Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng und in aktuellen Beispielen aus Hirnforschung, psychotherapeutischer Praxis und Erkenntnistheorie Zum Abschluss der Weiterbildung der Medizinischen Gesellschaft für Qigong Yangsheng e.V. von Katrin Arnold Lübeck, Oktober 2013 Nichts ist - sagt der Weise. Du läßt es entstehen. Es wird mit dem Wind Deines Atems verwehen Unmerklich und leise. Nichts ist. Sagt der Weise. Mascha Kaléko Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 1 1. Einleitung 4 2. Leitgedanken 5 3. Die Bedeutung der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng 7 3.1 Vorstellungskraft und Qi folgen einander 8 3.2 Drei Mittel und zwei Wege des Übens 9 3.3 Das Bewahren der Vorstellungskraft in verschiedenen Körperregionen 10 3.3.1 Widerstreitende Kräfte 11 3.3.2 Drei äußere Verbindungen 12 3.3.3 Drei innere Schließungen 12 3.3.4 Dantian 13 3.3.5 Akupunkturpunkte und Leitbahnen 14 3.3.6 Der kleine Himmelskreislauf 15 3.3.7 Embryonalatmung, Körperatmung, Porenatmung 16 3.3.8 Schlussfolgerung 17 3.4 Das Richten der Vorstellungskraft auf reale Dinge 17 3.5 Das Richten der Vorstellungskraft auf Vorstellungsbilder 18 3.5.1 Vorstellungsbilder prägen den Zugang zur Ruhe 19 3.5.2 Berg 20 3.5.3 Drache 20 3.5.4 Wasser 21 3.5.5 Schlussfolgerung 21 3.6 Das Richten der Vorstellungskraft auf die Bedeutung von Dingen und Worten 22 3.6.1 Merksprüche und Lehrsätze 23 3.6.2 Zahlen 24 3.6.3 Schlussfolgerung 25 4. Historisch-kultureller Kontext des Qigong 25 4.1 Entsprechungen 26 4.2 Yin und Yang 26 4.3 Die fünf Wandlungsphasen 28 4.4 Wirkung und Wertung 28 4.5 Ziran 29 4.6 Dao 30 4.7 Rückkehr zum Ursprung 30 4.8 Visualisierung in der Meditation 32 4.9 Den Schatten eines Bogens für eine Schlange halten 33 Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 2 5. Begriffe im Chinesischen in Zusammenhang mit Vorstellungskraft 34 5.1 Yi, Yinian 34 5.2 Yishou 35 5.3 Xin 36 5.4 Xin – Yi – Qi – Li 39 6. Begriffe im Deutschen in Zusammenhang mit Vorstellungskraft 41 6.1 Achtsamkeit 41 6.2 Aufmerksamkeit 43 6.3 Autosuggestion 44 6.4 Empathie 45 6.5 Halluzination 46 6.6 Imagination 47 6.7 Kontemplation 48 6.8 Wahrnehmung 48 7. Aktuelle Forschung, Praxis und Theorie mit Bezug zur Bedeutung der Vorstellungskraft 50 7.1 Hirnforschung 7.1.1 Die neurobiologische Repräsentation von Vorstellungskraft, Gerald Hüther 50 7.1.2 Die Erforschung von Empathiefähigkeit im Kontext der Sekundärtraumatisierung, Judith Daniels 51 7.2 Traumapsychotherapie 7.2.1 Imagination als heilsame Kraft, Luise Reddemann 53 7.2.2 Praxisbeispiel: Dem Inneren Kind begegnen 55 7.3 Konstruktivismus 57 7.3.1 Der radikale Konstruktivismus nach Maturana und Varela 58 7.3.2 Die selbsterfüllende Prophezeiung 60 7.3.3 Schlussfolgerung 61 8. Fazit 63 Literaturverzeichnis 67 Anhang 1: Die 6 Schlüsselpunkte der Qigong Praxis als Prinzipien des Übens 69 Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 3 1. Einleitung Diese Arbeit widmet sich den vielfältigen Aspekten des Einsatzes der Vorstellungskraft im Lehrsystem Qigong Yangsheng nach Prof. Jiao Guorui. Sie soll Übende wie Unterrichtende des Qigong Yangsheng unterstützen, die Vorstellungskraft als Kraft bewusst und heilsam einzusetzen. Ich beziehe mich hier auf das mir vertraute Lehrsystem Qigong Yangsheng. Die meisten Ausführungen zur Vorstellungskraft werden jedoch auch für Qigong-Übungen anderer Stile und Schulen Gültigkeit haben. Das Lehrsystem Qigong Yangsheng kann als das Lebenswerk von Prof. Jiao Guorui (1923 – 1997) bezeichnet werden. Er widmete sich als Arzt in China jahrzehntelang dem Studium des Qigong und seiner historischen Quellen wie auch der gesundheitsförderlichen Anwendung der Übungen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit, ihrer Erforschung und Verbreitung. Die Bezeichnung Lehrsystem drückt aus, dass das Wissen und die Fähigkeit, Qigong zu unterrichten systematisch gelehrt werden kann. Dies steht der chinesischen Tradition, Qigong als Geheimwissen vom Meister an einen Schüler weiterzugeben, entgegen und für den Ansatz, gesundheitsförderliche Übungen möglichst fundiert zu verbreiten und dafür eine Systematik zum Lernen und Lehren bereitzustellen. Qigong als ein Fachgebiet zu begreifen, das mit Nachbarwissenschaften wie Philosophie, Psychologie und Medizin im Austausch steht, war Prof. Jiao ebenfalls ein wichtiges Anliegen und in der Bezeichnung als Lehrsystem enthalten. Während der mehrjährigen Aufenthalte von Prof. Jiao in Deutschland von 1988 bis 1997 sind umfangreiche Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien für das Qigong Yangsheng entstanden. Es wurde die Medizinische Gesellschaft für Qigong Yangsheng als gemeinnütziger Verein gegründet, die sich auch nach Jiaos Tod 1997 der Aufgabe verpflichtet hat, dieses Lehrsystem zu dokumentieren, zu bewahren und in seiner Entwicklung lebendig zu erhalten. In der vorliegenden Arbeit zu Aspekten der Vorstellungskraft im Lehrsystem Qigong Yangsheng gebe ich zunächst einen Überblick zur Darstellung der Vorstellungskraft in den genannten Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien. Anschließend werde ich, nach einer Abhandlung zum historisch-kulturellen Hintergrund des Qigong, die mit der Vorstellungskraft verbundenen chinesischen Begriffe erläutern, soweit sie mir in deutscher Übersetzung zugänglich sind. Um die Verbindung zu unserem westlichen und aktuellen Bezug zur Vorstellungskraft herzustellen, definiere ich im 2. Teil der Arbeit zunächst deutsche Begriffe, die mit Vorstellungskraft im Zusammenhang stehen. Hier ist eine Begrenzung und subjektive Auswahl notwendig. Mit aktuellen Beispielen aus der Hirnforschung, aus der psychotherapeutischen Arbeit mit traumatisierten Menschen sowie aus dem philosophischen Ansatz des Konstruktivismus, in denen die Kraft der Vorstellung eine Rolle spielt, möchte ich weiter dazu beitragen, das Verständnis für die Wirksamkeit der Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 4 Vorstellungskraft auch im Üben des Qigong Yangsheng zu vertiefen. Auch die Auswahl dieser Ansätze muss subjektiv sein. Sie entspricht dem, was mir aus meinen Ausbildungen und meiner pädagogischen Arbeit bekannt ist und was bezüglich der Vorstellungskraft ein vertiefendes Verständnis oder praktische Anwendungen bietet. Zu meinem Hintergrund gehört eine Ausbildung in gestalttherapeutisch-integrativer Beratung, die Betreuung von Mädchen bei einem freien Träger der Jugendhilfe mit traumapädagogischer Ausrichtung und meine Meditationspraxis im Rahmen des Theravada-Buddhismus. Für das Lernen des Qigong halte ich die Beschäftigung mit seinen historischen und kulturellen Wurzeln und seiner entsprechenden philosophischen Einordnung für hilfreich und bereichernd, für das Unterrichten des Qigong halte ich diese sowie die Beschäftigung mit didaktischen Aspekten für grundlegend. Ich erlebe das Zusammenspiel von praktischem Üben, theoretischer Wissensaneignung und Reflektion als einen Prozess, der wechselseitig das Verständnis vertiefen kann. Es ist also nicht notwendig, schon zu Beginn des Qigong- Übens viel über seine Hintergründe zu wissen, sondern sich mit Offenheit und Neugier für die historischen und kulturellen Wurzeln auf die praktische Erfahrung einzulassen. So kann sich im Laufe der Zeit zunehmend eine Synthese zwischen der kulturellen Prägung des Qigong und den eigenen, kulturell gewohnten Bedeutungen sowie den individuellen Zugängen herstellen. Diese Synthese zu fördern und anzuregen ist meines Erachtens eine Aufgabe der Qigong-Lehrenden und besonders für den Bereich der Vorstellungskraft relevant. So wird auch die Anpassung des Übens an individuelle Voraussetzungen und Besonderheiten ein durchgängiges Thema der vorliegenden Arbeit sein. Der Lesbarkeit wegen ist der Text durchgehend in weiblicher Form verfasst. Angesprochen fühlen sich bitte alle Menschen. 2. Leitgedanken Qigong ist eine Bewegungskunst mit vielfältigen Wurzeln und Aspekten. Es ist dadurch mit Kunst, Philosophie, Meditation, Kampfkunst und in großem Maß mit der Heilkunst, als Bereich der TCM (der Traditionellen Chinesischen Medizin) verbunden. Innerhalb der TCM umfasst Qigong die Formen der Selbstbehandlung im Sinne von Selbstregulation und Prävention und steht daher im engen Zusammenhang mit einer Vorstellung von Eigenverantwortung für die eigene Lebensgestaltung. Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 5 Gedanken zu diesem Begriff der Eigenverantwortung wie ich ihn verwende, möchte ich deshalb meiner Arbeit voranstellen. Ich gehe von einer ganzheitlichen Sichtweise des Menschen aus. Um verschiedene Aspekte dieser Ganzheitlichkeit (wie leibliche, psychische, historische, kulturelle…) beschreiben zu können, benutzen wir entsprechende Begriffe, die ein Getrennt-Sein dieser Aspekte suggerieren können. Dieses Getrennt-Sein setzt sich leicht im eigenen Denken fort. Der Mensch existiert sowohl als biopsychosoziale Einheit als auch in und durch seine Verbundenheit mit allen und allem. Diese Verbundenheit wird schon deutlich in Atmung und Nahrungsaufnahme / Stoffwechsel als ständiger Austausch mit der Umwelt. Ebenso gibt es eine existenzielle Verbundenheit mit den Menschen, die uns nahestehen und mit den Menschen, mit denen wir kleine bis große soziale Gemeinschaften bilden, ebenso unser Eingebunden-Sein in den historischen und kulturellen Kontext, in dem wir leben. Darüber hinaus leben wir in einem globalen ökologischen wie inzwischen auch wirtschaftlich globalen System. Unsere Existenz und damit unser Handeln im Sinne von Selbstgestaltung oder Selbstbestimmung, von Eigenverantwortung, von Individualität, von der Annahme eines freien Willens sind ermöglicht und begrenzt in dieser Verbundenheit. Im neoliberalen Diskurs wird der Begriff der Eigenverantwortung, losgelöst von den genannten Kontexten menschlicher Existenz, auf eine individuelle betriebswirtschaftliche Effizienz reduziert, in der diese verbundene und auch eine solidarische Sicht keinen Platz haben. So ist das „unternehmerische Selbst“ zur permanenten Selbstoptimierung verpflichtet, Gesunderhaltung und Lebensfreude sind darin in den Dienst maximaler Leistungsfähigkeit gestellt; ebenso die sozialen Bezüge, die als Netzwerk im Sinne ihres Nutzens für die eigene Selbst-Vermarktung gepflegt werden sollen. Krankheiten und Krisen sind darin nicht mehr integraler Bestandteil des Lebens, sondern Teil eines individualisierten Scheiterns. Meine Verwendung von Sprache, im Besonderen des Begriffes der Eigenverantwortung, verstehe ich auch in der vorliegenden Arbeit im Sinne der beschriebenen Ganzheitlichkeit und Verbundenheit und damit im Sinne einer mitmenschlichen wie auch einer solidarischen Sicht- und Denkweise. Inwieweit diese Sicht- und Denkweise im Lehrsystem Qigong Yangsheng ebenfalls angelegt ist, werde ich im Verlauf der Arbeit, v.a. in Bezug auf die Anpassung des Übens und in Kapitel 7.2.2 bezüglich des Menschenbildes, erläutern. Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 6 3. Die Bedeutung der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng Vor seiner systematischen Darstellung leite ich das Thema Vorstellungskraft mit einigen Beispielen ein. Die darin verwendeten Fachbegriffe werden im Verlauf des Textes erläutert. Kursiv gedruckte chinesische Begriffe werden ggf. noch als Anhang 2 aufgelistet - in Übersetzung, in Pinyin-Umschrift mit Aussprache-Zeichen und für die Eindeutigkeit in chinesischen Schriftzeichen. Mit dem Einsatz der Vorstellungskraft im Qigong verbinde ich zuallererst das Aktivieren von Stimmungen und Kräften durch Vorstellungsbilder, durch die Vorstellung innerer und äußerer Verbindungen, durch das Lenken der Aufmerksamkeit in Körperbereiche wie auch sehr feine Übungen und Techniken der inneren Betrachtung. Im Folgenden erläutern einige Beispiele dieses Aktivieren von Stimmungen und Kräften - durch Vorstellungsbilder: Zu „Stehen wie eine Kiefer“ assoziiert die Übende Wurzeln, Stabilität und dazu als komplementäre, widerstreitende Kraft die Leichtigkeit der Aufrichtung und Ausdehnung; das Vorstellungsbild „den Kosmos umfassen“ unterstützt innere und äußere Weite, wieder komplementär verbunden mit einer Sammlung in der Körpermitte, im Dantian. Im Spiel der 5 Tiere rufen Bär, Kranich, Tiger, Hirsch und Affe jeweils spezifische Kräfte wach, entsprechend auch eine spezifisch gefärbte Ruhe. Es geht also mit diesen Bildern um das Aktivieren von Kräften, Kraftrichtungen oder Stimmungen in uns, die wir symbolisch oder aus der Beobachtung bzw. der Erfahrung mit diesen Tieren, Pflanzen oder Naturphänomenen verbinden. - durch die Vorstellung von Verbindungen: Indem man imaginär einen Ball zwischen den Händen hält, der sich auch ausdehnen und verdichten lässt, wird eine Vorstellung von Verbindung präsent oder wahrnehmbar wie auch eine Raumvorstellung. Solche Vorstellungen elastischer äußerer oder innerer Verbindungen lenken und sammeln die Aufmerksamkeit und fördern die Vollständigkeit und Ausgewogenheit von Haltung und Bewegung. - durch das Lenken der Aufmerksamkeit in Körperbereiche: Die Aufmerksamkeit z.B. ins Dantian zu lenken fördert die Wahrnehmung in diesem Bereich, verbunden mit einem inneren Bild, einer individuellen Vorstellung davon. - durch Innere Betrachtung (bzw. ein Nach-Innen-Lauschen): Hierdurch werden feine Empfindungen im Körper wahrgenommen oder wachgerufen, etwa die Empfindung von innerer Bewegung wie Ausdehnen und Verdichten im Dantian. Die Techniken der Embryonalatmung und Porenatmung verbinden diese feine, nach innen gerichtete Wahrnehmung mit Vorstellungsbildern und Atem. Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 7 Die Bedeutung der Vorstellungskraft geht über diese Beispiele hinaus. In der Praxis des Qigong Yangsheng fasst dieser Begriff alle geistigen Aktivitäten und Kräfte zusammen (Hildenbrand, 1998, S. 172). 3.1 Vorstellungskraft und Qi folgen einander Von den „6 Schlüsselpunkten“, die für das Qigong Yangsheng die zentralen Prinzipien des Übens zusammenfassen, bezieht sich bereits der zweite auf die Vorstellungskraft. Er lautet „Vorstellungskraft und Qi folgen einander“. (Eine Aufzählung der 6 Schlüsselpunkte findet sich in Anhang 1.) Dieser 2. Schlüsselpunkt beschreibt eine gegenseitige bzw. zirkuläre Bedingtheit von Vorstellungskraft (Yi) und Lebenskraft bzw. Lebensenergie (Qi). Der Begriff Qi kann ganz pragmatisch genutzt werden, um Wirkungen und Empfindungen zu benennen. So verwendet ihn Prof Jiao zum Beispiel in seiner Ausführung zu der Ruhehaltung „Stehen wie eine Kiefer“. Er erläutert dabei die in den Armen wirkenden widerstreitenden Kräfte zwischen ihrer runden Aufspannung und einer ebenfalls vorhandenen nach innen gerichteten, schließenden Kraft der Arme, die sogar deutlicher betont wird. Die darin entstehenden Empfindungen beschreibt er mit dem Begriff Qi. „In der Vorstellung übt man diese Kräfte im Wechsel, dabei ist keine äußere Bewegung der Arme zu sehen, aber nach längerer Übungspraxis kann man eine innere Empfindung von Kraft oder Bewegung erfahren. Diese innere Empfindung nennt man auch Qi – Gefühl oder im Falle von Bewegung auch Qi – Fluß“ (Jiao, 1997, S. 34). Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 8 Dieses Beispiel verdeutlicht auch die enge Verbundenheit von Vorstellung und Qi, die der 2. Schlüsselpunkt des Übens benennt. Qi, die Lebenskraft, wird auch als feiner, das gesamte Weltall wie den Menschen durchströmender Stoff angesehen (Darga, 2010, S. 49); in der Deutung seines Schriftzeichens wird es als Dampf oder Atem bezeichnet. Sammelt das Qi sich, entsteht Leben, zerstreut es sich, löst sich diese Form des Lebendigen wieder auf. Auch seine grundsätzliche Bewegung ist ein Pulsieren zwischen Verdichtung und Ausbreitung. Die Bewegungen und Haltungen des Qigong regulieren in ihrem gleichen Wechsel und Zusammenspiel von öffnenden und schließenden wie von steigenden und sinkenden Bewegungsrichtungen und Kräften diese Qi-Bewegung. Stagniert Qi in seinem Bewegungsfluss, können sich Krankheiten manifestieren, so die Vorstellung der TCM. Das uns angeborene, sogenannte vorgeburtliche Qi bezeichnet unsere Konstitution; über Nahrung und Atmung nehmen wir ständig Energie, sogenanntes nachgeburtliches Qi, in uns auf. Im Laufe der chinesischen Geistesgeschichte wird der Begriff Qi so vielschichtig genutzt, dass seine Bedeutungsvielfalt hier nur angedeutet werden kann. Weiter gehe ich auf den Begriff Qi in den Kapiteln 3.1, 4.4 und 5.4 ein. So allgemein und damit ungenau die Begriffe Lebenskraft und Vorstellungskraft also zunächst sind, drückt der 2. Schlüsselpunkt des Übens „Vorstellungskraft und Qi folgen einander“ die enge Verbindung von geistiger Tätigkeit und dem „Fluss der Lebensenergie“ aus. 3.2 Drei Mittel und zwei Wege des Übens Die besondere und zentrale Bedeutung der Vorstellungskraft im Lehrsystem Qigong Yangsheng wird auch an folgender Systematik deutlich: Die drei Mittel und die zwei Wege des Übens. Jede Qigong Übung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine bestimmte Körperhaltung oder Bewegung verbindet mit bewusster geistiger Tätigkeit, nämlich der Vorstellungskraft, und mit der Wirkung des Atems. Dabei kann der Atem auch unbewusst sein, quasi vergessen werden. Die Verbindung dieser drei Qualitäten in einer Übung, nämlich - Haltung / Bewegung - geistige Tätigkeit / Vorstellungskraft - Atmung wird im Lehrsystem Qigong Yangsheng als die drei Mittel bezeichnet. Von der Vorstellungskraft ausgehend bedeutet dies also, dass Gedanken, Begriffe und Vorstellungsbilder die Körperhaltung, Bewegung und Atmung prägen, wie sie auch von diesen geformt werden. Aspekte der Vorstellungskraft im Qigong Yangsheng, Katrin Arnold, 2013 S. 9
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