ARBEITEN DER LEHRKANZEL FUR TIERZUCHT AN DER HOCHSCHULE FUR BODENKULTUR IN WIEN HERAUSGEGEBEN VON HOFRAT PROFESSOR DR. L. ADAMETZ DRITTER BAND MIT 39 ABBILDUNGEN UND 14 TABELLEN WIEN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1925 ISBN-13: 978-3-7091-9564-2 e-ISBN-13: 978-3-7091-9811-7 DOl: 10.1007/978-3-7091-9811-7 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER tl"BERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDmON 1925 Inhaltsverzeichnis Seile Adametz, Leopold. Kraniologische Untersuchungen des Wildrindes von Pamifltkowo. (Mit vier Textabbildungen und drei Tabellen.) . . . . 1 Uber den Schadelbau, die Herkunft und die vermutliche Ab stammung des im sfidostlichen Europa verbreiteten Kalmficken rindes. (Mit zehn Textabbildungen und einer Tabelle.) . . . . . .. 26 Staffe, Adolf. Uber Rasse und Herkunft der holllindischen Hinder unter besonderer Berftcksichtigung des rotbunten Maas-Rhein-Ijsselviehs. (Mit zwolf Textabbildungen und fUnf Tabellen.) . . . . . . . . . .. 54 Peter, Hans. Untersuchungen fiber die Ursachen des Rfickganges der Alpwirtschaft und der VerOdung der Dauersiedlungen am Votarlberger »Tannberg". .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 89 Ogrizek, Albert. Beitrag zur Abstammung des bosnischen Ponys. (Mit ffinf Textabbildungen und zwei Tabellen.) ............... 141 Scheuch, Robert. Untersuchungen fiber die Abstammung und Rasse zugehOrigkeit der Pinzgauer Rinder. (Mit drei Textabbildungen und zwei Tabellen.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 157 Saffert, Erich. Zur Monographie der gemsfarbigen Pinzgauer Ziege. (Mit ffinf Textabbildungen und einer Tabelle.) ............. 187 Kraniologische Untersuchungen des Wildrindes von Pamilltkowo Ein Beitrag zur Frage nach der Abstammung europliischer Hausrinder Von Hofrat Dr. Leopold Adametz o. ij. Professor der Hochschule fUr Bodenlrultur in Wien 1. Fundort und Beschaffenheit des Schlidels Der im folgenden beschriebene Rinderschadel wurde im Sommer 1924 auf dem Gute des Herrn v. Koczorowski in Pamilltkowo (Kreis Szamotuly) etwa 25 km siidwestlich von Posen gefunden. Zufalligerweise stie13 man in Gegenwart des Professors fiir Tierzucht an der Krakauer Universitat, des Herrn Dr.R. Prawohenski, im Verlaufe einerDemonstration derTorfgewinnung in fast 5 m Tiefe des dortigen Torflagers auf diesen Schadel. Derselbe ist relativ vorziiglich erhalten; es fehlen, yom Unterkiefer abgesehen, nur die Nasen beine. In demselben Torflager wurden bereits zahlreiche interessante Knochen funde gemacht. Von ihnen interessieren uns besonders Schaufeln yom aus gestorbenen Riesenhirschen (cervus euryceros). Sie wurden unweit dieses Rinderschadels in gleicher Tiefe gefunden und gestatten daher eine Datierung des Fundes, indem sie es ermoglichen, ihn als d i I u v i a I anzusprechen. Herrn Prof. Dr. Prawohenski, der die Liebenswiirdigkeit hatte, mir den interessanten Schadel zur Bearbeitung zu iiberlassen, sage ich ver bindlichen Dank. Ehe ich mit der Beschreibung des Wildrindschitdels beginne, ist es notig, zunachst folgende Fragen zu beantworten: 1. GehOrt der Schadel tatsachlich einem Wildrinde an? 2. War das Individuum erwachsen? und 3. Welchen Geschlechtes war der Trager dieses Schadels? 2. Beweise fur die Zugehorigkeit dieses Schlidels zu einem wilden Individuum Abgesehen von dem diesbeziiglich hinreichend orientierenden, eben erwlihnten Zusammenvorkommen dieses Schadels mit den Resten des Riesenhirsches, gilt es doch noch zu untersuchen, ob am Schadel des Posener Wildrindes selbst. nicht auch Merkmale vorkommen, welche fiir seine ZugehOrigkeit zu einem wilden Individuum beweisend sind. Auf Grund einer vieljlihrigen und an reichem Materiale gewonnenen Erfahrung kann ich diese Frage auf das Bestimmteste bejahen. Ja ich gehe sogar soweit zu behaupten, daB nach eingehender Betrachtung des Schadels etwa diesbeziiglich auftauchende Zweifel nur dann moglich sind, wenn der betreffende Beobachter iiber keine hinreichende Erfahrung verfiigt. Jene Momente, welche die Wildnatur des Tragers dieses Schadels au13er allen Zweifel setzen, sind kurz folgende: 1. Alle Knochenhocker, -klimme und -leisten sind in ungewohnlich scharfer Weise ausgepragt. Arbeiten der Lehrkanzel fUr Tierzucht TIl 1 -2- Dies gilt insbesondere fur die Rauhigkeiten und den median verlaufenden Kamm der Hinterhauptflache, den Kamm am Jochbeine, dessen eingehendere Beschreibung weiter unten folgt usw. 2. AIle Gefli.f3- und Nervenoffnungen sind relativ groB und die ent sprechenden Rinnen sind tief in die Oberflache der Knochen eingegraben, so scharf konturiert, daB sie, wie z. B. die Supraorbitalrinne, formlich wie eingemeillelt aussehen. Dort, wo am Oberkiefer die Infraorbitaloffnungen sich befinden, schlieBt sich eine relativ tiefe, charakteristisch tropfenformig gestaltete Grube an, welche bei Hausrindern entweder gar nicht sichtbar oder nur (im oberen Teile) angedeutet ist. 3. Endlich ist die Oberflache aller Knochen, soweit sie nicht fur Muskelansatze in Frage kommt, in ganz eigenartiger, schwer zu beschreibender Weise dicht gefiigt und besitzt daher ein an Porzellan erinnerndes Aussehen. Dieses Merkmal del' Knochen wilder Tiere, auf das meines Wissens schon Rut i me y e r (beim Schweine) aufmerksam gemacht hat, wird, wie ich aus del' Literatur entnehme, von allen neueren Beobachtern ignoriert, obschon es meiner Erfahrung nach von hervorragendem Werte dort ist, wo es vor kommt (denn bei rezenten wilden Tieren findet es sich nicht in allen Gegenden). Del' hiedurch bedingte Unterschied im Aussehen der Knochen wilden und domestizierten Geflugels (z. B. bei sudmahrischen Fasanen und den dortigen Haushiihnern) ist mir bereits zu einer Zeit aufgefaIlen, da ich mich mit derartigen Studien noch nicht beschaftigte. Eine solche auffallend dichte Struktur der auBeren Schichten des Knochengewebes, wie wir sie am Posener Rinderschadel sehen, findet sich keinesfalls beim Hausrinde, auch dann nicht, wenn man Schadel sehr alter miinnlicher Individuen zum Vergleiche heranzieht. DaB der Trager des untersuchten Schadels ein wildlebendes Individuum gewesen sein muB, unterliegt nach dem Gesagten meines Erachtens nicht dem geringsten Zweifel. 3. Zngehorigkeit des Schadels von Pambltkowo zu einem erwachsenen Individuum Von groBer Bedeutung ist ferner die Frage, ob der vorliegende Schadel einem erwachsenen Individuum angehort. Die relative Kleinheit unseres Wildrindschadels, des sen vordere Gesamtlange von den groBeren Schadel exemplaren der gewill durch verhaltnismli.f3ig kleine Korperformen aus gezeichneten Oberinntaler-Rasse erreicht wird, konnte niimlich die Annahme niiherriicken, daB es sich hier um den Rest eines noch iungen, nicht erwachsenen Tieres handle. Dies um so mehr, als La u r e r1) und neuerdings (1922) LaB au m e2) die Ansicht vertreten haben, daB nicht nur verschiedene kleine Urschadel, die friiher als von Zwerguren herriihrend bestimmt worden waren, sondern auch manche Schadel, die friiher als zu Bos taurus primi genius, also zum Hausrinde gehorend betrachtet wurden, nichts anderes vorstellen wiirden, als Schadel unerwachsener Individuen des gewohnlichen Bos primigenius Boi. 1)" G. La u r e r, Beitriige zur Abstammungs- und Rassenkunde des Hausrindes. Berlin, 1913, Seite 24. Aus Berichte des landwirtschaftlichen Institutes der Universitiit KOnigsberg, Bd. XIV. 2) LaB au m e, mer zwei westprelillische Schiidel von jungen Uren (Bos primi genius Bojanus). Sonderabdruck a. d. Schriften der Naturf.-Gesellschaft in Danzig. N. F. Bd. XV. Danzig, 1922, Seite 104-106. -3- Wiihrend N e h r i n g und andere Zoologen als ausschlaggebende Schlidel merkmale fiir das Erwachsensein des Rindes die Verknocherung der Hinter haupt- und Stirnniihte annehmen, behauptet La u r e r, daE diese Kennzeichen kein Beweis fur das volle Erwachsensein des betreffenden Individuums waren und dieser Ansicht schlieBt sich La Baume in seiner jiingsten Arbeit (1922) an. Ehe ich die Griinde anfuhre, welche meines Erachtens den einwand freien Beweis dafiir erbringen, daB der Schiidel von Pamilttkowo einem vollerwachsenen Individuum angehort, mochte ich doch nicht unterl~ssen, darauf hinzuweisen, daE es sich hier offensichtlich um ein MiBverstiindnis seitens der genannten Autoren handelt. DaE die Knochen des Schiidels im engeren Sinne des W ortes (im Gegen satz zu jenen des Gesichts- bzw. Nasenteiles) friiher ihr Wachstum abschlieBen als gewisse Knochen und Gewebe des Rumpfes, ist ja nicht neu; dies wurde von G. G 1 ii ttl i 1) bereits 1894 nachgewiesen. Fiir das Ostschweizer Braun vieh zeigte G 1 ii ttl i, daB z. B. jene fiir die Beurteilung des Wachstums vom Schiidelteile wichtigen KnochenmaEe, wie die Stirnenge und Stirnbreite, schon vom 9. Monate an nur eine sehr geringe Zunahme zeigen und daB letztere vom 15. Monate an fast Null ist. Die Gesichtsknochen bleiben liinger wachstumsfiihig, und zwar ganz iihnlich wie es bei der Rumpfliinge der Fall ist, bis zu 341/2 Monaten. Aber trotzdem ist auch bei ihnen schon vom 21. Monate an die Zunahme nur sehr gering. Es nimmt z. B. die Nasenliinge wiihrend der letzten 131/2 Monate (vom 21. bis 341/2) nur um 2 em zu (von 25 auf 27 em). Wenn nun, wie es bei Wildrindfundeo. so oft der Fall ist, nur der Schiidelteil vorliegt, so liefert derselbe, unter der Voraussetzung, daE die Hinterhaupt- und die Stirnniihte gut verwachsen sind, doch die Moglichkeit, einen hinreichend verliiBlichen SchluB auf die ungefiihre endgiiltige GroBe des ganzen Schiidels zu ziehen. Dieser Schiidelteil hat dann eben doch schon seine endgiiltige GroBe erreicht; irgendwelche namhafte VergroBerung desselben ist dann aus naturgesetzlichen Grunden nicht mehr moglich. Und selbst wenn ein Triiger eines solchen Schiidels an Akromegalie erkranken wiirde, bliebe der Schiidelteil davon doch unberiihrt, es wurden nur an den Gesichtsknochen entsprechende Veriinderungen vor sich gehen. Zweck dieser scheinbar abseitsfiihrenden Ausfiihrungen ist, zu zeigen, daE Nehring durchaus berechtigt war, auf Grund der angegebenen Schiidel merkmale Schlusse auf die mutmaBliche GroBe der Tiere selbst zu versuchen. Als Beweis fur die ZugehOrigkeit des Schiidels von Pamilttkowo zu einem in jeder Beziehung vollerwachsenen Individuum fuhre ich kurz folgende Momente an: 1. Vollkommenste Verknocherung sowohl der Hinterhaupt- als auch der Stirnniihte; 2. Vollkommenes Verwachsensein der Gesichtsknochen miteinander; 3. 1m Verhiiltnis zur Basilarliinge wohlentwickelte Hornzapfen, und zwar sowohl was deren Lange (60'70/0), als deren Umfang (42'3010) betrifft; 4. Vorhandensein eines kriiftig entwickelten Kranzes von Knochenperlen an der Basis der Hornzapfen (Forderung von LaB au m e); 5. Kriiftige Furchung der Oberfliiche der Hornzapfen (L a B au me); 6. Beschaffenheit (Abnutzungsrad) der Kaufliichen der Molares, besonders jener . von M3. 1) G. G Iii ttl i, Untersuchungen am K6rperbau des Hausrindes, insbesondere iiber die Gestaltung der durch das Skelett bedingten Formen. Landw. Jahrb. der Schweiz, Bd. VIII. Ziirich, 1894, Seite 144-188. 1* -4- An dieser Stelle sehe ieh mieh genotigt, einen Irrtum LaB a u m e s (1922, S. 108) riehtig zu stellen. Als Zeiehen eines jugendliehen Entwieklungs zustandes von Wildrindsehadeln fUhrt der genannte Autor unter anderem aueh "verhiiltnismiillig breite und flaehe Schlafengruben" an. DaB diese Ansicht irrtiimlich ist, vermag ich mit einem umfangreichen Rindersehadel materiale zu beweisen. Die angezogene Beschaffenheit der Schlafengruben ist wohl ein wichtiges Rassengruppenmerkmal und hat daher mit dem Alter der Individuen sehr wenig zu tun. Flache, weite Schlafengruben, wie schon C. K e 11 e r erkannte, sind ein Charakteristikum fUr brachycere Rassen. Schmale und tiefe fUr primigene, wobei speziell beim typischen Bos primigenius Boj. gewohnlich extreme diesbeziigliche Werte vorkommen. Ais Stichprobe fUhre ich z. B. an, daB der in der Wiener Geologischen Reichsanstalt befindliche, aus Mittelgalizien stammende Ursehadel, am bekannten Punkte gemessen, eine Schlafengruben breite von 30 mm bei 61 mm Tiefe besitzt. Leider enthalten die bisher veroffentlichten SchMelmaBe verschiedener Ure dieses MaB nieht. Zum Beweise dessen, daB dieses Verhalten weder mit dem Alter der Tiere noch auch mit der GroBe der Hornzapfen zusammenhangt, fiihre ich folgendes an: Schadel uralter Individuen albanesischer, montenegrinischer etc. Kiihe besitzen extrem breite und seichte Schlafengruben, eben weil sie typische Vertreter primitiver Brachycerosrassen sind. Andererseits verfiige ich iiber unvollkommen entwickelte Schadel (mit unverknocherten Schadel knochennahten) junger Individuen eines mischbliitigen Landviehs aus der Gegend von Wilno mit umgekehrt tiefen und engen Schlafengruben. Es handelt sich also, und das ist von grundlegender Bedeutung, beim Baue der Schlafengruben urn rasseliche, nicht aber urn Altersverhaltnisse. Wenn nun in unserem FaIle der Schadel von Pamilltkowo sich anders verhalt als wie jene des gewohnlichen Bos primigenius Boj. und durch relativ seiehte und breite Schliifengruben ausgezeiehnet ist, so sprieht das, wie die angefUhrten anderen Merkmale klar beweisen, durchaus nieht fiir einen jugendliehen Zustand, wohl aber dafiir, daB wir es mit einer Form eines Wildrindes zu tun haben, die sich hiedurch und durch eine Summe anderer Merkmale yom gewohnlichen Bos primigenius Boj. unterseheidet und die daher mit Recht als eine Sonderform angesprochen werden muB. 4. Die Geschlechtszugehorigkeit des Tragers vom Schadel von Pamilltkowo 1m Jahre 18991) habe ich darauf aufmerksam gemacht, daB man in gewissen Schlagen des Steppenrindes ofters Individuen beiderlei Geschlechtes findet, welche in Bezug auf Horner und Kopfform einander zum Verwechseln gleiehen. Eine diesbeziigliche scharfere sexuelle Differenzierung wie sie bei unseren Kulturrassen des Rindes allgemein ist, hat in solchen Fallen noch nicht stattgefunden. Solche FaIle beobachtete ich zum erstenmal 1891 beim Posavina-Schlage des Steppenrindes in Bosnien. Bei bloBer Betrachtung des Kopfes kommt man daher, wenn man das Geschlecht bestimmen soH, einiger maBen in Verlegenheit. Ubrigens erwahnt C. Keller2) ahnliche Verhaltnisse 1) A dam e t z L., Die Abstammung unserer Hausrinder, Osterreichische Molkerei zeitung 1899. c. 2) K e 11 er, Studien uber die Haustiere der Kaukasusliinder. Neue Denkschrift der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, Band IL, Abhandl. 1, Zurich, 1913. -5- fUr gewisse Kaukasusrinder (interessanterweise) bra c h y c ere r Rasse. Er sagt ausdrucklich, daB die Geschlechtsunterschiede bei denselben "unerheblich" seien. In weitgehendem MaBe finden wir nun diese groBe Ubereinstimmung des Schadelbaues und der Hornentwicklung beider Geschlechter beim Bos primigenius. Mit Sicherheit kann im allgemeinen aus dem Schadelbau das Geschlecht wohl nicht erschlossen werden und wenn wir auch in der Literatur zahlreiche Bos primigenius-Schadel als von Stieren oder Kiihen herriihrend angegeben finden, so darf nicht vergessen werden, daB es sich bei diesen Bestimmungen nur urn eine gewisse Wahrscheinlichkeit, keines wegs aber urn volle GewiBheit handelt. Man kann daher LaB au me nur recht geben, wenn er bei der Beurteilung der von ihm studierten Wildrind schadel von Spangau und Flatow, die uberdies im Gesichtsteile Defekte besitzen, auf die Geschlechtsbestimmung verzichtet und diesen EntschluB damit begrundet, daB die Ansichten verschiedener Untersucher uber das Geschlecht mancher Bos primigenius-Schadel einander oft entgegengesetzt lauten. Obschon die Schwierigkeit der Geschlechtsbestimmung natiirlich auch fUr den vorliegenden Schadel von Pamilltkowo, wie wohl fur aIle euro paischen Wildrinder gilt, mochte ich doch einen Versuch in der Richtung nach Feststellung des Geschlechtes seines Tragers wagen. Zu diesem Zwecke ware von der bekannten Tatsache auszugehen, daB der Schadel des Stieres 1) breiter und namentlich im Gesichtsteile kurzer als der Kuhschadel zu sein pflegt. Ferner mussen die Horner, namentlich bei Wildrindern, im mannlichen Geschlechte aus biologischen Grunden kraftiger, das ist nicht nur langer, sondern vor allem dicker sein. Wenn man nun auch von der sehr variablen Lange der Horner bzw. der Hornzapfen absieht, muB doch der Umfang derselben sowohl als absoluter, als auch als relativer Wert durch seine GroBe gegenuber den entsprechenden Werten der Kuhe hervorstechen. Ais Relativwert empfiehlt es sich, den in Prozenten der klein en Basilarlange ausgedriickten anzunehmen. ErfahrungsgemaB sind ferner bei Stieren die Stirnlange und Stirnbreite groBer und besitzen namentlich in den Relativwerten deutlich hOhere Zahlen als bei Kuhen. Deshalb sollen gewisse Relativwerte des Schadels vom Pamilltkoworinde, und zwar speziell jene des Hornzapfenumfanges, del' Stirnlange und der Stirnbreite von dies em Gesichtspunkte aus naher gepruft werden. Urn jedoch nicht allzutief in Theorie zu versinken, mussen wir Vergleichmaterial, das von einer noch lebenden Rasse gewonnen wurde, verwenden. Aber es handelt sich nicht bloB urn in Bezug auf das Geschlecht vollkommen sicher bestimmte Schadel; es solI gleichzeitig auch eine Rasse gewahlt werden, welche in Bezug auf die Hornbildung Ahnlichkeit mit dem Bos primigenius besitzt. Diesen Zweck erfUllt in vortrefflicher Weise die Steppenrasse. 1m folgenden beniitze ich die MaBe von 9 Kuh- und 2 Stier schadeln des un gar i s c hen Steppenrindes2), eines, wie bekannt, nur mittelgl'oBen Vertreters der Steppenrasse. Auch die' Zahlen von einigen gut erhaltenen Schadeln des Bos primi genius Boj. fUge ich bei; 5 angeblich von Stieren, 2 von Kuhen herriihrende 1) Ein typisches Beispiel gel'inger sexueller Diffel'enz im Schadelbau Hefern die Katzen. Nul' durch seine breitere Form unterscheidet sich hier der Kopf des Katers von jenem der Katze. 2) Die Zahlen sind einel' bisher noch nicht veroffentlichten Doktordissertation, die in meinem Institute von Herrn Dr. Leo v. S c h 0 11 e r verfatlt worden ist, entnommen. 6- solche Schadelwerte entnehme ich der Arbeit von La B a u me (1909). Ganz verlaf3lich in Bezug auf die Bestimmung des zugehorenden Geschlechtes diirften sie jedoch kaum sein 1). Bestimmt falsch diirfte die Bestimmung des in der Wiener Geologischen Reichsanstalt befindlichen galizischen Schadels von Bos primigenius Boj. sein; er gehOrt kaum einer Kuh an. Der VollsUindigkeit und Ubersichtlichkeit halber fiige ich noch die ent sprechenden Werte weiblicher Schadel verschiedener charakteristischer Rinderrassen bei. Vergleicht man in Tabelle 1 zunachst die Werte der Steppenviehstiere mit jenen der Kiihe, dann findet man die alte Erfahrung bestatigt, daf3 die Relativwerte fiir Stirnlange, Stirnbreite und Hornzapfenumfang bei den Stier schadeln ganz wesentlich groBer sind als bei den Kuhschadeln. Sind doch die Minimalwerte dieser MaBe bei den Stieren entweder gleich groB oder sogar noch groBer wie die Maximalwerte der Kuhschadel. Ahnlich, wenn auch nicht ganz so typisch, liegen die VerhaItnisse bei den Stier- und Kuhschadeln von Bos primigenius Boj. nach LaB au m e, obschon, wie erwahnt, volle Sicherheit der richtigen Geschlechtsbestimmung fiir diese Schadel nicht besteht. Hingegen kann man wohl mit groBer Sicherheit auf Grund der gefundenen Relativwerte behaupten, daB die Bestimmung des in der geologischen Reichsanstalt befindlichen Urschadels falsch ist. Es ist wohl kaum ein Kuh-, vielmehr ein Stierschadel. Und was endlich den Schadel von Pamilltkowo betrifft, ergibt ein Vergleich der wichtigsten Relativwerte mit jenen des Steppenviehs und des Bos primigenius Boj. seine wahrscheinliche ZugehOrigkeit zu einem wei b I i c hen Individuum. Als Resultat der kritischen Voruntersuchung des Schadels von Pamillt kowo ergibt sich die Feststellung, daB derselbe ein vollerwachsenes weib liches Wildrind als Trager hatte, und daB dies Wildrind ein Zeitgenosse des Riesenhirsches gewesen ist. 5. Morphologische Beschaffenheit des Schiidels yon Pamilltkowo Wie ich schon zu wiederholten Malen und an verschiedenen Stellen hervorzuheben Gelegenheit hatte, stellt das "Geprage" des Schadels und ganz speziell jenes der Stiere bei den Rindern fiir die Unterscheidung von Rassengruppen bzw. von Spezies oder Subspezies ein viel brauchbareres und wichtigeres Merkmal vor, als wie die bisher iiblichen· Langen- und BreitenmaBe des Schadels und die auf Grund solcher Maf3e errechneten Verhaltniszahlen. 1m Gegensatze zu dem stabilen Verhalten des ersteren hangen die letzteren doch weitgehend von aui3eren Momenten ab, wie z. B. von der Ubung (Art der Futteraufnahme) und der chemischen Be schaffenheit der Nahrung (mehr oder weniger konzentriert, Reichtum an Mineralstoffen). Ja selbst gewisse endokrine Einfliisse wirken in Bezug auf die Konfiguration der Stirne viel weniger verandernd ein als auf die Proportionen der einzelnen Schadelpartien. Innerhalb derselben Rasse findet man dB;her diese Proportionen, je nach der Ortlichkeit, oft recht verschieden und es kommen auf diese Weise Untergruppen zustande, welche trotz genotypischer Gleichheit phanotypisch sich verschieden verhalten konnen. 1) Obrigens ist der hier unter den miinnlichen Schiideln angefiihrte von B 0 rtf e I d in Tabelle 5 der Arbeit von LaB a u meals mannlich, in Tabelle 6 als weiblich bezeichnet. -:! " 9 3 5 1 e Max - 138" 119" - 139" 120" - - - g , Ie c h t e s • ge Hornllin Mitt" , Min" -60"7 121"0 105"5 109"0 ·98"8 -110"8 . 120"7 101"9 92"8 78"9 -82"1 -56"2 -32"0 es G esc h silarllin numfang Min" , Max" -- 53"6 68"6 44"6 58"7 -- 54"0 65"9 41"6 52"7 -- -- -- n g d r Ba Hor Mitt" , 42"4- 64"8 51"6 63"6 59"9 47"4 42"5 36"8 28"0 u e B est i m m tkowo enten d rnbreite Min", Max" -- 50"1 55"9 47"6 49"9 -- 51"6 52"5 47"L 51"2 -- -- -- z u r amiq Proz Sti Mitt. 48"8 53"3 48"7 54"2 52"0 49"4 46"7 48"4 48"9 rR i n d e r de von P in nllinge I Min" Max" -- 53"6 60"1 47"8 56"5 -- 53"6 57"2 50"1 54"0 -- -- -- den e ldrin Stir Mitt" , 51"4 57"7 52"1 58"5 55"4 52"3 52"4 51"3 49"1 Tabelle S chit del m a 13 eve r s chi e 1. vom Wi Bezeichnung der Schlidel Wildrind von Pamilltkowo (kleine Basilarllinge: 420mm)" " " " " " " " " " " " " " " " " " " " .. " " " Bos primigenius Boj" (La Baume) Stierschlidel, (5 kleine Basilarllinge: 577"2 mm) " " " " " " " " " " Bos primigenius Boj" (La Baume) Kuhschlidel, (2 kleine Basilarllinge: 540 mm) """"""."""" Bos primigenius Boj" (Wien, Geol" Reichsanstalt, kleine Basilarllinge: angebl" weiblich?) 570 mm, Ungarische Steppenrasse v" SchlHler) (2 Stier-(L" schlidel, kleine Basilarllinge: 475"5 mm) " " " " " Ungarische Steppenrasse v" Schl:lIIer) Kuh-(L" (9 schlidel, kleine Basilarllinge: 437"7 mm) " " " " . Andalusisches Rind (Ulmansky) (10 Kuhschlidel, kleine BasiIarllinge: 448 mm) " " " " " " " " " " " Rasse der Auvergne (Adametz) (11 Kuhschlidel, kleine BasiIarllinge: 438 mm) " " " " " " " " " " " Albanesenrind (Adametz) Kuhschlidel, kleine (5 BasiIarllinge: 350"6 mm) " . " " " . " " . " . " " " " 1 2 3 4 5 6 7 8 9