Geographische Anthologie des 19. Jahrhunderts Imre Josef Demhardt Hrsg. Imre Josef Demhardt Aus allen Weltteilen Ägypten mit Sudan und Libyen Geographische Anthologie des 19. Jahrhunderts Imre Josef Demhardt Aus allen Weltteilen Ägypten mit Sudan und Libyen Imre Josef Demhardt Department of History, University of Texas at Arlington Arlington, USA ISSN 2364-575X ISSN 2364-5768 (electronic) Geographische Anthologie des 19. Jahrhunderts ISBN 978-3-662-46273-7 ISBN 978-3-662-46274-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-46274-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechts- gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeit- punkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Planung: Merlet Behncke-Braunbeck Einbandabbildung: Die Umschlagszeichnung ist der Titelkartusche der Zeitschrift Aus allen Welttheilen. Illustriertes Familienblatt für Länder- und Völkerkunde, 21. Jahrgang (1890), Heft 1, entnommen. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Spektrum ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Berlin Heidelberg V Dieses Buch widme ich meinem Vater Josef Demhardt Németbóly in Ungarn 9.1.1929 – Wiesbaden 22.9.2015 Der Wissenschaftler und noch mehr der Sohn ist dankbar für die Ermunterung zur Neugier und die Unterstützung auf dem langen akademischen Weg. Gerade weil die Verwerfungen des Krieges Dich nicht Lehrer werden ließen, hast Du mein kindliches Interesse an fremden Erdteilen erkannt und gefördert. Deshalb ist auch diese Buchreihe über die Erkundung der Welt, an deren Entwurf Du noch Anteil genommen hast, nicht zu denken ohne den technikbegeisterten Kleinhäuslerbub aus der “schwäbischen Türkei”. VII Über diese Reihe Nachdem die Aufklärung ein breites Interesse an der und Eigenartigen gewesen. Da sich die Geographie Geographie (griechisch für Erdbeschreibung) ge- als Hochschuldisziplin in jenen Jahren noch aus- weckt hatte, waren landeskundliche Textformen im bildete, sind auch die Texte von Fachmännern (fast deutschsprachigen Raum bereits um das Jahr 1800 nie waren es Frauen!) auch heute noch dem inter- gleich hinter der Belletristik zum meistgelesenen essierten Laien zugänglich, da noch häufig im grö- literarischen Genre des aufstrebenden Bildungsbür- ßeren Zusammenhang die Themen eher erzählend gertums geworden. Dieses Interesse wurde befeuert berichtet und (noch) nicht ins immer Kleinere ge- durch das Einsetzen neuer Entdeckungsfahrten in alle hend analysiert wurden. Manche der Texte schwin- Winkel des Globus und auch dem interessierten Laien gen sich sogar zu literarischer Höhe auf. Ungeachtet zugängliche Themen und Sprache dieser sich erst ent- dieser Reize sind die zeitgenössischen Zeitschriften- wickelnden Wissenschaftsdisziplin. Das 19. Jahrhun- berichte kaum mehr bekannt, was vor allem an der dert wurde dadurch zum „geographischen Zeitalter“ heute überaus schwierigen Zugänglichkeit dieser schlechthin, das begierig den kühnen Gipfelvorstößen Quellentexte liegt. der Alpinisten im heimischen Hochgebirge folgte und sich von den bald als Helden gefeierten Entdeckern Zwischen dem Ende des 18. und dem Beginn des 20. und Forschungsreisenden immer neue Details der Jahrhunderts finden sich im deutschsprachigen Mit- fernen Erdteile erklären ließ. teleuropa etwa ein halbes Hundert als geographisch zu bezeichnende Zeitschriften mit einer weiteren Die Berichterstattung insbesondere aus Übersee war Verbreitung und Wirkung, wobei die erst spät und fast das gesamte Jahrhundert hindurch dreistufig or- dann nur in Fachkreisen wichtig werdenden Instituts- ganisiert: Der Reisende berichtete noch von unter- und kleineren Vereinsorgane hier außen vor bleiben wegs, so oft wie angängig, in Reisebriefen an heimi- können. Von diesem halben Hundert erschienen die sche Vertraute, welche häufig deren Inhalt der Presse meisten nur über wenige Jahre, mitunter aber fort- weitergaben. Nach der Heimkehr wurde das Publi- lebend unter geändertem Titel und Konzept. Jedoch kum, das den bruchstückhaft kolportierten Fährnis- nur eine Handvoll etablierten sich für länger als eine sen des Forschers mitunter über Jahre hinweg gefolgt Dekade, und bis auf ein halbes Dutzend waren alle war, mit einem oder mehreren Artikeln befriedigt, die bereits beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs endgül- aufgrund der noch frischen Erinnerungen in Verbin- tig untergegangen. dung mit Höhepunkten aus den geführten Reiseta- gebüchern oft eine sehr unmittelbare Schilderung Aus dem Bewusstsein selbst der meisten Fach- geben. Bei hinreichend großem Interesse folgte als geographen und ganz sicherlich demjenigen des letzter und umfassendster Publikationsschritt eine auf breiten Publikums verschwunden sind diese Chro- abgewogener Verarbeitung der Erlebnisse und Ergeb- nisten der Errungenschaften und Rückschläge des nisse beruhende umfangreiche Darstellung in nicht „geographischen Zeitalters“ heute selbst in großen selten mehrbändigen Reisewerken. Universitätsbibliotheken nur vereinzelt und dann oft unvollständig aufzufinden. In ihrer Gesamtheit Während herausragende dieser monographischen stellen diese geographischen Fach- und Publikums- Reisewerke in den vergangenen Jahren als Reprint zeitschriften einen reichen, überaus lebendigen und wieder zugänglich wurden, sind doch die durch Pu- deshalb zu Unrecht vergessenen Fundus der bürger- blikumsdruck und Zeitschriftenkonkurrenz entstan- lichen Weltentdeckung zwischen der Aufklärung und denen knappen Textformen von nur wenigen Zeilen der Moderne dar. Diesen verborgenen Wissensschatz kurzen Miszellen bis hin zu mehrseitigen Artikeln zu heben, zumindest in Auszügen, gilt das Interesse die Erst- bzw. Hauptverbreitungsformen des Neuen dieser Reihe. IX Über diesen Band Noch bevor 1529 die „Türken vor Wien“ standen und teuer unter dem nachmaligen Kaiser Napoleon die nur mit knapper Not abgewehrt werden konnten, Zeitenwende des gesamten osmanischen Afrika zur hatte das Osmanische Reich, damals auf dem Höhe- Moderne zuschreibt. In den Turbulenzen nach dem punkt seiner Macht, ab 1516 nicht nur den Nahen Abzug der Franzosen schwang sich der Söldnerfüh- Osten unterworfen, sondern 1517 auch Ägypten und rer Mehmed Ali zum faktisch souveränen „Vizekönig“ 1521 die Küstenlandschaften an der Großen Syrte auf. Dieser modernisierte das osmanische Ägypten erobert. Damit beherrschte der Sultan von Konstan- nicht nur grundlegend, sondern unterwarf ab 1820 tinopel auf Jahrhunderte weite Gebiete im Südosten auch die oberen Nilländer der doppelten Herrschaft von Europa, im Westen von Asien und im Norden des Sultans in Konstantinopel und seiner eigenen Dy- von Afrika, ein heute fast vergessenes Weltreich, das nastie. Die Modernisierung von Staat und Wirtschaft seine einstigen Teilräume bis in die Gegenwart prägt. stützte sich nicht zuletzt auf eine damals überraschend Die osmanische Eroberung der Osthälfte des Mittel- kosmopolitische Bevölkerung mit zahlreichen ansäs- meeraums fiel zeitlich zusammen mit der Umorien- sigen Europäern, blieb aber vielfältig alten Strukturen tierung des europäischen Interesses auf die gerade verhaftet wie etwa der Sklaverei (vgl. Kap. 1). von Kolumbus entdeckte Neue Welt und bald auch andere überseeische Kolonialgebiete. Auch deshalb Der Brotkorb des damals noch fast ausschließlich ag- kehrten die Europäer dem Nordosten von Afrika rarischen Ägypten war das Nildelta mit der Hafenstadt drei Jahrhunderte lang gleichsam den Rücken zu. Alexandria, die von europäischen Reisenden als mor- Ein grundlegender Wandel trat erst mit dem franzö- genländischer Schmelztiegel schlechthin beschrieben sischen Ägypten-Feldzug 1798–1801 ein, der diesen wurde, wo sich moderne Einsprengsel neben antiken Teil des Orients mit einem Paukenschlag wieder ins Trümmern fanden. Die ökologische Untersuchung Blickfeld des politischen, wirtschaftlichen und damit des Naturraums des Deltas mit den Nil armen stießen auch wissenschaftlichen Interesses rückte. bereits napoleonische Offiziere an, die sich auch als Erste den Phänomenen des Wadi Natrun zuwandten. Das nun folgende Jahrhundert sah eine zunehmende Wenn auch schon von diesen vermutet, so brauchte Durchdringung der osmanischen Provinzen in Afrika es noch Jahrzehnte, bis nachgewiesen werden konnte, zwischen den Ausläufern des Atlasgebirges und dem dass die hiesigen Seen eine Durchsickerung vom Nil- Roten Meer durch Forschungsreisende wie Kauf- delta sind, der „Fluss ohne Wasser“ aber kein ausge- leute, die mit einer verhaltenen Modernisierung der trockneter Altarm des Nil ist (vgl. Kap. 2). traditionellen Strukturen der noch weithin archaisch geprägten Gesellschaften einherging. Diese Prozesse Der Nil und seine Wirtschaft wie Volksleben domi- trugen nicht wenig zum Zerfall des ohnehin im Nie- nierender Überschwemmungszyklus wurde von allen dergang begriffenen Osmanischen Reichs bei. Um die Reisenden als die Lebensader des Landes beschrieben. Wende zum 20. Jahrhundert schließlich verlor es seine Schon früh im 19. Jahrhundert kam mit Ägypten als nordafrikanischen Provinzen an europäische Koloni- Touristenziel auch die Flusskreuzfahrt auf dem Nil almächte: Ägypten de facto 1882 (de jure 1914) und in Mode, damals aber noch eine wenig entspannte Sudan 1898 an Großbritannien und Libyen 1911 an und monatelange Tour auf einheimischen Flussseg- Italien. Das fundamental Neue, die Umbrüche des lern. Schon im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Bekannten und das Kuriose waren die wesentlichen hatte sich dann der heutige „Haupttrampelpfad“ der Gegenstände der Berichterstattung in den geographi- Reisenden voll ausgebildet. Wegen der überragenden schen Zeitschriften. Dabei begriffen die Zeitgenossen Bedeutung des Nil begann bereits Vizekönig Mehmed das osmanische Nordafrika als einen gekammerten, Ali mit großen Wasserbauprojekten, um die Bewäs- aber doch stark einheitlich geprägten Kulturraum. serungsleistung des Flusses auszuweiten und zu ver- Deshalb mag es verwundern, dass noch keine histori- stetigen. Nachdem Ägypten 1882 faktisch zu einem sche Länderkunde es unternommen hat, das Gemein- britischen Protektorat geworden war, wurde 1902 der same und das Fortwirkende dieser wesentlich im 19. erste Staudamm bei Assuan fertiggestellt und bereits Jahrhundert geprägten Region herauszuarbeiten. 1912 auf 35 m erhöht. Dies leitete das Ende der seit grauer Vorzeit das Niltal prägenden jahreszeitlichen Der Schlüssel zum Verständnis vieler moderner Phä- Nilüberschwemmungen ein, das mit dem 1960–1971 nomene im Nordosten von Afrika liegt in einer his- nur etwas stromauf errichteten dritten und 111 m torischen Betrachtung vor allem von Ägypten, seit hohen Hochdamm besiegelt wurde. Anders als im jeher das Herzland der Region. Es ist nicht zu hoch nun grundlegend veränderten Niltal können manche gegriffen, wenn man dem französischen Militäraben- der historischen Eigenheiten der alten Flussoase im X Über diesen Band fruchtbaren Becken des Fayyum noch angetroffen mehr als neun Zehntel der Landesfläche ein. Die zwi- werden, einer im 19. Jahrhundert wie heute von aus- schen dem Nil und dem Roten Meer gelegene Ara- ländischen Reisenden zu Unrecht wenig besuchten bische Wüste stellt sich heutigen Besuchern kaum Ausstülpung der Niloase (vgl. Kap. 3). anders dar als schon den Forschern des 19. Jahrhun- derts: ein von wenigen Nomaden durchzogener gebir- Die moderne Megacity Kairo hatte keinen phara- giger Trockenraum mit dem koptischen St.-Antonius- onischen Vorläufer, sondern entwickelte sich aus Kloster als Hauptanziehungspunkt (vgl. Kap. 8). mehreren arabisch-osmanischen Siedlungskernen. Als Haupt- und Residenzstadt des „vizeköniglichen“ Die Libysche Wüste bildet im Kontrast zu ihrem östli- Ägypten entfaltete sie im 19. Jahrhundert eine viel- chen Pendant eine absteigende Folge von Beckenland- beschriebene orientalische Pracht mit europäischen schaften, bis hinab zur Kattarasenke 133 m unter dem Einsprengseln. Der Rundgang zeitgenössischer Besu- Spiegel des nahen Mittelmeeres. Die in die Depressi- cher schloss neben den Basaren unfehlbar auch einen onsbecken eingestreuten Oasengruppen – heute zwar Besuch der Pyramiden von Gizeh auf dem gegenüber- immer noch entlegene, aber für den Wüstentourismus liegenden Flussufer ein – mit damals wie heute nicht gut erreichbare und wasserbaulich entwickelte Land- immer pfleglichem Umgang mit dem pharaonischen wirtschaftsflächen – waren noch gegen Ende des 19. Erbe (vgl. Kap. 4). Jahrhunderts nur durch Kamelkarawanen erreichbare grüne Flecken, die in seit alter Zeit kaum gewandel- Zwar gab es schon in der Antike einen Kanal vom ter Selbstversorgungswirtschaft verharrten. Vor allem Nildelta zum Roten Meer, doch ist die heutige Was- die Berichte der vom Bremer Saharaforscher Gerhard serstraße des Suez-Kanals erst eine Idee des 19. Rohlfs geleiteten Gelehrten-Expedition 1873–1874 Jahrhunderts. Nach der Überwindung vielfältiger zeichnen ein anschauliches Bild einer zeitgenössi- Widerstände und mit kritischer Begleitung in den schen Wüstenexpedition. Obwohl seit pharaonischer Zeitschriften wurde das technologische Großprojekt Zeit die bedeutendste ägyptische Wüstenoase, war 1854–1869 von einem privaten Konsortium unter der auch das nur 300 Kilometer südlich der Mittelmeer- Führung des Franzosen Ferdinand de Lesseps umge- küste gelegene Siwa noch um 1900 nur beschwerlich setzt. Neben der Wasserstraße selbst umfasste die Un- zu erreichen und die althergebrachte Klanstruktur ternehmung aber auch riesige Bewässerungsflächen gerade erst unter einen diplomatisch lavierenden entlang eines Süßwasserkanals vom Nil her sowie die Agenten der Zentralverwaltung in Kairo gestellt (vgl. Anlage der drei Hafenstädte Port Said, Ismailija und Kap. 9). Suez (vgl. Kap. 5). Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts galt Nubien Vergleichsweise geringe Beachtung durch die Zeit- als die osmanisch-ägyptische Grenzlandschaft gen genossen erfuhr die benachbarte Sinai-Halbinsel, wo Süden. Mit den 1820 unter „Vizekönig“ Mehmed Ali vor allem alttestamentarische Bezugspunkte wie die begonnenen Eroberungszügen schuf sich Ägypten ein Mosesquellen an der Bucht von Suez und das Katha- weit südlich der zweiten Nilkatarakte bei Wadi Halfa rinenkloster am Berg Sinai, wo die Israeliten die Ge- ausgreifendes Kolonialreich. Diese Erwerbungen er- setzestafeln empfangen hatten, öfter besucht und be- streckten sich bald den Blauen Nil hinauf bis zum Fuß schrieben wurden. Gerade im gebirgigen Süden aber des äthiopischen Hochlandes und am Weißen Nil bis war es noch um 1900 eine beschwerliche Expedition, zu dessen riesigen Sümpfen und waren als koloniales vom Berg Sinai zum Haupt des Golfs von Aqaba zu Ausbeutungsgebiet mit den Schwerpunkten Tribut- gelangen (vgl. Kap. 6). zahlungen und Sklavenhandel organisiert. Haupt- stützpunkt wurde das erst 1821 am Zusammenfluss Bereits in ihrem Eröffnungsheft 1774 suchte die erste von Blauem und Weißem Nil gegründete Khartum. moderne geographische Zeitschrift zu ergründen, In einer letzten Ausdehnungsphase wurde 1870–1873 woher das Rote Meer seinen Namen hatte. Mit den der Bahr el-Ghazal, die ausgedehnte Beckenlandschaft Eroberungszügen von Mehmed Ali ab 1813 nach Ara- des oberen Weißen Nil, zuvor schon Jagdgebiet der bien und ab 1820 in die oberen Nilländer wurde dieses Sklavenhändler, zumindest oberflächlich dem Vize- Randmeer des Indischen Ozeans vorübergehend fast königreich Ägypten unterworfen. zu einem ägyptischen Binnenmeer. Allerdings zeich- nen alle Berichte bis zum Ende des Jahrhunderts das Ab den 1860er-Jahren erregten drastische Berichte Bild von Häfen, Schifffahrt und Fischerei in vormo- über die ägyptische Misswirtschaft das europäische derner Stagnation (vgl. Kap. 7). Publikum, sodass der hiergegen 1881 ausgebrochene islamistische Aufstand keinen Zeitschriftenleser über- Wenn auch gemeinhin die Niltaloase mit Ägypten raschte. Bis 1885 hatten die Aufständischen die Ägyp- gleichgesetzt wird, so nehmen doch die Arabische ter vertrieben und einen Gottesstaat im Sudan errich- Wüste im Osten und die Libysche Wüste im Westen tet, der schon alle Züge aktueller Gruppierungen im XI Über diesen Band Orient zeigte. Erst 1898 gelang es ägyptischen und Die Auswahl und Bearbeitung erfolgt mit wissenschaft- britischen Truppen, das Mahdi-Reich zu zerschlagen lichem Anspruch, ohne jedoch eine quellenkritische und auf dessen Trümmern den Anglo-Ägyptischen Edition sein zu wollen, dabei stets auch mit Blick auf Sudan zu schaffen, der in dieser Form auch nach der die Balance von Bildung und Unterhaltung des Lesers. Unabhängigkeit 1956 bis zur Staatsspaltung 2011 be- Somit stellt der gewählte Ansatz eine Ergänzung so- stand. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde Khar- wohl moderner wissenschaftlicher Länderkunden als tum als koloniale Planstadt wiederaufgebaut und die auch der landeskundlichen Teile von Reiseführern dar. koloniale Landesentwicklung durch den Bau von Port Sudan am Roten Meer und einer die Karawanenrou- In editorischer Hinsicht ist die originale Schreibweise ten ersetzenden Eisenbahnlinie zum Flussumschlag- in den Textauszügen grundsätzlich beibehalten wor- platz Khartum angestoßen (vgl. Kap. 10). den, lediglich heute unverständliche oder verwirrende Schreibungen und offensichtliche (Druck-)Fehler Noch deutlicher als im Sudan ist der aktuelle Staats- wurden stillschweigend berichtigt. Eckig geklam- zerfall in Libyen wesentlich in den osmanischen Struk- merte fette Zahlen verweisen auf die Seitenzahl der turen angelegt. Beim Eintritt in das 19. Jahrhundert Quelle, eckig geklammerte Punktierungen auf Auslas- zeigt sich dieser Reichsteil als ein verfestigter Dualis- sungen und Texte in eckigen Klammern auf knappe mus zweier Küstenlandschaften, Tripolitanien im Wes- Erläuterungen im Textkörper eines Auszugs. Um eine ten und Cyrenaica im Osten der Großen Syrte, mit gezielte Suche zu ermöglichen, findet sich am Ende einem von den Osmanen bis zum Ende des Jahrhun- des Bandes ein umfangreiches Personen- und Ortsre- derts nie wirklich beherrschten riesigen wüstenhaften gister. Da die Schreibweisen von Namen von Verfasser Hinterland mit souveränen Nomadenstämmen. Die zu Verfasser und über die Jahre häufig wechselten und Wirtschaftsgrundlage dieser Provinz war nicht die ver- heute nicht selten wieder andere Formen existieren, nachlässigte Landwirtschaft in den wenigen Gunsträu- wird in diesen Fällen im Register die zeitgenössisch men, sondern der transsaharische Karawanenhandel gebräuchlichste Form verwandt und bei stark abwei- mit den bis zur Unterwerfung durch die europäischen chenden Formen der Nutzer durch einen Verweis auf Kolonialmächte in den 1880er-Jahren althergebrach- den Haupteintrag geleitet. ten westafrikanischen Handelsreichen vom Tschad- See bis Timbuktu am Nigerknie. Vom Niedergang Ein Schatz vieler geographischer Zeitschriften sind die des Osmanischen Reichs suchte Italien 1911 durch beigegebenen Karten, welche den staunenden Zeitge- die überfallartige Annexion der Landschaften an der nossen ihren Gegenstand oft erstmals in den Umris- Großen Syrte zu profitieren, handelte sich damit aber sen enthüllten und mitunter in aufeinander folgenden einen jahrzehntelangen Guerillakrieg mit dem radikal- Artikeln nach jeweils jüngsten Forschungsberichten islamischen Senussi-Orden ein. Dieser sich abschlie- mehr oder minder drastisch umgeformt wurden. Eine ßende Orden hatte bereits 1879 Gerhard Rohlfs aus Auswahl der die Textauszüge im Original begleiten- den Kufra-Oasen vertrieben und dafür gesorgt, dass den Karten und sonstigen Abbildungen ist diesem noch bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs das von der Band beigegeben. Auf den inneren Umschlagsseiten Cyrenaica, dem Tibestigebirge, dem Darfur und den findet sich eine Orientierungskarte mit den topogra- ägyptischen Wüstenoasen gebildete Viereck, welches phischen Hauptelementen, modernen Staatsgren- in etwa der Fläche des modernen Libyen entsprach, zen und einigen Orts- und Landschaftsnamen. Die der größte von Europäern nicht erforschte weiße Fleck Blattschnitte zeigen die räumliche Abdeckung und in Afrika geblieben war (vgl. Kap. 11). im Rahmen der Blattschnitte die Nummer und das Kapitel, in welchem die betreffende Karte gefunden Bevor sich der geneigte Leser in das Studium der Teil- werden kann. Die genaue Seitenlage der Karten, wie landschaften des osmanischen Afrika vertieft, sollen auch diejeniger aller sonstigen Abbildungen, kann einige Worte die gewählte Erschließungsmethode der durch das Verzeichnis der Karten und Abbildungen Textauszüge und der begleitenden Materialien erläu- ermittelt werden, welches auch auf die Fundstelle in tern. Um den vorliegenden Band handlich zu halten, den Originaltexten hinweist. sind die Texte zunächst nach Regionen und innerhalb derselben nach den die Zeitgenossen bewegenden Auch bei diesem Band hat Teresa Kilian beim Zu- Themen ausgewählt und dann auf den charakteris- sammentragen der Auszüge aus den mitunter weit tischen Kern gekürzt. Diese Textauszüge sind dann verstreuten Jahrgangsbänden der geographischen zum besseren Verständnis des Lesers mit den inhaltli- Zeitschriften geholfen. Nicole Salamanek setzte wie- chen Einordungen sowie Skizzen des zeitgenössischen der die von mir entworfene Orientierungsskizze kar- Umfelds versehen sowie, wo immer notwendig, durch tographisch um. Einschübe oder Fußnoten erläutert. Die Originaltexte sind dabei durch Serifen-Schrift, alle editorischen Ele- Imre Josef Demhardt mente an der serifenlosen Schrift zu erkennen. Arlington (Texas), August 2016 XIII Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................... XV 1 Osmanisches Ägypten – eine Einführung .............................................................1 1.1 Lage und Eintritt ins 19. Jahrhundert ......................................................................2 1.2 Mehmed Ali – vom Söldnerführer zum Dynastiegründer ..................................................4 1.3 Eine kosmopolitische Bevölkerung .......................................................................10 1.4 Landwirtschaft und Industrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16 1.5 Reiche Touristen und arme Handwerksburschen .........................................................19 2 Alexandria und das Nildelta ..........................................................................25 2.1 Hafenstadt Alexandria ...................................................................................26 2.2 Das Nildelta ..............................................................................................33 2.3 Wadi Natrun und der Fluss ohne Wasser ..................................................................40 3 Der Nil und seine Oase ................................................................................47 3.1 Der Nil als Lebensader Ägyptens .........................................................................48 3.2 Niloase des Fayyum ......................................................................................53 3.3 Flusstourismus im 19. Jahrhundert .......................................................................57 3.4 Bewässerungsbauten von Mehmed Ali bis zum Assuan-Hochdamm ......................................61 4 Kairo und Umgebung ..................................................................................69 4.1 „Die Siegreiche“ – eine vielkernige Stadt .................................................................70 4.2 Pyramiden von Gizeh .....................................................................................76 5 Der Suez-Kanal .........................................................................................81 5.1 Geopolitische Lage und Kanalprojekte bis Napoleon .....................................................82 5.2 Vorbereitung des modernen Kanalbaus bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ...............................85 5.3 Ein schwieriges Bauprojekt ...............................................................................87 5.4 Die Eröffnung des Suez-Kanals 1869. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97 6 Die Sinai-Halbinsel ...................................................................................103 6.1 Eine Pionierdurchquerung von Ulrich Seetzen ...........................................................104 6.2 Das Katharinenkloster ...................................................................................106 6.3 Vom Berg Sinai zum Golf von Aqaba .....................................................................108 7 Das Rote Meer .........................................................................................111 7.1 Name und Geschichte ...................................................................................112 7.2 Schifffahrt und Fischerei ................................................................................119 8 Die Arabische Wüste ..................................................................................123 8.1 Ein Besuch im Antonius-Kloster .........................................................................124 8.2 Nomadenleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .128 9 Die Libysche Wüste und ihre Oasen .................................................................131 9.1 Die deutsche Gelehrten-Expedition 1873–1874 .........................................................132 9.2 Die Oase Siwa ...........................................................................................140 10 Der osmanisch-ägyptische Sudan ...................................................................145 10.1 Traum und Alptraum einer Kolonialerwerbung ..........................................................146 10.2 Khartum ................................................................................................154 10.3 Kordofan und Darfur ....................................................................................160 10.4 Der tiefste Süden: Bahr el-Ghazal ........................................................................168 10.5 Verkehrswege durch die Nubische Wüste ................................................................177
Description: