Jb. nass. Ver. Naturkde. 135 S. 57-62 3 Abb. Wiesbaden 2014 Baugruben in Wiesbaden – Fenster in die Erdgeschichte EBERHARD KÜMMERLE Serizitgneis, Phyllit, Thermalquellen, Ordovizium/Silur, Tertiär, Quartär Kurzfassung: Einige im Wiesbadener Stadtgebiet beobachtete Baugruben werden dar- gestellt. Die Aufnahme solcher Aufschlüsse ergänzt die neueren Aufzeichnungen vor allem von ANDERLE & RADTKE und KIRNBAUER. Mit den im Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG) erfassten Schichtenverzeichnissen von Bohrungen ergibt sich somit allmählich ein detailliertes Bild vom geologischen Untergrund der Stadt. Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ........................................................................................ 57 2 Untergrundbereiche im Stadtgebiet ................................................. 57 3 Baugrubenbeispiele ......................................................................... 58 4 Schichten-Datierung im Wandel ..................................................... 60 5 Literatur ........................................................................................... 61 1 Einleitung Dem im Januar 2012 verstorbenen früheren Vorsitzenden des Nassauischen Ver- eins für Naturkunde Hans-Jürgen Anderle war es ein ganz besonderes Anliegen, geologische Aufschlüsse gemeldet zu bekommen, um sie aufzunehmen und ak- ribisch auszuwerten. Denn die Darstellung des Untergrundes der Stadt interes- sierte ihn immer. Gerade in der Innenstadt im Bereich Schlossplatz - Warmer Damm grenzen Gesteine mit einem Altersunterschied von 400 Mio. Jahren aneinander: Serizitgneis und Phyllit aus dem Ordovizium/Silur im Norden ge- gen jungtertiäre Sedimente nach Süden hin. Etwa im Gebiet Luisenplatz - Kirch- gasse verzahnen sich die von Süden heranreichenden kalkigen Gesteine mit kalkfreien. 2 Untergrundbereiche im Stadtgebiet Es lassen sich grob drei unterschiedliche Untergrundbereiche unterscheiden: 2a: Hier stehen die alten Vortaunusgesteine Serizitgneis und/oder Phyllit an der Oberfläche an. So z.B. Serizitgneisfelsen in der Saalgasse (Abb. 2 in KÜM- MERLE 2012, S. 34). Oder sie sind von geringmächtigen Quartärbildungen be- deckt wie in der Taunusstraße, dem Bowling Green und im engeren Thermal- quellengebiet. Beim Kochbrunnen, bei den Adlerquellen, bei Salm- und Spie- gelquelle überlagern nur wenige Meter pleisto- und holozäner Schichten den Serizitgneis. Ehemals abgelagerte Sedimente des Tertiärs sind in diesem Be- reich vollständig ausgeräumt. Bohrprofile dazu sind bei MICHELS (1966) mitge- teilt. 57 EBERHARD KÜMMERLE 2b: Auf den vordevonischen Vortaunusgesteinen liegen teilweise mächtige kalk- freie Jungtertiärbildungen, so am Geisberg, in der Kapellenstraße, Langgasse, Röderstraße, Schul- und Michelsberg, im Dernschen Gelände oder in der Park- straße (Profile dazu s.u.). 2c: Kalkreiche Schichten des Jungtertiärs überlagern die kalkfreie Schichtenfol- ge oder verzahnen sich wie zuvor beschrieben. So am Elsässer Platz/Dotzhei- mer Straße, Adolfstraße, Rhein-Main-Halle, Landesmuseum, Hauptbahnhof, Stresemannring, Mainzer Straße, Bierstadter Straße und Hildastraße. Am Le- berberg oder in der Schönen Aussicht kann kalkiges Tertiär örtlich direkt auf Seritgneis oder Phyllit liegen. 3 Baugrubenbeispiele Schon vor Jahrzehnten waren kalkfreie Schichten in über 8 m Mächtigkeit an der Taunusstraße/Ecke Wilhelmstraße aufgeschlossen (KÜMMERLE 2012: 39). Das Profil könnte künftig wieder von Interesse sein. Auf stark klüftigem Seri- zitgneis mit Quarztrümern lag ein Transgressionskonglomerat aus groben Ge- röllen der Unterlage, darauf ein mürber eisenschüssiger Grobsandstein. Es folg- ten Sand- und Sandsteinbänke, grau, gelb, rostbraun und ziegelrot, lagenweise mit Wurzelröhren und spärlichen Pflanzenresten. Die kalkfreie Schichtenfolge zeigt in den verschiedenen Aufschlüssen große Ähnlichkeit, so u. a. eine gut ausgeprägte Schichtung. Im Gebiet Schulberg - Hirschgraben - „Eiskeller“ deuten mächtige Sandsteinbänke (früher hier Stein- brüche) eine gewisse Felsenkante an, in die auch das römische Mithräum einge- baut war. Auch die Geröllführung stimmt weitgehend überein: Serizitgneis, Kappen-, Pseudomorphosen-und Milchquarz. Sehr grobe Serizitgneisblöcke in der basalen Aufarbeitungszone können bei Bohrungen vortäuschen, dass der anstehende Fels schon erreicht sei. Im Gebiet Geisberg- und Kapellenstraße überwiegen örtlich graue und braune Tone gegenüber dem Sand/Sandstein, und es sind Kieslagen eingeschaltet. KIRNBAUER (1977) hat in den von ihm be- schriebenen Profilen besonders den Einfluss der Thermalwässer auf die Gestei- ne aufgezeigt. Deren Quellaustritte lagen in der Vergangenheit wesentlich hö- her als heute. Man kann damit sowohl die junge Talausräumung bestätigt sehen als auch den Nachweis des hohen Alters des hydrothermalen Systems insge- samt, das also weit in die Zeit dieser Ausräumung zurück reicht. Baugruben am Schulberg waren überwiegend in hellgrüne Tone eingetieft, mit Lagen von z.T. grobem Sandstein, Schluff und Schluffstein und kohligen Ein- schaltungen. Farbige Tone, blassviolett, ziegelrot, gelb, wurden zeitweilig als Tünche gebraucht. In verfestigten Bänken fanden sich Wurzelröhren, Wurzel- böden und Pflanzenstängel. Am Leberberg/Hohenlohestraße überlagerte weiß- lichgrüner Ton dunkelgrünes Aufarbeitungsmaterial des Serizitgneises. Im Ton gab es Linsen von rostbraunem Fein- bis Mittelsand. In der Baugrube der Aari- al-Bank, Paulinenstraße, waren über 6 m Sand und Sandstein erschlossen. Sie zeigten weiße, graue, gelbe und hellbraune Farben. Der Sand war nach oben zu- nehmend plattig verfestigt oder bis zu Quarzit verkieselt, lagenweise fein- bis mittelkiesig. Wurzelröhren waren rostbraun ausgefüllt. Nach unten nahmen kantengerundete Serizitgneisgerölle und schließlich eckige Serizitgneisblöcke zu (Abb. 1). 58 Baugruben in Wiesbaden Fenster in die Erdgeschichte Abbildung 1: Nordwand einer Baugrube in der Paulinenstraße in kalkfreien Tertiärschichten. Abbildung 2: Südwand einer Baugrube im Kalktertiär im Gebiet Hildastraße. Besonders aus der 9 m tiefen Baugrube und mehreren bis 30 m tiefen Bohrun- gen im Dernschen Gelände ist die kalkfreie Schichtenfolge bekannt (KÜMMER- 59 EBERHARD KÜMMERLE LE 2012: 38 u. 40, Abb. 4 u. 6). Dunkle und grüne Tone mit kohligen Lagen herrschen vor, wechselnd mit Sandlagen. Bei 30 m unter Gelände war die Basis der Folge noch nicht erreicht. In Kalktertiär-Schichten war eine Baugrube im Bereich Hildastraße angelegt. In einem 6 m mächtigen Profil wechselte grünlicher Mergel mit hellgrauen bis wießen Kalkschluff-, Kalksand- und Kalksteinbänken ab (Abb. 2). Vielleicht jungtertiären Alters ist ein Konglomerat im Bereich der Schützenhof- quelle. Es enthält schluffig verbackenen Serizitgneis, Quarzit und Kappenquarz und ist teilweise verkieselt. Die Komponenten sind gut gerundet, teils kanten- gerundet, teils aber auch eckig. Es ist der Abtragsschutt eines direkt benachbar- ten postvariskischen Quarzganges. Dieser soll NW-SE streichen. Dieses sicher- lich vom Mineralwasser der Schützenhofquelle beeinflusste Konglomerat ist im Untergeschoss des Parkhauses noch zugänglich (Abb. 3). Abbildung 3: Walter Czysz zeigt das Konglomerat bei der Schützenhofquelle. Aufnahme 1996. 4 Schichten-Datierung im Wandel Einen wahren Schlingerkurs machte die Alterseinstufung der kalkfreien Schich- tenfolge im Laufe ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung. Schon F. SANDBERGER 60 Baugruben in Wiesbaden Fenster in die Erdgeschichte (1850) hatte festgestellt, dass entsprechende Bildungen von der Steinhohl (Ka- pellenstraße), vom Heidenberg (Schulberg) und vom Leberberg „der obersten Lagerungsfolge im Mainzer Becken angehören“. HENRICH (1905) hatte an Schich- ten von Emser und Platter Straße „nachgewiesen, daß ihre Bildung in die Mio- cänzeit fällt“. LEPPLA & STEUER (1923) stellten kalkfreie Sande und Kiese am Geisberg und in der Coulinstraße aus Analogiegründen in das Oberpliozän. MICHELS (1964) erklärt sandige Schichten der Geisbergstraße als in Strandnähe abgelagert. Konglomeratbänke mit gerundeten Geröllen darin sind für ihn das Transgressionskonglomerat der Hydrobien- bzw. Corbiculaschichten. Im Hin- blick auf die Schichten in der Bohrung Faulbrunnen schreibt MICHELS (1966): „Von 6-22,10 m wurde Tertiär angetroffen, das als Untermiozän anzusprechen ist“. Schichten im Bereich der Schützenhofquelle, kalkfreie Sande, Kies und Sandstein zwischen 1,3 und 6,6 m, stellt MICHELS (1971) in das „Tertiär, miu2“ (= Corbicula-/Inflatenschichten). ANDERLE & RADTKE (2001) nehmen an, dass die kalkfreien Bildungen im Stadtgebiet im Oligozän entstanden sind. Es ist dies ein Paradebeispiel dafür, wie schwierig es ist, Gesteinsschichten altersmä- ßig einzuordnen, die weder bestimmbare Leitfossilien enthalten noch stratigra- phisch fassbare Nachbargesteine aufweisen, zu denen man einen Altersver- gleich herstellen könnte. Erst HOTTENROTT (2004) wies mittels mariner Dino- flagellaten-Zysten, Pollen und Sporen in Schichten vom Schulberg und dem Dernschen Gelände nach, dass es sich um randfazielle Äquivalente der Hydro- bien- bis Inflatenschichten des Mainzer Meeresbeckens handelt, dass sie also vor 20-35 Millionen Jahren abgelagert worden sind. 5 Literatur ANDERLE, H.-J. & RADTKE, G. (2001): Beobachtungen zur oligozänen Meeresküste in Wiesbaden. Küstensedimente beiderseits von Nero- und Rambachtal. Jb. nass. Ver. Naturkde., 122: 23-42, 13 Abb.; Wiesbaden. HENRICH, F. (1905): Über das Vorkommen von erdiger Braunkohle in den Tertiärschichten Wies- badens. Z. prakt. Geol., 13: 409-413; Berlin. HOTTENROTT, M. (2004): Über kalkfreies „Kalktertiär“ im Untergrund von Wiesbaden. Geol. Jb. Hessen, 131: 11-25, 1 Abb., 1 Tab. 1 Taf., Anhang; Wiesbaden. KIRNBAUER, T. (1997): Die Mineralisationen der Wiesbadener Thermalquellen (Bl. 5915 Wies- baden). Jb. nass. Ver. Naturkde., 118: 5-90, 13 Abb., 2 Tab.; Wiesbaden. KÜMMERLE, E. (2012): Ablagerungen des Tertiärmeeres: Ehemalige Küste zeitweise im Raum des heutigen Wiesbaden. Jb. nass. Ver. Naturkde., Sb. 2: 33-41, 6 Abb.; Wiesbaden. LEPPLA, A. & STEUER, A. (1923): Geologische Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaa- ten, Bl. Wiesbaden – Kastel, Lfg. 15, 2. Aufl. m. Erl., 4 u. 52 S.; Berlin. MICHELS, F. (1964): Von der Wiesbadener Thermalquellenspalte. Jb. nass. Ver. Naturkde., 97: 37-40, 3 Abb.; Wiesbaden. MICHELS, F. (1966): Die Wiesbadener Mineralquellen (Neue Beiträge zur Klärung ihrer geolo- gischen Position) nebst einem Anhang über C. E. STIFFT‘S Ansichten über die Genese unserer Mineralquellen. Jb. nass. Ver. Naturkde., 98: 17-54, 7 Abb.; Wiesbaden. MICHELS, F. & THEWS, J.-D. (1971): Die Thermalwasserbohrung Schützenhofquelle in Wiesbaden. Jb. nass. Ver. Naturkde., 101: 75-81, 1 Abb.; Wiesbaden. SANDBERGER, F. (1850): Ueber die geognostische Zusammensetzung der Umgegend von Wiesba- den. Jb. Ver. Naturkde. Herzogth. Nassau, 6: 1-27, 2 Taf.,1 Kt., Profile; Wiesbaden. STENGEL-RUTKOWSKI, W. (2012): Von Bächen, Quellen, Thermen und Stollen. Jb. nass. Ver. Naturkde., Sb. 2: 63-75, 15 Abb.; Wiesbaden. TOUSSAINT, B. (2013): Die Wiesbadener heißen Quellen – wo sind sie geblieben, woher kommen Salz und Wärme? Jb. nass. Ver. Naturkde., 134: 5-80, 18 Abb., 2 Tab.; Wiesbaden. 61 EBERHARD KÜMMERLE DR. EBERHARD KÜMMERLE Hauptstr. 67 65344 Martinsthal Telefon: 06123/972112 e-Mail: [email protected] Manuskripteingang: 11. Juni 2014 62