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Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften PDF

571 Pages·2003·5.22 MB·German
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Jared Diamond Arm und Reich Die Schicksale menschlicher Gesellschaften s i e r P F - r e z 8 t 9 li 9 u 1 P In den 13000 Jahren seit der letzten Eiszeit bildeten sich in manchen Gegenden der Welt alphabetisierte Industriegesellschaften heraus, in anderen entstanden schriftlose Bauerngesellschaften und einige Völker leben noch heute als Jäger und Sammler und benutzen Steinwerkzeuge. Diese extrem ungleichen Entwicklungen der menschlichen Gesellschaften führten nicht selten zu schrecklichen Katastrophen, denn die industrialisierten Gesellschaften eroberten die anderen Gegenden der Welt und rotteten ganze Völker aus. Was sind die Wurzeln dieser Ungleichheit, warum überhaupt entstanden ver- schiedene Gesellschaftsformen? Ein für allemal räumt Diamond mit jeglichen rassischen und rassi- stischen Theorien auf und zeigt, daß vielmehr die klimatischen und geographischen Unterschiede am Ende der letzten Eiszeit verant- wortlich für die Geschichte(n) der Menschheit sind. So entwickelte sich in einigen Gegenden der Welt die Landwirtschaft mit vielfachem materiellen und kulturellem Reichtum als Folge. Diese Errungen- schaften gelangten nach Europa und verbreiteten sich in Asien, drangen aber aufgrund der klimatischen und kontinentalen Beschaf- fenheiten nicht bis nach Afrika oder Südamerika vor. Statt dessen ka- men Seuchen und Kriege dorthin, weil die, die ohnehin schon viel hatten, noch mehr wollten. Heute sind wir täglich mit den Folgen dieser Ungleichheiten konfrontiert: ›Arm und Reich‹ ist ein Buch über die Vor- und Frühgeschichte, das aktueller und zeitgemäßer nicht sein könnte. Jared Diamond, geboren 1938 in Boston, ist Professor für Physiologie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Sein Hauptfor- schungsgebiet ist die Evolutionsbiologie. In den letzten 25 Jahren hat er rund ein Dutzend Expeditionen in entlegene Gegenden von Neu- guinea geleitet. Für seine Arbeit auf dem Feld der Anthropologie und Genetik ist er mehrfach ausgezeichnet worden, für ›Arm und Reich‹ erhielt er 1998 den Pulitzer-Preis. Im Fischer Taschenbuch Verlag erschien zuletzt ›Der dritte Schimpanse. Evolution und Zukunft des Menschen‹ (Bd. 14092). Jared Diamond Arm und Reich Die Schicksale menschlicher Gesellschaften Aus dem Amerikanischen von Volker Englich R Fischer Taschenbuch Verlag Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, August 1999 Lizenzausgabe mit Genehmigung des S. Fischer Verlages GmbH, Frankfurt am Main Die amerikanische Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel ›Guns, Germs, and Steel. The Fates of Human Societies‹ bei W.W. Norton 8c Company, New York © 1997 by Jared Diamond Für die deutsche Ausgabe: © S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1998 Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-596-14539-2 Für Esa, Kariniga, Omwai, Paran, Sauakari, Wiwor und all meine anderen Freunde und Lehrer in Neuguinea, die einen schwierigen Lebensraum meistern. Jared Diamond – Arm und Reich 6 VORWORT Was die Weltgeschichte mit einer Zwiebel gemein hat Dieses Buch unternimmt den Versuch, die Geschichte aller Völker in den letzten 13000 Jahren zu skizzieren. Die Frage, die es zu beantworten sucht, lautet: Warum nahm die Geschichte auf den verschiedenen Kontinenten einen so unterschiedlichen Verlauf? Wer nun zusammenzuckt, weil er meint, eine rassistische Abhandlung vor sich zu haben, sei gleich beruhigt: Wie Sie sehen werden, spielen Unterschiede zwischen menschlichen Rassen bei der Beantwortung der Frage nicht die geringste Rolle. Statt dessen geht es in diesem Buch darum, nach tieferen Ursachen für Geschichtsverläufe zu forschen und historische Kausalketten in möglichst ferne Vergangenheit zurückzuverfolgen. Die meisten Werke, die »Weltgeschichte« oder »Universalgeschichte« im Titel führen, beschäftigen sich vornehmlich mit der Geschichte von Schriftkulturen in Eurasien und Nordafrika. Gesellschaften in anderen Teilen der Welt – Afrika südlich der Sahara, Nord- und Südamerika, südostasiatische Inselwelt, Australien, Neuguinea, Pazifikinseln – erhalten wenig Aufmerksamkeit, und in der Regel ist nur die Zeit nach ihrer Entdeckung und Unterwerfung durch Westeuropäer Gegenstand der Darstellung. Innerhalb Eurasiens erhält wiederum die Geschichte des westlichen Teils viel mehr Raum als die Geschichte Chinas, Indiens, Japans, Südostasiens und anderer östlicher Kulturen. Nur knapp wird auch das Geschehen vor dem Auftauchen der Schrift um 3000 v. Chr. abgehandelt, obwohl dieser Zeitraum 99,9 Prozent der fünf Millionen Jahre alten Geschichte unserer Spezies ausmacht. Eine derart verengte Betrachtung der Weltgeschichte hat drei Nachteile. Der erste besteht darin, daß sich heute immer mehr Jared Diamond – Arm und Reich 7 Menschen auch für andere Gesellschaften als die des westlichen Eurasien interessieren. Einleuchtenderweise, muß man hinzufügen, denn immerhin repräsentieren jene »anderen« Gesellschaften das Gros der Weltbevölkerung und die überwältigende Mehrzahl der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Gruppierungen der Menschheit. Einige von ihnen gehören schon heute zu den bedeutendsten wirtschaftlichen und politischen Mächten der Welt, andere sind auf dem Weg dorthin. Zweitens vermag eine Geschichtsschreibung, die sich auf das Geschehen seit dem Aufkommen der Schrift beschränkt, selbst demjenigen keine tieferen Einsichten zu vermitteln, der sich vor allem dafür interessiert, wie die moderne Welt geformt wurde. Schließlich war es nicht so, daß die Gesellschaften auf den verschiedenen Kontinenten bis 3000 v. Chr. auf gleichem Stand waren und westeurasische Gesellschaften dann aus heiterem Himmel die Schrift erfanden und auch in anderen Bereichen plötzlich davonpreschten. Vielmehr existierten in Eurasien und Nordafrika schon um 3000 v. Chr. Gesellschaften, die neben den Anfängen der Schrift auch zentralistische Staatswesen, Städte, Metallwerkzeuge und -waffen kannten, Haustiere als Transportmittel, Zugtiere und Lieferanten mechanischer Energie nutzten und sich von Erzeugnissen der Landwirtschaft ernährten. In den meisten oder sogar allen Regionen der übrigen Kontinente waren diese Errungenschaften zu jenem Zeitpunkt noch unbekannt; einige, aber nicht alle, kamen später in verschiedenen Teilen Nord- und Südamerikas und Afrikas südlich der Sahara auf, wenn auch erst im Laufe der nächsten 5000 Jahre; Australien blieb dagegen ein weißer Fleck. Dies allein weist schon deutlich darauf hin, daß die Wurzeln der eurasischen Vorherrschaft in der heutigen Welt in der schriftlosen Zeit vor 3000 v. Chr. zu suchen sind. (Mit eurasischer Vorherrschaft meine ich die dominierende Rolle der Gesellschaften des westlichen Eurasien sowie ihrer Ableger auf anderen Kontinenten.) Drittens übergeht eine Geschichtsschreibung, die ihr Augenmerk nur auf das westliche Eurasien richtet, völlig die entscheidende Frage, Jared Diamond – Arm und Reich 8 warum ausgerechnet jene Gesellschaften so ungleich mächtiger und innovativer wurden. Für gewöhnlich werden in diesem Zusammenhang diverse unmittelbare Faktoren angeführt, etwa das Aufkommen von Merkantilismus, Kapitalismus, Wissenschaftsgeist, Technik und bösartigen Krankheitserregern, denen die Bewohner anderer Kontinente bei der Begegnung mit Westeurasiern erlagen. Doch warum bildeten sich all diese Ingredienzen der Eroberung im westlichen Eurasien heraus, in anderen Teilen der Welt aber gar nicht oder nur in geringerem Ausmaß? Es handelt sich bei alldem um unmittelbare Faktoren, nicht um eigentliche Ursachen. Warum blühte nicht der Kapitalismus im Mexiko der Azteken, der Merkantilismus in Afrika südlich der Sahara, der Wissenschaftsgeist in China, die Technik im indianischen Nordamerika und bösartige Krankheitserreger im Australien der Aborigines? Wer zur Erwiderung auf spezifische kulturelle Verhältnisse verweist – etwa darauf, daß der Geist der Wissenschaft in China durch den Konfuzia- nismus erstickt wurde, im westlichen Eurasien dagegen in griechischen beziehungsweise jüdisch-christlichen Traditionen einen fruchtbaren Nährboden fand –, ignoriert nur einmal mehr die Notwendigkeit echter, tiefergehender Erklärungen: Warum entwickelte sich der Konfuzianismus nicht im westlichen Eurasien und die jüdisch-christ- liche Ethik in China? Er übersieht außerdem, daß das konfuzianistische China bis etwa 1400 n. Chr. in der technischen Entwicklung weiter war als die Gesellschaften des westlichen Eurasien. Selbst wenn man sich damit begnügen will, die westeurasischen Ge- sellschaften zu verstehen, reicht es nicht aus, den Blick nur auf sie zu richten. Die interessanten Fragen sind nämlich die nach den Unter- schieden zwischen ihnen und anderen Kulturen. Zu ihrer Beantwor- tung müssen wir auch alle anderen Gesellschaften verstehen, um die des westlichen Eurasien in einem weiteren Kontext sehen zu können. Vielleicht haben einige Leser nun den Eindruck, ich würde, verglichen mit der herkömmlichen Geschichtsschreibung, ins entgegen- Jared Diamond – Arm und Reich 9 gesetzte Extrem verfallen, indem ich dem westlichen Eurasien zugun- sten anderer Teile der Welt zuwenig Platz einräume. Darauf möchte ich entgegnen, daß einige dieser Regionen sehr aufschlußreich sind, weil sie auf kleinem Raum eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Kulturen beherbergen. Andere Leser werden vielleicht die Ansicht teilen, die ein Rezensent der amerikanischen Ausgabe dieses Buches äußerte. Mit leicht kritischem Unterton bemerkte er, für mich sei die Weltgeschichte offenbar wie eine Zwiebel, deren äußerste Schale die moderne Welt verkörpere und deren innere Schichten es auf der Suche nach Antworten eine nach der anderen abzutragen gelte. Wie recht er hat! Die Weltgeschichte gleicht in der Tat einer Zwiebel. Sie Schicht um Schicht zu schälen ist nicht nur ungemein spannend, sondern obendrein von ungeheurer Bedeutung, wenn wir unsere Vergangenheit verstehen und daraus Lehren für die Zukunft ziehen wollen. Jared Diamond – Arm und Reich 10 PROLOG Yalis Frage Der unterschiedliche Lauf der Geschichte in den verschiedenen Teilen der Welt Jeder weiß, daß die Geschichte für verschiedene Völker in verschiedenen Teilen der Erde einen höchst unterschiedlichen Lauf nahm. In den 13000 Jahren, die seit dem Ende der letzten Eiszeit vergangen sind, entstanden in einigen Teilen der Welt Industrie- gesellschaften mit Metallwerkzeugen und Schrift, in anderen dagegen nur schriftlose bäuerliche Gesellschaften, während die Bewohner wie- der anderer Regionen Jäger und Sammler blieben und mit Steinwerk- zeugen vorliebnahmen. Diese historischen Ungleichheiten warfen lange Schatten auf die moderne Welt, da diejenigen Gesellschaften, die in den Besitz von Schrift und Metallwerkzeugen gelangt waren, jene anderen Gesellschaften unterwarfen oder gar auslöschten. Obwohl man diese Unterschiede als grundlegendste Tatsache der Weltgeschichte bezeichnen könnte, sind die Gründe, die für sie genannt werden, nach wie vor vage und umstritten. Vor 25 Jahren wurde ich in sehr persönlicher Form mit diesem Thema konfrontiert. Im Juli 1972 unternahm ich eine Strandwanderung auf der Tropeninsel Neuguinea, wo ich als Biologe Untersuchungen zur Evolution der Vögel anstellte. Mir war bereits von einem charismatischen örtlichen Politiker namens Yali berichtet worden, der sich zur gleichen Zeit auf einer Rundreise durch das Gebiet befand. Zufällig hatte Yali an jenem Tag dasselbe Ziel wie ich und holte mich beim Wandern ein. Wir gingen eine Stunde nebeneinander am Strand entlang und unterhielten uns die ganze Zeit.

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