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berichte und arbeiten aus der universitätsbibliothek und dem universitätsarchiv giessen 50 ... PDF

168 Pages·2006·7.36 MB·German
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BERICHTE UND ARBEITEN AUS DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK UND DEM UNIVERSITÄTSARCHIV GIESSEN 50 FINDBUCH ZUM NACHLASS KARL ERNST VON BAER (1792—1876) Nach Vorarbeiten von VELLO KAAVERE eingeleitet, bearbeitet und zusammengestellt von ERKI TAMMIKSAAR GIESSEN UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK 1999 ISSN 0935-3410 Fotodruck und Einband Universitätsbibliothek Gießen Vorwort Das vorliegende Findbuch gibt einen Überblick über den Nachlaß des berühmten und vielseitigen Naturwissenschaftlers des XIX. Jahrhunderts Karl Ernst von Baer. Dieses Buch entstand aus einer Zusammenarbeit des Instituts für Zoologie und Botanik an der Estnischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung Karl—Ernst—von—Baer—Museum, und der Universitätsbibliothek Giessen. Obwohl die Arbeit an dem Nachlaß schon fast hundert Jahre gedauert hat, wird erst Ende des XX. Jahrhunderts ein Verzeichnis der Briefwechsel und Manuskripte von und über Baer für breite Kreise der Wissenschaftshistoriker verfügbar. Hiermit möchte ich folgenden Personen und Institutionen herzlich danken, die bei der Zusammenstellung dieses Buches mir und dem leider früh verstorbenen Vello Kaavere (1936—1994) viel geholfen haben: Baers Nachkommen Frau Nora von Lampe, Berlin und Ingrid Etzold, Neumarkt/Oberpf.; Prof. Dr. Erik Amburger, Heuchelheim/Giessen; Prof. Dr. Jean—Claude Beetschen, Toulose; Eike Eller, Tartu; Nils Hollberg, Königswinter; Prof. Dr. Hans Schneider, Bonn; Annemarie Lackschewitz, Laubach; Dr. Hans—Jürgen Löwenstein, Marburg; Lutz Schneider, Frankfurt a. Main; Maie Roos, Tartu; Valli Porgasaar, Tartu; Karl—Ernst- von—Baer—Stiftung, Stade; Heinrich—Hertz—Stiftung, Düsseldorf. Meine besondere Danksagung gehört Herrn Dr. Bernd Bader von der Universitätsbibliothek Giessen, der mir bei der sprachlichen Korrektur des Manuskripts unschätzbare Hilfe geleistet hat. Erki Tammiksaar Msc. geogr. Tartu, den 11. Januar 1999 Inhalt Vorwort 1 Inhalt 3 --17k-Einleitung..7.:-::-:-: ::.::::::.:..::::.-::.:::.... :::::: ,.::...4 1.2. Karl Ernst von Baer – Leben und Werk 4 1.3. Geschichte des Nachlasses 9 1.4. Methoden der Bearbeitung 11 1.5. Nachlaßbestand 14 1.6. Zitierte und weiterführende Literatur über Karl Ernst von Baer 17 1.7. Abkürzungen und abgekürzt zitierte Quellen 19 2.Verzeichnis der Briefe 25 2.1. Band 1–15. Briefe an Baer 25 2.2. Band 16–20 (Schachtel). Briefe an Baer 58 2.3. Band 21. Briefwechsel unter Dritten 83 2.4. Band 22. Briefe an Baer. Schreibernamen nicht zu entziffern 86 2.5. Band 23. Nachträge zu den gebundenen Briefen an Baer. A – Meyer, E 88 2.6. Band 24. Briefe von Baer A – L 89 2.7. Band 25. Briefe von Baer M – Z 95 2.8. Band 26. Briefe und Konzepte von Baer an Unbekannt 98 2.9. Band 27. Briefe und Konzepte von Baer an Unbekannt 100 3.Verzeichnis der Manuskripte und Schriften 104 3.1. Band 1 – 36. Baers Schriften und über Baer 104 3.2. Band 37. Baers Briefwechsel mit dem Rat der Universität Königsberg 134 3.3. Band 38. Baers Briefwechsel mit der Russischen Geographischen Gesellschaft 136 3.4. Band 39. Baers Briefwechsel mit verschiedenen Institutionen 137 3.5. Band 40. Briefe an Baer von verschiedenen Akademien und Gesellschaften 139 3.6. Band 41. Baers Briefwechsel mit der Universität Königsberg 140 3.7. Band 42 – 45. Reste, sonstiges 141 3.8. Band 46. Briefe an Stieda 144 Personenregister : 145 Anhang 3 1.1. Einleitung 1.2. Karl Ernst von Baer — Leben und Werk Karl Ernst von Baer (1792—1876), der am 17./28. Februar im damaligen russischen Gouvernement Estland geboren wurde, das nach dem seinerzeitigen Sprachgebrauch zu den "deutschen Ostseeprovinzen Rußlands" gerechnet wurde, gilt als Begründer der modernen Embryologie und Entwicklungsbiologie im weiteren Sinne sowie als einer der bedeutendsten Morphologen des vorigen Jahrhunderts. Sein Beitrag zur Wissenschaft wurde nicht nur von seiner außergewöhnlichen Begabung, sondern auch von der Tatsache beeinflußt, daß sein Leben und Wirken in drei Kulturgebieten verlief — im Estnischen (damals Deutschbaltischen), Deutschen und Russischen, die ihrerseits jeweils in einer gewissen Periode seines Lebens dominierend waren. Seine Begabung kam auch darin zum Ausdruck, daß er fähig war, unikale Möglichkeiten verschiedener Kulturmilieus auszunutzen (Oppenheimer, 1990). Zudem wurde er als der "Humboldt des Nordens" bezeichnet, da er sich zusätzlich mit der Systematik und Physiologie der Tiere und Pflanzen, ferner mit der Parasitologie, Anthropologie, Paläontologie und Fischereibiologie befaßte und sich auch mit Fragen der Universitätspolitik sowie den damaligen Problemen der akademischen Ausbildung intensiv beschäftigte. Baer hat sich als "Estonus" (aus Estland) bezeichnet und hielt Estland für sein Vaterland. Er ist geboren als Sohn des estländischen Ritterschaftshauptmannes Magnus Johann v. Baer auf dem Gut Piep/Piibe im Kreise Jerwen/Järvamaa. Die Mutter von Karl Ernst, Julie Luise v. Baer, war die Tochter von Andreas Magnus v. Baer. A. M. v. Baer war ein Bruder von Heinrich Johann v. Baer, des Großvaters von Karl Ernst v. Baer. Mithin hatte M. J. v. Baer seine Cousine ersten Grades geheiratet. Sie hatten zehn Kinder. Die nahe Verwandschaft zwischen Vater und Mutter hatte keinen ungünstigen Einfluß auf den Gesundheitszustand der zahlreichen Kinderschar. Alle Kinder entwickelten sich normal und zeichneten sich durch Langlebigkeit aus (Raikov, 1968:17). Seine früheste Kindheit verbrachte Karl Ernst nicht auf dem väterlichen Gut, sondern auf Lassila/Lasila im Kreise Wierland/Virumaa, einem Besitz seines Onkels, Karl Heinrich, des älteren Bruders seines Vaters, der keine Kinder hatte. Mit acht Jahren kehrte er ins Elternhaus zurück, und nun erst begann der Unterricht. Im Lernen machte er schnelle Fortschritte, nach zwei Wochen konnte er schon lesen. In den Jahren des Hausunterrichts in Piep hat Baer selbständig mit seinen Naturstudien angefangen. Seine erste Liebe gehörte der Botanik, mit der er sich möglicherweise bis zu seinem Lebensende beschäftigte. Nach einer guten Ausbildung in der Domschule zu Reval/Tallinn (1807—1810), die als eine der besten Schulen im damaligen Rußland galt, nahm Baer im Jahr 1810 sein Studium an der medizinischen Fakultät der Universität Dorpat/Tartu auf Die Universität war mithin nach Neugründung (1802) erst acht Jahre alt, als Baer sie als Student bezog. Ein Teil der Lehrstühle war durch ungeeignete Persönlichkeiten besetzt, ein anderer Teil war vakant. Seine Ausbildung, die Baer von der damaligen Universität Dorpat bekommen hat, hat er in seiner Autobiographie folgendermaßen dargestellt: "Würde mich irgend ein Kranker auf mein Gewissen befragt haben, wen er sich zum Ärzte erwählen sollte, ich würde ihm geantwortet haben: Wählen Sie jeden Andern, nur 4 nicht mich." (Baer, 1866:149). Von seinen Lehrkräften an der Universität Dorpat erinnert er sichmitaußerordentlicher Dankbarkeit nur andrei Professoren: den Physiker Georg Friedrich Parrot, den Botaniker Karl Friedrich Ledebour und den Physiologen Karl Friedrich Burdach. Der Letztere hat in Baers Leben auch später eine wesentliche Rolle gespielt. Seine Doktorarbeit ."De -morbis--inter- esthonos endemicis'-', -Dorpati 1814. verteidigte Baer am 29. August 1814. Schon in seiner Doktorarbeit kann man klare Konturen seiner zukünftigen wissenschaftlichen Hauptmethode "Beobachtung und Reflexion" unterscheiden. Seine medizinisch-geographische Untersuchung war erstmalig allen in Estland verbreiteten Krankheiten und dem Kennenlernen der ganzen Sanitärlage gewidmet. Man hat seine Doktorarbeit in der Folgezeit oft genutzt und zitiert (Sutt, 1994:2). Wegen seiner lückenhaften Bildung entschloß Baer sich, zur Weiterbildung ins Ausland zu gehen. Zunächst ging er nach Wien, wo er bald feststellte, daß die Fachkenntnisse der namhaften Wiener Professoren nicht besser waren als die seiner estnischen Hochschullehrer. Das Empirische und somit die Erfahrungsmedizin waren für seine rationale Denkweise wissenschaftlich unzureichend und daher unannehmbar. Außerdem reizte ihn viel mehr ein Studium der Botanik, mit der er sich schon intensiv befaßt hatte, oder der Zoologie sowie insbesondere der Anatomie. Den endgültigen Entschluß faßte er zugunsten der Zoologie. Auf Empfehlung des Botanikers Karl v. Martius, dem er zufällig auf einem Bergausflug begegnete, ging Baer nach Würzburg zu dem Anatomieprofessor Ignaz Döllinger. I. Döllinger gab ihm die Möglichkeit, die erhofften Kenntnisse in der zoologischen Anatomie zu erwerben. Hier fühlte sich der junge Baer wissenschaftlich auf dem richtigen Weg, er erwarb sich nicht nur ein hervorragendes Wissen in der vergleichenden und der Human—Anatomie, sondern begann auch mit embryologischen Forschungsarbeiten, mit denen sein Freund Christian Heinrich Pander sich bei I. Döllinger beschäftigt hatte und die für sein weiteres Wirken entscheidend waren. Den endgültigen Entschluß für seinen Wissenschaftsweg faßte Baer im Jahr 1816, als er auf ein Angebot seines ehemaligen Lehrers K. Burdach an der Universität Königsberg eine Stelle als Prosektor und Privatdozent für Anatomie und Zoologie annahm. Auf dieser Stelle nahm er 1817 die Arbeit auf. Im Jahr 1819 wurde er zum außerordentlichen Professor und 1822 zum ordentlichen Professor für Zoologie und 1826 für Anatomie gewählt. Sowohl in Königsberg als auch später in St. Petersburg hielt Baer seine Unterrichtstätigkeit für sehr wichtig (Vorlesungen über Anthropologie, für den Selbstunterricht bearbeitet. Erster Teil, Königsberg 1824). Neben seiner Lehrtätigkeit war Baer auch gesellschaftlich sehr aktiv; im Auftrag des Preußischen Kultusministeriums gründete er das Zoologische Museum an der Universität Königsberg (1821), dessen Direktor er bis zu seinem Abschied von Königsberg war. Im Jahr 1825 und 1831 war er Prorektor der Universität, was der heutigen Stelle eines Rektors entsprach. Auf dem Gebiet der Forschung war er in Königsberg besonders in der vergleichenden Anatomie aktiv. So entdeckte er die Eizelle der Säugetiere (1827) und veröffentlichte die Ergebnisse seiner vergleichenden Untersuchungen 1827 in dem Buch "De ovi mammalium et hominis genesi". Später hat er sich über diese Entdeckung erinnert, daß "ich gern anerkenne, dass ich sie weniger sehr angestrengten Untersuchungen oder 5 grossem Scharfsinne, als der Schärfe meines Auges in frühem Jahren /.../ verdanke." (Baer, 1866:316). Baers Namen verewigte sein Hauptwerk "Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion" (Königsberg, Bd. 1 1828; Bd. lt 1837), mit der er die moderne Embryologie begründete. In Deutschland bildeten sich die Hauptrichtungen von Baers Lebenswerk heraus und erwiesen sich als äußerst erfolgreich: die wissenschaftliche Forschungstätigkeit, die Organisation und Führung der wissenschaftlichen Arbeit und die äußerste Ehrlichkeit in der Wissenschaft. In Rußland kamen zu den genannten Richtungen noch praktische Forschungen hinzu. So hat Baer schon in Königsberg eine große Vielseitigkeit als Wissenschaftler gezeigt, die später in seinen Lebensperioden in St. Petersburg und Dorpat noch stärker sichtbar wurde. Im Jahr 1834 übersiedelte Baer nach St. Petersburg, wo er als Mitglied der dortigen Akademie der Wissenschaften fast 30 Jahre lang tätig war. Eigentlich wurde er zum ordentlicher Mitglied für Zoologie an der Akademie schon im Jahr 1828 gewählt (korrespondierendes Mitglied seit 1826), aber sein kleines "Intermezzo" dauerte in St. Petersburg 1830 nur wenige Monate. Im Jahr 1834 wurde er zum zweiten Mal zum ordentlichen Mitglied für Zoologie an der Akademie (1834—1846) und später für vergleichende Anatomie und Physiologie (1842—1862) gewählt, gleichzeitig leitete er auch das Anthropologische Kabinett der Akademie (1858—1862). In den Jahren 1835- 1862 war er an der Spitze der Außenabteilung der Bibliothek der Akademie und 1841- 1852 ordentlicher Professor für vergleichende Anatomie und Physiologie an der Mediko—chirurgischen Akademie zu St. Petersburg. 1862 hat Baer Abschied aus dem Dienst der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg genommen und wurde zum stimmberechtigten Ehrenmitglied der Akademie gewählt. Es zeigt gut, wie hoch die Akademie Baers Verdienste um die Erforschung des Russischen Imperiums und die Entwicklung der Wissenschaften in Rußland geschätzt hat. In den Jahren 1862—1867 war Baer als Geheimrat des Ministeriums für Volksaufklärung tätig. In dieser Zeit inspizierte er die Universität Kasan und suchte nach Möglichkeiten, die Ordnung des russischen Hochschulsystems zu reorganisieren. Viele Forscher der Wissenschaftsgeschichte halten Baer für das hervorragendste und maßgebende Mitglied in der seinerzeitigen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, sowohl als Gelehrten und Persönlichkeit als auch Organisator der Wissenschaft in Rußland. In einer völlig neuen kulturellen Umgebung veränderten sich seine wissenschaftlichen Interessen und der Umfang seines Wirkungsbereiches. Zu seinen embryologischen Studien, die vor seiner Übersiedlung dominierten, kehrte er ganz kurz in den Jahren 1845—1846 zurück, als er sich an der Küste des Mittelmeeres in Triest mit Versuchen zur künstlichen Befruchtung der Eier von Ascidien und Seeigeln beschäftigte. In St. Petersburg galt sein Hauptinteresse der Geographie, Anthropologie, Ethnographie, Statistik sowie Ichthyologie und Fischereibiologie. Vor seiner Ankunft in St. Petersburg hatte die Akademie kein Mitglied, das sich komplex mit den verschiedenen Richtungen der Naturwissenschaften befaßt hätte. Die in weiten Bereichen noch fast unbekannte Natur Rußlands bot vielfältige Möglichkeiten für spezielle Forschungsaufgaben und generelle wissenschaftliche Arbeiten. Aus Baer wurde ein Geograph im weitesten Sinne dieses Wortes. Ihn nannte man "einer der größten Geographen und Ethnographen seiner Zeit" (Helmersen, 1876:255). 6 Obwohl Baer schon am Ende der 1810er Jahre viele Pläne zur Durchführung von Expeditionen in den Hohen Norden hatte, um die in den Polargegenden lebenden Tiere und Pflanzen zu erforschen, wurden seine Pläne erst im Jahr 1837 verwirklicht. Als erster Naturwissenschaftler bereiste und untersuchte er die im Nordpolarmeer befindliche Inselgruppe Novaja Zemlja, wo im Rahmen einer komplexen Expedition das Klima, die Bodengestaltung sowie die Flora und Fauna erfaßt wurden. Im Jahr 1839 besuchteerreutNr7sGustävl7örcTenskTö7d äüF der Nördküste^es Finnisches Meerbusens die Spuren der Vereisung (Vergletscherung) Skandinaviens und im Jahr 1840 mit dem späteren Akademiker der Akademie der Wissenschaften Alexander Theodor v. Middendorff Lappland. In den 1850er Jahren fing er mit seinen praktischen Forschungen auf dem Gebiet der Wissenschaft an. 1851—1852 untersuchte er ichthyologisch während 4 Expeditionen die Ostsee und den Peipussee, weil die Fischmenge sich im Peipussee vermindert hatte. Als Nebenprodukt dieser Forschungen wurde im Jahr 1859 das erste Fischfanggesetz in Rußland angenommen, das man als erstes Naturschutzgesetz in Rußland betrachten muß. Später 1853—1857 erforschte Baer während vier umfangreicher Expeditionen fischereibiologisch, allgemeinbiologisch und limnologisch die Wolga und das Kaspische Meer. Baers ichthyologische Expeditionen und achtteilige "Kaspische Studien" (St. Pbg., 1855—1859) erwiesen sich als bahnbrechende komplexe Unternehmen: auf den Gebieten des praktischen Umweltschutzes und der rationellen Nutzung der Naturschätze. Während seiner letzten Expedition zum Azowschen Meer 1862 mußte Baer auf das Problem des Sinkens des Meerespiegels eine Antwort finden. Sehr wesentlich ist Baers Rolle als Organisator der systematischen geographischen Erforschung Rußlands. In Rußland gab es keine spezielle Reihe, wo man die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Expeditionen ins Innere und zu den Polarregionen Rußlands publizieren konnte. Im Jahr 1839 gründete Baer die spezielle Reihe "Beiträge zur Kenntniss des Russischen Reiches und der angrenzenden Länder Asiens" (St. Pbg., 1839—1872. 26 Bände), in der viele Ergebnisse der geographischen Forschungen Rußlands gedruckt wurden. Baer selbst war der erste Redakteur der Reihe. Zur Mitarbeit an diesem Werke forderte er seinen Freund, Akademiker Gregor von Helmersen auf. Im Jahr 1844 gab er die Anregung zur Gründung der berühmten Russischen Geographischen Gesellschaft (Cyxosa, 1990), die im Jahr 1845 von ihm sowie auch von seinen Freunden Graf Friedrich Benjamin Lütke und Baron Ferdinand v. Wrangell zusammen ins Leben gerufen wurde. In den Jahren 1845—1848 leitete Baer die ethnographische Sektion der Gesellschaft und begründete in dieser Zeit die Erforschung der indigenen Völker Rußlands. Baer war immer an der Spitze bei der Organisierung der geographischen Expeditionen, die mit Unterstützung der Geographischen Gesellschaft oder der Akademie der Wissenschaften veranstaltet wurden. Nach von Baer geschriebenen "Instruktionen" haben viele Forschungsreisende und Gelehrte (z.B. Leon Cienkowski, Antal Reguly u.a.) erfolgreiche Expeditionen nach Russisch Sibirien unternommen. Im Jahr 1838 hat Baer erstmals die Aufinerksamkeit der Wissenschaftsöffentlickeit auf die Erforschung der wichtigen Naturerscheinung des ewigen Frostbodens (Baers Bezeichnung war ewiges Boden—Eis) in Sibirien gerichtet. Nach seinem Vorschlag wurden ähnliche Forschungen auch im damaligen Britischen Canada angefangen, und nach von Baer geschriebenen Instruktionen wurde Al. v. Middendorff von der Akademie der 7 Wissenschaften zur Erforschung der Verbreitung und des Umfanges dieser Naturerscheinung auf die berühmte Taimyr—Expedition 1842—1845 geschickt. Baers Name steht auch in Verbindung mit der Begründung eines Naturgesetzes. 1856 formulierte er ein Gesetz, das später von Jacques Babinet präzisiert wurde (Baer, 1856; 1857; Baer, 1860). Dieses Gesetz zeigt, daß die Flüsse der Nordhalbkugel mehr das rechte und die der Südhalbkugel mehr das linke Ufer unterspülen. Leider blieb Baer hartnäckig bis zu seinem Lebensende bei seiner Meinung, daß nur die Flüsse, die in der Meridianrichtung fließen, das rechte Ufer unterspülen. In der Natur beeinflußt dieses Gesetz auch die Flüsse, die in Äquatorrichtung fließen. Baers Gesetz war in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts sehr populär, und darüber wurden hunderte Dissertationen geschrieben. Die schließliche Erklärung dieser Erscheinung hat Albert Einstein (Einstein, 1926) gegeben. Obwohl in Baers Rußland Periode geographische Expeditionen im Vordergrund standen, war er auch in der Lehre aktiv. Außerdem befaßte er sich mit philosophischen Problemen der Naturwissenschaften, wobei sich seine wesentlichen naturphilosophischen Ideen herauskristallisierten. Seine umfangreichen theoretischen Interessen widerspiegeln sich in den Werken: "Das allgemeine Gesetz der Entwickelungsgeschichte der Natur" (1834), "Blicke auf die Entwicklung der Wissenschaft" (1836), "Über die Verbreitung des organischen Lebens" (1839), "Welche Auffassung der lebenden Natur ist die richtige? und wie ist diese Auffassung auf die Entomologie anzuwenden?" (1861), die auch heute für die Forscher auf dem Gebiet der Geschichte der Naturwissenschaften ein großes Interesse bieten dürften. Eine von Baers Eigenschaften war die Fähigkeit, wesentliche Werke anderer Wissenschaftler hervorzuheben und für verschiedene Preise, besonders den Demidov- Preis (1832—1865), der im damaligen Rußland mit dem heutigen Nobel—Preis vergleichbar war, vorzuschlagen. Nach seinen Rezensionen haben viele Gelehrte (z. B. Nikolaj 1. Pirogov, F. v. Wrangell u.a.) den Demidov—Preis erhalten. In den Jahren 1858—1862 beschäftigte Baer sich intensiv mit der Anthropologie. Er unternahm alles Mögliche, um die kraniologische Sammlung der Akademie der Wissenschaften zu vervollständigen. Er verglich und beschrieb gründlich Schädel verschiedener Völker, besonders des Nordens und Ostens. Unter Leitung von Baer und Rudolf Wagner wurde 1861 in Göttingen der erste internationale Anthropologen- Kongreß durchgeführt. Während dieses Kongresses wurde auch ein einheitliches Schädelmessungssystem für alle Anthropologen erarbeitet. Baer ist mit Anders Retzius einer der Begründer der vergleichenden Kraniologie. Er war auch Initiator bei der Gründung der Zeitschrift "Archiv für Anthropologie" (1870). Im Jahr 1867 verließ Baer St. Petersburg, um seinen Lebensabend in seiner Universitätsstadt Dorpat zu verbringen. In seiner Dorpater Periode veröffentlichte er eine Reihe von Werken, die sich mit der Geschichte der Geographie (Peter's des Großen Verdienste um die Erweiterung der Geographischen Kenntnisse. St. Petersburg, 1872) befaßten. Baers Hauptinteressen in Dorpat waren mit den philosophischen Problemen in der Naturwissenschaft verbunden. Wesentliche methodologische Bedeutung haben Baers Ideen für die Lösung des klassischen naturphilosophischen Problems der organischen Zweckmäßigkeit. In seinen teleologischen Arbeiten begründet Baer das Vorhandensein der objektiven zielstrebigen Prozesse in der Natur (Sutt, 8 1994:6). Seine wichtigste Publikation in Dorpat war das umfangreiche Werk "Über Darwins Lehre" (1876), in dem er Darwins Evolutionstheorie -ziemlich kritisch beurteilte. In den Jahren 1869-1876 leitete er die Dorpater Naturforscher-Gesellschaft (gegründet 1853). Er starb in Dorpat am 16./28. November 1876. Baer selbst hat in seiner Lebenszeit mehr als 400 wissenschaftliche Beiträge ver-äffentliehtTund-über-seine-Leistungen-hatman-bis-heute-mehrals-1000--verschiedene- Arbeiten geschrieben. Er war Ehrendoktor der Universität Dorpat (1864) und Mitglied der Österreichisch-Ungarischen Akademie der Wissenschaften (1865), Preußischen Akademie der Wissenschaften (1849), Königlich Belgischen Akademie der Wissenschaften (1858), Akademie der Wissenschaften von Paris (1867), Begründer der Russischen Entomologischen Gesellschaft und deren erster Präsident (1860-1861) u.a. Baers Namen tragen 7 verschiedene geographische Objekte in verschiedenen Teilen unseres Erdballes. Von 1867 bis 1906 verlieh die Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg die Baer-Medaille für hervorragende naturwissenschaftliche Leistungen. Im Jahr 1976, hundert Jahre nach Baers Tode, am 29. September 1976, wurde ein Museum in jenem Haus eröffnet, in dem er seinen Lebensabend verbrachte. Unter den zur Zeit in Estland vorhandenen Museen ist das Baer-Museum das einzige, das einem Wissenschaftler gewidmet ist. Von dem Museum wird die unregelmäßige Reihe "Folia Baeriana" (6 Bde 1975-1993) herausgegeben. Im selben Jahr 1976 stiftete die Estnische Akademie der Wissenschaften den Baer-Preis, der heute noch von der Akademie verliehen wird. Für Baer wurden vier Denkmäler enthüllt: auf dem Domberg in Tartu von Aleksandr Michailoviö Opekuisin (1886), im Zoologischen Museum in St. Petersburg (Opekusin, 1886), in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg (der erste Denkmalsentwurf von Opekusin) und in der Zoologischen Station in Neapel (Adolph v. Hildebrandt). Es gibt auch zwei Gedenksteine in seinem Geburtsorts in Piibe und Lasila und eine Straße in Tartu. 1.3.Geschichte des Nachlasses Die von Baer hinterlassenen Materialien haben in Dorpat anfangs ein einheitliches Archiv gebildet. Im Lauf der Zeit wurde der Nachlaß in drei Teile geteilt. Einige Baer- Forscher waren der Meinung (z.B. Kaavere, 1992:73), daß die spätere Teilung des Nachlasses auf Wunsch des Akademikers, Verwalters der hinterlassenen Baer- Materialien und Anatomieprofessors an der Universität Dorpat Ludwig Stieda (1837- 1918) erfolgte. Doch scheint es nicht so gewesen sein, denn nach L. Stiedas Worten "hat [mir] die Familie Baer mit grosser Liberalität und Vertrauen die Benutzung des hinterlassenen literarischen Materials und der Briefschaften gestattet" (Stieda, 1878:VfII). Also gelangte der gesamte Nachlaß nach dem Tode von Baer nicht in die Hände L. Stiedas, sondern an die Familie von Baer. Wahrscheinlich hat er die Angehörigen um die Erlaubnis gebeten, mit den hinterlassenen Materialien des Akademikers arbeiten zu dürfen, und in dieser Weise mit dem Ordnen und Systematisieren des Nachlasses begonnen. Auf Wunsch der Familie, nicht auf Stiedas 9

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Akad. d. Wiss. zu St. Pbg. 37 Briefe, Karabagh, St. Pbg., o. 0., 03. 11. Berlin–Dahlem]. Schwartz, Amalie (geb. Sirach). 1 Brief, Dorpat, 09. 11. 1870.
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