ANTONI TÀPIES Die Galerie Boisserée ist Mitglied im: Bundesverband des Deutschen Kunst- & Antiquitätenhandels (BDKA) e.V. ANTONI TÀPIES Bundesverband Deutscher Galerien und Editionen (BVDG) e.V. The International Fine Print Dealers Association (IFPDA) ISBN 978-3-938907-24-5 "Es ist für Künstler schon immer ein Problem gewesen, ein Werk zu beenden, den Augenblick zu erkennen, wo man aufhören und sagen muss "Das ist es!" Es fällt einem schwer, diesen Moment richtig abzupassen und ich habe jedes Mal Angst vor ihm. Aber diese Angst zwingt mich auch dazu, aus jedem Pinselstrich das Beste zu machen, meine Farben erbarmungslos zu beschränken. Viele meiner Bilder haben vielleicht deshalb eher den Makel der Untertreibung als den des Exzesses. Meine Sünde ist die übertriebene Strenge, eine allzu große Sparsamkeit, aus der Angst davor, ich könnte meine Bilder überladen." (3) Antoni Tàpies Katalogumschlag: "Sud" (Süden), Malerei auf Holz 1988, 170 x 195 cm, sign., Agustí 5727 [18785] ANTONI TÀPIES Malerei und Graphik GALERIE BOISSERÉE J. & W. BOISSERÉE GMBH GESCHÄFTSFÜHRER JOHANNES SCHILLING UND MAG.RER.SOC.OEC. THOMAS WEBER DRUSUSGASSE 7-11 D - 50667 KÖLN TEL. +49 - (0)2 21 - 2 57 85 19 FAX +49 - (0)2 21 - 2 57 85 50 [email protected] www.boisseree.com Antoni Tàpies vor großformatigem Holzschnitt, St. Gallen 13. Mai 1993 Barbara Catoir Weise versucht Tàpies der Druckgrafik den Charakter seiner Materialbilder zu geben, Vergleichbares zu schaf- Wie eine Münze mit zwei Seiten fen, das diese auszeichnet: das manuelle Gestalten, das Beispiele des druckgrafischen Werks Haptische der Oberflächen und in den letzten Jahren auch von Antoni Tàpies das für Grafiken unübliche übergroße Format. Mit einer verblüffenden Raffinesse gelingt ihm diese Transforma- Experimentieren war von jeher seine Domäne. Aus dem tion in ein anderes Medium. Seine druckgrafischen Werke experimentellen Umgang mit unüblichen Materialien stellen die Frage nach dem Original neu. wie Marmormehl, Sand, Lacken, Collagen gingen Ende der fünfziger Jahre seine ersten Materialbilder hervor. Entsprechend seiner Mischtechnik im Materialbild ergänzt Im Experimentieren mit Techniken, Druckverfahren und er die klassischen Drucktechniken – Lithografie, Radie- Materialien, im Kombinieren, Variieren und Transformie- rung, Carborundum-Technik, Holzschnitt – auch noch mit ren von Motiven, Substanzen und Oberflächentexturen verschiedensten Materialien und Gegenständen, die er entwickelte Antoni Tàpies auch sein druckgrafisches zusätzlich als Druckstock einsetzt: Wellpappe, Textilien, Werk und entfaltete darin einen beispiellosen Ideenreich- Bleibuchstaben, Nägel, Sicherheitsnadeln, Gegenstände tum. Ihn fasziniert das Spiel mit den Möglichkeiten, das des alltäglichen Lebens, die ihn beim Arbeiten im Ate- ihm dieses Medium in der Kombinatorik verschiedener lier zur Seite sind: Brille, Schere, Handwerkszeug, Löffel, Verfahren und in der Spannweite des Ausdrucks bietet: Messer, Gabeln, Pinsel, Lappen, selbst Kleidungsstücke, vom Leichten, Verspielten zum scheinbar Versteinerten, Wäscheteile, Socken, Schuhe oder eine alte Schiefertafel. von der lebendigen Farbe im Flachdruck der Lithografie Sie gehört seit Jahrzehnten fest zu seinem Motivreper- zum totalen Farbentzug im Prägedruck, von den armen toire. Wegwerfmaterialien wie Packpapierfetzen, Klebebänder, Dazu kommen seine immer wiederkehrenden Zeichen, alte Zeitungsseiten bis zur Imitation eines luxuriös anmu- die mal als Relief, als Collage oder Malspur erscheinen: tenden dunkelroten Samteinbandes im Künstlerbuch. Das das gleichschenklige Kreuz, nicht selten im Prägedruck Spektrum im Experimentieren und Variieren erscheint eines aus fünf Quadraten zusammengesetzten Kartons, unerschöpflich. die Buchstaben A und T, seine Initialen, die zugleich für Antoni und Teresa stehen, die vier roten Fingerspuren in Immer wieder versetzt uns Antoni Tàpies in Erstaunen, Assoziation der katalanischen Fahne, und schließlich seine weil er mit collagierten Elementen, Faltungen, Ausschnit- Fuß- und Handabdrücke, mit denen er selbst den eigenen ten, Einrissen, raffinierten Materialstrukturen oder stoff- Altersprozess dokumentiert. lichen Imitationen in das Verfahren des Drucks eingreift, mithin die Reproduzierbarkeit durch eine zusätzliche manu- Tàpies entwickelte mit den Jahren einen in vielen Variatio- elle Bearbeitung regelrecht konterkariert. In der Radierung nen wiederkehrenden festen Motiv- und Materialkanon, Empremtes (Nr. 90) verblüfft ein collagiertes Stück Holz- der seine Kunst als Vermächtnis einer von ihm gelebten furnier, in Cartes per a la Teresa (Nr. 21), einem Mappen- Zeit lesbar macht. werk mit 62 Lithographien, sind es etwa alte Spielkarten, 1923 in Barcelona geboren, hat er als Jugendlicher noch Taschentücher, Bänder, eine Samt-Imitation, in Novel-la, den Spanischen Bürgerkrieg erlebt, dem fast vierzig Jahre einem seiner frühen Künstlerbücher, Eselsohren, Löcher, Diktatur folgten. Krieg, Zerstörung, Unterdrückung, Protest Schnüre, in Petrificada petrificante (Nr. 31, 32) sandige, haben seine Kunst geprägt. Als Zeitzeuge hat er ihr viel körnig rauhe Oberflächenstrukturen, in Ça suit son cours Tagespolitik, Historisches, Legenden und Traditionen ein- Prägedrucke, die der Poesie des lesbaren Worts mit einer geritzt, aber auch das ganz Alltägliche, die vielen Objekte, Poesie der taktilen Wahrnehmung antworten. Auf diese die aus der Mode kamen und die wir so unmittelbar mit Graphisches Atelier von Antoni Tàpies (Details), St. Gallen 20. September 1990 Spanien verbinden, die aus Kordel geflochtenen Einkaufs- position werden kann. Seine Kunst ist übersät mit Hand- hingegen im engen geistigen Austausch und in freund- der "terra muerta" mit einer Kunst der zu Stein geworde- taschen, die flachen Naturfaser-Besen mit Holzstil, die schriftlichem. Er liebt die Notiz, den kleinen Zettel mit schaftlicher Verbundenheit, wozu die elf Künstlerbücher nen Erinnerung: Petrificada petrificante, Versteinernde alten Rolläden aus Eisen und Klappläden aus Holz. Wie dem schnell, kreuz und quer Notierten, den wilden Aus- gehören, die Tàpies mit dem Katalanen Joan Brossa Versteinerte. Die Publikation von 1978 im Leinenschuber Strandgut der Vergangenheit hat sie Tàpies seiner Kunst streichungen, Korrekturen, Zahlen, Kalkulationen. Mit der schuf. Er war ein Poet und ein Mann des Theaters, jon- mit der Reproduktion einer Zeichnung von Tàpies ist auf einverleibt. Selbst in der Druckgrafik sind ihre Spuren zu zunehmenden Digitalisierung von Schrift sind diese für glierte gern mit Wortspielen und transformierte sie auch weichem handgeschöpftem Moulin de Larroquepapier entdecken. Tàpies so wichtigen Spuren des Individuellen und Sponta- in absurde Objekte. Was die beiden gemeinsam gestal- gedruckt, der poetische Text von Octavio Paz in Spanisch nen im Verschwinden begriffen. An die Stelle des Manu- teten, hat einen auffallend spielerischen Charakter. Mit und Französisch auf grauem Untergrund. Die von Tàpies Die meisten seiner Druckgrafiken schuf Tàpies in den skripts ist längst das alle Spuren der Korrektur tilgende Brossa betrat er die Bühne im Buch. Auftritte widmeten gestalteten Seiten sind in Mischtechnik, einige als mehr- siebziger und beginnenden achtziger Jahren. Es waren die Computerskript getreten. sie u.a. zwei Zauberkünstlern und Pantomimen. Der erste farbige Radierungen mit Blinddruck, andere in Kombina- brisanten politischen Jahre in Spanien. Die erste Hälfte war Frègoli, der im Barcelona des Jugendstils das Publi- tion mit Aquatinta und Carborundum-Technik. Auffallend galt der Endphase des Franco-Regimes, für Tàpies Jahre Höhepunkte des druckgrafischen Oeuvres von Tàpies kum in seinen Bann gezogen hatte - das seinen Namen sind die erdigen Töne, die dem Text einer toten Erde ent- des Protests und des Kampfes, die er mit einer Reihe von bilden seine Mappenwerke und Künstlerbücher. Jedes tragende Buch erschien 1969 -, der zweite ein König der sprechen. manifestartigen Werken begleitete; die zweite dem Errin- dieser Objekte hat einen ganz eigenen Charakter. Sie Magie. Die Publikation El rei de màgia (Nr. 64) folgte 1985. gen der Demokratie, nach vierzig Jahren Diktatur ein lang- führen den Betrachter unmittelbar ins elementare Erle- In ihrem Gefolge kamen für Tàpies Requisiten des Thea- Dem Buch gehört die Leidenschaft des Künstlers. Aber wieriger Prozess. In der Ausstellung fallen solche politisch ben einer Kunst, die den Tastsinn dem Visuellen an die ters, vor allem der Zauberkünste und Taschenspieler zum er gestaltet es nicht nur selbst, er sammelt seit langem motivierten Arbeiten jener Jahre durch lesbare Aufschrif- Seite stellt. Anders als die großen Materialbilder vermit- Einsatz: Zylinder, Fächer, Spielkarten, Masken, Taschen- auch Bücher, solche, die er lesen kann, und andere, die ten und eine für Tàpies ungewöhnlich sprühende Farbig- teln sie sich nicht mehr allein über die Augen und das, tücher, Schnurrbärte, Papierluftschlangen, Konfetti, Spie- für ihn den Geist nur symbolisch verkörpern. Die kostbare keit von Rot und Gelb auf. Rot/Gelb, das sind die Farben was dabei das Gedächtnis leistet, indem es die Berührung gel, selbst Schnittmuster aus der Bühnenwerkstatt. Sie Bibliothek in seinem Stadthaus in Barcelona spiegelt seine Spaniens und die Kataloniens. In jenen Jahren erschienen ersetzt. Die Mappenwerke und Künstlerbücher sind uns lassen sich quer durch das Werk von Tàpies verfolgen, vielseitigen Interessen und seine Sammlerleidenschaft eine Reihe von Druckgrafiken, diverse Mappenwerke und buchstäblich in die Hände gelegt. Sie ermöglichen somit vom Materialbild und Objekt bis ins Künstlerbuch. mit Büchern und Manuskripten aus der ganzen Welt. Das thematische Reihen. In ihnen wird viel Zeitgeschichtliches größte Nähe zum Werk, wodurch der kreative Akt in allen älteste Schriftzeugnis ist eine sumerische Tontafel in Keil- ablesbar. Auch in einigen Einzelwerken jener Jahre äußert Phasen nachvollziehbar wird. Keine Rahmung, kein Glas Die Faszination ging von der Idee der Transformation aus, schrift. In Material und Prägedruck führt sie direkt zum sich Protest und ein politischer Appell für Freiheit und ein trennt den Betrachter von der Komposition. im weiteren Sinn von der Metamorphose, dem Urgrund Werk von Tàpies, das in solchen frühen Schriftdokumen- unabhängiges Katalonien. Wie häufig schrieb er die kata- alles künstlerischen Schaffens, und vom Wechselspiel ten seinen Ursprung hat. Es ist der Ton, der im weichen lanischen Worte "Llibertat" oder "Visca Catalunya" in feu- Die einzelnen Blätter liegen vor uns. Wir wenden sie, aus Verschwinden und Erscheinen, das, was Tàpies auf Zustand die Einritztechnik ermöglicht und in seiner erhär- rigem Rot in seine Bilder und Grafiken! Llibertat lesen wir lernen sie von zwei Seiten kennen. Bei Antoni Tàpies ist einer anderen Ebene evoziert. teten Form zum Druckstock werden kann. auch in der emphatischen Komposition von 1977 (Nr. 1), das immer mit einer Überraschung verbunden. Jedes Blatt Im spielerischen Geist dieser Zusammenarbeit schuf einer beidseitig bemalten Sperrholzplatte, die im Titel nur hat wie eine Münze zwei Seiten. Das ergibt sich aus den Tàpies 1974 auch sein faszinierendes Mappenwerk Cartes die Technik und das Material, nicht aber den politischen besonderen Papieren und den verschiedenen Prägedruck- per a la Teresa. Der Titel ist wortspielerisch zu verstehen, Aufruf erwähnt. Im druckgrafischen Bereich sind es die Techniken, die dem grafischen Werk den auffallenden als Spielkarten und Briefe an Teresa, seine Ehefrau. Farbaquatinta-Radierungen der Suite catalana von 1972 Reliefcharakter verleihen. Mit den Jahren haben teilweise (Nr. 13–17); in ihrer symbolischen Farb- und Formgebung auch die Farben auf die Rückseiten durchgeschlagen. Man Die Bücher, die Tàpies mit katalanischen, spanischen, von vier roten Streifen als Fingerspuren vor gelbem Hin- empfindet es nicht als Manko, sondern als weitere Spur französischen und in einem Fall auch mit einem japani- tergrund - womit die katalanische Fahne assoziiert wird - eines lebendigen künstlerischen Prozesses. schen Schriftsteller schuf, haben oft wortspielerische und den flammenden Inschriften stellt die Suite sicherlich Titel und sind folglich schwer zu übersetzen. Sie entziehen eines der vitalsten Bekenntnisse von Tàpies für Katalonien Ein zentrales Werk der Ausstellung ist Cartes per a la sich der Eindeutigkeit und damit der Festlegung, setzen dar. Teresa (Nr. 21). Es wird als Mappenwerk bezeichnet, weil in der dialektischen Wortkombination eines Oxymoron es ohne Text ist, aber in der phantasievollen Gestaltung ist aber gerade den Assoziationsfluss in Gang. Häufig ist Ein Hauptmerkmal der Grafik ist das Element der Schrift zwischen Mappe und Buch bei Tàpies gar nicht zu unter- Lautmalerei im Spiel. Petrificada petrificante (Nr. 31, 32), vom lesbaren Appell bis zum Schreibfluss im Übergang scheiden. Diverse Bücher und Mappenwerke entstanden ein Künstlerbuch, das er mit Octavio Paz schuf, macht es zur Kritzelei; Tàpies fasziniert das Gestische. Das zeigt in Zusammenarbeit mit Poeten und Schriftstellern, einige deutlich. Es stellt sicherlich einen der Höhepunkte dieser schon seine schwungvolle Signatur, die Teil seiner Kom- auch ohne dass man sich persönlich begegnet ist, andere Ausstellung dar, denn darin begegnen sich eine Poesie 1. "Rojo sobre madera" (Rot auf Sperrholz), Mischtechnik auf Sperrholz (beidseitig) 1977, 83,5 x 51 cm, sign., Agustí 3345 [19550] "Vielleicht ist diese Liebe zu den flüchtigen Dingen, die ich so intensiv empfinde, der Grund, dass ich in der westlichen Kunst alles Gegenteilige so absurd finde: den Überfluss, die Serienfabrikation, die (...) allzu technifizierten Materialien." (4) Antoni Tàpies 2. "Signe negre" (Schwarzes Zeichen), Malerei auf Holz 1983, 46 x 38 cm, sign., Agustí 4504 [19040] "Meist will der Fragende über ein ganz bestimmtes Werk etwas wissen oder nur ein einzelnes Zeichen oder ein bestimmtes Fragment. Heutzutage liegt, wie ich schon oft gesagt habe, der Sinn eines Werkes jedoch kaum noch allein in ihm selbst, weil jedes Kunstwerk mit vielen anderen, eigenen oder fremden, in Beziehung steht. Um ein einziges Werk zu erklären, muss man schon beinahe die ganze Geschichte der Kunst bemühen." (1) Antoni Tàpies 3. "Blanc et vernis" (Weiß und Lack), Malerei, Lack, Bleistift und Einritzungen auf Karton 1988, 106 x 80 cm, sign., Agustí 5692 [19133] "Man sagt, das Schicksal eines Menschen wird manchmal von seinem Namen bestimmt. Mein Name hat großen Einfluss auf meine Kunst gehabt. Tàpies bedeutet auf Katalanisch nämlich Mauer. Ich habe mich von den verschiedensten Vorstellungen leiten lassen, die sich mit dem Begriff Mauer verbinden; die Mauer als Hindernis, als Eingrenzung, als Gefängnis. Ich habe mich aber auch immer für Graffiti auf Mauern interessiert." (3) Antoni Tàpies "Die Mauer als Idee der Trennung, aber auch einfach als etwas, worauf man schreiben kann, ist eine Erinnerung, die weit in meine Kindheit zurückreicht. Um meine Großeltern in der Altstadt von Barcelona im gotischen Viertel zu besuchen, musste ich durch enge Gassen laufen, deren Mauern die Narben und Zeichen der Jahrhunderte trugen. Einen ebenso tiefen Eindruck machten auf mich auch die mit Parolen beschriebenen und mit Plakaten beklebten Mauern während des Bürgerkriegs." (3) Antoni Tàpies 4. "Pissarra" (Schiefertafel), Malerei und Einritzungen auf Wellkarton auf Leinwand 1988, 103 x 128,5 cm, sign., Agustí 5708 [19558] "Die Dinge, die man sich vorstellt, lassen sich nicht immer realisieren. Man muss erst in einen Dialog mit den Materialien treten ..." (2) Antoni Tàpies im Gespräch mit Barbara Catoir 5. "Sud" (Süden), Malerei auf Holz 1988, 170 x 195 cm, sign., Agustí 5727 [18785]
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