zu der Testamentaufsetzung wurde unter andern der Hausbesitzer gebeten, und dieser Ehrenmann war höchlich überrascht und gerührt, als der Engländer nach so kurzer Bekanntschaft ihm ein recht anständiges Legat bestimmte; auch die Armen der Stadt waren nicht vergessen und ein schon früher festgesetztes Vermächtnis für seine Haushälterin erneuert. Der Engländer versicherte dem gerührten Hausbesitzer, daß es ja ganz natürlich sei, daß die Familie, in deren Schoß er seine letzten Tage verlebe, auch ein Andenken an ihn behalte, und das Verhältnis zwischen Hausherr und Mietsmann gestaltete sich durch diese freundliche Fürsorge recht gemütlich. Obgleich nach all diesem scheint, daß der Engländer nach Marbach gekommen war, um daselbst zu sterben, so vernachlässigte er die Pflicht der Selbsterhaltung keineswegs. Sein einziges Studium, seine ausschließliche Lektüre waren medizinische Werke; das System aber, nach dem er seine Diät einrichtete, war eigentlich aus keinem davon genommen. Sobald er sein Zimmer im Besitz hatte, ließ er den Schreiner holen und befahl ihm, die Füße seiner Bettstelle gänzlich abzusägen; denn da nach seiner Ansicht der Dampf sich nach oben zog, so behauptete er in der gesundesten Luft zu schlafen, wenn er möglichst niedrig gebettet war. Seine Kost bestand fast ausschließlich aus Gerstenschleim, Kalbsbraten und gelben Rüben, welch letztere er in solchen Massen einkaufte, daß er das ganze Jahr hindurch Vorrat hatte. Das Thermometer war sein bester Freund, den er fast beständig bei der Hand hatte, um nachzusehen, ob das Zimmer die richtige Temperatur habe. War es zu kühl, so mußte augenblicklich geheizt werden, und wäre es im höchsten Sommer gewesen; war es zu heiß, so ließ er eine große Wasserkufe ins Zimmer tragen, um die Luft abzukühlen, und war sehr übler Laune, wenn diese Maßregel keine gehörige Wirkung tat. Große Fußwanderungen gehörten auch zu seiner Diät, und es nahm sich sonderbar aus, wie er unterwegs mit eigentümlicher Gewandtheit sich Zuckerpasten in den Mund warf, die er in seinem großen Ärmel verborgen hielt; solches, behauptete er, sei ganz vorzüglich für die Brust und den Atem – kurz, er war unerschöpflich an Mitteln, das menschliche Leben zu verlängern, und konnten seine Erben das Glück der Hoffnung gründlich kennenlernen. Die Kunde, daß das lederfarbene Subjekt ein Engländer sei und bereits ein Testament gemacht habe, verlieh ihm im Städtchen einiges Ansehen. Man glaubte auch, seine lederfarbene Haut und Kleidung sei nur so eine Art Reiseüberzug zur Schonung, wie über einen Regenschirm, und er würde eines Tags schön und elegant hervorgehen. Dem war aber nicht so; er war und blieb derselbe, und eine vorteilhafte Farbe war's für seine Märsche: er hätte sich im Straßenstaube baden können, ohne sich im mindesten zu verändern. Auswanderungen waren dazumal selten und englische Sprachkenntnis so wenig gekannt und gesucht als spanische. Als aber ein lebendiger Engländer auf dem Platze war, überkam doch einen strebsamen ältlichen Herrn die Lust, Englisch zu lernen, und er lud zu diesem Zweck den Herrn Cramble zum Kaffee ein, der, wie aus dem schon Erzählten hervorgeht, des Deutschen vollkommen mächtig war. Zuerst wollte man die Konjugationen kennenlernen, also mit den Fürwörtern beginnen: »Was heißt: Ich?« fragte der Deutsche. – »I«, antwortete der Engländer. – »Ei? Nun das ist ja ganz gut behalten! Du?« – »Thou« – »Sau« sprach der Deutsche nach, »thou« berichtigte der Engländer; »tsau« versuchte der Schüler wieder, »nicht tsau, thou!« schrie der Lehrer, »sehen Sie, so!« und er zeigte ihm, wie man die Zunge an die Zähne drücken müsse, um den englischen Zischlaut hervorzubringen. Der Schüler wollte es noch besser machen und streckte die Zunge heraus; da wollte aber weder thou noch Sau hervorkommen, und der indignierte Herr beschloß, an eine so grobe Sprache keine Mühe mehr zu wenden. Herrn Crambles Haushälterin, ein anständiges Frauenzimmer von guter Herkunft, aus einer andern Stadt, in der er sich früher niedergelassen gehabt hatte, um dort seine Tage zu beschließen, hatte sich durch ihre schutzlose Lage und das bedeutende Legat bestimmen lassen, diese Stelle zu übernehmen, mußte aber die Aussicht auf ein eigen Kapitälchen gar sauer verdienen. Der Herr Cramble war ganz erstaunlich sparsam und erwartete natürlich, daß sie durchaus in seine ökonomischen Pläne eingehe. An englischen Komfort schien er keine Ansprüche zu machen; es wurde zum Beispiel nie auf einem Tischtuch gespeist aus dem einfachen Grunde, weil ein Tisch eher gewaschen sei als ein Tischtuch; von Kaffee war keine Rede, verdünnten Gerstenschleim, lauwarm getrunken, erklärte er für das zweckmäßigste Frühstück; auch liebte er durchaus nicht, wenn sie andern Umgang pflog, und somit war ihr Dasein ein ziemlich freudloses; ihr guter Ruf war übrigens nicht in der mindesten Gefahr bei ihm. Nur die Aussicht auf die Erbschaft, die ihr doch wenigstens dereinst ein trauliches eigenes Jungfernstübchen sicherte, gab ihr Geduld und Ausdauer. Sehr überrascht aber war sie, eines Morgens folgende Zuschrift zu bekommen: »Liebwerteste Jungfer Henriette Steinin! Da ich zwar von meinem Schwager, der Gschwisterkind zu des Notars Schreiber in Ihne Ihrem Wohnort ist, vernommen, daß der engellische Herr Grembel, bei dem ich auch seine Haushaltung gefirt habe, Ihne in seinem Testament ein Vermächtniß vermacht hat, so halte ich das übrigens für wüst von Ihne, einer armen Person das Ihrige abzunehmen, wo der Herr Grembel in sein Testament hier mir auch so ein Legad vermacht hat und ich ihn bis zu seinem Tode bereits nicht verlassen hätte, außer daß er sagte, daß ich keine Bildung genug hätte, vor was der eine Bildung braucht zu ihm seine Gelberüben zu schaben und Gerstensuppe zu kochen, weiß ich allerdings nicht. Und laße Ihnen wißen, daß ich es insofern vor alle Gerichte bringen werde und laße es vor den König kommen so einer armen Persohn ein Legad zu berauben. Ihre dienstwillige Barbara Rothin.« Herr Cramble, dem die Haushälterin dies Dokument mitteilte, kam gar nicht aus der Fassung: er habe dieser früheren Haushälterin allerdings ein Legat bestimmt gehabt, aber nur auf den Fall, daß sie bis zu seinem Tode in seinen Diensten bleibe; dies frühere Legat und Testament hebe sich aber von selbst durch das neuere, gültige auf. Der Fräulein Henriette war die Sache dennoch bedenklich; die gelben Rüben kamen ihr immer unschmackhafter, der Engländer immer dauerhafter vor, und sie beschloß, irgend einen Sperling in der Hand diesem Kraniche auf dem Dache vorzuziehen. Sobald sie ein anderweitiges anständiges Unterkommen, wenn auch ohne Aussicht auf Legat, gefunden, sagte sie Herrn Cramble ihre Dienste auf. Er bedauerte sehr, daß sie ihr Glück so mit Füßen trete, tröstete sich aber bald über den Verlust. Mittlerweile hatte sich Herr Cramble überzeugt, daß Marbach noch nicht die rechte Stätte für seinen letzten Ruheplatz sei; er glaubte ihn aber gefunden zu haben in einem kleinen Städtchen etliche Stunden davon. Auch einer Haushälterin bedurfte er wieder; die Ansicht der gekränkten Jungfer Barbara, daß es nicht viel Bildung brauche, um seine gelben Rüben zu schaben, schien ihm einzuleuchten, und so warf er diesmal sein Auge auf die ehrbare Tochter eines kinderreichen Schreinermeisters in Marbach. Das Mädchen bezeigte anfangs gar wenig Lust, Herrn Cramble aber war es Ernst mit der Sache; er beschied Vater und Mutter samt der Tochter in seinen neuen Wohnort, ließ dort in ihrer Gegenwart vor Notar und Zeugen ein abermaliges Testament in bester Form verlesen, in dem ihr ein noch ansehnlicheres Legat als ihren Vorgängerinnen zugesichert war, falls sie ihn vor seinem Tode nicht freiwillig verlasse. Das war doch gar zu verlockend für fürsorgliche Eltern, und sie stellten der Luise ihre zukünftigen Aussichten, wenn der Engländer einmal das Zeitliche gesegnet, aufs glänzendste vor: sie sei ja jung und stark, und er könne doch nicht umhin, einmal zu sterben, irgend einmal; und die Luise gab nach und richtete sich in dem neuen Haushalt ein. Der Engländer aber war nicht lange an dem neuen Aufenthaltsort, als er abermals fand, daß das noch kein geeigneter Platz zum Abscheiden sei; somit zog er samt der Luise in ein viel entlegeneres Städtchen. Da sie in der Korrespondenz nicht stark war, so blieben die Ihrigen jahrelang ohne Nachricht von ihr, bis endlich wieder einmal ein Brief ankam. Der Schreiner erbrach ihn und durchlief den Inhalt, um ihn vorzulesen; plötzlich rief er ganz erfreut aus: »Ach, denk nur, Weib, der Engländer ist richtig gestorben, das hätt' ich ihm doch nicht zugetraut!« – »Ist's wahr?« rief die Frau, »aber das ist doch schön von ihm; weiß man's gewiß?« Die Geschwister eilten herbei, um den Grund des elterlichen Vergnügens zu erfahren: »Ja, denket, der Herr Grembel ist gestorben, und die Luise bekommt jetzt schon das schöne Erbe, und sie ist doch erst vier Jahre bei ihm, und er ist nicht einmal so gar alt geworden, erst zweiundsiebzig, da hätt' man's ihm noch gar nicht zumuten können; er hätt' ja auch achtzig oder gar neunzig alt werden können, wie der alte Torwart selig.« Und alles war ganz voll Dank und Rührung, daß der Herr Grembel richtig gestorben war. Seit er Marbach verlassen, war der Engländer noch in vier oder fünf Städten und Städtchen herumgekommen, bis es mit dem Sterben ernst geworden war; in jedem hatte er ein Testament