Athanasius Handbuch Athanasius Handbuch herausgegeben von Peter Gemeinhardt Mohr Siebeck Die Theologen-Handbücher im Verlag Mohr Siebeck werden herausgegeben von Albrecht Beutel e-ISBN PDF 978-3-16-151653-5 ISBN 978-3-16-150079-4 (Leinen) ISBN 978-3-16-150078-7 (Broschur) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Minion Pro und der Syntax gesetzt, auf alterungsbe ständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Otters- weier gebunden. Den Umschlag gestaltete Uli Gleis in Tübingen unter Verwendung eines Mosaiks aus der Cappella Palatina in Palermo. Vorwort Leben, Schriften und Wirkung des Athanasius von Alexandrien in einem Hand- buch zu dokumentieren ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Bei kaum einem Autor divergieren in der patristischen Forschung der letzten beiden Jahrhunderte Würdigung und Kritik seines theologischen und kirchenpolitischen Agierens so wie bei Athanasius. Wie der Bischof von Alexandrien zu Lebzeiten oft mehr Feinde als Freunde hatte – seiner letztlich erfolgreichen Selbststilisierung zum alleinigen Vorkämpfer der nizänischen Orthodoxie zum Trotz –, so haben auch in der Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts die Kritiker über weite Strecken die Diskussion bestimmt. In jüngerer Zeit werden allerdings Athanasius’ Person, sei- ne Schriften, sein Wirken als Bischof und seine Theologie differenzierter und sine ira gewürdigt. Nicht alle, die sich wissenschaftlich mit Athanasius beschäftigen, sind dadurch gleich seine Freunde geworden; aber zumindest sind pauschale Ver- dikte über den unnachgiebigen Machtpolitiker und wenig refl ektierten Theolo- gen weitgehend aus dem Forschungsdiskurs – wenn auch nicht aus populären Darstellungen – verschwunden. Es erscheint daher nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll und geboten, den Stand und die sich daraus ergebenden Perspektiven der Athanasius-Forschung in einem Handbuch zu dokumentieren, das Studierenden, theologisch und histo- risch an Athanasius Interessierten sowie Fachkollegen und -kolleginnen als Refe- renzwerk dienen möge. Was das Handbuch leisten soll (und was es nicht leisten kann), sei im Folgenden kurz ausgeführt. Ziele und Grenzen Die Athanasius-Forschung ist vielfach im Fluss. Das gilt nicht nur für die Editi- onen und für die theologische Auswertung der Schriften, sondern auch für die moderne Biographie über Athanasius, die noch geschrieben werden muss. Ein schlüssiges Gesamtbild zu zeichnen, das über Kanonisations- oder Verketze- rungsstrategien hinaus gelangte, kann das Handbuch nicht leisten; es dokumen- tiert aber die Vorarbeiten, die eine solche Biographie möglich erscheinen lassen. Eine knappe Monographie wird David Gwynn 2012 unter dem Titel »Athanasius of Alexandria: Bishop, Theologian, Ascetic, Father« in der »Christian Theologi- ans in Context Series« (Oxford University Press) vorlegen; das Manuskript hat er mir dankenswerterweise vorab zugänglich gemacht. Eine neue Synthese zu Athanasius wird offenbar als dringlich und möglich empfunden; sie müsste – noch umfassender, als es Gwynns Buch beabsichtigt – den Protagonisten aus einer Mehrzahl von Perspektiven in den Blick nehmen, um ihm gerecht zu wer- den, und zugleich eine »biographische Vision«, die Charles Kannengiesser ange- mahnt hat, zugrunde legen. Ich meine, das Bischofsamt ist der Kern, aus dem sich eine solche Synthese des Lebens und Wirkens des Athanasius – jenseits VI Vorwort überholter Alternativen von »Theologie und Kirchenpolitik« o. ä. – wird entwi- ckeln lassen. Dass zu vielen Einzelfragen (noch) keine opinio communis existiert, ist kein Defi zit, sondern spiegelt den Stand der Athanasius-Forschung wider. Im Hand- buch kommen daher bewusst unterschiedliche Ansichten über die Kirchenge- schichte des 4. Jahrhunderts im Allgemeinen und über Athanasius im Besonde- ren zur Sprache. Dabei hat sich der Herausgeber nicht die Autorität angemaßt, strittige Fragen ex cathedra zu entscheiden. Vielmehr ist das Handbuch als Einla- dung zu verstehen, bestehende Probleme weiter zu bearbeiten; sie sollen in man- chen Bereichen – z. B. hinsichtlich der Rezeption der Schriften und der Gestalt des Athanasius in den orientalischen Kirchen, im byzantinischen und latei- nischen Mittelalter und in der Neuzeit – überhaupt erst einmal deutlich markiert werden. Die Quellen- und Editionslage hat sich in jüngerer Zeit spürbar verbes- sert, zumal durch die an der Erlanger Arbeitsstelle unter Leitung von Hanns Christof Brennecke abgeschlossene Edition der einst von Hans-Georg Opitz so genannten »Apologien« und durch die im Entstehen begriffene Edition der »Do- kumente [olim Urkunden] zur Geschichte des Arianischen Streites«, ebenso durch die an der Bochumer Arbeitsstelle unter Leitung von Dietmar Wyrwa (zu- vor Martin Tetz) voranschreitende Edition der zentralen theologischen Traktate des Athanasius. Ein fünftes Faszikel der »Dogmatischen Schriften«, zwei weitere Lieferungen der »Dokumente« und mittelfristig auch die Edition der bisher sträf- lich vernachlässigten Pseudathanasiana sind zu erwarten. Zur Auswahl der Texte und Themen Für die Auswahl der Schriften, die in dem Handbuch eines Eintrags gewürdigt werden sollten, wurde bei den authentischen Schriften des Athanasius weitge- hend Vollständigkeit angestrebt. Dabei gehört die Frage nach Dubia und Spuria freilich selbst zu den spannenden, im Detail vielfach ungelösten Problemen der Athanasius-Forschung. Die authentischen Schriften, von den »Apologien« über die theologischen Traktate und Streitschriften bis zu Ascetica und Exegetica, er- scheinen in einer sachlichen Gliederung – vergleichbar der im von Uta Heil ver- fassten Athanasius-Artikel im »Lexikon der antiken christlichen Literatur« (Frei- burg u. a. 32002, 69–76) –, nicht in strikt chronologischer Ordnung. Dass Unsi- cherheiten bezüglich der Authentizität vorerst bestehen bleiben müssen, zeigt die Verortung der Expositio in Psalmos: Diese fi rmiert unter den Athanasiana, weil die Argumente dafür, dass die Kommentierung der Psalmen in Teilen auf Atha- nasius selbst zurückgeht, Gewicht beanspruchen können, auch wenn der Bearbei- ter des Artikels letztlich zu einem eher skeptischen Votum gelangt. Unter den Pseudathanasiana wurde eine Auswahl getroffen, die sich an der Wirksamkeit des Athanasius und der Inanspruchnahme seines Namens in den trinitätstheologischen und christologischen Debatten des 5. Jahrhunderts orien- tiert. Während man hier im griechischen und lateinischen Sprachraum noch auf Vowort VII halbwegs sicherem Boden steht, ist die Erforschung der orientalischen Athanasi- us-Rezeptionen noch weithin terra incognita; den Bearbeitern ist zu danken, dass sie hilfreiche Schneisen durch die koptische, syrische und armenische Literatur und ihre Bezugnahmen auf Athanasius geschlagen haben. Auch die Rolle des Athanasius in der byzantinischen und abendländischen Tradition des Mittelalters harrt noch einer Aufarbeitung, ebenso die Rezeption patristischer Theologie in der Neuzeit, mit Ausnahme der Frage, ob Luther »im Zweifel näher bei Augustin« oder nicht doch bei Athanasius stehe (Wolfgang A. Bienert). In den entsprechenden Abschnitten werden Skizzen zur Athanasius- Rezeption bis zum ökumenischen Gespräch der Gegenwart vorgelegt. Weiteres wäre zweifellos wünschenswert gewesen. Das Handbuchs soll derartige Deside- rate hinreichend deutlich markieren, damit sie künftig nach Möglichkeit beho- ben werden. Terminologisches In der Forschung wird mangels treffender Alternativen nach wie vor vielfach von »Arianern« gesprochen, obwohl es sich hierbei nicht um eine fest umrissene Gruppe handelt und es auch keineswegs von vorneherein ausgemacht war, dass subordinierende Theologen als »Häretiker«, die Verteidiger des nizänischen ho- mousios hingegen als »Orthodoxe« enden würden. Ähnliches gilt für »Homöer«, »Eunomianer« und »Melitianer«. Die Autoren und Autorinnen des Bandes haben für die terminologische Problematik unterschiedliche Strategien gewählt. Wo sie Anführungszeichen gesetzt haben, sind diese stehen geblieben; wo nicht, ist gleichwohl nicht zu unterstellen, dass der Autor oder die Autorin vollumfänglich Athanasius’ Meinung über seine Gegner teilt. Dass das dogmengeschichtliche Problem des 4. Jahrhunderts nicht darin besteht, dass Arius als individueller Hä- retiker von einer unbestritten feststehenden orthodoxen Lehre abgewichen ist, sondern dass aus einer bestehenden Vielfalt von Denk- und Sprechweisen über Gott Vater, den Logos und den Geist im Laufe jahrzehntelanger Debatten (und dabei nicht ganz ohne Goethes »Mischmasch von Irrtum und Gewalt«) die neu- nizänische Trinitätslehre entwickelt wurde – das dürfte Konsens der hier Beteili- gten sein. Dass und wie Athanasius in diesen »arianischen« Streitigkeiten sowohl als personifi ziertes Problem als auch als Wegbereiter einer Lösung eine zentrale Rolle gespielt hat, macht die hier dokumentierte Forschung aus einer Vielzahl von Perspektiven (wieder) deutlich. Dank Fast drei Dutzend Kolleginnen und Kollegen aus der deutschen und internatio- nalen Patristik und ihren Nachbardisziplinen haben sich für dieses Handbuch als Autorinnen und Autoren gewinnen lassen. Zu allererst gilt ihnen mein Dank für das Verfassen der Texte und für viele fruchtbare Gespräche und Mailwechsel dar- über. VIII Vorwort In besonderer Weise danke ich Volker Henning Drecoll (Tübingen), der mir manch guten Ratschlag aus seiner Erfahrung mit dem Augustin Handbuch hat zukommen lassen, weiterhin den Mitgliedern der Erlanger Athanasius-Arbeits- stelle: Hanns Christof Brennecke, Uta Heil, Christian Müller und Annette von Stockhausen. Ihre ebenso kritischen wie konstruktiven Kommentare zu meinen ersten Gliederungsentwürfen des Handbuchs waren eine wichtige Hilfe im Pro- zess der Entscheidung, was hier behandelt werden sollte – und was nicht. Dass ich in manchen Punkten zu einer abweichenden Auffassung gelangt bin, schmälert diesen Dank in keiner Weise. Zu danken habe ich auch dem Herausgeber der Theologen-Handbücher, Alb- recht Beutel, und dem Verlag Mohr Siebeck, namentlich Henning Ziebritzki, für das Vertrauen, das sie mit dem Angebot, das Athanasius Handbuch zu konzipie- ren, in mich gesetzt haben, und für die Zusammenarbeit von der Festlegung der Konzeption bis zur Drucklegung des fertigen Werkes; hier schließt der Dank auch Ilse König ein, die den Satz kundig betreut hat. Als ich im Herbst 2007 nach Göttingen kam, hatte ich den Plan für das Atha- nasius Handbuch schon im Gepäck. Die Arbeit daran ist seitdem in unterschied- licher Intensität eine Konstante an meinem Lehrstuhl gewesen. Daher gilt mein Dank auch den Personen, die sich im Laufe der Zeit um die Entstehung des Bandes verdient gemacht haben: Meine Sekretärin Antje Marx hat kontinuierlich den Überblick über ausgehende Anfragen, eingehende Manuskripte und fertig korri- gierte Fahnenabzüge bewahrt. Meine Assistentin Katharina Heyden hat sich in der heißen Phase des Redaktionsprozesses um das Aufspüren verbliebener Inko- härenzen verdient gemacht. Eine Übersetzung aus dem Englischen hat mein Wis- senschaftlicher Mitarbeiter Yorick Schulz-Wackerbarth angefertigt. Die Bearbei- tung der Manuskripte, die Überprüfung der Zitate und Querverweise, schließlich auch die Erstellung der Register verdanken sich der zuverlässigen und ausdau- ernden Arbeit meiner studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte Christi- na Bodemann, Sandra Friedhoff, Lena Hesselbarth, Jan Höffker, Deike Ockenga und Jan Sabel. Ihnen allen habe ich sehr herzlich zu danken. Fehler, die immer noch verblieben sein mögen, gehen allein auf mein Konto. Göttingen, 2. Mai 2011 Peter Gemeinhardt (am Gedenktag des Athanasius) Inhaltsverzeichnis A. Orientierung I. Textüberlieferung: Handschriften und frühe Drucke (Annette von Stockhausen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2. Die handschriftliche Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2.1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2.2. Textbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.3. Die Sammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Frühe Drucke und vorkritische Editionen der Werke des Athanasius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 II. Zum Stand der Athanasius-Forschung am Beginn des 21. Jahrhunderts (Hanns Christof Brennecke) . . . . . . . . . . . 8 1. Subsidia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Editionen und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Echtheits- und literarkritische Diskussionen, Datierungsfragen 12 4. Thematische Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 B. Person I. Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Das Christentum in Alexandrien bis ins frühe 4. Jahrhundert (Alfons Fürst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1. Soziale, politische und religiöse Strukturen der Stadt Alexandrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.2. Das geistige Leben Alexandriens . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.3. Die Anfänge des Christentums in Alexandrien . . . . . . . 24 1.4. Christliche Theologie in Alexandrien. . . . . . . . . . . . . 25 1.5. Kirchliche Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Die Lage der Kirche unter Konstantin und seinen Nachfolgern (Martin Wallraff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1. Die politische Rahmenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.2. Konstantin und die Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3. Die Nachfolger Konstantins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Die Kirche Ägyptens im 4. Jahrhundert (Andreas Müller) . . . . 38 3.1. Kirchenstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2. Das Verhältnis zur paganen Umwelt . . . . . . . . . . . . . 41 3.3. Der theologische Aufbau einer ägyptisch-christlichen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44